Kurzgeschichten · Amüsantes/Satirisches

Von:    Thomas Schwarz      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 27. Oktober 2016
Bei Webstories eingestellt: 27. Oktober 2016
Anzahl gesehen: 1850
Seiten: 2

Kürzlich las ich wieder einmal in Heinrich Bölls „irischem Tagebuch.“ Schon nach wenigen Zeilen war ich ganz bei ihm und trank von seinem kräftigen englischen Tee.

In Irland gibt `s keine spezielle irische Teemischung. Auf der „Insel der Heiligen“ wird English Tea verwendet .

Denkt man auf dem Kontinent bei „English Tea“ an aufwendig zelebrierte Vorbereitungen wie das Anwärmen handbemalter, edler Porzellankannen, Beigaben wie Zitrone, Limette, Kandiszucker und die Verwendung ausgewählter Teesorten, so straft einen Besucher oder neuen Einwanderer Großbritanniens oder Irlands die Realität Lügen.

In der Tat verwendet der gemeine Einheimische nicht mehr Zeit dafür, als es braucht, zwei oder drei Beutel in eine einfache Kanne zu schmeißen, kalte Milch drüber zu schütten, heißes Wasser darauf zu gießen und das Gebräu zwei Minuten ziehen zu lassen. Wer an Diabetes leidet oder zu den wenigen auf den Inseln gehört, die sich freiwillig Gedanken über ihre Gesundheit machen, verzichtet ganz auf Zucker oder nimmt Süßstoff. Ansonsten gilt: zwei bis drei gehäufte Löffel gewöhnlicher weißer Zucker in gewöhnliche Kaffeebecher oder „Mugs“.Keine aufwendig dekorierten Tischchen, kein teures, handbemaltes Porzellan, keine dünnen Weißbrotscheiben bestrichen mit Frischkäse und auch kein Sinnieren über die Frage ob Virginia Woolf mehr für den Feminismus bewirkt habe als Jane Austin.

Selbstverständlich gibt es diese Inseln der Glückseligkeit, die „Tea Rooms“, wo den Besuchern dieses Klischee kredenzt wird, einschließlich des zugehörigen Mobiliars, Geschirr und Preis. Man erwartet jeden Augenblick, dass der Wind die „Bellamys“ vom „Eaton Place hereinweht oder eine der drei Bronte Schwestern hier an ihrem Manuskript schreibt. Es irritiert halt gelegentlich, dass an diesen Plätzen wo die englische Seele verortet wird, oft mehr deutsch, französisch oder niederländisch gehört und gesprochen wird als das Oxford Englisch das der Besucher von England oder wenigstens der Region von Oxford erwartet.



Ist man als Deutscher im Ausland (ausgenommen Österreich und Schweiz), und der Magen seufzt vor Heimweh und das Schicksal lenkt den Besucher also in ein deutsches Restaurant, spielt ´s eigentlich keine Rolle in welcher Ecke der Welt man ist. Die Standarttischdecke leuchtet weiß-blau, der bayerische Löwe schaut den Gästen von der Wand auf den Teller und die Bedienung notiert die Bestellung nicht selten im Dirndl oder einer feschen Lederhose.
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Ob im Januar, Mai oder August, in deutschen Restaurants außerhalb Deutschlands ist immer Oktoberfest. Zur Speisekarte: Diese bietet neben Bratwurst mit Sauerkraut, Nürnberger Rostbratwürstchen mit Sauerkraut, Schweinehaxe mit Sauerkraut, Schupfnudeln mit Sauerkraut auch Weißwurst mit Brezel, auf Wunsch gerne mit Sauerkraut, rheinischer Sauerbraten, sowie Tiroler Speckknödel, Wiener Schnitzel und Wiener Apfelstrudel.

Atemberaubende Landschaftspanoramen der Alpen und Stadtportraits u. a von Salzburg und Innsbruck zieren die Wände. Es geschah mir zweimal in Amerika, dass ich nach dem Essen zu meinem Kaffee eine Mozartkugel bekam.

Ich liebe Mozartkugeln.

In den 80er und 90er Jahren reiste ich insgesamt sechsmal nach und durch die Vereinigten Staaten, lebte kurzfristig im vereinigten Königreich und auch den asiatischen Kontinent habe ich zweimal besucht. Nie ließ ich es mir nehmen ein nahe gelegenes deutsches Restaurant auszuprobieren. Immer war ich mit der Qualität des Essens hoch zufrieden. Es gab nur einen Wehrmutstropfen, den aber überall. Nirgendwo waren Linsen mit Spätzle oder schwäbische Maultaschen aufzutreiben. Für mich schwäbische Seele nur schwer erträglich. Ich lernte also auf meinen Reisen, dass Österreich das südöstlichste Bundesland Deutschlands ist, das Rheinland eine nordwestliche Exklave Bayerns, dieses wiederum das Kernland Deutschland ist und ich in den Augen der Angelsachsen, Japaner und Hongkong Chinesen bis auf den heutigen Tag (kulinarisch) staatenlos bin.



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Kommentare zur Story:

  Herrliche Beschreibung eines zeitgeistigen Phänomens, welches mich auch ein Stück weit beruhigt und glücklich macht. So sind unsere kulinarischen Gewohnheiten und Gebräuche mir allemal liebere Botschafter von Deutschland, als der so lange und häufig verwendete Stempel "Nazi".
VG von Rolf  
   Siehdichfuer  -  05.11.16 11:27

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