Der Hüter des Drachen - Kapitel 10   397

Romane/Serien · Fantastisches

Von:    Robin van Lindenbergh      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 19. November 2009
Bei Webstories eingestellt: 19. November 2009
Anzahl gesehen: 2736
Seiten: 11

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Der Palast war zu einem summenden Bienenstock geworden seit die Vorbereitungen für die Ernennung liefen. Überall liefen Bedienstete umher, putzen und dekorierten. Ein Duft nach den herrlichsten Speisen wehte durch die Räume und täglich trafen neue Gäste aus allen Teilen des Landes ein. Die Ernennung des zukünftigen Thronerben war ein wichtiges Ereignis, bei dem alles, was Rang und Namen hatte, teilnahm. Die Feierlichkeiten würden beinah eine ganze Woche dauern. Es würde Bälle, Festmähler und Bankette geben, Künstler, Musiker, Schauspieler und Magier würden ihre Fertigkeiten präsentieren.

Es zog mir das Herz zusammen als ich ein Gespräch belauschte, in dem es um den Höhepunkt des Festes ging: ein Schaukampf der kaiserlichen Drachen.

Ich wurde von Trebans Seite abgezogen und der Kaiser betraute mich mit anderen Pflichten, wie beispielsweise der Begrüßung und vor allem Überprüfung der Gäste. Ich hätte es wissen müssen, dass sie bei diesem Ereignis nicht fehlen würden. Einen Abend vor dem Beginn der Ernennungsfeierlichkeiten rumpelten zwei Wagen in den Hof des Palastes. Einer von ihnen erinnerte an eine Kiste auf Rädern. Ein schwerer Holzkasten mit einer eisernen Tür und einem kleinen vergitterten Fenster wurde von zwei übernervösen Pferden gezogen. Sofort als sie näher kamen spürte ich eine vertraute, willenlose Präsenz von zwei Lebewesen. Knapp hinter dem Kastenwagen hielt eine schlichte, doch kostbare Kutsche, aus deren Inneren bald nach dem Anhalten drei mir wohl bekannte Männer stiegen: der Abt, Prior Prokon und Kyrill. Schweiß trat auf meine Stirn und ein uralter Fluchtinstinkt schrie mir zu so schnell wie möglich das Weite zu suchen. Ich war mir fast sicher die Schatten meiner Vergangenheit müssten mein Herz schlagen hören, so laut pochte das Blut in meinen Adern. Dort, bei ihnen hatte mein Leben begonnen und doch waren diese Männer Werkzeuge des seelenlosen Kaisers, der mich versklavt hatte. Und hatten nicht auch sie das gleiche mit mir vorgehabt? Mit Schrecken erinnerte ich mich an meine Flucht aus dem Kloster, hörte in mir die schreckliche und gleichzeitig betörende Musik der Drachenflöte.

Weg! Ich musste weg! Aber ich konnte nicht. Der Kaiser hatte mir befohlen, mich um die Ankömmlinge zu kümmern und Tumbai wusste nichts von den Ereignissen im Kloster.
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Er sollte sich nicht einmal an die Mönche erinnern können. Das Misstrauen, das meine Flucht erzeugen würde, konnten wir uns zu diesem Zeitpunkt nicht leisten. Noch ein paar Mal atmete ich tief durch, befahl meinem Herzen langsamer zu schlagen und meinem Atem sich zu beruhigen. Dann trat ich aus dem Schatten des Tores auf die Wagen zu.

„Im Namen des Göttlichen, seid willkommen!“ spulte ich die Begrüßung ab, zwang mich aber keinen der drei genauer anzusehen.

