Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten

Von:    Philippe Gehrig      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 19. März 2001
Bei Webstories eingestellt: 19. März 2001
Anzahl gesehen: 2578
Seiten: 5

Es ist mal wieder soweit. Tief in meinem Innern habe ich es

gewusst und doch hatte ich ein Fünkchen Hoffnung auf einen

pünktlichen Feierabend. Aber Nein, es muss ja so

kommen: Mein Chef verkündet der gesamten Abteilung, das

heute Abend im Hotel 'Arkade', in der Nähe der Firma, um

19.00 Uhr eine Schulung bzw. Präsentation eines großen

Festplattenherstellers statt finden wird. Teilnahme sei Pflicht,

aber verhungern müsse keiner, es gäbe ein kaltes

Büffet ‘Ha Ha’. Dieses ‘Ha Ha’, begleitet von seinem

süffisantem Grinsen werde ich ihm eines Tages den Hals

runterstopfen, denke ich mir - und behalte meine Contenance.



Um 18.30 Uhr trabt eine mehr oder weniger missmutige Schar

von Verkäufern Richtung Hotel, was praktischerweise ganz

in der Nähe unserer Arbeitsstätte liegt. Ich hoffe, das sich

der Arbeitskollege, der mich freundlicherweise mit zur

Arbeit genommen hat, nicht wieder die Kanne gibt, denn

dann wird es eine Ewigkeit dauern, bis wir nach Hause kommen.

Bis jetzt habe ich mich erfolgreich gegen die Anschaffung

eines eigenen PKW gewehrt, da ich zum einen gar nicht weiß,

wovon ich das bei diesem Hungerlohn bezahlen soll, und zum

zweiten, ich nicht vor habe, diesen Substanz fressenden Job

allzu lange zu machen. So bin ich also von diesem Arbeits-

kollegen abhängig, der zwar immer große Sprüche klopft,

aber sich immer mehr als Luftpumpe entpuppt.













Im Foyer des Hotels bilden sich wieder die üblichen

Grüppchen. Die Starverkäufer suchen die Nähe zu ihren

Gruppenleitern, damit sie besser auf ihrer Schleimspur

surfen können, die kleinen Lichter, zu denen ich auch gehöre,

suchen die Nähe zu anderen kleinen Lichtern, damit wir uns

gegenseitig besser die Wunden lecken können. Nach zwanzig

Minuten Small Talk beginnt endlich die Präsentation. Der

Repräsentant des Festplattenherstellers zeigt uns, Mittels

per Overheadprojektor an die Wand geworfenen Grafiken, die

Entwicklung und das Wachstum seiner Firma.
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Anschließend

erklärt er uns, das seine Firma, im Vergleich mit dem

Wettbewerb, der hellste Stern am Firmament ist. Also, das

übliche Geschwafel, und dafür muss ich meine knapp bemessene

Freizeit opfern; Ich bin entzückt.



Nach dem Vortrag wird die Schlacht am kalten Büffet ein-

geläutet, was wider meiner anfänglichen Befürchtung,

ausgesprochen reichhaltig und abwechslungsreich ist - im

Gegensatz zu den sonst üblichen belegten Brötchen. Während

dem Essen bessert sich meine Laune um einige Grad, obwohl

ich immer noch wegen der verpassten Billardrunde mit meinen

Freunden, mit meinem Schicksal hadere. Nach dem Essen

bilden sich wieder besagte Grüppchen, wobei ich einigen

Kollegen ansehe, das sie jetzt auch lieber nach Hause fahren

würden, aber sich Angesichts der Präsenz unseres Chefs nicht

trauen, bzw. noch nicht trauen die Segel zu streichen. So

wird also ungezwungenes Miteinander zelebriert, so gut es

geht, und dazu ordentlich Bier drauf geschüttet.













Gegen 22.00 Uhr hat sich die Runde schon gelichtet, aber

mein Arbeitskollege, meine Mitfahrgelegenheit, kann sich

nicht von der Runde trennen. Dieser Schleimer, baggert und

sülzt unermüdlich an unserem Chef herum, als ob er ihm

gleich vor versammelter Mannschaft an die Hose wolle.

Soll er in der Hölle schmoren!



Ich mache derweil das zweite Päckchen Camel ohne Filter auf

und denke daran, wie wunderschön ich jetzt in meinem Sessel

Zuhause - in Ruhe - an Lungenkrebs sterben könnte. Die Zeit

schreitet nur langsam, bitter langsam vorwärts. Ein anderer

Arbeitskollege, natürlich Nichtraucher, bedient sich ohne

Hemmungen an meinen Zigaretten und drückt mir eine Kassette

ins Ohr, das die Weiber immer nur an sein Geld wollen.

