Kurzgeschichten · Nachdenkliches

Von:    Daniel Freedom      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 8. Mai 2014
Bei Webstories eingestellt: 8. Mai 2014
Anzahl gesehen: 2867
Seiten: 10

Berlin 1945....

Zerstörte Häuser, Trümmer, Artillerie, Bomben, Scherben, Tod. Das bedeutete Berlin 1945. Und immer wieder Fliegeralarm...



Berlin 40 Jahre später....

Es war kurz vor Weihnachten. Ich war zu Besuch bei meinem Paten. Ich war damals etwas über vierzig und mein Pate, den ich besuchte, nun der war damals schon alt. Nicht im Geist. Nein, da er war immer noch topfit und hatte die klarsten Augen, die ich je gesehen hatte. Nur in bestimmten Momenten, wenn er dachte er wäre allein und unbeobachtet, oder manchmal in bestimmten Augenblicken hatte er diesen Schleier über den Augen, als sähe er in eine andere Welt, die nur für ihn da war, und die sonst niemand betreten durfte.

Wir hatten uns schon immer gut verstanden und auch vieles zusammen unternommen und erlebt. Mein Vater war früh gestorben und Bernhard, mein Pate war wohl zu seinem Ersatz geworden. Mit Bernhard konnte ich auch über alles quatschen. Beruf, Gott, Frauen, Kinder, die Welt und Politik, was immer ich auch auf dem Herzen hatte. Nur der Krieg und seine persönlichsten Erfahrungen, die gab er niemals preis.

Als ich an diesem Abend in das alte, aber immer noch saubere und gepflegte Haus eintrat, war etwas anders als sonst. Die Begrüßung wie immer herzlich, aber es fehlte der Elan. Es lag etwas in der Luft, dass merkte ich gleich. Nach dem ersten Glas Rotwein, wusste ich auch warum etwas nicht stimmte. Seine Augen hatten sich verändert. Der Glanz, er war fast verschwunden. Nur ab und zu blitzte er auf. Meine Mutter hatte mich immer ermahnt, ihn nicht nach seiner Vergangenheit zu fragen und besonders nicht nach dem Krieg. Sie sagte nur soviel, dass Bernhard damals alles verloren hatte und er nicht gerne darüber spreche und ich das nun einmal zu akzeptieren habe. Doch heute Abend würde ich es tun und ich glaubte auch, dass an diesem Abend alles ein wenig anders sein sollte als sonst. Es war nur so ein Gefühl, aber es wurde von Minute zu Minute stärker.

Nach dem zweiten Glas fragte ich dann, ob etwas nicht stimme, aber er lenkte das Thema gleich auf die Kinder. Kinder waren etwas, dass Bernhard verehrte, ja er war richtig vernarrt in sie. Besonders Daniel und Nadine, meine Kinder hatten es ihm angetan. Ich sagte ihm, dass sie morgen mit Claudia nachkommen würden. Sie musste noch ein paar Einkäufe machen vor dem großen Fest und die Kinder waren noch bei Ihrer Oma.
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Also hatte ich mir gedacht, einen gemütlichen Abend mit ihm hier zu verbringen mit ein wenig Alkohol und viel Gequatsche über dieses und jenes. Doch Bernhard war nicht so richtig bei der Sache und nach einer Weile ging es mir dann doch zu weit und ich sagte zu ihm: „Na los raus mit der Sprache. Was liegt dir auf der Seele alter Freund? Wir reden doch sonst auch über alles und schließlich ist kein weibliches Wesen im Raum, dass gleich alles in die Welt posaunt. Es bleibt also unter uns“.



Bernhards Augen wurden klarer und klarer, während er mich ansah. Und ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht. „Also gut. Du hast ja Recht. Ich werde wohl doch langsam alt. Spar dir deine Widersprüche“, sagte er und machte mit der rechten Hand eine abwehrende Geste. „Es ist nun einmal so. Ich bin jetzt fünfundsechzig Jahre alt. Das ist natürlich kein extrem hohes Alter, aber ich habe mehr erlebt, als mancher der über hundert Jahre alt wird. Ich weiß auch nicht warum ich mich so hängen lasse. Es ist mir doch mehr auf den Magen geschlagen, als ich dachte.

