R.M.S. TITANIC Die Erinnerung an eine legendäre Jungfernfahrt. (3)   21

Romane/Serien · Erinnerungen · Fan-Fiction/Rollenspiele

Von:    Tim Wecnk      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 23. April 2008
Bei Webstories eingestellt: 23. April 2008
Anzahl gesehen: 2256
Seiten: 31

Diese Story ist Teil einer Reihe.

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   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


Dritter Tag. 12. April 1912





Und wieder vergaß ich die Vorhänge zuzuziehen, aber das war mir auch dieses mal wieder egal, nachdem mir einfiel, dass ich Jeanette gestern Abend endlich angesprochen hatte und sie heute wieder sehen werde. Meine Taschenuhr zeigte 9:30uhr, so war also noch genug Zeit, mich in aller Ruhe anzuziehen und nebenbei ein wenig aus dem Fenster zu sehen. Das Meer war heute Morgen etwas unruhiger, aber das schien die Titanic überhaupt nicht zu stören. Mühelos durchbrach und verdrängte sie alle Wellen, die ihr entgegenkamen und ich glaubte, dass sie selbst bei den schwersten Stürmen ruhig und ,,majestätisch“ durchs Meer gleiten würde. Na ja, so wirklich überzeugt war ich davon allerdings nicht, aber immerhin betrug ihre Wasserverdrängung 60000 Tonnen.

Fertig angezogen machte ich mich auf dem Weg zum Veranda Cafe und als ich dabei einen Stockwerk höher das B-Deck erreichte, sah ich neben der Tür zum Kabinenflur eine etwas größere Tür, durch die der Teil eines Decks zu sehen war, den ich noch gar nicht kannte. Neugierig lief ich dorthin und stellte fest, dass es ein geschlossener Raum mit einer Fensterreihe und ein paar Liegestühlen war und als ich diesen Raum betrat, um ihn mir näher anzusehen, trat plötzlich ein Dienstmädchen durch eine Seitentür hervor und fragte mich, was ich hier zu suchen hätte. Nun stellte ich mich absichtlich blöd und fragte sie: ,,Ist das hier nicht das Promenadendeck?“, worauf sie mich mit gezogener Augenbraue ansah und antwortete: ,,Nein, das ist das Deck der Privatsuiten B-53 und B-55. Das Promenadendeck liegt ein Stockwerk höher.“ ,,Ach ein Privatdeck ist das?“ fragte ich etwas veralbert nach, worauf sie sagte und dabei auf die große Tür zur Treppe hindeutete, durch die ich gekommen war: ,,Jawohl, und jetzt möchte ich Sie bitten, den Raum wieder zu verlassen.“ ,,Ganz, wie Sie wünschen, Miss.“, entgegnete ich und besaß darauf die Frechheit, durch die Tür zu gehen, aus der das Dienstmädchen kam, um mir die Privatsuite mal genauer anzusehen und ich war regelrecht erstaunt darüber, wie groß sie war. In diesem Raum glich alles einem Wohnzimmer, denn hier befanden sich mehrere Couchs, ein großer runder Tisch und sogar ein Kamin, an dessen Sims gerade ein anderes Dienstmädchen mit einem Wedel Staub wischte und mich völlig erschreckt anschaute, als sie mich durch den Raum gehen sah und ich sie darauf mit einem freundlichem Nicken begrüßte.
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Draußen im Flur sah ich noch, wie beide Dienstmädchen mir empörte Blicke zuwarfen und ich mich danach recht amüsiert wieder zu der Treppe begab. Den Raum, den ich durchquert hatte, war der Gemeinschaftsraum der Privatsuiten auf der Steuerbordseite. Dort konnten die Bewohner lesen, schreiben, sich unterhalten oder sogar ihre Mahlzeiten einnehmen. Ebenso gehörte auch dieses Privatdeck zu diesen Suiten und hatte eine Länge von mindestens 15m. Auf dem B-Deck befanden sich neben den vier Privatsuiten auf der Backbord und Steuerbordseite noch insgesamt fünfunddreißig weitere Suiten, die sich wirklich nur die sehr reichen Leute leisten konnten, aber davon mal ganz abgesehen fand ich, dass meine Kabine auch ein wahrer Luxus an Bord war.

