Die Ballade von Pretty Ramon (8) - Das Ende der Welt   39

Spannendes · Romane/Serien

Von:    Marcel Klocke      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 30. Juni 2013
Bei Webstories eingestellt: 30. Juni 2013
Anzahl gesehen: 1975
Seiten: 11

Diese Story ist Teil einer Reihe.

Verfügbarkeit:    Die Einzelteile der Reihe werden nach und nach bei Webstories veröffentlicht.

   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


(Vorab: Dieses Kapitel beinhaltet die letzten Kurzkapitel der Webstory. Ich habe erkannt, dass ich mit den selbst auferlegten Webstoryregeln nicht zufrieden bin und dass ich mehr Raum für Charakter- und Storyentwicklung brauche. Ich werde daher noch einmal ganz von vorne beginnen, die Kapitel aber nicht im Internet veröffentlichen. Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen, die mein Zeug gelesen und positiv bewertet haben. Ihr seid großartig! Viel Spaß beim Lesen dieser letzten Zeilen!)



Keiko saß hinter Roku auf dem Motorrad und hatte die Arme um seinen Bauch geschlungen. Es handelte sich bei dem Fahrzeug um eine Kawasaki und sie fuhr die beiden in eine verzauberte Welt.

Keiko hatte Tokio erlebt und war aufgrund dessen nicht von den Schwebefahrzeugen beeindruckt, die inmitten der Häuserschluchten flogen. Sie scherte sich kaum um die Neonreklamen und die gigantischen Bauten. Auch die Drohnen, die das massive Aufkommen an Fußgängern mit Verkehrssignalen zu ordnen oder durch Werbebotschaften zu beeinflussen suchten, irritierten sie nicht. Ihr gefiel, dass es aufgrund des vom Ozean heranströmenden und von dem im Vergleich zu Tokio eher mickrigen Industrieaufkommen kaum gestörten Windes nur wenig Smog gab. Nur wenige der immense, mit der Matrix verbundene Brillen tragenden Menschen hielten ihre Gesichter hinter Gasmasken verborgen. Vor allem mochte sie aber die Leute, die in den Vierteln, die sie durchquerten bevor sie in die Innenstadt kamen, versuchten, mit größtenteils improvisierten Waffen die überall zu sehenden Drohnen zu zerstören. Sie genoss es, die Auffuhrkontrollfahrzeuge der Polizei zu sehen, die gegen Mengen von mit billiger, aus den überall stehenden Automaten stammender Einheitskleidung bekleideten Menschen vorgingen. Ihr gefielen dabei nicht die Fahrzeuge mit den gewaltigen Betäubungsgas versprühenden Kanonen. Ihr gefiel die Aufgebrachtheit der Menschen. In Japan hatten sich die meisten Leute damit abgefunden, nur noch fleischgewordene Stempelkarten für die alles dominierenden Konzerne zu sein. Hier gab es die gleichen Konzerne, auch wenn sie teilweise unter anderen Namen firmierten, aber die Menschen wehrten sich noch gegen ihre alles beherrschende Einflussnahme. In den ärmeren Vierteln warfen die Menschen Molotowcocktails, in der Innenstadt trugen sie Kleidung, die individuell war und somit gegen alles sprach, wofür die Unternehmen standen.
Seite 1 von 12       




„Großartig“, murmelte Keiko.

Roku hörte sie nicht. Er grinste, als er einen Polizisten in Vollrüstung sah, der inmitten

einer Menschenmenge vor einer Monorailstation stand und wütend auf das viel zu schnell vorbeifahrende Motorrad starrte, und beschleunigte die Kawasaki weiter. Der Polizist blickte ihnen nach und meldete das mit überhöhter Geschwindigkeit vorbeigefahrene Fahrzeug. Es war nicht die erste diesbezügliche Meldung des Tages und es sollte nicht die letzte bleiben.