Dieser Schwachkopf, welches Geld meint er? Das Almosen was

wir hier verdienen, wird wohl kaum reichen, irgendeine Frau

zu beeindrucken, geschweige denn sie dazu zu bringen, diesem

schmierbäuchigen Glatzkopf hinterher zu rennen.
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Um 23.00

Uhr bin ich das Spiel leid und passe den geeigneten Moment

ab, um meine Mitfahrgelegenheit zu interviewen. Wo sonst

als auf dem Klo? Denn ansonsten ist er ja zu beschäftigt

unserem Chef in den Allerwertesten zu kriechen. Ich frage

ihn, am Pissoir neben ihm stehend, wann er den gedenkt nach

Hause zu fahren und er antwortet das wüsste er noch nicht,

es wäre gerade so lustig. Es kostet mich ungeheure Kraft

cool zu bleiben und ich zische ein: „Na dann bis später“.



Eine weitere Stunde später, spiele ich mit dem Gedanken,

mich in das Hotel einzumieten, da ich aus Frust zuviel

getrunken habe.











Ich muss ja selbst nicht fahren, aber mir ist klar, das mir

abzüglich einer Stunde Fahrzeit, noch genau fünf Stunden

zum schlafen bleiben, unter der Vorraussetzung, das wir

jetzt starten. Was aber nicht danach aussieht.



Mein Chef ist heute gewillt ein Fass aufzumachen, und er-

öffnet dem Funktionär des Festplattenherstellers und meinem

Chauffeur, dass er hier in der Nähe noch ein Lokal kennt,

was länger auf hat. Also verabschiede ich mich geistig

schon mal von dem Geld für die Übernachtung in diesem Hotel,

das ich eigentlich gar nicht habe. Wenn ich jetzt nicht ins

Bett komme, wird mich der zwangsläufige Kater morgen früh

umbringen.



Ich verabschiede mich mit einem gequälten Lächeln und stoße

im Fahrstuhl einen müden Seufzer aus. Endlich allein, ohne

diese Berufsoptimisten, die mich mit ihrer 'Uns gehört die

Welt' Einstellung den ganzen Abend gelangweilt haben. Ich

falle halbtot in die Koje und schaffe es gerade noch, meine

Klamotten und meine Brille auf einen Stuhl in die Ecke zu

feuern. Irgendwann nachts weckt mich das Drücken meiner

übervollen Blase.
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Ich schleiche halb besoffen und halb blind

ohne meine Brille, Richtung Bad. Als die Tür hinter mir ins

Schloss fällt, bin ich schlagartig nüchtern.



Ich stehe nackt auf dem Hotelflur!

Lieber Gott im Himmel, lass das nicht wahr sein, sag mir

das ich nur schlecht geträumt habe, Bitte, Bitte, Bitte !











Aber der liebe Gott zeigt kein Erbarmen, auch nach fünf

Minuten stehe ich immer noch splitterfasernackt im vierten

Stock des schlauchartigen Hotelflurs. Verfluchte Scheiße,

was jetzt?



Nachdem ich weitere fünf Minuten von einem Bein aufs andere

gehampelt bin und langsam anfange zu frieren, kommt mir

eine Idee. Bestimmt haben die hier auch ein Nottelefon im

Flur, damit man an der Rezeption Bescheid sagen kann, wenn

zum Beispiel ein Feuer ausbricht. Ich laufe langsam und

vorsichtig, immer bedacht mein Geschlechtsteil zumindest

mit einer Hand zu verhüllen, den Flur entlang. Hoffentlich

will jetzt kein Nachtschwärmer auf sein Zimmer, was soll

ich nur sagen wenn mir jemand begegnet ?



Hallochen zusammen, heiße Nacht heute! ?



Man wird mich für wahnsinnig halten, besser noch für einen

Sexgangster, ich sehe schon die Schlagzeile in der Morgen-

zeitung vor mir:



Psychopatischer Exhibitionist terrorisiert Hotelgäste!



Weit und breit kein Telefon in diesem Scheißflur, das ist

die Strafe Gottes für die, die abfällig über Ihre Kollegen

und Chefs denken, geht es mir durch den Kopf. Ich gehe den

Flur ein zweites Mal vorsichtig und hoffentlich lautlos ab,

entdecke aber leider nicht das ersehnte Telefon. Die einzige

Konsequenz nimmt in meinem Kopf Form an.











Ich muss im Fahrstuhl runter an die Rezeption fahren und

mich dort irgendwie bemerkbar machen, oh Gott wie peinlich !



Allein der Gedanke jagt mir heiße und kalte Schauer über

den Rücken, ich bin erledigt.
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Ich verbringe weitere zehn

Minuten in eine Ecke gekauert und beobachte den Fahrstuhl.



