DER HIMMEL UEBER ROM, Teil 24 - DER HIMMEL IST ÜBERALL   402

Romane/Serien · Romantisches

Von:    Ingrid Alias I      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 8. Mai 2015
Bei Webstories eingestellt: 8. Mai 2015
Anzahl gesehen: 3717
Seiten: 9

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Der Hafen Portus lag zwölf Meilen von Rom entfernt. Eigentlich ein langer Weg, trotzdem kam er Vanadis sehr kurz vor. Sie saß wie benommen in der Kutsche der Caenis – und diese näherte sich dem Ziel schnell, unaufhaltsam schnell, viel zu schnell.

Vanadis grübelte vor sich hin, während die flache Landschaft an ihr vorbei zog. Sie hatte alles geregelt. Ihr Geschäft gehört nun der Gotilde, diese würde weiterhin Met herstellen und ihn auch verkaufen. Gotilde wollte in Rom bleiben, sie hatte einen ehemaligen Soldaten kennengelernt und sich in ihn verliebt. Er war ein guter Mann. Die Hochzeit sollte bald schon stattfinden, und Ladonia, diese alte und vor allem arme Bürgerin Roms, die auch Vanadis' Sohn auf die Welt gebracht hatte, die würde nun das Kindermädchen für Gotildes Nachwuchs sein.

Auf ihrem Schoß hielt sie den kleinen Marcus. Oh große Mutter – sie dachte immer noch nicht in römischen Gottheiten, die asiatische Muttergöttin Kybele hätte sich zwar angeboten, aber die war ihr zu fremd – hoffentlich hält deine Windel bis zum nächsten…

Schiff, Vanadis, Schiff meinst du doch. Unwillkürlich musste sie lachen, und sie spürte, dass die Caenis sie forschend ansah. Die Caenis saß neben ihr, und sie freute sich über ihre Gegenwart, trotzdem ignorierte sie ihren forschenden Blick. Die Realität holte sie immer wieder ein: Kinder haben war mit ziemlich viel Mühe verbunden, und sie hoffte, dass der Kleine bald schon aufs Töpfchen gehen würde. Sie hatte eine Menge Wolle und Seide in ihrem Bündel verstaut, für ihre eigenen Sachen gab es kaum Platz darin. Marcus wusste bestimmt nicht, was ein Säugling brauchte.

Marcus, allein schon bei dem Gedanken an ihn stieg ihr die Röte ins Gesicht. Sie wandte sich zum Fenster, damit die Caenis es nicht sehen konnte. Ach wie dumm, die Caenis wusste so viel von ihr, das bisschen Röte war dann auch egal. Also entspannte sie sich und dachte weiter nach. Bald schon würde ihr Kleiner seine ersten selbstständigen Schritte tun. Und dann war er bestimmt schwerer zu hüten als ein Sack mit Flöhen. Auch nicht schlecht! Marcus würde begeistert sein… Marcus, immer wieder Marcus! Zerstreut streichelte sie ihrem Sohn über das Köpfchen. Gut, dass der Kleine sie von ihren Gedanken ablenken konnte, wenn auch nur für kurze Zeit.
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Sie schaute aus dem Fenster des Reisewagens, dort plätscherte träge ein Kanal vor sich hin, schon seit Rom folgte die Straße dessen Lauf. Der Kaiser Claudius hatte diesen Kanal und auch die ihn begleitende Straße bauen lassen, denn der alte Hafen Ostia war mittlerweile total verlandet. Oder war es der große Augustus gewesen? Unendlich viele Schiffe fuhren auf diesem Kanal in Richtung Rom, alle waren schwer beladen, um die Hauptstadt des Reiches mit Lebensmitteln und allen erdenklichen Gütern zu versorgen. Der Verkehr auf dem Kanal nahm kein Ende, nie gab es längere Abstände zwischen den Booten, alles schien vollkommen geregelt zu sein. Fast leere Schiffe kehrten aus Rom zurück, um im Hafen neue Waren an Bord zu nehmen. Anscheinend hatte Rom der Welt nicht viel zu bieten außer der römischen Kultur und der Inbesitznahme und Ausplünderung von anderen Ländern.

Vanadis musste auflachen und merkte, dass die Caenis sie skeptisch ansah. Es juckte sie nicht. Aber es war schon faszinierend, dachte sie weiter, es war großartig und zeigte die Macht und den langen Arm Roms.