Der Abt erschrak tatsächlich, was mich insgeheim freute. „Du… du lebst noch?“

Kyrill hinter ihm zog ungehalten sein Schwert und stürmte auf mich los. „Dieses Mal stirbst du, Bestie.“

Er hatte nicht bedacht, dass ich bei dieser Begegnung nicht unter dem Einfluss der Drachenflöte stand. Es kostete mich noch nicht einmal Mühe ihm sein Schwert zu entwenden. „Verzeiht, ehrwürdige Brüder, aber der Kaiser gestattet niemandem eine Waffe bei der Ernennung zu tragen.“

Wütend funkelte Kyrill mich an, aber der Abt brachte ihn zu Raison. „Warte, Kyrill. Sag mir, sind wir uns schon einmal begegnet?“ fragte er mich.

„Aus deinen Worten müsste ich das schließen, aber ich kenne euch nicht“, antwortete ich.

Der Abt nickte. „Wer bist du, junger Freund?“

„Mein Name ist Tumbai, ich bin ein Diener des Kaisers und Leibwächter des Prinzen.“

„Versteht“, wandte sich der Abt nun an seine Begleiter, „was uns nicht geglückt ist, ist dem Göttlichen gelungen.“

„Welche Schande“, bemerkte Prokon. „Dieser Nichtsnutz im Dienste des Göttlichen.“

Auch sie würde ihre Strafe erhalten, dafür würde ich persönlich sorgen. Aber ich musste mich weiter in Geduld üben.

„Darf ich euch nun eure Quartiere zeigen, ehrwürdige Brüder? Um eure ‚Tiere’ wird man sich kümmern.“ Ja, ich würde sie freilassen, das stand für mich felsenfest.



Der Thronsaal war voller Menschen. Jeder wollte sehen und vor allem von den Machthabern gesehen werden und sie boten uns das Publikum, das wir brauchen würden. Hauptsache es würde keine Massenpanik geben.

Wie es meine Aufgabe als Leibwächter war, ging ich zwischen den Reihen der Menschen entlang, aber es fiel mir schwer mich darauf zu konzentrieren, denn mein gesamter Körper war in Aufruhr.
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Mein Magen verkrampfte sich, meine Haut spannte und brannte und ständig mischten sich Bilder in Drachensicht in meine Wahrnehmung. Ich hatte nicht mehr viel Zeit und war nervös, denn schließlich würde der heutige Abend alles abschließen, wofür ich in den letzten Jahren gearbeitet und wofür ich fünf Jahre meines Lebens geopfert hatte.

Ich zwang mich, mich auf mein Umfeld zu konzentrieren und suchte dabei tatsächlich wie mir aufgetragen worden war nach Waffen und Sprengladungen. Es passte nicht in den Plan, dass jemand den Kaiser erschoss oder es wohlmöglich auf Treban oder mich abgesehen hatte. Aber wie bei meinem ersten Auftrag dieser Art gab es keine besonderen Gerüche oder sich auffällig verhaltende Personen. In meiner gesamten Zeit beim Kaiser hatte es keinen Angriff auf sein Leben gegeben – bis heute.

Einige der Ehrengäste musterten mich misstrauisch. Ich erkannte etliche von ihnen, Minister, Höflinge, Botschafter, Verwandte und Günstlinge des Kaisers, hohe Militärs und Vertreter der Städte. Es war das gleiche Volk wie bei jedem größeren Festakt im Palast.

Der Geruch von teuren Parfums, Duftwässerchen, Pudern und menschlichem Schweiß lag in der Luft und erzeugte Übelkeit in mir. Schweiß stieg mir auf die Stirn und ich hielt es nicht mehr im Thronsaal aus. Wenigstens für einen kurzen Moment musste ich für mich sein und mich sammeln.

Unbemerkt verschwand ich in einem der vielen Korridore, die vom Thronsaal wegführten und drückte meine Stirn gegen den kühlen Stein der Wände. Ich hatte das Gefühl zu verbrennen.

„Du siehst schrecklich aus.“

Das bewies wie schlecht es mir in diesem Moment ging, ich hatte nicht einmal mitbekommen, dass ich nicht allein war und doch stand sie vor mir. Es war als wäre kein Tag vergangen, denn sie sah aus wie damals, an dem schrecklichen Tag, als ich sie geschlagen hatte.