An der Grenze zum Ende der Welt

„Wir waren vorbereitet“, erzählte der Präsi, „unsere besten Männer hatten ihre Positionen eingenommen und warteten darauf, eine einfach aussehende Mission erfolgreich abschließen zu können. Aber dann änderte sich alles.“



Michael war der erste, der starb. Niemand wusste, was genau passiert war, aber er reagierte mit einem Mal nicht mehr auf Funksprüche. Sebastian schaffte es noch durchzugeben, dass er eine verdächtige Bewegung in seiner Nähe ausgemacht hatte, bevor auch von ihm nichts mehr zu hören war. Christian reagierte panisch und zeigte damit Intelligenz. Er startete sein Motorrad und ließ die Maschine in Windeseile auf Maximum beschleunigen. Daniel sah wie sein Motorrad aus dem Schatten eines niedergebrannten Hauses hervor schoss und kurz auf der Straße schlingerte. Christian war ein guter Fahrer und bekam das Gefährt nach einer Sekunde unter Kontrolle, aber bevor Daniel überhaupt erkennen konnte, in welche Richtung sein Freund die Maschine lenken wollte, explodierte sie auch schon.

Jetzt erst sah er komplett in Schwarz gekleidete Gestalten, die auf den Bagger, in dem Lars saß, zu huschten. Sie bewegten sich in aberwitziger Geschwindigkeit. Daniel gab noch eine Warnung an Lars durch, aber als er sah, wie schnell sie den Bagger erreichten und mit welcher Leichtigkeit die Figuren das Fahrzeug erkletterten, wusste er, dass seine Warnung sinnlos war. Er ahnte außerdem, dass ihm selbst nur noch Augenblicke blieben.



Daniel richtete sich an die, wie er hoffte, sicher nahe des Hauptquartiers herumlungernden Mitglieder der Gang, als er über Funk beschrieb, was gerade passiert war. Er hielt die Sprechtaste gedrückt, als er das Geräusch eines verboten schnell den Schornstein heraufkletternden Menschen vernahm.
Seite 2 von 12       
Einen Moment lang dachte er darüber nach, ob er eine Chance hatte, wenn er sich gegen die Person, die jetzt jede Sekunde bei ihm auftauchen würde, zur Wehr setzen würde. Dann sah er den Truck, auf den er und seine Kollegen gewartet hatten. Er sah, dass er brannte. Er sah ihn explodieren. Dann fühlte er einen Finger, der auf seine Schulter klopfte.

Daniel schaute sich um und blickte in ein Gesicht, das von Chrom überzogen zu sein schien. Immer noch die Sprechtaste gedrückt haltend, gab er durch, was er sah. Seine letzten Worte lauteten: „Verfluchter Hurensohn.“

Er schrie nicht, als der Fremde den Kopf von seinem Körper riss.



„Die letzte Mitteilung, die wir erhielten, lautete: ‚Dies ist ab jetzt unser Turf. Und unsere Stadt. Verpisst euch, wenn ihr nicht ausgerottet werden wollt. Sayonara Bitches.“

Timothy zuckte zusammen, als er die beiden letzten Worte hörte. Er schluckte die aufkommende Wut herunter und sagte: „Du hast von einer Cybergang erzählt, aber laut deiner Geschichte wisst ihr überhaupt nicht, womit ihr es zu tun habt.“

Der Präsi kicherte, oder schluchzte, es war schwer den Unterschied herauszuhören: „Es war die erste aber nicht die letzte Begebenheit, die wir mit dieser Gruppe hatten. Außerdem haben wir eine Botschaft von den Bastarden erhalten.“

„Was für eine Botschaft?“

„Wir erhielten sie in der Nacht, in der wir dich gefunden hatten. Die Nachricht lautete (und ich zitiere): ‚Sagt dem von euch aufgegabelten Pisser, dass wir seine Eltern erledigt haben. Wir wissen, was er ist und wir hoffen, dass er bald zum spielen vorbei kommt.“

Timothy biss die Zähne aufeinander: „Kein ‚Sayonara Bitch’ zum Abschluss?“

„Nein“, antwortete der Präsi, „der Abschiedsgruß lautete: „YOLO. Curryketchup, wenn die Herrin euch frisst.“



Er hatte sich vor langer Zeit einmal entschieden, ein normaler Mensch zu sein.