Ich habe diese Verletzung seit dem Krieg, wie du weißt. Die Splitter dieser verdammten Granate haben sich in meinem ganzen Körper verteilt und wohl auch das Herz und verschiedene Organe angegriffen. Ich hatte in letzter Zeit immer wieder Schmerzen und meine Spaziergänge wurden auch immer kürzer. Also ging ich zum Arzt“

Er nahm einen weiteren Schluck Rotwein, lehnte sich in seinem Schaukelstuhl zurück und kramte eine dieser scheußlich stinkenden Zigarren aus der Jacke. „Auch eine? Du könntest sie vielleicht gebrauchen für die Nerven“. Ich sah ihn zweifelnd an und sagte trotzdem: „Ja, gib mir eine“. Nachdem jeder an seiner Zigarre gezogen hatte und die Luft sofort diesen eigentümlichen Geruch angenommen hatte, erzählte er dann weiter: „Nun ja, um es kurz zu machen, der Arzt meinte, ich sollte mich ab sofort schonen. Keinen Alkohol, keine Zigarren, weniger Ausflüge und vor allem mehr Bettruhe. Nun ich fragte ihn, in wie weit diese ganzen Maßnahmen mein Leben verlängern könnten, und er sagte, dass er das nicht wisse. Er sagte, um mich wieder einigermaßen in die Reihe zu bekommen müsste ich einige Male operiert werden. Aber das würde mein Körper wohl nicht mehr mitmachen.
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Aus medizinischer Sicht, würde er mir jederzeit zu diesen Operationen raten und sie würden mit Sicherheit auch meine Lebenserwartung um ein paar Jahre verlängern, aber ob ich diese Jahre auch noch genießen könne, oder überhaupt noch mit vollem Bewusstsein erleben würde, dass wagte er zu bezweifeln. Also riet er mir als Mensch und Freund, ich solle das Schicksal so nehmen, wie es kommt. Er meinte es könne mich jeden Tag treffen. Vielleicht erst in ein, zwei Jahren und vielleicht schon nächste Woche. Deshalb bin ich im Moment ein wenig deprimiert... und andererseits auch froh darüber, dass es nun bald vorbei sein wird.“



Ich musste das alles zu erst einmal verdauen und stand auf. Ich ging zum Fenster und öffnete es. Draußen war es bereits dunkel geworden und die ersten Sterne standen am Firmament. Wie seltsam war doch das Leben. Ein Mensch, den man sein ganzes Leben gekannt hatte und von dem man eigentlich glaubte, dass er für immer und ewig da sein würde, hatte mir gerade erzählt, dass er bald sterben würde. Ich drehte mich um und sagte: “Was meinst du damit, dass es bald vorbei sein wird. Du warst doch immer ein Mensch, der das Leben liebte und gerne mit anderen Menschen zusammen ist. Der gerne Gespräche führt und manchmal auch gerne streitet. Also was soll das alles? Willst du nicht auch noch einen anderen Arzt nach seiner Meinung fragen?“



Bernhard sah mich lange an. Jetzt wieder mit diesen klaren und gescheiten Augen, die mir immer all meine Fragen beantwortet hatten. Er stand auf und kam auch zum Fenster. Sah hinaus in die Dunkelheit und zu den Sternen. Sterne. Sterne, wie damals an diesem Abend.... Der Abend vor so langer Zeit.

Einer Zeit, die soweit zurücklag und an die er sich immer noch genauso gut erinnern konnte, als sei es gestern gewesen. Berlin. Artilleriefeuer und Tod. Der schönste Tag in seinem Leben in all diesem Leid. Das Leben war verrückt. Wie dicht lagen doch alles Glück der Erde und der schlimmste Alptraum, den man sich vorstellen konnte, zusammen.

Er drehte sich wieder um. Setzte sich auf seinen Stuhl und fing an zu erzählen: „Nun gut du bist jetzt hier. Du willst mir helfen und ich wäre froh, du könntest es. Damit du alles verstehen kannst werde ich dir jetzt erzählen, was mein Leben bedeutet und warum ich so bin, wie ich bin:



Berlin 1945.
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Ich war gerade fünfundzwanzig geworden und war zu hause. Oder besser gesagt in dem, was davon noch übrig war. Ich war im Gefecht verletzt worden. Diese verdammte Granate. Hatte drei Monate in einem Lazarett verbracht und war seit zwei Wochen wieder in Berlin. Ich tat nichts anderes, als sie zu suchen. Sie hieß Petra. Sie war das schönste Mädchen, das ich jemals gesehen habe. Klug, humorvoll, bodenständig, gefühlvoll und sie hatte immer ein offenes Ohr für die Probleme anderer. Wir hatten uns schon vor dem Krieg kennen gelernt. Aber damals war alles nicht so einfach wie heute.