Im Veranda Cafe fand ich einen Platz für vier Personen, da Jeanette mir ja gestern gesagt hatte, dass sie ihre Eltern mitbringen würde und als sie schließlich eintraten, versuchte ich mir einen ersten Eindruck über die Familie zu machen. Jeanette trug dieses mal zu ihrer Tageskleidung ein grünliches Kleid und einen flachen Hut mit einer Bandschleife beschmückt. Ihre Mutter, Mrs. Franklin, trug ein etwas helleres Kleid, das von gelblicher Farbe ins Bräunliche überging und einen Hut, welches mit einem blauen Schleier umwickelt war. Ihr Vater, Mr. Franklin, war mit einem grauen Anzug und einer dunklen Melone bekleidet und ich stellte fest, dass alle nun einen Hut trugen und ich dagegen gar nichts, da ich meine Schirmmütze ja gestern über Bord geworfen hatte. Doch davon schien keiner der Drei sich Notiz zu machen und als Jeanette mich erblickte, stellte sie mich ihren Eltern vor: ,,So“ sagte ihr Vater dabei: ,,Sie sind also Mr. Wenck, von dem uns Jeanette heute morgen erzählt hat. Freut mich.“ Er schüttelte mir die Hand: ,,Ganz meinerseits, Sir.“, entgegnete ich höflich und wandte mich darauf an Jeanettes Mutter: ,,Mrs. Franklin? Es ist mir ein Vergnügen.“ Sie nickte lächelnd und meinte: ,,Vielen Dank, es ist auch mir ein Vergnügen.“ ,,Ach“ sagte ich zusätzlich zu Mr. Franklin: ,,Ich bin erst 17, also lassen Sie ruhig das förmliche ,,Sie“ weg. Hier, ich habe für uns alle einen Tisch für vier Personen reserviert.
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“ ,,Wie großzügig von dir.“ meinte Mrs. Franklin. ,,Allerdings.“ ergänzte Mr. Franklin, der ein wenig von mir überrascht gewesen zu sein schein, darauf aber nicht weiter anging.

Beim Frühstück fragte mich Mr. Franklin: ,,Reist du alleine?“, und ich antwortete: ,,Ja, nach New York zu meinen Eltern.“ Er sah mich denkwürdig an und fragte mich, was mein Vater beruflich machte und als ich ihm darauf die Antwort gab, sah er seine Frau verblüfft an und sagte: ,,Das gibt es ja nicht. So ein Zufall. Du bist sein Sohn?“ Ich verstand überhaupt nicht, was er meinte, bis er fortfuhr: ,,Ich kenne deinen Vater.“ ,,Ehrlich?“ ,,Er hatte mir vor einigen Jahren ein Grundstück für den Bau unserer Firma verkauft. Mein Team und ich suchten damals in Birmingham einen Platz, auf der wir eine Fabrik für die Entwicklung von Automobilmotoren errichten konnten. Dein Vater war einer der ersten Immobilienmarkleer, der uns ein Grundstück von mehr als 5000m² angeboten hatte und wir haben sofort angenommen.“ Das fand ich ja wirklich sehr verblüffend, dass er meinen Vater kannte und gleichzeitig erfuhr ich, dass Mr. Franklin von Beruf her also an der Entwicklung von Maschinen arbeitete. Mr. Franklin fuhr fort: ,,Macht dein Vater seine Imobiliengeschäfte jetzt etwa in New York?“ und ich antwortete: ,,Nein, mein Vater ist in die Flugzeugtechnik übergegangen und arbeitet jetzt in Lakehurst, dem Flugstadtteil von New York, an der Konstruktion von Flugzeugen. In England war dies nur begrenzt möglich, daher entschloß er sich, mit meiner Familie und mir nach Amerika umzureisen und dort eine neue Existenz aufzubauen. Ich musste allerdings noch meinen Schulabschluss in Portsmouth meistern und komme deshalb jetzt nach New York nachgereist.“ Mr. Franklin nahm dies mit einem Nicken zur Kenntnis und Mrs. Franklin entgegnete: ,,Wir sind genau aus dem selben Grund auf dem Weg nach Amerika. Mein Mann bekam vor knapp einem Jahr einen Brief von der International Technology Development Agency (ITDA) aus Philadelphia, worin er ein Angebot bekam, seine Dienste dort weiterhin ausführen zu können und da hatte er auch nicht lange gezögert. Jeanette hatte in diesem auch ihren Abschluss gemacht und da sie ihn sogar vorgezogen hatte, hatten wir noch ein paar Tage, um vor der endgültigen Reise nach Amerika noch einen schönen Aufenthalt in Paris zu haben.
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“ ,,Das hab ich ihn gestern schon erzählt.“ Fiel Jeanette ihrer Mutter grinsend ins Wort.

