Fantastisches · Kurzgeschichten

Von:    Merit-Amun      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 29. Dezember 2001
Bei Webstories eingestellt: 29. Dezember 2001
Anzahl gesehen: 5523
Seiten: 4

Glutrot versank die Sonne hinter den erhabenen Gipfeln der Pyramiden von Gizeh, warf ihre letzten Strahlen des Tages auf die Tempeln der Ewigkeit. Nichts konnte sich mit diesem abendlichen Schauspiel messen, nicht einmal die für Touristen aufgeführten Lichter und Sound Shows an den Pyramiden. Nichts ließ sich mit der Sonne vergleichen, die auch schon Ramses, dem Sohn des Lichtes, den Weg wies. Amun, der verborgene Gott, erwies durch die untergehende Sonne der vergessenen Kultur des alten Ägyptens die letzte Ehre an diesen ausklingenden Tag. Mit der Sonne verabschiedete sich auch die Hitze. Die Erhabenheit dieser monumentalen Bauwerke zog auch heute noch die Menschen in einen Bann, selbst 2000 Jahre nach Christi Geburt. Doch Zeit spielte für sie keine Rolle, sie existierten schon lange bevor Moses die 10 Gebote von Gott erhielt. Sie verbargen mehr Geheimnisse, als die Touristen mit ihren Fotokameras sich vorstellen konnten.

Spuren im Sand waren alles, was an diesen Tag an die Menschenmassen erinnerte. Ameni tätschelte noch einmal sein Kamel, nahm den dicken Strick, und wollte es nach Hause führen, als er meinte eine Stimme im leichten Wind zu vernehmen. Sie klang wie ein weinendes Kla-gen, wie die Stimme tauender verlorener Seelen. Ameni, nur ein armer Junge der sich mit Kamelritten für Touristen über Wasser hielt, blieb stehen. Nur wenig wußte er noch von der herausragenden Kultur seiner Ahnen, zuviel ging verloren, zuviel ging vergessen. Zahlreiche Mythen wurden sich über diese stumme Zeugen der Ewigkeit erzählt. Vieles nur Märchen, ohne jegliche Wahrheit, eine Lüge für Touristen. Einige jedoch wahr, dunkel und Geheimnis-voll, jenseits von allem. Der Fluch des Pharaos, der Fluch der Götter. Echnaton hatte ihn einst ereilt, diesen Fluch der Gottheiten, als er sich von dem Reichsgott Amun abwandte, und nur noch Aton, symbolisiert von der Sonnenscheibe, anbetete. Er ließ die alten Tempel schließen, und verbot die uralten Riten, welche die Götter im Zaum halten sollten. Irgendwann schlugen die Götter zurück, Echnaton starb, und Tutanchamun führte die alte Religion wieder ein. Würden sich die Götter erneut rächen? Rächen dafür, daß ihr Erbe in Vergessenheit geriet, daß es nun andere Götter gab, welche nicht einmal mehr Jesus oder Allah hießen? Andere Götter, nicht wie Aton erschienen in der Sonnenscheibe? Götter mit dem Namen Technik, Fortschritt und Zerstörung?

Ameni, blieb stehen.
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Sein dichtes schwarzes Haar wehte leicht im Wind. Er blickte sich um, nirgendwo war mehr eine Menschenseele zu sehen. Die Nacht senkte sich über die Hochebene, gleichwohl er Menschen in nicht allzu weiter Entfernung wußte, überfiel ihn die Angst. Sollte es Seth sein, der Feind der anderen Götter? Das Kamel wurde unruhig, und Ameni beschloß den Heimweg anzugehen.

Leise gingen sie ihres Weges, entfernten sich von den Pyramiden. Das letzte Licht des Tages schwand endgültig aus dem Tag, brachte die Nacht mit Millionen von Sternen, die wie harte Diamantsplitter am Firmament funkelten, unglaublich fern, unendlich schön.

Niemand befand sich mehr auf der Hochebene. Die Hektik der großen Stadt Kairo spürte hier niemand mehr. Ein kalter Wind kam auf, trieb den Sand vor sich hin, verwischte die Spuren des Tages, wenngleich er nicht die Spuren der Zivilisation verwischen konnte. Eine rot-weiße Cola Getränkedose funkelte matt im Glanz der Sterne, die seit ewig die Geschehnisse stumm beobachten.