Ihr Vater war in der Partei. Ich hatte immer versucht, mich vor dem Krieg zu drücken. Nicht aus Feigheit oder Angst. Ich glaube einfach nicht an Krieg. Niemals kann man einen Menschen mit Gewalt seinen Willen aufzwingen und erst recht nicht, wenn man von sich selbst glaubt, das Gelbe von Ei zu sein.

Doch das hat jetzt alles nichts damit zu tun, was ich dir erzählen möchte. Ich will dir nur klarmachen, dass ich nicht einfach zu ihr gehen konnte, in ihr Haus oder sie einfach nur treffen. Wir trafen uns heimlich, trafen Verabredungen in der Kirche oder auf dem Markt. Wirklich alleine waren wir fast nie. Wir konnten damals nicht einfach irgendwo hin. In der Stadt wimmelte es von Soldaten und SS-Männern. Es gab eine Ausgangssperre und ich wurde schließlich doch eingezogen. Nun ich schrieb ihr und sie schrieb mir. Ich glaube, ich habe ihr täglich geschrieben. Nun ja. Es war eine schreckliche Zeit. Der Krieg, dieses unnötige Töten, die Toten, Verletzten, dieses Grauen... Und alles, was mich da draußen am Leben hielt, war der Gedanke an sie und ihre Briefe. Dann nach der Verletzung kam ich zurück und sie war fort. Ihr Haus hatte es auch erwischt und sie waren bei Bekannten untergekommen, so hatte man es mir erzählt, aber keiner wusste genau, wo sie nun waren. Es waren zwei schlimme Wochen. Ich suchte sie. Überall und tagtäglich. Auf dem Markt, in Bunkern, auf den Vermisstenlisten, alten Treffpunkten und vor ihrem Haus.



Und dann eines Tages war es soweit. Sie stand einfach vor mir. Ich war wieder durch die Straßen gelaufen. Na ja Straßen, waren es meistens keine mehr. Über Steine und Trümmer, durch zerbombte Häuser, durch Bombenkrater und oft über Leichen hinweg.
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Ich war in der Nähe ihres alten Hauses, als sie einfach vor mir stand. Ich sah sie an und wusste, dass es niemals eine andere für mich geben würde. Nur sie. Ich weiß nicht, ob du dieses Gefühl kennst, einen Menschen zu treffen und vom ersten Moment an zu wissen, dass er etwas Besonderes ist. Ich konnte alles mit ihr. Reden, Lachen, Weinen. Sie war mein bester Freund und ich liebte sie von ganzem Herzen. Als ich sie das erste Mal sah, hat sie mein Herz berührt und es nie wieder losgelassen. Es ist schwer das mit Worten zu beschreiben. Vielleicht nennt man so etwas einfach Liebe.



Wir standen lange in den Trümmern. Einfach so. Wir hielten uns, drückten und küssten uns. Redeten, lachten und weinten. Nun ja, sie musste irgendwann wieder nach Hause. Ihr Vater war auch verwundet worden und hatte nun Heimaturlaub und terrorisierte zu Hause die Familie. Sie musste sich um alles kümmern, weil ihre Mutter bei einem der Bombenangriffe ums Leben gekommen war und sie hatte noch zwei jüngere Schwestern. Trotz alle dieser Widerstände trafen wir uns von da an jeden Tag und nutzten jede Sekunde, die uns blieb.

Als die Soldaten dann durch die Straßen liefen, um auch noch die letzten Männer, egal ob Kind, alter Greis oder Krüppel in den Tod zu schicken, weil die Russen kurz vor der Stadt standen, versteckte ich mich in einem der zerbombten Häuser. Ich sagte meiner Mutter und deiner Mama, sie solle erzählen, ich sei wieder an der Front kämpfen und nur Petra wusste, wo ich war.