Rom – eine Zeitlang hatte sie Rom faszinierend gefunden, das Leben, das Wissen und das Lernen dort, obwohl sie eine Sklavin war. Sie hatte sich so überaus lebendig gefühlt, aber aus anderen Gründen, das war ihr mittlerweile klargeworden. Marcus, ohne ihn hätte sie nie so empfinden können. Er als ihr Antrieb, egal ob sie ihn nun gehasst oder verabscheut hatte.

Doch nun war alles anders. Sie hatte nämlich Angst. Angst davor, was sie erwartete, Angst davor, wie sie mit dem Marcus klarkommen würde. Denn es stand fest: Er wollte sie, liebte sie vielleicht sogar. Das hatte er gesagt. Würden sie die Ehe schließen? Sie schüttelte den Kopf, es war ihr egal, sie liebte ihre Freiheit, aber sie liebte auch den Marcus. Denn ohne den konnte sie nicht sein.

Konnte sie nicht sein… Oh! Sie stöhnte vor sich hin. So war das, so war die Liebe? So unberechenbar, wirr, unverständlich. So gewaltig? Sie musste an den Thumelicus denken, was hatte sie für ihn empfunden? Handelte es sich um Mitleid wegen seines Schicksals? Hatte er ihren Beschützertrieb erweckt? War sie überhaupt in ihn verliebt gewesen? Sie wusste es nicht mehr.

Aber für den Marcus hatte sie immer schon starke Gefühle verspürt, Hass und Abscheu – gepaart mit dem unwiderstehlichen Zwang, ihm nahe zu sein.
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Sie erinnerte sich daran, wie sie ihm nachspionierte, wie sie an der Tür seines Schlafzimmers stand, um ihn beim Verkehr mit seiner Frau zu belauschen. Oh nein, furchtbar! Eifersüchtig war sie gewesen. Sie hatte ihn keiner anderen Frau gegönnt, vor allem nicht dieser Schlampe.

Beschämt neigte sie den Kopf, wie konnte sie ihm nur gegenüber treten. Sie fühlte sich so klein, so abscheulich, so dumm. „Halt an!“, sagte sie zur Caenis.

„Warum?“, fragte diese erstaunt.

„Weil ich Angst habe! Ich kann das nicht…“

Die Caenis beugte sich zu ihr und tätschelte sachte ihren Arm. „Natürlich kannst du das! Meinst du, ich selber hätte keine Angst gehabt, meine Liebe zu bekennen? Titus Flavius wird einmal Kaiser werden, und er steht unendlich weit über mir im Sinne Roms. Dennoch mache ich mir nichts daraus, ich will nur bei ihm sein und ihm helfen.“

Vanadis schaute sie an. Irgendetwas an diesen Worten rüttelte sie auf. Ihr kam mit einem Male zu Bewusstsein, dass sie neben einer bedeutenden Frau saß. Diese hatte zwei römische Kaiser persönlich gekannt, den Tiberius und den Caligula. Sie war eine Freundin des jetzigen Kaisers und sie liebte und unterstützte den zukünftigen Kaiser – falls dieser Wahrsager Recht behielt mit seiner Prophezeiung. Sie galt als reiche Frau, die durch geschickte Transaktionen ein Vermögen verdient hatte. Aber dennoch besaß sie so viel Verständnis und Güte. Sie sollte ihr einfach vertrauen, aber es fiel ihr schwer.

Sie grübelte vor sich hin, kam zu keinem Schluss und sagte schließlich: „Du bist eine wunderbare Frau, und jeder Mann könnte sich glücklich schätzen, von dir geliebt zu werden. Aber ich, ich weiß nicht, ich bin nicht so gut wie du…“

„Ach Vanadis, schon als ich dich zum ersten Mal sah, da wusste ich, dass du etwas Besonderes bist.“ Die Caenis lächelte sie an. „Und wie du dich in der Subura behauptet hast… Das hätte ICH nie so geschafft. Ich bin aufgewachsen beim Adel Roms und der war geschäftstüchtig und hat mir alles beigebracht. Spekulationen, Geld verdienen und so weiter… Also sei mutig. Du hast ihn verdient, und du solltest ihn lieben, denn er ist der Liebe wert.
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Viel mehr wert als irgendein anderer Mann.“

„Das weiß ich doch.“ Vanadis fasste sich an die Augen. Dann sah sie zu ihrem Sohn herab, er war so schön, und er war der Sohn seines Vaters. Allein für ihren Sohn liebte sie Marcus. Und nicht allein dafür.