Als er den letzten Worten des Präsis lauschte, wurde ihm klar, dass ihm diese Option nicht länger blieb. Er schloss die Augen und konzentrierte sich.



Er erwachte.



-



Juice schlug die Augen auf und bereute es bereits einen Augenblick später.
Seite 3 von 12       




-



Gustav Middleton war kein schlauer Mensch. Er hatte seine Schulzeit damit verbracht, intelligentere Menschen in Mülltonnen zu stecken oder, falls sie dumm genug gewesen waren sich zu wehren, zusammenzuschlagen. Es war nicht so, dass er diese Menschen gehasst hatte. Er hatte sie ein wenig beneidet, aber auch das hatte nicht den Ausschlag gegeben. Wichtig war einfach immer gewesen, dass er respektiert worden war. Auch die Annahme, dass er sich im Voraus dafür gerächt hatte, dass diese intelligenteren Menschen später mehr Geld verdienen und in den krassesten Fällen sogar seine Vorgesetzten sein würden, war falsch. Es ging einfach immer nur um den Moment und darum, dass jeder auf dem Schulhof wusste, dass mit ihm nicht zu Spaßen war. Er wusste, dass jeder (sehr leise) Witze über ihn machte, aber niemand wagte es, öffentlich über ihn zu lachen. Natürlich würde sich das später ändern, aber diese wenige Jahre auf dem Schulhof gehörten ihm. Gefallen tat ihm das nicht. Er wäre lieber mit seinen Klassenkameraden rumgehangen und hätte sich über Filme, Bücher (das war nicht so seins) und Mädchen unterhalten. Leider war er seiner Meinung nach immer zu dumm dafür gewesen. Ihm blieben nur die Alternativen, der ignorierte Idiot zu sein oder aber die Faust zu benutzen und ein vielleicht verachteter aber zumindest gefürchteter Schläger zu sein.



Jahre waren vergangen, seitdem er die Schule abgebrochen hatte. Jetzt saß er auf einer BMW und fuhr hinter einem Wesen hinterher, das eindeutig nicht menschlich war. Er war vielleicht dumm, aber er war klug genug um zu wissen, dass dieser Treck verdammt war. Die Menschen auf den Motorrädern an seiner Seite blickten grimmig, aber in ihren Augen waren dieselben Zweifel zu sehen, die auch ihn plagten. Jeder einzelne in der Gruppe folgte dem Dämon aus Angst, Unsicherheit und weil jeder andere es auch tat. „Scheiß drauf“, dachte er. Als der Dämon „Tod dem Priester!“ rief, wusste er nicht, welcher Priester gemeint war. Aber er wiederholte den Schlachtruf solang, bis er heiser war.



-



Es ist nicht leicht, ohne Eltern aufzuwachsen. Noch schwerer ist es, wenn man keine Freunde hat. Es gab einen Jungen im Dorf, der mutig genug war, all die Vorurteile und Warnungen der Älteren zu ignorieren.
Seite 4 von 12       
Er näherte sich dem von allen ignorierten Jungen, der inzwischen fünf Jahre alt war und immer noch lebte, obwohl er weder Muttermilch noch sonst irgendwelche Nahrung aus fremder Hand erhalten hatte. Er sollte der erste und vielleicht der wichtigste Spielkamerad in Fernandos Lebens sein. Er hieß Chiu und er starb, weil er sich bereit erklärte mit Fernando auszutesten, wer am meisten Schmerz ertragen konnte. Eigentlich starb er, weil Fernando sich taub stellte, als der Junge erklärte, dass er aufgab und Fernando gewonnen hätte. Er hatte einen trotz des jungen Alters gut durchtrainierten Körper. Fernando fand dies großartig, weil er Fett verabscheute. Anstatt sich durch weiches, wabbeliges und irgendwie auch schleimiges Gewebe beißen zu müssen, konnte Fernando Muskeln lutschen und straffes Fleisch von den Knochen Chius knabbern.