„Jianne? Was tust du hier?“

„Als offizielle Vertreterin der Tuchhändlergilde muss ich hier sein“, erklärte sie. An ihrem Gesicht war nicht abzulesen, wie sie in diesem Moment empfand.

Ich verspürte nichts als Liebe. Sie war so schön wie damals und ich liebte sie mit jeder brennenden Faser meines Körpers.
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Ich wollte sie an mich ziehen, sie spüren und bis an das Ende meiner Tage nicht mehr loslassen. Ich wollte ihr einhunderttausend Dinge sagen, aber in diesem Moment überfiel mich eine neue Welle von Schmerz und Hitze. Mein Magen schien zu explodieren und ich stöhnte vor Schmerz auf.

„Was ist mit dir los, Okuon?“ fragte sie besorgt.

„Der Trank, der mich immer ein Mensch sein lässt… er verliert seine Wirkung.“

„Orin hat mir von dem Trank erzählt. Heißt das, du wirst wieder ein Drache?“

„Ja… und zwar bald. Schnell, geh. Es wird hier heute sehr gefährlich. Ich will dich nicht in Gefahr bringen.“

„Nein. Einmal habe ich dich gehen lassen und das war ein Fehler. Ich bleibe.“

„Aber was ist mit dem Kind?“

Sie schlug die Augen nieder. „Orin hat es dir erzählt?“

„Ja, ich freu mich für dich… für euch.“

Sie wollte noch etwas sagen, aber ich spürte, dass meine Zeit ablief.

„Jianne, ich muss los. Bitte, geh!“

Wieder schüttelte sie entschieden den Kopf, aber ich hatte keine Zeit mehr sie zu überzeugen. Wenn ich jetzt nicht handelte, würde ich es wohl nie wieder können.



Das Feuer in meinem Körper brannte so heiß, dass ich das Gefühl hatte, es würde mein menschliches Fleisch verbrennen und vielleicht war es genau das, was nun mit mir geschah. Taumelnd bewegte ich mich zurück in den Thronsaal, wo bereits die Zeremonie begonnen hatte. Praktischerweise würde der Kaiser bei Sonnenuntergang seinem Sohn die Krone auf den Kopf setzen und damit sein Ende einläuten.

Aber davon ahnte er noch nichts. Noch stand er in seiner ganzen selbst erdachten Herrlichkeit vor seinem Thron. Sein ganzer Körper leuchtete, weil er ein goldenes Gewand trug, das mit den kostbarsten Juwelen und Perlen bestickt war. Auf seinem Haupt saß die Sonnenkrone, goldene Strahlen, die seinen Kopf umgaben wie der Sonnenschein. Ein kleineres Modell dieser Krone lag neben ihm auf einem roten Samtkissen und wartete darauf, auf den Kopf des Prinzen gesetzt zu werden.

„Wir“, sprach der Kaiser mit fester Stimme, „sind die Abkömmlinge der Götter. Durch ihren Willen dazu bestimmt zu herrschen und durch sie mit den göttlichen Gaben ausgestattet.
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Zeige unserem Volk, das auch du unsere Gaben besitzt, Treban, mein Sohn.“

Noch spielte Treban mit. Er trat einen Schritt vor und spie Feuer auf ein Kohlebecken vor sich, die Kohlen begannen sofort zu brennen und die Zuschauer erschraken angemessen ob dieser Demonstration göttlicher Macht.

„Ich trage das Feuer, dass meine Feinde verbrennt“, sagte Treban und ich hoffte, dass dem Kaiser nicht auffiel, dass er hätte vom göttlichen Feuer sprechen müssen.

Aber es schien ihm nicht aufzufallen, denn er ließ seinen Sohn weitermachen. Ein Diener kam heran mit einem goldenen Tablett, auf dem ein silberner Dolch lag. Treban nahm ihn und zog ihn in einer kräftigen Bewegung über seinen Arm. Es entstand ein breiter, blutiger Striemen, der sich aber fast augenblicklich wieder schloss. Treban schleuderte die Klinge von sich, sodass sie in einem sauberen Schnitt einer der zahlreichen Kerzen fällte, die den Thron erhellten.