„Ich habe noch etwas für dich“, sagte die Caenis und reichte ihr eine Schriftrolle. „Marcus hat keine Ahnung davon, er wird auch ohne das die Ehe mit dir eingehen, er ist vorurteilslos in Bezug auf Sklaven oder Freigelassene, denn sein Vater wäre fast ein Sklave geworden. Nein, es ist für dich selber, es wird dein Leben in Britannien erleichtern, denn die römische Gesellschaft ist überall – und sie ist dünkelhaft und grausam.“

Die Rolle war mit dem kaiserlichen Siegel geschützt, und Vanadis betrachtete sie misstrauisch. Nach kurzem Zögern brach sie das Siegel auf, entrollte das Dokument und las es aufmerksam. Der Inhalt unterschied sich in mehreren Punkten von den Fälschungen, die sie selber angefertigt hatte.

„Das ist… schön! Danke, Caenis!“ Vanadis fühlte sich verwirrt, sie besaß nun ein Dokument, auf dem stand, dass sie zu Unrecht Sklavin gewesen war. Wieso? Sie las weiter. Ihr Vater, ein römischer Soldat verheiratete sich mit einer Einheimischen, und das Kind aus solch einer Ehe besaß das römische Bürgerrecht. Und das hielt sie jetzt in ihren Händen. Ihr Recht, schriftlich dokumentiert.

Welch ein Recht? Wie absurd! Es gab so viele Frauen, die nicht von römischen Bürgern geheiratet wurden, Frauen, die sich ihren Unterhalt durch Prostitution erkaufen mussten, die aber auch Kinder hatten. Nur durch dieses Stück Papier war sie frei und eine Bürgerin Roms? Nein!

Sie fühlte, wie sich etwas in ihr veränderte. Sie fühlte sich nun sicherer, aber es hatte nichts mit der Schriftrolle zu tun, zumindest nicht mit dem, was ihr durch diese zugestanden wurde.

„Ich weiß, du würdest dein Leben auch so meistern und dich behaupten können. Doch warum unnötig erschweren?“, hörte sie die Stimme der Caenis neben sich.

Vanadis drückte die Hand der Freigelassenen. Woher wusste diese, dass ihr Vater Römer war? Ach ja, sie hatte es ihr irgendwann während der Reise nach Ravenna erzählt, und die Caenis hatte wohl Nachforschungen betrieben.
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Wieder blickte sie zum Fenster der Kutsche hinaus. Noch war der Tag trübe, der frühe Oktober ließ grüßen, aber sachte hob sich der Nebel von der Erde und machte zögerlich der Sonne Platz.

Zeitgleich tauchten gewaltige Bauten in der Ferne auf, und aus der Nähe kamen sie Vanadis noch gewaltiger vor: Riesige Speichergebäude, eine Werft, in der laut gehämmert wurde und in der man auf Gerüsten neben unfertigen Schiffsskeletten neu gebaute Boote erkennen konnte, stattliche, aber unpersönlich wirkende Verwaltungsgebäude, breite Straßen, die abgingen von der Hauptstraße. Hohe Wohnhäuser in der Ferne, sie sahen aus wie die in Rom, viele noch im Bau.

Der Kanal verzweigte sich, Vanadis zählte nach und nach mindestens zehn Nebenkanäle, die wohl in Richtung Meer liefen. Sie überquerten mehrere Brücken, unter denen Wasser träge dahin floss.

Der Hafen selber war nun zu sehen: Viele, viele Schiffe in einer durch Mauern geschützten Lagune, an deren Ende mitten im Wasser ein riesiger Turm stand. Er war viel höher als das höchste Mietshaus in Rom!