Natürlich blieb dies nicht unbemerkt. Entsetzt versuchten die Insassen des Dorfes Fernando zu bestrafen. Sie starben alle. Es blieb nur wenig von ihnen übrig, aber Fernando war noch jung und sein Magen war noch klein. Daher ging die Auslöschung seines Dorfes als das erste große Festmahl in seine persönliche Geschichte ein.



-



In einer Hütte am Rande des Städtchens Portland, dort wo graue Türme schwarzen Rauch in den Himmel bliesen und wo sich aus gewaltigen Rohren dampfendes, stinkendes Wasser in den Columbia River ergoss, dort lebte ein alter Mann. Bei der Hütte handelte es sich nicht um eines dieser alten, märchenhaften Gebilde aus Holz, die man in verwunschenen Wäldern vorfand und bei denen es oft vorkam, dass die in ihnen lebenden alten Männer sich als verwirrte aber herzensgute Zauberer entpuppten. Streng genommen handelte es sich noch nicht einmal um eine Hütte. Es war ein Haus aus Stein, das inmitten eines riesigen Areals stand, auf denen sich noch andere, wesentlich größere Gebäude aus Stein, Glas und Wellblech befanden. Auf einigen dieser Gebäude thronten riesige Schornsteine. Andere waren durch Stahlstränge verbunden, die wie Schienen wirkten, abgesehen davon, dass sie viele Meter hoch in der Luft hingen. Gleise waren auch auf dem Boden zu sehen. Genauso wie einige Straßen bildeten sie ein kompliziertes Netz um die verschiedenen Gebäude herum.
Seite 5 von 12       


Kein Wagen fuhr auf den Straßen und auch die Schienen waren verwaist. Einige Kräne hingen verlassen an den stählernen Bahnen, die sich hoch oben langsam von Vogelscheiße bedecken ließen. Auch die Schornsteine spuckten schon lange keinen Rauch mehr in den Himmel.

Auf einem Schild, das über dem Eingang zum Haus des alten Mannes angebracht worden war, stand „Belegschaftshaus“.



Da es sich bei dem verlassenen Gelände offensichtlich nicht um einen verwunschenen Wald handelte, war natürlich auch der alte Mann kein Zauberer. Vielmehr handelte es sich bei ihm um einen Wissenschaftler. Verwirrt, das war er von Zeit zu Zeit. Aber wenn er eines nicht war, dann war es herzensgut.

Die meiste Zeit verbrachte er in dem weitläufigen Keller des Gebäudes. Dieser war so groß, weil er mit dem der gewaltigen Halle verbunden war, die einmal „B5“ geheißen hatte und von der das Belegschaftshaus eigentlich nur ein Anbau war. In diesem Keller beschäftigte sich der alte Mann vor allem damit, tote Menschen, denen dunkle Kräfte die Ruhe versagt hatten, aufzuschneiden und ihre Sehnen mit Drähten auszutauschen. Organe, die eigentlich in den untoten Körpern verrotten wollten, wurden durch kleine Maschinen ersetzt, an Stelle der abgesägten Hände schmückte der alte Mann die Körper mit metallenen Greifwerkzeugen. Die Kreativität des Wissenschaftlers schien keine Grenzen zu kennen.



Oben, im Erdgeschoss des Hauses, hockte ein Zwerg auf einer Holzbank und versuchte einen Ehering heraufzuwürgen, an dem er sich bei seiner gerade getätigten Mahlzeit verschluckt hatte. Er verfluchte sich dafür, dass er den Arm der Krankenschwester, den er am Morgen einfach nicht mehr herunterbekommen und deswegen als Appetithäppchen für später mitgenommen hatte, nicht genauer untersucht hatte. Es war nicht das erste Mal, dass ihm so etwas passiert war, und langsam hätte er begreifen müssen, dass die Finger gerade von weiblichem Futter nur allzu oft derlei unangenehme Überraschungen bereithielten. Aber so etwas passierte eben, wenn man dem Stöhnen der Untoten lauschte, die gerade im Keller aufgeschnitten wurden. Zu schnell ließ man sich ablenken und kaum hatte man gedankenverloren in den kleinen Snack gebissen…



Draußen, weit entfernt im Schatten einer anderen Halle auf demselben Areal studierte Ramon die Bilder, die Smith auf das in seinem Auge implantierte Cyberdisplay projizierte.
Seite 6 von 12       
Die Drohne schwebte unweit des Belegschaftshause der Halle B5 und hatte soeben durch eines der Fenster den Zwerg ausgemacht.