„Keine Waffe, kein Speer, kein Pfeil kann verletzen, was unverletzlich ist“, sprach er.

„Dann ist es der Wille der Götter, dass du an dem Tag meines Todes Herrscher über dieses Land wirst“, bekräftigte der Kaiser, nahm die kleinere Sonnenkrone und setzte sie Treban auf. „Wie ich, so hast auch du die Macht Menschen und Drachen zu befehlen.“ Mein Stichwort.

„Das bezweifele ich“, presste ich hervor.

Überall drehten sich Köpfe nach mir um, denn es war natürlich bei Todesstrafe verboten die Zeremonie zu unterbrechen. Noch nie hatte jemand eine solche Unverschämtheit gewagt und nun wollte man sehen, wer so leichtsinnig mit seinem Leben spielte.

„Du? Du wagst es?“, spie der Kaiser wütend hervor. „Das wirst du bereuen, Tumbai.“

„Mein Name ist Okuon“, konnte ich gerade noch sagen, denn in diesem Moment wurde ich endlich wieder ein Drache. Ich spürte Furcht und Verwirrung um mich herum während meine Haut sich veränderte, mein Körper wuchs und sich verformte und meine Schwingen und Schwanz sich bildeten. Ganz am Rande meiner Wahrnehmung sah ich, dass der Hauptmann der Wache einen Pfeil auf seinen Bogen legte und damit auf mich zielte. Ich hasste den Moment der Verwandlung, denn noch war ich verwundbar. Aber ich schloss meine Transformation ab, ohne dass auf mich geschossen wurde.
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Ein Blick auf den Wachmann zeigt mir nun auch wieso er nicht gefeuert hatte, denn er war bleich und hatte Angstschweiß auf seiner Stirn. Jianne stand hinter ihm und hatte ihm Trebans Dolch an die Kehle gesetzt. Eine falsche Bewegung und er hätte sein Leben ausgehaucht. Dankbar nickte ich ihr zu, aber zunächst musste ich mich auf den Kaiser konzentrieren.

„Was nutzen dir deine göttlichen Kräfte, wenn du es nicht einmal schaffst mich zu beherrschen, ein Wesen halb Mensch halb Drache?“

„Unverschämter. Du bist des Todes. Mein Sohn, zeige, dass du ein würdiger zukünftiger Herrscher bist und bringe diesen Drachen unter deine Kontrolle“, forderte der Kaiser Treban auf.

„Nein.“

Alle Geräusche, die meine Verwandlung unter den Zuschauern ausgelöst hatte, verstummten sofort. Dieses eine Wort von Treban ließ alle die Luft anhalten.

Der Kaiser fuhr zu seinem Sohn herum. „Was hast du gesagt?“

„Ich sagte nein, Vater. Denn auch mich kannst du nicht beherrschen. Ich bin nicht wie du, ich werde die Menschen und die Drachen in unserem Land befreien.“ Nun wandte er sich an die Zuschauer im Saal. „Die Kräfte, die meine Familie hat, die sie seit Jahrhunderten über euch herrschen lassen, sind nicht von den Göttern gesandt, sie sind gestohlen. Wie ihr es eben gesehen habt, gibt es Menschen, die vereint sind mit Drachen. Auch mein Vater ist ein solcher Mensch. Er hat die Kräfte eines schwarzen Drachen gestohlen und ihn dafür in seinen Körper eingesperrt. Vorher war er ein Mensch wie ihr, genau wie ich es noch vor wenigen Wochen war.“

„Du bist von Sinnen, mein Sohn“, sagte der Kaiser. „Dieser“, damit wies er auf mich, „hat dich verhext.“ Seine Haut war gerötet vor Wut.