An diesem letzten Abend trafen wir uns. Wir wollten nicht in dieser Ruine bleiben. Also machten wir uns hinauf zum Hügel. Du weißt welchen, ich war auch schon mit dir dort oben. Damals war es allerdings nicht so leicht, da hin zukommen. Wir mussten uns an den Soldaten vorbei schleichen und wussten nie, ob wir nicht auf eine Mine treten würden. Irgendwie schafften wir es in dieses kleine Wäldchen dort oben zu kommen, dass vom Bombenhagel verschont geblieben war. Die kleine Lichtung gibt es heute nicht mehr. Sie ist zugewachsen, als hätte sie nur für uns existiert. Aber damals war es dort wunderschön. In all diesem Chaos und diesem Dreck, den Trümmern und dem Tod, war dieser Platz, wie eine andere Welt. Ein Platz nur für uns zwei. Wir schliefen das erste Mal miteinander.
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Es war wunderschön. Schöner, intensiver und so voll mit Liebe, dass es wohl keine Worte erklären können. Ich machte ihr einen Heiratsantrag. Sie weinte vor Glück und ich weinte mit ihr und am nächsten Tag wollten wir uns einen Priester suchen, der uns traute. Wir lagen auf dieser Lichtung, immer bereit so schnell wie möglich davonzulaufen, falls jemand kommen sollte und doch so entspannt und ruhig, als hätten wir beide gewusst, das uns in diesem Moment nichts auf der Welt hätte auseinander bringen können. Sie lag bei mir und ich sah zu den Sternen. Die Stadt um uns herum war stockdunkel. Nur die Lichter der Luftabwehr waren ab und zu zu sehen. Es war der glücklichste Moment in meinem Leben und wenn ich einmal nicht mehr weiter weiß, oder ich aufgeben möchte, dann denke ich an diesen magischen Augenblick und ich weiß wieder warum ich das alles auf mich genommen habe. Nun ja es wurde morgen und wir mussten zurück. Wir schafften es wieder durch den Wald zu kommen ohne entdeckt zu werden. Wir verabschiedeten uns, was uns nur mühsam gelang und ich versprach ihr, einen Priester aufzutreiben, der uns trauen würde.



Sie ging los und ich sah ihr lange nach. Es war ein seltsamer Moment, den ich nie vergessen werde. Als hätte ich in diesem Augenblick gewusst, dass ich sie nie wieder so sehen würde, wie in diesem Moment. So leuchtend, wunderschön, als wäre sie der Mittelpunkt der Welt. Als sie schließlich aus meinem Blickfeld verschwunden war, machte ich mich wieder auf zu meinem Versteck. Ich war noch keine fünf Minuten unterwegs als der Fliegeralarm losging. Es war wie ein Schock, ein Schlag ging durch meinen ganzen Körper und ich wusste, es würde etwas Schreckliches geschehen. Ich lief los. Rannte über die Trümmer. Ich war in diesen fünf Minuten nicht weit gekommen, aber es war halt nicht so einfach voranzukommen. Ich weiß nicht, wie oft ich hinfiel und mich blutig schlug. Ich stand immer wieder auf und suchte sie, rief ihren Namen, schrie ihn. Dann kamen die Bomben und das Artilleriefeuer. Der Boden fing an zu beben. Ich hörte die Flugzeuge, die Flak, die Sirenen und dann dieses Donnern, als die ersten Bomben einschlugen. Es ist die Hölle so etwas zu erleben und ich wünsche niemandem, dass er so etwas je am eigenen Leib erfahren muss. Ich wusste, dass sie es nicht mehr in einen Luftschutzkeller geschafft haben konnte und lief deshalb weiter.
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Ich musste sie finden. Ich hatte sie doch gerade erst wieder gefunden und jetzt wollte ich sie nicht schon wieder verlieren. Lieber mein Leben, aber nicht sie. Eine Bombe explodierte in meiner Nähe und ich wurde durch die Luft gewirbelt. Als ich wieder auf die Beine kam, sah ich sie. Sie kam aus einem der zerstörten Häuser und lief direkt auf mich zu. Ich sah, wie sie meinen Namen rief, wenn ich es auch nicht hören konnte. Ich lief ihr entgegen und als ich glaubte ich wäre bei ihr, hätte sie fest, für immer, da wurde sie getroffen. Ich sah die Staubwolke hinter ihr in die Luft gehen, spürte die Detonation der Bombe, sah die Trümmer und den Dreck durch die Luft fliegen und sah sie. Sie wurde nach vorn geschleudert. Sie fiel mir direkt in die Arme und wir beide in den Staub und Dreck. Überall war Blut, ich blutete, sie blutete… ein Eisenrohr hatte sie durchbohrt. Es steckte in ihrem Rücken und war durch ihrem Bauch wieder ausgetreten. Sie sah mich an und hielt mich mit ihrem Blick fest. Ich legte sie langsam auf meinen Schoß und sie sah mich weiter an und sagte: „Ich habe dich gesucht“ und ich sagte: „Ja, ich habe dich auch gesucht und wir haben uns gefunden. Du wirst jetzt immer bei mir bleiben. Ich werde dich nicht mehr loslassen und alles wird wieder gut werden.“ Ihre Augen strahlten immer noch und durch meine Tränen hindurch konnte ich sie fast nicht mehr erkennen. Ich wusste, dass ihr niemand mehr helfen konnte. Ich hatte viele Menschen sterben sehen und ich wusste, dass ich es niemals in ein Krankenhaus mit ihr geschafft hätte. Für einen Moment beruhigte ich mich und lächelte sie an und sie lächelte zurück. Ich küsste sie und sagte ihr, dass ich sie liebe und dass ich ihr immer treu sein und sie immer bei mir sein würde, egal was passieren sollte. Sie hielt meine Hand und ich sah jede Einzelheit in ihrem Gesicht, das immer noch makellos war. Ihr kleine Grübchen in den Wangen, die leicht abstehenden Ohren, die kleinen Muttermale, die leuchtenden, immer funkelnden grünen Augen . Ich sehe heute noch dieses Gesicht vor mir. Als ihre Augen brachen, ihre Brust sich nicht mehr langsam hob und senkte wurde die Welt um mich herum schwarz. Ich weiß nicht, wie lange ich bei ihr gesessen habe oder wie lange ich weg war. Irgendwann erwachte ich in einem Krankenhaus.
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Der Krieg war vorbei. Ein Krieg, den ich niemandem wünsche. Ein Krieg der so viele Menschenleben gekostet hat und der so viel zukünftiges Leben zerstört hat, bevor es entstehen konnte. Ich weiß nicht warum Menschen Krieg führen. Ich weiß nicht, warum wir uns nicht gegenseitig respektieren und tolerieren können. Vielleicht liegt es einfach in der Natur des Menschen. Aber wenn das wirklich so ist, was soll dann aus uns werden? Das schlimmste an der Sache ist, dass sie für mich gestorben ist. Wenn sie nicht in dem Moment aus dem Haus gekommen wäre, hätte mich dieses Stahlrohr getroffen und mich getötet. Deshalb habe ich vielleicht auch ein wenig Angst vor dem Tod. Vielleicht glaube ich, dass ich Schuld habe an ihrem Tod. Als ich damals in diesem Krankenhaus aufwachte, stand meine Schwester an meinem Bett und hatte ein Baby im Arm. Das warst du und sie bat mich dein Pate zu werden.“