„Was tut er“, hörte er seinen Begleiter flüstern.

„Ich weiß nicht“, raunte Ramon zurück, „er betrachtet irgendwas. Scheint ein Ring zu sein. Muss ihm unheimlich viel bedeuten, Inspector. Auf jeden Fall lächelt er ganz verzückt.“



-



Ein Mann ging durch die Straßen der Stadt. Er war am Morgen in Puyallup aufgebrochen, hatte sich gegen Mittag in die Monorail gesetzt und hatte am frühen Nachmittag das Zentrum des Sprawls erreicht. Er hatte kurz Halt an einem mobilen Imbiss gemacht und eine Portion Nudeln mit Huhn gegessen. Ansonsten war er in Bewegung geblieben. Ein Ziel hatte er nicht. Zumindest kein geographisches. Er war müde, aber er hatte bereits den Punkt überschritten, an dem er die Müdigkeit noch spürte. Alles, was er ansah war mit einem Schleier überzogen, der die Farben dämpfte und die Konturen verschwimmen ließ. Seine Beine spürte er schon längst nicht mehr.

Der Mann war lange unterwegs und hatte gesehen, wie die Sonne untergegangen war und einer Vielzahl von Lichtern, die Straßen erleuchteten oder diverse Firmen, Güter und Dienstleistungen anpriesen, gewichen war. Er folgte einer Straße, die recht schmal war und auf der nur wenige andere Menschen zu sehen waren. Dort, wo sie eine andere Straße kreuzte, erblickte er ein Motorrad, das auf der Seite lag. Eine Drohne lag daneben. Ihr Chassis war eingedrückt, dünner Rauch stieg von ihr auf. Ein Junge beugte sich über das Motorrad und versuchte anscheinend herauszufinden, weshalb das Fahrzeug nicht mehr funktionierte. Ein sehr junges Mädchen stand neben ihm und hatte die Fäuste in ihre Hüften gebohrt. Hinter ihnen ragte ein Wolkenkratzer in den Himmel, der sich laut des gewaltigen, in Höhe des zweiten Stockwerks angebrachten Schilds im Besitz des japanischen Konzerns Renraku befand. Strahler saßen auf dem Dach des Hauses und schickten gelbes Licht in Richtung Boden, um die Aufmerksamkeit vorbeischlendernder Passanten und die Straße nutzender Wagen zu erheischen.
Seite 7 von 12       
Der Mann näherte sich dem Duo, das ihn keines Blickes würdigte. Er fragte: „Alles in Ordnung?“

Dann fiel etwas vom Himmel.



Es handelte sich um eine Figur, die ungefähr anderthalb mal so groß war wie ein normal großer Mensch. Sie bestand aus zwei Armen, zwei Beinen und zwei Flügeln, die so dünn waren, dass das Licht der Strahler des Renraku-Gebäudes durch sie schienen. Der Rumpf glich dem eines Menschen, aber der Kopf wirkte bizarr. Ein kurzer Rüssel, Augen, die aus unzähligen kleinen Fenstern zu bestehen schienen und ein aufgerissenes, vor Zähnen starrendes Maul. Die sich herabstürzende Gestalt kreischte schrill.

Der Junge, der sich um das Motorrad gekümmert hatte, ging in die Knie und murmelte etwas von einer Göttin. Das Mädchen schlug die Hände vors Gesicht und schrie angsterfüllt. Der Mann starrte entsetzt und verblüfft auf die Gestalt, die eindeutig ihn in ihrem Sturz ansteuerte. Dann nickte er und sagte: „Jetzt weiß ich Bescheid.“

Kurz bevor der Dämon Timothy erreichen konnte, schloss dieser die Augen und beschwörte, was am Morgen in ihm erwacht war. Eine Sekunde später stand die Welt in Flammen.