Als wir das Frühstück nach ein paar weiteren Gesprächen schließlich beendet hatten, entschlossen wir uns zu einem Spaziergang auf dem Promenadendeck und führten dort unsere Gespräche wieder weiter. Mrs. Franklin, die dabei direkt neben mir lief, fragte mich: ,,Wie wäre es, wenn du Abends zum Dinner mit an unserem Tisch sitzt, dann bist du nicht immer so alleine?“ ,,Ja, warum nicht, gern.“ antwortete ich erfreut, worauf mich Mrs. Franklin auf einmal ein wenig zurück hielt, sodass die anderen beiden nichts mitkriegen konnten, und mich fragte: ,,Magst du Jeanette?“ Ich sah sie überrascht an und antwortete: ,,Ähm...ja. Natürlich!“ Sie lächelte erfreut auf und sagte: ,,Sie dich nämlich auch. Du machst einen sehr sympathischen Eindruck auf sie.“ Darauf ich noch überraschter: ,,Ja?“ ,,Oh ja! Als sie uns heute morgen kurz bevor wir zum Veranda Cafe gingen, von dir erzählt hat, war sie total aus dem Häuschen. Ich habe sie noch nie so aufgeweckt und strahlend erlebt.“ Leicht errötet und verlegen entgegnete, weil Mrs. Franklin wirklich eine sehr vertrauenswürdige Person zu sein schien: ,,Ich....ich muss Ihnen auch gestehen, Mrs. Franklin, dass ich Ihre Tochter auch sehr hübsch finde und sie hat auch eine so.....“Mrs. Franklin klopfte mir auf die Schulter und fiel mir ins Wort: ,,Das freut mich, dass du das sagst. Heb dir deine Komplimente für sie auf, nicht für mich.“ Es herschte kurzes stillschweigen und als ich gerade nach vorne zu Jeanette blickte, die sich mit ihrem Vater an seiner Seite unterhielt, erwähnte Mrs. Franklin: ,,Lernt euch zwei doch noch etwas näher kennen, ihr habt wirklich die beste Zeit dafür.“ Ich war recht verblüfft über ihre Worte, bis Mrs. Franklin plötzlich ein paar schnellere Schritte vortrat und sagte: ,,Ach Jeanette, wolltest du Tim nicht die Bibliothek zeigen?“, worauf Mr. Franklin entgegnete: ,,Ach, wollte sie das?“ ,,Jawohl, wollte sie. Und wir beide wollten uns den Gymnastikraum anschauen. Also ihr Lieben, wir sehen uns dann beim Abendessen.“ Sie nahm ihren Gatten und ging mit ihm ins vordere Treppenhaus, worauf Jeanette und ich uns verdutzt ansahen und sie dann grinsend sagte: ,,Und so schnell sind wir wieder alleine.“ ,,Ja, die Nummer von deiner Mutter war nicht schlecht.
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“, sagte ich, worauf sie leicht kicherte und anschließend meinte: ,,Ja, meine Mutter hat immer irgend einen Einfall.“ Ich ergänzte darauf: ,,Deine Eltern sind wirklich sehr nett.“ und Jeanette entgegnete erfreut: ,,Ja, das sind sie wirklich und ich kann dir zweifellos sagen, dass sie dasselbe auch über dich denken.“ Ich sah geschmeichelt zu Boden, worauf Jeanette mich dann fragte: ,,Soll ich dir die Bibliothek trotzdem zeigen?“ ,,Ja, gerne.“ Antwortete ich und Jeanette ergänzte: ,,Dann folge mir, es ist ein weiter Weg.“ Wir gingen die vordere Treppe runter bis zum C-Deck, wo wir dann anschließend durch den kompletten, beinahe hundert Meter langen Kabinenflur vorbei an der achteren Treppe bis hin zu einer Tür gingen, durch die wir uns darauf direkt auf dem Promenadendeck der zweiten Klasse befanden. Gegenüber von uns befand sie eine weitere Tür, die zu der Treppe der 2. Klasse führte und als wir die Treppe betraten, lagen direkt vor uns zwei Eingänge zu der Bibliothek, die sich die erste Klasse zusammen mit der zweiten Klasse teilte. Zwar besaß die erste Klasse im Gesellschaftsraum auch ein Bücherregal mit zahlreichen Ausgaben, die sich die Passagiere mit in den Leseraum nehmen konnten, aber die Bibliothek der zweiten Klasse war zum reinen Lesen einfach viel geeigneter und auch wenn die Schränke in der Bibliothek nicht besonders groß waren, so lagen doch bemerkenswert viele und vor allem recht interessante Bücher in den Regalen. Ob groß oder klein, jedes Buch schien eine Besonderheit an sich gehabt zu haben und ich suchte unter ,,S“ ein Buch für Schiffe, während sich Jeanette ein Buch auf der anderen Seite des Schrankes umschaute. Über Schiffe gab es wirklich eine große Auswahl an Ausgaben und bis ich mich zu einer entschließen konnte, kam Jeanette bereits mit einem Geschichtsbuch in der Hand auf mich zu gelaufen, worauf ich schließlich irgendeine Ausgabe über Schiffe aus dem Regal nahm und ich mich mit ihr an einen der Tische setzte, die sich im ganzen Raum zum Lesen als Sitzgelegenheiten boten. In dem Buch, was ich mitnahm, waren Bilder von den berühmten Schiffen abgebildet, die vor der Olympic und der Titanic mit Größe, Luxus und Technik das Publikum fasziniert hatten. Diese Schiffe waren im Vergleich zur Titanic natürlich nichts, denn nun war sie diejenige, die für eine neue und glanzvolle Ära von Luxusschiffen sorgte und wer weiß, ob sie nicht sogar als nächstes Schiff das blaue Band für die schnellste Atlantiküberquerung gewinnen wird.