Bernhard stand auf und ging wieder ans Fenster. Die Tränen waren wieder getrocknet und eine Last war von ihm genommen. Er hatte bisher niemandem von dieser Nacht erzählt. Meine Mutter wusste nur, dass ihm etwas Schreckliches passiert war, er alles verloren hatte, doch er hatte nie darüber geredet. Ich ging zu ihm und legte ihm den Arm um die Schulter, um ihn zu trösten. „Ich danke dir, dass du mir zugehört hast. Auch wenn ich ein alter närrischer Mann bin.“ Ich sah ihn an und musste selbst meine Tränen herunterschlucken. „Du bist der beste und ehrlichste Mann, den ich kenne und ich bewundere dich. Ich bewundere dich dafür, dass du den Krieg verdammst und das Leben trotz allem liebst. Das Leben hat dir wahrlich übel mitgespielt und du hast es trotzdem geschafft zu überleben und ein gutes Leben zu führen. Du warst nie verbittert und hast nie aufgegeben. Du bist immer deinen Weg gegangen und hast das gesagt, was du für richtig hältst und was nicht. Dafür respektiere und bewundere ich dich. Und ich bin traurig, dass ich dir nicht einmal helfen kann. Ich kann dir keine guten Ratschläge geben oder dir Petra zurückbringen, wenn ich auch nichts lieber tun würde als dies, selbst wenn ich dafür alles aufgeben müsste. Du hättest es verdient.“

Wir umarmten uns und setzten uns wieder an den Tisch zu Rotwein und den stinkenden Zigarren. Wir unterhielten uns noch lange an diesem Abend, bis wir irgendwann betrunken waren und ins Bett schwankten.
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Vorher musste ich ihm versprechen, dass er, wenn es soweit wäre und er sterben müsse, nicht in ein Krankenhaus gebracht würde oder jemals in ein Altersheim käme. „Ich will wie ein Mensch sterben. In Würde, ohne irgendwelche Maschinen oder einer Pampers am Arsch. Ich will mein Leben noch genießen, so lange ich kann und dann will ich zurück zu ihr. Sie wieder finden und niemals wieder von ihrer Seite weichen“, waren seine genauen Worte.