„Bist du sicher, mein Vater?“ Mit diesen Worten zog er eine kleine Phiole mit einer gelblichen Flüssigkeit unter seiner Robe hervor und kippte den Inhalt in sich hinein. Der Trank neutralisierte die Wirkung des Einsperrtrunks. Treban würgte und keuchte kurz, aber dann begann sich auch sein Körper vor den Augen der Menschen zu verwandeln. Kaum war er ein Drache, war er an meiner Seite.

„Du Narr“, zischte der Kaiser für die Zuschauer unhörbar, „du hättest ein Gott sein können, aber nun wirst du als Sklave enden wie dein Freund.
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In diesem Moment begann hinter uns der Abt die Drachenflöte zu spielen. Ich hatte geahnt, dass er das versuchen würde und mich innerlich darauf vorbereitet, aber trotzdem überflutete mich die verzauberte Melodie und minderte meine Mordlust.

Auch Treban hatte ich von der Zaubermusik erzählt, aber er war nicht genug vorbereitet gewesen. Die Macht der Töne vernebelte seine Gedanken und ich konnte es an seinen Augen sehen.

„Wehre dich, Bruder“, sagte ich und es auszusprechen kostete mich unendliche Kraft.

„Es ist so wunderschön.“ Sein Blick war der Welt entrückt.

„Du musst… du hast recht, es ist wunderschön.“ Selbst all die negativen Erinnerungen konnten mich der Macht der Flöte nicht entziehen. Ich war ihr haltlos ausgeliefert, wäre nicht…

Jianne spielte mit ihrem Leben. Mit einem gezielten Fußtritt beförderte sie den Wachhauptmann von sich weg und ließ ihn auf den Abt zutaumeln. Er verlor dabei sein gesamtes Gleichgewicht und fiel wie ein Mehlsack über den alten Mann. Die Flötenmelodie verstummte und würde auch so schnell nicht wieder ertönen, denn der massige Leib des Wächters hatte das beinerne Instrument endgültig zerstört.

Der Kaiser fluchte aufgrund der Unfähigkeit seiner Untergebenen, aber er hatte sich am schnellsten wieder gefasst. „Packt sie!“ schrie er und deutete unmissverständlich auf Jianne.

Keiner von uns war schon wieder so reaktionsschnell, als dass wir den Zugriff der Wachen hätten verhindern können. Aus fünf Richtungen richteten sich Schwerter auf sie und Jianne tat das einzig Richtige und streckte die Waffen.

„Lass sie gehen!“ presste ich hervor.

„Ah, sie bedeutet dir anscheinend etwas. Endlich weiß ich, wie du sie damals befreien konntest. Ich wusste immer, dass du es warst, aber du wusstest es nicht und das war auch gut so. Ich bin neugierig, wie hast du dich aus meinem Zauber am Ende befreit?“

„Ich habe ihn aus deiner Sklaverei befreit, Vater.“

„Du, mein Sohn. Du bist dumm, denn du hättest ein Gott werden sollen. Stattdessen hast du dich selbst zu einem Sklaven gemacht.“

„Wenn ein Gott zu sein heißt so zu werden wie du, bin ich lieber ein Sklave wie mein Bruder es war“, sagte er trotzig.
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„Dann testen wir das doch gleich aus. Seht meine Macht über diese Wesen!“ rief er laut aus. Er war also noch immer bestrebt dem Volk seine Göttlichkeit unter beweis zu stellen.

Ohne dass ich erkennen konnte woher, hielt er plötzlich etwas in Händen. Zunächst hielt ich es für einen weißen Stein, aber dann erkannte ich schnell, was es wirklich war: der Schädel eines schwarzen Drachen. Man erkannte an den weißen Knochen wie riesig dieses Exemplar gewesen sein musste. Seine Reißzähne waren so lang wie meine menschlichen Finger und er hatte gewaltige Hörner gehabt, die sich spitz in die Höhe schraubten.