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Jeanette blätterte in ihrem Geschichtsbuch nach, wobei ich sie flüsternd fragte: ,,Du scheinst dich wohl sehr für Geschichte zu begeistern, oder?“ Sie blickte zu mir auf und antwortete: ,,Eigentlich weniger, ich interessiere mich mehr für die Mode, die die Menschen damals trugen.“ Ich sah sie unverständlich an, worauf sie fortfuhr: ,,Ich hatte dir ja schon bereits gesagt, dass meine Mutter Modedesignerin ist und wenn wir in Philadelphia sind, möchte ich das auch werden. Ich kann mir auf der Welt nichts Schöneres vorstellen, als Kleider zu entwerfen.“ Nun war ich recht erstaunt und meinte zu ihr: ,,Da hast du dir ja ganz schön was vor genommen.“ Sie schaute leicht verträumt aus dem Fenster und sagte: ,,Ich kann es kaum noch erwarten.“ Dann sah sie das Buch an, was ich mir aus dem Schrank nahm, und sie meinte zu mir: ,,Du interessierst dich wohl offensichtlich sehr für Schiffe, oder?“ ,,Na ja“, entgegnete ich grinsend: ,,mein Interesse liegt hauptsächlich eigentlich nur bei der Titanic.“ Jeanette kicherte leicht, worauf sie flüchtig einmal über den Raum blickte und meinte: ,,Ja, ich muss sagen, dass es mir auch sehr gefällt, hier an Bord zu sein.“ Dann sah sie ein wenig verträumt nach unten, bis sie wieder zu mir aufblickte und mich fragte: ,,Was willst du machen, wenn du in New York bist? Schiffe bauen, die noch größer sein werden, als die Titanic?“ ,,Nein.“, antwortete ich leicht belächelt und dachte einen Moment lang nach, bis ich antwortete: ,,Ich denke, ich werde mit meinem Vater zusammen an den Flugzeugen arbeiten.“ Jeanette packte das große Erstaunen und gleichzeitig auch die Faszination, worauf sie sagte: ,,Du hast dich dazu entschlossen, dich an dem größten Fortschritt in der Geschichte der Technik zu beteiligen? Das ist ja großartig.“ ,,Nun ja, Fortschritt? Sehr viel kann man mit Flugzeugen wirklich noch nicht viel anfangen.“ meinte ich bescheiden, worauf Jeanette entgegnete: ,,Das mag sein, aber das Flugzeug wird eines Tages sicher noch viel mehr bringen und du wirst garantiert derjenige sein, der dafür sorgen wird.“ Ich sah sie verblüfft an und fragte: ,,Meinst du?“ worauf sie vollen Ernstes sagte: ,,Aber natürlich, dir würde ich das zutrauen.
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Außerdem finde ich, dass du für dein Alter schon ziemlich erwachsen wirkst.“ Das schmeichelte mir sehr und ich meinte: ,,Meine Güte, du machst mich ganz verlegen.“ Sie lächelte und senkte ihr Gesicht wieder ins Buch, worauf ich dann einen Moment lang aus dem Fenster sah und sie anschließend fragte: ,,Wie kommt es, dass dein Vater nicht auch an Flugzeuge beteiligt ist. Ich meine, er ist doch Maschinenentwickler, oder nicht?“ Jeanette blickte wieder zu mir auf und dachte kurz nach, bis sie schließlich antwortete: ,,Nun ja, er hat sich mehr den Automotoren gewidmet, da Automobile mehr auf dem Markt verkauft werden, als Flugzeuge oder Schiffe. Und da es in den großen Städten von Amerika beinahe nur so von Autos wimmelt, entschloss sich mein Vater mit uns nach Philadelphia zu ziehen und dort ein neues Zuhause aufzubauen.“ Sie schaute aus dem Fenster und hielt kurz inne, bis sie leicht grinsend fortfuhr: ,,In den letzten zwei Jahren war mein Vater nur damit beschäftigt, unseren halben Besitz nach Philadelphia zu bringen und diese Reise ist nun endgültig seine letzte.“ Sie blätterte ein paar Seiten in ihrem Buch weiter und ergänzte: ,,Ich bin wirklich sehr gespannt auf unser neues Zuhause. Ich kenne es nämlich noch gar nicht und kann mir im Moment auch überhaupt keine Vorstellung davon machen.“ Darauf ich: ,,Ja, mir geht es genauso.“