Also, gut ich bringe es hinter mich. Ich bewege mich

Richtung Fahrstuhl und drücke den Knopf, hoffentlich ist

der Fahrstuhl leer, Bitte, Bitte, Bitte! Der Fahrstuhl

öffnet sich langsam und ich spähe mit hochrotem Kopf hinein,

Leer! Ich steige ein und wische mir die Zwanzigste

Schicht Schweißperlen von der Stirn. 'E' wie Erdgeschoss

steht auf der Schalttafel, 'I' wie Inferno wäre viel

passender gewesen. Der Fahrstuhl setzt sich in Gang. Die

Fahrt hinunter kommt mir endlos lange vor und ich zucke bei

jedem Stockwerk, von Panikattacken geschüttelt, zusammen.

Bitte, Bitte, Bitte fahr weiter, keine anderen Fahrgäste,

ich kaufe auch morgen Zigarren für den Chef und einen Strauss

Blumen für seine Frau! Nach unsäglichen Minuten der Qual,

komme ich endlich im Erdgeschoss an und die Türe geht auf.



Ich stehe da wie ein Häufchen Elend und winke mit einer Hand

Richtung Rezeption, allerdings kann es auch sein, das ich

gerade dem Feuerlöscher winke, da ich ohne meine Brille

blind wie ein Maulwurf bin. Weitere Sekunden, Minuten der

Agonie, ich winke immer noch wie ein Gestörter, aber nichts

passiert.













Nichts auf der Welt wird mich dazu bringen durch diese

Empfangshalle zu laufen und an der Rezeption zu klingeln,

Nichts - immer fleißig winken! Ich weiß nicht wie lange

ich winke, bis plötzlich die Fahrstuhltür wieder zugehen

will, was ich aber durch den Einsatz meines Oberschenkels

zu verhindern weiß. Ich habe aber die Lichtschranke nicht

getroffen und die Tür klemmt mir den Schenkel ein, worauf

ich laut losschreie. Plötzlich geht die Tür wieder auf und

vor mir steht der Nachtportier. Er nimmt sich die Zeit mich

von oben bis unten zu mustern, während ich irgendwelche

Entschuldigungen murmele und mit gesenktem Kopf probiere,

dass ganze zu erklären: Welch Schmach!



Da er den Generalschlüssel für alle Zimmer dabei hat, können

wir sofort wieder hoch fahren, wofür ich Gott danke.
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Während

der Fahrt schaut er mich halb ungläubig, halb grinsend an,

seine niedrigen Gedanken stehen ihm auf der Stirn

geschrieben. Das wird ein Fest morgen früh, wenn ich das

meinen Kollegen erzähle!



Ich falle wieder ins Bett und stehe nach 10 Minuten wieder

auf, da ich ja ursprünglich pinkeln gehen wollte, was mir

aber in der Aufregung glatt entfallen ist. Dieses mal aber

mit Brille und die Badezimmertür lasse ich auch hinter mir

auf. Vorsicht ist bekanntlich die Mutter der Porzellankiste,

man weiß ja nie.



Am nächsten Morgen behandeln mich alle Bediensteten des

Hotels äußerst freundlich und zuvorkommend und alle

wissen meinen Namen.









„Ja gerne Hr. Urban, aber natürlich Hr. Urban, darf es

noch etwas sein Hr. Urban ?“



„Heute kein Frühstück Hr. Urban?“



Und immer mit diesem ironischen Lächeln im Gesicht, ich

könnte sie alle umbringen. Ich verlasse das Hotel als armer

gedemütigter Mann, der jetzt wieder seinem unerfreulichen

Tagwerk nachgehen muss. Ich bin mir sicher, das ich nie

wieder einen Fuß in diese Räumlichkeiten setzen werde.


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Kommentare zur Story:

  Sicher einer der Alpträume eines jeden von uns, irgendwo plötzlich nackt herumzustehen... und das nach einem schrecklichen Abend. Man kann sich wirklich gut hineinversetzen in die Laune des Ich-Erzählers.
Ich hoffe doch daß das nur erfunden ist. :)

4 Punkte  
FrozenYak  -  12.01.03 00:14

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Kommentar von "Buchwurm" zu "PK Chat Story 2 - return to life - (1-22)"

Echt super krass gut!

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Kommentar von "Evi Apfel" zu "Die Hand der Nixe ( Echt wahr!) "

Immer wieder gut. Kurz und knapp und witzig und die Bilder wie immer treffend.

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ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest. Genießt auch die übrigen Festtage und macht es euch schön wir möglich. Trübsal blasen könnt ihr auch ein andermal. Also frohes Fest Eure Redaktion

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