„Der Drachenschädel meines Vorfahren“, zischte der Kaiser uns zu und freute sich dabei wie ein Kind. Dann stemmte er den Schädel an seine Lippen und sprach durch ein Loch im Kopf hinein.

„Töte. Töte alle Drachen.“

Die Stimme, die aus dem Maul des Drachen hervorkam hatte nur noch wenig mit der des Kaisers gemeinsam. Sie schlug Saiten in mir an, die mir ganz und gar nicht gefielen. Irgendwo in meinem Kopf gab es etwas, dass nun nur noch auf Töten programmiert war, aber mit Mühe schaffte ich es, dieses Etwas unter Kontrolle zu halten. Es war dieselbe Stimme, die ich schon einmal gehört hatte, damals beim Kampf mit dem Wasserdrachen auf der Drachenherz.

Das war sie also, die Macht des Göttlichen. Seine Stimme würde nun im ganzen Land von allen Drachen zu hören sein und wie der Wasserdrache würden sie seinen Befehlen folgen. Anscheinend reichte mein Verstand aus um mich dem Willen des Kaisers zu widersetzen, aber was war mit meinem Bruder?

In den Augen des blauen Drachen lag pure Mordlust als ich ihn ansah.

„Kämpfe dagegen an, Treban.“ Mit Absicht sprach ich ihn mit seinem menschlichen Namen an. Er sollte sich erinnern, was er war.

Man konnte sehen, wie mein Bruder mit sich rang, denn sein gesamter Körper zuckte vor Anstrengung.

„Alles in Ordnung?“ fragte ich, als das Zucken weniger wurde.

„Ich könnte dich niemals töten, Bruder“, sagte er zuversichtlicher als er zu sein schien. „Du hast verloren, Vater!“

Keiner von uns hatte erwartet, dass der Kaiser auf diese Worte hin in schallendes Gelächter ausbrach.
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„Nein, ihr!“

Mit einer einzelnen Handbewegung hieß er die Wachen das Palasttor zu öffnen und ich begriff, was er damit gemeint hatte. Am Himmel über dem Hof schwebten die zwei Drachen, die die Mönche mitgebracht hatten. Ich erkannte einen silbernen, den Prokon hütete und der andere violette musste inzwischen Kyrills Drache sein. Ich war zu keiner Bewegung mehr fähig, denn dort über dem Hof des Palastes spielte mein Albtraum.

Die beiden Drachen am Himmel brüllten und fauchten und schlugen sich dabei gegenseitig ihre Krallen in ihr Fleisch und sengten einander mit Feuerlanzen. Goldenes Blut verschmierte ihre Haut bereits überall. Blutige Risse zogen sich über ihre Flügelhäute und tiefe Fleischwunden entstellten ihre geschmeidigen Körper.

„Vergesst diese zwei Drachen hier nicht“, sagte der Kaiser.

Er hatte nicht laut gesprochen, aber dennoch reagierten die Drachen. Sie ließen voneinander ab und wandten nun ihre gesamte Aufmerksamkeit uns zu. Mit kräftigen Flügelschlägen fuhr der silberne Drache hernieder, raste durch das Tor, über die Köpfe der panischen Menge hinweg und auf mich zu.

Ich war immer noch wie gelähmt von dem schrecklichen Anblick und alles in mir schreckte davor zurück den unschuldigen Drachen zu töten. Stattdessen wich ich ihm aus, aber mein Zögern hatte zu lange gedauert, die ausgestreckten Krallen des Silbernen rissen über meinen Rücken und hinterließen drei tiefe Risse in meinem Fleisch. Ich brüllte auf vor Schmerzen.

„Okuon!“ riefen Jianne und Treban gleichzeitig voller Schrecken. Die Panik hatte nun auch die Wachen erfasst, sodass sie Jianne losgelassen hatten.

Durch mein Ausweichen ging der größte Schwung des Drachen allerdings ins Leere und er stürzte haltlos auf die Thronempore nieder und riss dabei den Thron um. Scheppernd landete der Sessel zusammen mit dem Drachen auf dem Boden.