-



Pater Ryan M. Flaherty bedankte sich und legte auf. Er betrachtete das Telefon und dachte darüber nach, wie seltsam es war, einen Anruf aus der Wüste zu bekommen, der einen darüber aufklärte, dass ein unter einer Kirche am Kreuz hängender Gehörnter den Eintritt der Apokalypse erklärt hatte. Nicht weniger seltsam aber noch etwas beunruhigender war zu erfahren, dass nichts anderes als sein Tod, das Ableben Ryan Michael Flahertys den Eintritt des Weltuntergangs besiegelt hatte. Der Dämon hatte nicht im Konjunktiv gesprochen. In dem Punkt war sich sein Cousin sicher gewesen. Vielleicht hatte sich der Teufel um einen oder zwei Tage vertan - der Pater wusste, dass die Unsterblichen eine gedehnte Auffassung von der Gegenwart hatten – aber es schien so, als ob sein baldiger Tod in Stein gemeißelt war.

„Gefällt mir nicht“, murmelte der Priester. Plötzlich auflodernde Wut, die mit einer großen Prise Angst durchtränkt war, ließ ihn das Telefon vom Schreibtisch in dem kleinen Büro hinter dem Kirchenschiff fegen.
Seite 8 von 12       
Dann griff er nach einer von Staub bedeckten Flasche Whiskey in dem gut sortierten Regal des Büros und nach der Schrotflinte, die auf dem sich ebenfalls in dem Zimmer befindlichen Bett lag. Um Munition brauchte er sich nicht zu kümmern, da er den Ort, den er nun aufsuchen würde, schon vor langer Zeit präpariert hatte. Eigentlich war sogar das Mitbringen der Waffe und des Alkohols redundant, aber wenn es etwas gab, für das Flaherty momentan kein Verständnis aufbringen konnte, dann war es das Wort „Eigentlich“. Er hatte nach der Flasche und dem Gewehr gegriffen, weil es richtig war, in seiner Situation nach etwas zu greifen, was ihn in seinen augenscheinlich letzten Stunden auf dieser Welt begleiten würde. Nur Menschen, die das Leben verachten, reagieren rational, wenn sie erfahren, dass sie sterben müssen und damit das Ende der ganzen Welt einleiten werden.

Flaherty verließ das Büro, um Abschied von den Heiligenfiguren in der Kirche zu nehmen. Sie blieben stumm, womit sie nicht weniger sagten als er selbst. Vor dem gekreuzigten Jesu kniete er besonders lang. Wieder sagte er nichts. Es gab nichts, was gesagt werden musste. Er stand auf und nickte dem Erlöser zu. Die Schrotflinte und eine Flasche erlesenen Whiskeys in den Händen erstieg er die Treppe hoch zur Spitze des Glockenturms.



-



Als die Prinzessin aufwachte, lag die Decke bereits am ihren Kopf entgegen gesetzten Ende des Bettes in Höhe ihrer Knöchel. Ihr Nachthemd war so sehr von Schweiß durchtränkt, dass es förmlich an ihrem Körper klebte.

Sie stand auf und entledigte sich dem nassen Kleidungsstück. Nackt trat sie an den Tisch, der neben einem Schrank, einem Regal, einem Waschbecken und natürlich ihrem Bett das Mobeliar in dem kleinen Zimmer, in dem sie schlief, ausmachte. Diener hatten zwei Gläser Saft und eine Schüssel Müsli auf den Tisch gestellt. Obwohl sie lange geschlafen hatte, war das Müsli noch nicht durchgeweicht. Vermutlich war es halbstündlich von Mägden auf leisen Sohlen ausgewechselt worden.

