Kurzgeschichten · Amüsantes/Satirisches

Von:    Christian Dolle      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 15. August 2015
Bei Webstories eingestellt: 15. August 2015
Anzahl gesehen: 2326
Seiten: 3

Böses Bärchen

Wer behält einen kühlen Kopf?











Nichts passierte. Egal, was ich auch versuchte, es tat sich nichts. Ob ich eine Taste drückte, ob ich die Maus bewegte oder auf „Strg“, „Alt“ und „Entf“ herumhämmerte, auf dem Monitor tat sich nichts. „Warst du an meinem Rechner?“, fragte ich ihn, obwohl ich die Antwort bereits ahnte. „Ja, aber da ging er noch.“

Erst neulich hatte er sich hunderte von Videos runtergeladen. Die meisten über das Paarungsverhalten von Bären, die die Bezeichnung Dokumentation kaum noch verdienten. Dazwischen auch Videos von sogenannten Furrys, also Leuten mit einem Fetisch für Tierkostüme, die ähnliche Dinge taten wie die Bären in den Dokus. Im Internet gibt es ja bekanntlich nichts, was es nicht gibt. Einige Filmchen hatte er sich von einer dubiosen russischen Seite heruntergeladen und dabei auch einen Virus erwischt, der mich und mein Anti-Virenprogramm etliche Stunden gekostet hatte.

Mehr als eindringlich hatte ich ihm klargemacht, dass ich nun einmal beruflich auf den Computer angewiesen bin und ihn dringend brauche, um meine Artikel erstens zu schreiben und zweitens an die Redaktion zu schicken. Dass ich zudem absolut kein technisches Verständnis und somit im Fall des Falles keine Ahnung habe, wie ich die Kiste wieder zum laufen bringe, verschwieg ich lieber. Womöglich hätte er sich sonst zu meinem persönlichen Systemadministrator erklärt.

Und jetzt saß ich davor und nichts rührte sich. Natürlich an einem Samstagnachmittag, den ich ohnehin gerne in der strahlenden Sommersonne verbracht hätte und wo ich auch keine Chance hatte, noch irgendjemanden zu erreichen, der mir hätte helfen können. Blieb also nur die Reset-Taste. Doch als der Rechner erneut hochgefahren war, ich meinen leider nicht gespeicherten Text noch einmal komplett neu geschrieben hatte, fror der Monitor wieder ein und verweigerte jeglichen Dienst.

Immerhin hatte ich diesmal nach jeder Zeile gespeichert und tatsächlich war der Text nach erneutem Hochfahren auch noch da. Nützte aber auch nichts, da sich der Computer beim Start des Mailprogramms erneut aufhängte. Aufgeben kam nicht infrage, denn wenn die Schützen am Montag nichts über ihr Schützenfest lesen konnten, wollte ich mir gar nicht ausmalen, wer demnächst zur Zielscheibe wurde.
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Ich hätte sie hingegen viel lieber auf Bärenjagd geschickt.

Nachdem ich am Sonntag schließlich bei einem guten Freund meinen Artikel verschickt hatte, machte ich mich am Montagmorgen sofort auf den Weg zum nächsten Elektromarkt. Wie immer schienen sämtliche Verkäufer zu ahnen, dass sie an mir nichts verdienen konnten, und entwischten wieselflink hinter den Regalen. Es dauerte eine halbe Stunde, bis ich im Gang mit den Staubsaugern einen Mitarbeiter stellte, sehr jung, vermutlich ein Azubi, der die unauffällige Flucht vorm Kunden noch nicht ausreichend beherrschte.

„Entschuldigung, ich hab' da ein Problem mit meinem Computer“, sprach ich ihn an und stellte fest, wie er sich Hilfe suchend nach seinen Kollegen umsah. „Wie alt?“ Zumindest nicht so alt, dass du mich wie einen senilen Greis behandeln musst, wollte ich sagen, als mir klar wurde, dass er den Rechner meinte. „Zweieinhalb Jahre“, antwortete ich also. Der Junge überlegte kurz, dann sagte er: „Da ist die Garantie abgelaufen, da könnte ich Ihnen mal ein Gerät zeigen, das wir gerade im Angebot haben.“ Einige Grundlagen des kundenunfreundlichen Verkaufens beherrschte er offenbar doch schon.

„Ich möchte keinen neuen Computer, ich möchte den mit meinen Daten darauf wieder zu laufen bringen“, erklärte ich betont ruhig. „Das ist kein Problem“, entgegnete der Junge mit einem leicht feindseligen Zucken um die Mundwinkel, „Wenn Sie das Gerät originalverpackt mit Garantiezertifikat und Kassenbon an den Hersteller schicken, sehen die es sich mal an. Könnte bei der momentanen Auftragslage allerdings drei bis sechs Monate dauern.“ Ich verließ den Laden ohne ein weiteres Wort und ohne mich noch einmal umzudrehen.

„Wo warst du denn?“, fragte er mich als ich nach Hause kam und ihn in der Küche vorfand, wo er sich gerade in einem großen Glas irgendetwas zusammenrührte. „In der Servicewüste Deutschland“, antwortete ich zynisch, „Und was wird das, wenn es fertig ist?“ „Eiskaffee. Gegen die Wüstenhitze.“ Ach, darum war der Fußboden voller Kaffeepulver und Eiswürfel. Während er die Eiswürfel in einem Geschirrtuch gegen die Heizung donnerte, um Crushed Ice zu machen, suchte ich die Kiste mit den seit vielen Jahren gesammelten Visitenkarten und kramte darin herum.
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PC-Nerd nannte er sich und ich dachte kurz an die Nerds, die ich aus dem Studium kannte. Informatikstudenten mit dicken Brillen, langen Haaren und exakt einem T-Shirt für den Sommer und einem zweiten für den Winter, die sich untereinander stundenlang in einer mir unverständlichen Fachsprache unterhalten konnten, aber einen roten Kopf bekamen und stotterten, wenn jemand anders, vielleicht noch jemand weibliches, sie ansprach. Trotzdem gab ich dem PC-Nerd eine Chance, rief ihn an und war überrascht, dass er schon eine halbe Stunde später vor meiner Tür stand, um sich das Problem mal anzusehen.

Mit den Informatikstudenten-Nerds hatte er nur gemeinsam, dass er sich offenbar den ganzen Tag mit Computern beschäftigte. Jedenfalls genügte ein Blick auf den eingefrorenen Monitor und er analysierte: „Liegt wahrscheinlich am Lüfter.“ Sekundenbruchteile später hatte er das Gehäuse aufgeschraubt und wirkte nun doch einigermaßen überrascht. Da, wo der Lüfter hätte sein sollen, war nichts.

Eine vage Ahnung ließ mich der Spur aus mittlerweile geschmolzenem Eis und Kaffeepulver folgen, ich fand ihn auf dem Bett sitzend, in der Tatze seinen Eiskaffee, vor sich den Ventilator aus meinem Computer. „Wenn du mit deinen Artikeln fertig bist, solltest du dich dazu setzen. So'n Computer schwitzt ja nicht und so lässt sich die Hitze echt aushalten“, sagte er und sah mit Unschuldsmiene zu mir hoch. Und mein versteinertes Gesicht offenbar nicht wahrnehmend fügte er nach einem Zug aus seinem Strohhalm hinzu: „Allerdings solltest du vorher noch bei Supermarkt vorbeigehen und vernünftigen Eiskaffee besorgen.“
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