„Halb so schlimm“, beruhigte ich meine Freunde, obwohl die Verletzung brannte wie Feuer. „Treban, er zwingt sie dazu. Hol dir den Schädel und mach den Befehl rückgängig. Jianne, schaff die Leute hier weg.“

„Und was ist mit dir?“ fragte mein Bruder.

„Ich lenke die Drachen ab.“

„Das schaffst du nicht alleine.“

„Wenn du den Befehl zurücknimmst, werde ich das auch nicht müssen.
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Die Drachenlogik kämpfte in Treban mit seinen Gefühlen für mich, aber tatsächlich siegte in diesem Moment sein Verstand über sein Herz.

Der Silberne regte sich bereits wieder und jeden Moment würde sich der Violette ebenfalls auf mich und Treban stürzen. Ich musste mich beeilen.

Jianne hatte sich noch nicht von mir wegbewegt. Schmerz stand in ihren Augen und ihr fehlte die Drachenlogik um ihren Gefühlen eine Richtung zu geben.

„Los, geh. Ich schaffe das schon“, versicherte ich ihr. Zuversicht vorzugaukeln war genau genommen keine Lüge.

„Sei vorsichtig, mein Drachenretter“, sagte sie und küsste mich zum Abschied auf die Schnauze. Dann endlich bewegte sie sich und begann die Leute aus dem Seiteneingang des Thronsaals zu scheuchen.

Ich machte mich bereit und flog eilig aus dem Tor, wobei ich die beiden anderen Drachen wie an einer Kette hinter mir herzog. Im Gegensatz zur Enge des Thronsaals konnte ich hier draußen mein volles Fluggeschick ausnutzen. An Kraft konnte ich es vielleicht mit den anderen nicht aufnehmen, aber an Schnelligkeit und Wendigkeit. Außerdem verfügte ich immer noch über Verstand. Der Befehl des Kaisers schien den Drachen diesen vollständig genommen zu haben. „Töten!“ war das einzige, was sie hervorbrachten. Zudem hatte der Kaiser dafür gesorgt, dass sie nicht nur mich als ihr Ziel ansahen, sondern immer wieder sich gegenseitig.

Leider änderte sich dieser Zustand in dem Moment als ich begriff, wozu die Drachen ihre Hüter brauchten.

„Schraub dich über ihn und pack ihn von hinten“, rief jemand.

„Zerreiß seine Flügel“, befahl eine andere Stimme.

Ich erkannte sie, denn ich hatte sie mein Leben lang gekannt. Die Brüder waren nicht mit den andern geflohen, sondern standen direkt unter uns und brüllten ihren Drachen ihre Befehle zu, die diese ohne zu zögern ausführten. Endlich wurde es mir klar, die Hüter waren nötig für den Kampf der Drachen, weil der Kaiser ihnen den Verstand raubte. Seine Befehle machten sie zu äußerst gefährlichen Kampfmaschinen, aber nur die Hüter konnten dafür sorgen, dass sich ihre geballte Kraft in die richtige Richtung lenken ließ.
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Und leider musste ich zugeben, dass sie ihre Sache sehr gut machten. Von einem Moment auf den anderen sah ich mich nicht mehr zwei hirnlosen Verfolgern, sondern einem organisierten Angriff gegenüber. Es kostete mich eine Menge Geschick ihren Attacken auszuweichen und ich merkte, wie mich die Kraft dabei immer mehr verließ. Ich musste sie außer Gefecht setzen, oder ihnen doch noch wehtun, um meine eigene Haut zu retten.