Neben der Schüssel und den zwei Gläsern, die am Rande des Tisches standen, füllte eine Art kompliziertes Schachbrett den Tisch. Die Figuren bewegten sich von allein, wie sie wusste, und informierten sie über den Krieg, der in der Welt der Menschen begann.
Seite 9 von 12       
Sie griff nach einem der Gläser und nippte daran. Währenddessen betrachtete sie das Spielfeld und versuchte zu begreifen, welche Bewegungen die einzelnen Figuren getan hatten, seitdem sie sich schlafen gelegt hatte. Sie sah, dass eine Figur im Aus stand und es nur noch einen Zug brauchte, um sie völlig aus dem Spiel zu nehmen. Den Kopf schüttelnd ergriff sie die Figur und setzte sie um.

Ihr war klar, dass sie aufgrund ihres Eingriffs in das Spiel einiges zu hören bekommen würde, aber sie fand, dass es nur fair war, wenn die Menschen etwas Hilfe bekommen würden. Immerhin hatten sie nicht den Vorteil der Armee der Hölle gehabt, sich seit Jahrhunderten auf den kommenden Krieg vorzubereiten. Außerdem, so dachte sie, während sie die von ihr umgesetzte Figur betrachtete, war der Priester viel zu interessant, um so früh zu sterben.



-



Als die Welt starb, verging sie nicht etwa mit einem leisen Seufzen, sondern durch ein gewaltiges, lautes und vor allem entsetzlich heißes Feuer. Im Zentrum der Flammen lag ein Motorrad, das so unzuverlässig war, dass es den Tod verdient hatte. Vielleicht, wenn es nicht plötzlich an Leistung verloren hätte, wären sie und Roku der Polizeidrohne entkommen, die mit einer Kanonensalve den Hinterreifen des Gefährts zerfetzt, ein – zugegebenermaßen – ziemlich aufregendes Duell erzwungen und sie zur Strandung an dieser dämlichen Straßenkreuzung verdammt hatte.

Neben dem Motorrad kniete ein Junge, der Roku hieß aber eigentlich viel eher den Namen ‚Vollidiot’ verdient hatte. Er betete, was angesichts der die Welt fressenden Flammen vertretbar war, und schaute voller Verzückung auf die vom Himmel herabgestürzte engelähnliche Figur, die gerade im Begriff war, sich zu erheben.

Keiko hatte nichts mit dem Christentum zu tun, aber sie verstand schon, warum manche Leute sich über den Anblick eines vom Himmel geschickten Geschöpfes freuten. Vor allem, wenn die Welt gerade brannte. Allerdings hatte sie gesehen, was sich da von dem Haus in ihrem Rücken herabgeschwungen hatte. Und auch, wenn diese Gestalt Flügel hatte und ganz sicher nicht von dieser Welt war, so war sie ihrer Meinung nach eindeutig nichts, über das man sich freuen und vor allem nichts, was man anbeten durfte. Viel kleiner und weniger prächtig wirkend als die Statue in dem Raum im Zentrum des Tempelgartens glich sie dem dort abgebildeten Monster in allen anderen Punkten bis aufs Haar.
Seite 10 von 12       
Ein Sofa hatte sie nicht zwischen den Beinen, aber das war nicht wirklich verwunderlich. Vor allem war es etwas, was das Erscheinen der Figur ihrer Meinung nach noch bedenklicher erscheinen ließ. Egal, wie viele Gebete Roku in Richtung der Mischung aus Mensch und Insekt schickte, Keiko hatte Angst vor dem Wesen und fand, dass es sich viel zu schnell bewegte.



Zum Glück rannte die Kreatur nicht auf sie und den Jungen mit den glänzenden Augen sondern auf den Zauberer zu, der vor einigen Sekunden aus dem Nichts aufgetaucht war und kurz darauf dieses alles verschlingende Feuer heraufbeschwört hatte. Dadurch blieben ihr vermutlich noch einige Momente, um ihrer Ahnen zu gedenken und alles zu tun, was man als Sterbende eben zu tun hatte.