Das Leben ist manchmal schön und manchmal grausam. Warum? Weil es das Leben ist.

Es gibt Momente, in denen die Welt still zu stehen scheint, weil etwas so Schönes oder Schreckliches passiert, dass man einfach überwältigt ist davon. Niemand fragt uns, ob wir das wollen. Es passiert und danach dreht sich die Erde einfach weiter. Ob wir wollen oder nicht. Wir versuchen dann wieder mitzuhalten oder durchzuhalten. Die meisten Menschen kommen damit klar, andere zerbrechen daran und wieder andere erleben alles einfach nur als Glück. Man vergisst nicht, man lebt nur weiter, egal was passiert.



Fast zwei Jahre später kam eines Abends der angedrohte und doch stets verdrängte Anruf. Bernhard war am Telefon und sagte nur: „Ich habe heute Nacht von Petra geträumt. Sie kommt mich abholen. Hättest du Lust auf ein Glas Rotwein?“



Zwei Stunden später war ich bei ihm. Seine Augen blitzen immer noch voller Intelligenz und kein Schleier lag über ihnen. Der Rest sah leider nicht so gut aus. Er war abgemagert, dürr und etwas zittrig. Man sah den trüben Schatten des Todes in ihm. „Wie geht es dir?“ Ein langer Blick „Gut. Ich bin glücklich.“ Und nach einer kleinen Pause: „Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod. Er kommt so oder so. Als ich gestern den Traum hatte, dachte ich gleich an dich. Du bist der einzige, der meine Geschichte kennt, und ich wollte mich von dir verabschieden und das letzte Glas mit dir trinken. Ein wenig trauern und ein wenig weinen. Ein paar Witze reißen, Zigarre rauchen und einfach nur reden.“

„Erzähl mir von deinem Traum“.

„Es fing an wie immer. Das heißt, wenn es der schöne Traum ist, der ohne Bomben. Der Wald, die Lichtung. Sie. Wir, wie wir uns lieben. Der Sternenhimmel. Aber dann lag sie plötzlich nicht mehr neben mir, sondern kam von oben, aus den Sternen herab direkt auf mich zu.
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Es war, wie ein Wiedersehen, ein wirkliches Wiedersehen. Kein Traum. Sie lächelte mich an und ich spürte ihre Wärme und sie streckte mir ihre Hand entgegen. Dann wachte ich auf. Am liebsten wäre ich nie wieder aufgewacht und ich weiß, dass es nicht mehr oft passieren wird.“

Wir tranken, rauchten und redeten. Bernhard lachte oft und sah glücklich aus. Glücklicher als sonst. Und auch ich war glücklich, diesen Mann als Freund zu haben, auch wenn ich wusste, dass er bald sterben würde. Es war eine lange Nacht. Eine Nacht, die ich nie vergessen werde. Irgendwann schlief Bernhard ein und ich blieb bei ihm. Er starb noch in dieser Nacht. Als ich aufwachte war sein letzter Atemzug schon getan. Ich fühlte keine Trauer, kein Leid. Ich sah ihn an, wie er da in seinem Bett lag und sah einen glücklichen Menschen. Ein Mensch, der viel erlebt hatte und der jetzt sein Ziel nach langer, langer Reise erreicht hatte.



Ich gehe noch oft zu diesem Hügel. Früher mit den Kindern, jetzt meist alleine. Den Kindern hab ich manchmal die Geschichte dieses Liebespaares erzählt. Heute spaziere ich einfach herum oder setze mich in die Wiese, nur um den beiden nahe zu sein und ich wünsche ihnen, dass sie sich nie wieder suchen müssen und für immer zusammen sind.
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  Hallo Francis,
vielen vielen Dank fürs Lesen und Deinen Kommentar. Es freut mich, wenn Dir die Geschichte gefallen hat und Dein Kommentar ist auch Ansporn weiter zu machen, auch wenn manchmal die Zeit fehlt, und zu versuchen noch am Ausdruck zu feilen! Danke. Daniel   
   Daniel Freedom  -  19.05.14 10:06

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  Eine romantische und zugleich dramatische Kurzgeschichte, welche sich durchaus damals zugetragen haben könnte. Deinen Schreibstil vergleiche ich mal mit einen Diamant, daran noch etwas gefeilt werden muss. Aber den Lesefluss hat es trotzdem nicht geschadet und habe bis zur letzten Zeile gelesen.
LGF  
   Francis Dille  -  16.05.14 15:45

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