„Dieser Leuchtturm wurde auf dem Fundament eines großen Kriegsschiffes errichtet, es trat nur zwei Fahrten an und wurde zuletzt bei der Eroberung von Britannien benutzt. Claudius transportierte darauf die Kriegselefanten aus der Provinz Africa. Und auch die Kamele“, erzählte die Caenis. „Der Kaiser ließ speziell für die Errichtung des Fundaments einen neuen Baustoff entwickeln, einen wasserfesten Beton, welcher das verrottende Kriegsschiff in Form hielt.“

Kriegsschiff, Britannien, Elefanten, Kamele, Beton? Oh nein, nicht wieder die Macht und Größe Roms! Ihr fiel ein, dass Marcus bei diesem Kriegszug dabei gewesen war. Er hatte die Elefanten gesehen und auch die Kamele. Wie sahen Kamele wohl aus? Vielleicht konnte sie ihn ja danach fragen. Bald würde sie ihm gegenüberstehen, und sie hatte wieder Angst. Angst davor, auszusteigen aus der Kutsche. Mit ihrem Sohn im Arm und ihrem armseligen Bündel. Wie eine Bittstellerin würde sie vor dem Schiff stehen, und niemand wäre da, sie zu empfangen…

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Colonia steht an Bord des Schiffes und schaut sehnsuchtsvoll auf die Straße, die zu diesem Teil des Hafens führt.
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Auch sie wartet auf Vanadis. Neben sich spürt sie ihren Freund, den Thumelicus, ihr Vater mag ihn nicht und sie weiß auch warum: Er ist eifersüchtig auf ihn, weil Vanadis ihn einmal liebte. Nein, Liebe sieht anders aus, Vanadis ist nur verwirrt gewesen. Oh Juno, instinktiv betet sie zur römischen Göttin der Familie, bitte lasse Vanadis noch kommen! Ich habe sie lieb und mein Vater hat sie auch lieb! Außerdem möchte ich meinen kleinen Bruder sehen, ich will ihn behüten und ihn lieben! Colonia legt all ihre Kraft in dieses Gebet, während sie darauf wartet, dass der Nebel sich lichtet. Denn es liegt sicher nur am Nebel, dass keine Kutsche zu sehen ist.

Auch Thumelicus, mittlerweile genannt Imaginus wälzt Gedanken: Ich werde dieses Land nun verlassen, ich kenne ja nur dieses eine Land. Von meiner Heimat hörte ich nur aus den Erzählungen von dir, Mutter. Ich weiß, dass ich kein normaler Mann bin mit meinen seltsamen Wünschen nach Erniedrigung und Schmerzen. Hier in Rom ist zwar alles normal, aber wenn du das sehen würdest… Ich befürchte, du bist tot, aber ich hoffe, dass du noch ein bisschen Glück in deinem Leben hattest. Ich war dein Alles, du hast mich geliebt, Mutter! Und deine Liebe soll nicht vergebens sein. Was wird in diesem neuen Land geschehen? Besseres, Schlechteres, Unmögliches? Alles kann passieren, aber ich habe ja eine Freundin. Er wendet sich zur Colonia und lächelt sie an, sie lächelt zurück.

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… Und niemand wäre da, sie zu empfangen… Wie schrecklich, wie demütigend! Ich habe Angst, obwohl ich doch sonst kaum vor etwas Angst habe. Was ist, wenn alle auf dem Schiff sind, vor allem Marcus und keiner sich bewegt, wenn ich vor ihnen stehe mit meinem Sohn. Ich habe Angst. Tief in ihre Gedanken versunken merkt Vanadis gar nicht, dass die Kutsche kurz anhält und jemand einsteigt.

„Du bist da!“, sagt eine Stimme zu ihr. Sie stutzt, sie kennt die Stimme und traut sich nicht, neben sich zu schauen, tut es aber schließlich doch.

Er ist es, er sitzt neben ihr. Es ist wie ein Schock, aber ein guter.

„Du bist wirklich da“, sagt er und blickt sie an.
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Es verschafft ihr ein seltsames Gefühl im Magen, es fühlt sich an wie Schmetterlingsflügel, und sie fängt an zu zittern. Ja, sie ist da, er ist da, und sie ist glücklich darüber. Aber auch verwirrt. An seiner Seite. Welch ein Gefühl, überwältigend, unverständlich. Jetzt kommen ihr fast die Tränen. Liebe, wie seltsam, undurchschaubar, unverhinderbar…

Und ihre Liebe ist Marcus. Jedenfalls kann niemand ihre Gedanken so durcheinander bringen wie er – außerdem kann er sie wohl lesen, denn sonst wäre er nicht gekommen. Marcus, Marcus, du bist ein außergewöhnlicher Mann, ich kann kaum erwarten, dich näher kennenzulernen. Ich kann es auch kaum erwarten, dich zu berühren. Oh nein, sie spürt, dass sie wieder rot wird.