Stumm und gleich einem Bollwerk gegen die Zeit erhoben sich die Pyramiden den Sternen entgegen, das Sternbild des Orions erstrahlte in dieser Nacht besonders hell. Und fremde Stimmen weinten in der Nacht, heulten mit dem Wind, und kein menschliches Ohr konnte sie mehr hören, konnte sie mehr verstehen.

Nur die feinen Ohren eines wundersamen Geschöpfes vermochten es zu hören, vermochten die Schmerzen zu spüren....Nur besondere Augen konnten die Welt des Jenseits sehen, ob-gleich der Besitzer der Augen im Diesseits wandelte. Nur ein Wesen mit reinem Herzen, das die Gesetzte der Maat kannte, und achtete, konnte die Traurigkeit in der sterbenden Welt ver-nehmen. Nur jemand mit einer reinen Seele, konnte die Götter klagen hören. Wußten die Menschen denn nicht um das Totengericht? Wußten sie nicht, daß Osiris über sie richten wür-de? Osiris, der Gott der Unterwelt? Wußten sie nicht, daß, wenn sie die Maat nicht achteten, nur zerstörten, logen und betrogen, ihr Herz an die Fresserin verlieren würden? Das sie dann verdammt sein würden? Vergaßen sie alles?

Fahles Mondlicht fiel auf die Pyramiden der Hochebene in Gizeh. Der Sand funkelte im Mondlicht ein wenig silbern, und die Pyramiden selbst erschienen wie ein fremder Traum.
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Ein Schatten fiel in den Sand, und der Wind holte erneut Atem. Langsam, ganz langsam erschien das Wesen neben einer der Pyramiden. Schlank, schneeweiß und anmutig schritt es ins fahle Licht des Vollmondes. Sand wirbelte unter seinen silbernen Hufen auf, verwandelte sich in reines Silber, und reflektierte die Strahlen des fernen Begleiters der Erde, so daß das Einhorn wie über einen Pfad aus Mondlicht schritt.

Das Wesen blieb stehen, erhob seinen zarten Kopf, das Horn fing das Licht der Nacht ein, Sternenlicht und Mondlicht vermählten sich in dem langen perlmuten Horn des Einhornes, ließen es erstrahlen in einem Licht, das den hellsten Sternen ähnelte. Es wieherte leise, seine lange Mähne wehte leicht, der Wind spielte damit sein eigenes Spiel. Augen blickten gegen den Himmel, suchten in den Sternen nach Hoffnung, nach Liebe! Augen, mehr gesehen, als jemals ein Menschenwesen erblickten konnte. Sie glichen einem See aus Gefühlen, den nie-mand ergründen vermochte. Wer in sie blickte vergaß alles, was er je erlernte, alles, was er je glaubte zu wissen. Er versank in diesen Augen, die die Jahrtausende in sich widerspiegelten.

Ruhig blieb das schneeweiße Einhorn zwischen den Pyramiden stehen, seine Nüstern bebten. Gleich würde das Heute zum Gestern werden, würde eine neue Stunde in einem neuen Tag anbrechen...ein neuer Tag zur Verdammnis. Sie konnte die Maat klagen hören, alle Götter klagten, weinten...vergessen, verbannt. Sie konnte die Stimmen derer vernehmen, die die Welt erschufen, und für Gerechtigkeit sorgen! Sie senkte ihr Haupt, schloß die Augen. Niemand mehr glaubte an die alten Götter. Sie führten ihre anderen Religionen an. Die Christen mach-ten ihren Gott zu dem wahren Gott, ihnen taten es die Moslems gleich, und noch viele andere meinten den wahren Gott erkannt zu haben. Aber, wenn es nur einen „wahren“ Gott gibt, so befinden sich alle anderen, die nicht an diesen Gott glauben im Unrecht. Der Monotheismus teilte die Menschen und Völker in „Gläubige“ und „Ungläubig“, und beschwor seit jeher Krieg und Unterdrückung herauf. Da war kein Platz mehr für Toleranz und Achtung. Die Götter wurden verstoßen, und das Unheil brach über die Welt herein. Die Intoleranz brach in alle Lebensbereiche der Menschen ein, teilte die Menschen, versperrte ihnen die Sicht für das Wahre, für das Göttliche, für die Welt hinter den Spiegeln, für die Dinge, die im Verborgenen liegen.
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Haß regierte die Welt, wie ein roter Faden zog er sich durch die Menschheitsge-schichte. Die wahren Werte wurden vergessen, die Liebe für immer begraben.....Kälte be-herrschte die Welt, erfror die Herzen der Menschen.