Voller Sorge erkannte das Mädchen, dass sie überhaupt keine Ahnung hatte, wie man sich ordnungsgemäß auf den Tod vorbereitete. Sie hatte noch nicht einmal eine richtige Vorstellung davon, was nach dem Tod mit ihr passieren würde. Es war nicht so, dass sie nie darauf gehört hatte, was man sie in ihrer kurzen Vergangenheit gelehrt hatte, aber bislang hatten all diese Hinweise eher ihr zukünftiges Leben und fast nie ihren Tod behandelt. Die meisten Tipps hatten sich eigentlich sogar darum gedreht, wie man andere in die Position brachte, sich um das Leben nach dem Tod Gedanken zu machen.

Keiko lächelte kurz aufgrund dieser Erinnerung und vergaß für einen Moment die Panik. Und dann war auch schon alles vorbei.



Das Insektenmonster erreichte den Zauberer. Dieser deutete auf die Kreatur. Die Kreatur schmolz. Dann wischte der Zauberer mit der Hand durch die Luft und das Feuer erstarb.



„Tut mir leid, euch da reingezogen zu haben“, sagte der Zauberer und ging auf Keiko, Roku und das verreckte Motorrad zu. Die verklumpten Überreste des Monsters mit sichtlicher Wut zur Seite tretend, ergänzte er: „Ich kann leider nichts erklären, denn ich weiß selber nicht genau, was hier passiert ist.“

„Offensichtlich“, antworte Keiko, „denn, wenn du meinst, dass dies hier irgendetwas mit dir zu tun hatte, dann liegst du falsch.“

Timothy schaute sie überrascht an.
Seite 11 von 12       
Dann lächelte er. „Bringt mich zu eurem Anführer!“

Keiko kannte sich nicht so gut aus, was die Popkultur längst vergangener Jahre betraf. Deshalb schaute sie ihn verständnislos an.
Seite 12 von 12       
Punktestand der Geschichte:   39
Dir hat die Geschichte gefallen? Unterstütze diese Story auf Webstories:      Wozu?
  Weitere Optionen stehen dir hier als angemeldeter Benutzer zur Verfügung.
Ich möchte diese Geschichte auf anderen Netzwerken bekannt machen (Social Bookmark's):
      Was ist das alles?

Kommentare zur Story:

Leider wurde diese Story noch nicht kommentiert.

  Sei der Erste der einen Kommentar abgibt!  

Stories finden

   Hörbücher  

   Stichworte suchen:

Freunde Online

Leider noch in Arbeit.

Hier siehst du demnächst, wenn Freunde von dir Online sind.

Interessante Kommentare

Kommentar von "ISA" zu "Das Hörspiel"

Hübsche kleine Geschichte, flüssig zu lesen und mit einer schönen Pointe. Es stimmt wirklich, dass die meisten Kinder an diese Dinge ganz unverkrampft herangehen und noch nicht getriebe ...

Zur Story  

Aktuell gelesen

  In Arbeit

Funktion zur Zeit noch inaktiv. Über ein Konzept zur sicheren und möglichst Bandbreite schonenden Speicherung von aktuell gelesenen Geschichten und Bewertungen, etc. machen die Entwickler sich zur Zeit noch Gedanken.

Tag Cloud

  In Arbeit

Funktion zur Zeit noch inaktiv. In der Tag Cloud wollen wir verschiedene Suchbegriffe, Kategorien und ähnliches vereinen, die euch dann direkt auf eine Geschichte Rubrik, etc. von Webstories weiterleiten.

Dein Webstories

Noch nicht registriert?

Jetzt Registrieren  

Webstories zu Gast

Du kannst unsere Profile bei Google+ und Facebook bewerten:

Letzte Kommentare

Kommentar von "Francis Dille" zu "Die Belfast Mission - Kapitel 08"

Mich interessiert weder Fußball noch habe ich Ahnung vom Kampfsport. Ein paar Fachausdrücke musste ich natürlich recherchieren, aber während dem Schreiben war es hilfreich an Rocky und Bru ...

Zur Story  

Letzte Forenbeiträge

Beitrag von "Tlonk" im Thread "Account nicht erreichbar"

klappt ja dann auch!

Zum Beitrag