Sie sitzen nebeneinander und schweigen verlegen. Vanadis fühlt ihn an ihrer Seite wie ein berauschendes Elixier, wie einen Zaubertrank, der sie nicht betäubt, sondern ihre Gedanken klarer macht. Seltsam, auch in der grässlichen Höhle des Bacchus hat sie schon Erkenntnisse gehabt, sie zeigten ihr auf, dass sie nicht den Thumelicus liebte, sondern einen anderen, aber sie hat es wohl verdrängt, denn diese Liebe war unmöglich.

„Ich wäre auch so gekommen“, sagt sie leise zu ihm. „Ich hatte das“, sie deutet sie auf ihr Bündel, „schon gepackt. Und danach erst kam die Caenis und erzählte mir alles über dich.“

Marcus meint: „Das ist doch gut.“

In seinen Augen erkennt sie Angst, und sie liebt ihn noch mehr dafür. Warum ist er so unsicher? Er hat doch gar keinen Grund dazu. Er scheint ihren Blick zu verstehen und legt behutsam den Arm um sie. Es ist beruhigend aber auch aufregend, ihn zu spüren. Ungewohnt, doch auch vertraut. Es ist schön.

Wird es gut gehen? Eigentlich will sie sich nur fallen lassen, aber so einfach ist das nicht. Jahre des Misstrauens stehen dagegen. Was hältst du davon Mutter, fragt sie einer alten Gewohnheit folgend. Aber die bleibt stumm. Und seltsamerweise vermisst sie ihre Mutter nicht. Was hätte sie gesagt? Folge deinem Herzen! Ja, das hätte sie gesagt, und das wird sie von nun an tun, bedingungslos. Ihre Mutter ist nun in ihrem Herzen, genauso wie Marcus, ihr Sohn und die Colonia.

In diesem Augenblick bringt der kleine Marcus sich zu Worte, er fühlt sich vernachlässigt.
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Der große Marcus lächelt, er nimmt den Kleinen auf den Arm, so vorsichtig, dass Vanadis schlucken muss, und er hält ihn so zärtlich, als könne er ihn aus Versehen zerbrechen.

Viele Gedanken gehen ihr durch den Kopf. Vermutlich werden sie sich oft streiten über die – haha – Macht und die Größe Roms. Und über die Errungenschaften, welche Rom auch den anderen Völkern zuteil werden lassen will. Das wird bestimmt eine Menge Zündstoff geben, Streitereien sind unausweichlich. Doch auf einmal hat sie eine Vision: Er zieht sie ins Bett, und alles ist gut.

Thumelicus… Sie hat gedacht, er wäre ihr vorbestimmt. Aber bei Marcus ist es richtig. Alles ist klar und deutlich zu sehen, ihre Wünsche, ihre Kinder, und vor allem er…

„Woran denkst du?“, fragt er sie, während er seinen Sohn an sich drückt.

„An den Thumelicus“, sagt sie.

Marcus sieht besorgt aus. „Muss ich mir Gedanken darüber machen?“

„Nein! Noch nie. Es war… nichts!“

Sie sieht, dass Marcus aufatmet. Sie kennt ihn ja gar nicht, und trotzdem liebt sie ihn, sie will alles über ihn erfahren, alles über seine Wünsche, alles über ihn, nein nicht alles, sie will nicht aufdringlich sein.



„Ihr wollt doch bestimmt den Rest des Weges zu Fuß gehen, oder etwa nicht?“, unterbricht die Stimme der Caenis sie.



Beide schauen die Freigelassene verblüfft an. Sie haben sie total vergessen.

„Ja, das wollen wir“, sagt Marcus als erster. Er steigt aus, seinen Sohn hält er fest im Arm, und Vanadis folgt ihm.

Sie hat Angst gehabt, aus der Kutsche zu steigen. Vor einem Schiff, auf dem man sie vielleicht nicht erwartet. Um wie eine Bettlerin, die um Brosamen bettelt, missachtet zu werden. Aber nun geschieht alles anders, sie geht Seite an Seite mit Marcus, der ihren gemeinsamen Sohn trägt.

Es riecht nach Meer, es riecht wunderbar, und es ist alles so unwirklich wie ein schöner Traum. Sie schaut zur Seite und stellt fest, dass er ein bisschen hinkt. Aber nur ein bisschen. Trotzdem tut es ihr weh. „Was ist mit deinem Bein?“, fragt sie. „Ist es besser geworden?"