Eine dicke Träne fiel in den Sand, ihr folgte eine Zweite. Das Einhorn weinte, sein Klagen gesellte sich zu dem der Götter, zu den verlorenen Seelen. Wie sie, so vergaß man auch das Einhorn! Niemand glaubte mehr an etwas. Niemand sah mehr das Verborgene. Tod, Haß und Gewalt. Selbst die Pyramiden blieben davon nicht verschont. Rücksichtslose Menschen zer-störten sie langsam aber sicher. Geschaffen für die Ewigkeit, gleich der Sternen in der Un-endlichkeit. Das Einhorn erhob seinen Kopf, Tränen rannen über sein Haupt, hinterließen glit-zernde Spuren auf dem zarten Fell, fielen herab, vermischten sich mit dem Wüstensand. Gott Seth schien die Trauer dieses magischen Wesen zu spüren, Wolken verfinsterten den Himmel, Seth´s Zorn sollte in Form von Blitz und Donner über die Menschheit kommen. Ein greller Blitz zuckte herab, das Einhorn stieg, stieß einen schrillen Ruf aus, und im Hintergrund stan-den die Pyramiden, Zeugen von Jahrtausenden, Relikte aus einer anderen Zeit, als noch die Maat herrschte, die Götter ihr Antlitz noch nicht von ihren Kinder im Diesseits abgewendet hatten.



Gegen Morgen erhob sich die Sonnenbarke aus der Unterwelt, und erhellte die Welt des Sichtbaren. Keine Spuren eines Einhorns fanden sich im Wüstensand, keine Tränen, keine Spuren....dennoch würde es in der nächsten Nacht wiederkommen. Zu den Pyramiden, zu den Göttern, die gleich es selbst, vergessen und verleugnet wurden, um zu beweinen des Menschens Schicksal, als sie sich von der Gerechtigkeit und von der Magie abwandten, der Verdammnis Tor und Tür öffneten. Denn, wer an nichts mehr glaubt, nur Haß und Habgier im Herzen trägt, wird keinen Platz finden, im Jenseits, wird für immer verdammt sein!



18. Oktober 2000


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Punktestand der Geschichte:   9
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Kommentare zur Story:

  Sehr poetisch.  
Hubi  -  22.11.02 11:31

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  Habe mal unter Trance ein Bild an meine Zimmerwand gemalt: Ein Einhorn und eine Pyramide. War nett mal wieder in Gizeh zu sein..
Und: Tut Ench Amon ist zurück !  
Rad el Baluvar  -  19.08.02 02:38

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  "Geliebte des Amun", du hast da eine schöne Geschichte geschrieben. Ich persönlich mag ja mehr Handlung und Action in den Stories, aber deine hat mir trotzdem gefallen, du Tochter der Maat. Das Einhorn ist übrigens ein lustiger Einfall. Soweit ich weiß, kommt das in der ägyptischen Mythologie nicht vor, sondern ist keltisch, das Symbol für Gaia, die Urmutter. Und wie nennt sich dieselbe in TaMeri? Maat oder Hathor. Nefernefer!!!  
Stefan Steinmetz  -  22.01.02 17:10

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  Gegenbesuch! Ganz anders, als meine Stories... aber es gefällt mir, weiter so!  
Justin  -  06.01.02 17:05

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  Schöne Bilder, die Du da mit Worten zeichnest... gibt es mehr davon zu lesen?  
Teleny  -  06.01.02 01:04

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  Wirklich schön...  
Maegumi  -  03.01.02 13:49

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