Der junge, violette Drache war noch unerfahren und zu seinem Leidwesen war Kyrill in den letzten Jahren nicht wesentlich gereift. Er ließ den Drachen immer wieder ungeschickte Attacken fliegen und ich spürte seine Wut, die er immer noch auf mich hatte. Das konnte ich ausnutzen. Mit ein paar kräftigen Flügelschlägen schoss ich vorwärts, sodass ich nun nur noch den Violetten hinter mir hatte, der Silberne blieb etwas zurück. Ich platzierte mich direkt vor der Mauer des Palastes und wartete dort scheinbar völlig entkräftet. Kyrill durchschaute die Finte nicht, dafür war er zu siegessicher.

„Los, zerreiß ihn!“ stachelte er seinen Drachen an und dieser war gar nicht fähig zu überlegen, sondern raste mit hoher Geschwindigkeit auf mich zu.

Es war beinah zu leicht im letzten Moment hochzuziehen und zuzusehen wie der Drache frontal gegen die Mauern krachte. Ein paar größere Steine lockerten sich von den Zinnen, aber dann sah ich wie der Violette haltlos abstürzte. Ich hoffte, dass er nicht zu sehr verletzt war.

„Eins zu null“, brüllte ich Kyrill triumphierend zu und weidete mich einen Moment an seiner Verärgerung. Leider zu lange, denn in diesem Augenblick packte mich der Silberne von unten.

Ich wurde in die Höhe gerissen, merkte nur noch, dass ich mich drehte und dann hart auf den Boden aufschlug. Der Silberne war über mir und presste mich mit seinem gesamten Gewicht fest. Seine scharfen Krallen nagelten mich an den Boden und seine Zähne waren direkt über meiner Kehle.

Ich hatte verloren und das nur, weil ich einem alten Verlangen nach Triumph über Kyrill nachgegeben hatte. Für einen kurzen Augenblick hatte ich einem kindischen Wunsch meiner menschlichen Hälfte nachgegeben und würde nun mit dem Leben dafür bezahlen.

„Du stirbst nun, du unwürdiger Wurm!“ hörte ich Prokons Stimme ganz nah neben mir.
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„Du hast es gewagt, dich dem Kaiser entgegen zu stellen.“ In Kyrills Stimme war nur noch Hass zu hören.

„Aber ihr habt gesehen, dass er nicht göttlich ist, er ist ein Wesen wie ich. Prinz Treban hat es bewiesen“, versuchte ich.

„Auch ein Verbrechen, für das du nun sterben musst“, zischte der Abt. „Ich weiß nicht wie, aber deine Falschheit und Verderbtheit hat den Prinzen verhext. Der Göttliche wird ihn von deinem Zauber befreien.“

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er Prokon zunickte. Ein befriedigtes Lächeln zog über das Gesicht des Priors. „Töte ihn!“

Der Drache zuckte nicht einmal bei diesem Befehl. Stattdessen wurde der Griff seiner Krallen härter und schnitt sich weiter in mein Fleisch. Sein Kopf erhob sich zu einem Brüllen und er machte sich bereit mir meine Kehle heraus zu reißen.

Ich schloss die Augen, bereitete mich auf meinen Tod vor und dachte dabei nur an Jianne und an Treban. Ich bedauerte vieles in meinem Leben.
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Punktestand der Geschichte:   397
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Kommentare zur Story:

  Na, das gefällt mir. Jianne scheint Okuon überhaupt nicht vergessen zu haben. Sie setzt sogar äußerst tapfer ihr Leben für ihn ein. Gut auch, dass die Flöte zerbrochen ist. Es sieht zwar äußerst böse für den armen Okuon aus, aber Treban ist ja auch noch da. Die Frage ist, besitzt er inzwischen den geheimnisvollen Schädel des schwarzen Drachen? Ich hoffe du spannst uns nicht zu lange auf die Folter.  
   Jochen  -  20.11.09 22:32

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  Nein, oh, nein, jetzt hast du an der spannensten Stelle abgebrochen. Und ich möchte doch nicht, dass Okuon von diesem violetten Drachen verfrühstückt wird. Ganz schnell her mit dem nächsten Kapitel, bitte!!!  
   Petra  -  20.11.09 19:09

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Unbekannt" zu "Violett"

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