„Ja“, sagt er, „es ist besser geworden. Und es tut mir leid, dass ich dich deswegen.
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.. verunsichert habe. Ich hänge am Leben, vor allem, wenn es mit dir ist.“

Vanadis möchte am liebsten seine Hand streicheln oder gar sein Gesicht, aber sie traut sich nicht. Ich liebe ihn, denkt sie. Er versteht mich. Er versteht alles. Ich möchte mit ihm einschlafen, ich möchte in seinen Armen aufwachen…

„Woran denkst du?“, hört sie verschwommen Marcus’ Stimme.

„Eigentlich dachte ich an die…Kamele.“

„An die Kamele?“

„Ich würde gerne wissen, wie sie aussehen.“

„Sie sehen seltsam aus, nicht so wie Pferde, aber auf ihre Art sind sie schön. Und ich hörte, dass ein paar davon noch in Britannien leben, obwohl sie die Wüste gewohnt sind. Vielleicht werden wir sie irgendwann einmal sehen.“

„Ich kann Met machen“, sagt Vanadis. „Und gute Fälschungen von Urkunden.“

Marcus schaut sie zuerst verständnislos an, doch dann lächelt er: „Du kannst bestimmt viele Dinge, und du sollst sie auch tun können. Gut, bis auf die Fälschungen…“

„Ich habe gedacht, du bist mein Feind, und ich hasse dich.“

„Sind wir Feinde?“ Marcus sieht sie forschend an.

„Nnnein“, stammelt Vanadis. Es stimmt, er ist nie ihr Feind gewesen, gut, er ist Römer und als solcher eben… speziell. Aber sie ist ja auch Römerin, wie sie kurz vorher erfahren hat. „Auch wenn wir Feinde wären, ich glaube, dass wir uns immer wieder versöhnen werden.“ Im Bett… das denkt sie, wagt aber nicht, es auszusprechen, wünscht sich aber, endlich allein mit ihm zu sein.

„Das weiß ich“, sagt Marcus, und sein Blick hat etwas Vielsagendes. Oder bildet sie sich das nur ein? Nein, er ist vielsagend, und sie fühlt sich wieder verlegen. Sie muss jetzt irgendetwas von sich geben, irgendetwas, egal was…

„Glaubt ihr Römer an ein Leben nach dem Tode?“ Fast will sie sich die Hand vor den Mund halten, es ist doch egal, woran er glaubt, trotzdem muss sie es fragen.

Er bleibt stehen, in seinen Augen kann sie so vieles lesen, und sie beißt sich auf die Lippen. Überwinde dich endlich, zeige ihm, dass du ihn magst.

„Ich weiß es nicht, und auch kein anderer weiß es. Ich hoffe nur, dass irgendjemand, der nach uns kommt, sich an uns erinnern wird.
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Oder er träumt von uns. Und vielleicht wird er unsere Geschichte aufschreiben.“ Sie kennt ja nichts von ihm, aber sie weiß, dass sie ihn liebt und dass der Himmel überall dort ist, wo er ist. Zaghaft legt sie ihre Hand an seine Wange. „Ach, du Römer!“, sagt sie leise und stellt sich auf die Zehenspitzen, um ihn sanft auf den Mund zu küssen. Marcus legt einen Arm um sie – der andere hält seinen Sohn – und zieht sie sanft an sich.

In diesem Augenblick reißt der Nebel vollends auf, und das Schiff, es liegt vor ihnen, das Schiff der Zukunft, auch wenn es ins Ungewisse fahren wird. Doch sie sehen es gar nicht, denn ihre Augen sind geschlossen, weil sie den Kuss genießen wollen.
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Kommentare zur Story:

  und ich danke dir, doska! freut mich, dass es gefallen hat. ;-)
lieben gruß von mir  
   Ingrid Alias I  -  19.05.15 17:32

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  Hatte zunächst keine Zeit weiterzulesen, aber nun habe ich das Ende verschlungen. Sehr schön und kitschig finde ich es gar nicht, sondern lebensecht.
Schönen Dank für den Lesegenuss, für die kleine Reise in die Vergangenheit Roms.  
   doska  -  12.05.15 11:10

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Kleine Meerjungfrau" zu "Bah, Ekelattacke"

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