Nachdem wir uns noch ungefähr eine weitere halbe Stunde in der Bücherei aufhielten und wieder in die erste Klasse zurück gehen wollten, bemerkte ich im Treppenhaus der zweiten Klasse zwei Wegweisschilder, auf denen die Aufschriften ,,Butcher´s Shop“ und ,,Baker´s Shop“ gekennzeichnet waren und ich fragte Jeanette, ob wir uns diese Läden nicht mal ansehen wollen und fest entschlossen gingen wir einen Stockwerk tiefer runter zum D-Deck, wo etwas links neben der Treppe ein kleiner Korridor nach vorne führte und die beiden Läden nebeneinander liegend direkt an ihm angebracht waren. Bei dem Butcher´Shop handelte es sich um einen Süßigkeitenladen, in dessen Theke und Regalen sich in Gläsern aufbewahrt Bonbons, Kekse, Schokolade, Lakritze, Nüsse, sowie jede Menge anderer beliebter Süßigkeiten in den buntesten Farben erstreckten und Kinderaugen zum Strahlen gebracht hätten. Bei dem Baker´s Shop handelte es sich um eine Bäckerei, welche etliche Kreationen von Gepäck, Kuchen und Torten zu bieten hatte.
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Eine ganz besondere Kreation in dieser Bäckerei war eine Schokoladentorte in Form der Titanic, doch um die Essen zu können, hätte man vorher 40 $ hinblättern müssen. Beinahe genauso viel, wie für ein Fahrkartenpreis der dritte Klasse an Bord der Titanic. Appetiterregt gönnten Jeanette und ich uns ein paar Minztörtchen und genossen sie in einer vor den Läden liegende kleine Galley, die mit kleinen Tischen und dazugehörigen Polsterstühlen ausgestattet war. Anschließend begaben wir uns wieder in die erste Klasse zurück und als wir auf dem C-Deck an der achteren Treppe ankamen, entdeckten wir einen Souvinier- und zugleich auch Frisieursalon, welcher sich Barber´s Shop nannte. ,,Dieses Schiff gleicht ja beinahe einer Stadt.“, sagte Jeanette verwundert und als wir auch hier mal einen Blick hinein wagten, hieß uns der Verkaüfer in dem Laden willkommen. Sehr erfreut darüber sahen Jeanette und ich uns ein wenig in dem Souvenirladen um und auch wenn er von der Größe her eher einem Standardladen in einem der Pariser Boulevards glich, so gab es doch eine ganze Menge an Kleinigkeiten wie Postkarten, Tassen, Geschirr, Haarbürsten, Handspiegel, Spielsachen, Kosmetik, Brillen, Krawatten, Schuhe, Vasen, Tischdecken, Klamotten und sogar Schmuck zur Auswahl. Vor den Eingang des Shops war ein Tisch aufgebaut, auf dem ein paar Plastikpuppenköpfe mit aufgesetzten Damenhüten ausgestellt wurden und Jeanette sie sich ein wenig genauer ansah, bis sie ihren eigenen abnahm, sich einen der neuen aufsetzte und sich damit in dem aufgestellten Spiegel betrachtete. ,,Der hier ist wirklich sehr hübsch.“, meinte sie dabei und als sie darauf wieder ihren eigenen Hut aufsetzte, sah ich mir die neuen Hütte auch mal genauer an und setzte anschließend den auf, den Jeanette sich vorhin ausgesucht hatte, worauf Jeanette sich kichernd die Hand vor dem Mund hielt und zu mir meinte: ,,Der steht dir wirklich ausgezeichnet.“ Darauf ich Spaß tonend: ,,Findest du? Dann sollte ich ihn mir vielleicht kaufen, ich besitze nämlich gar keinen Hut.“ Jeanette lachte erneut und meinte: ,,Er kostet 15Pfund, also wenn er dir das Wert ist.“ Ich setzte den Hut wieder ab und fragte sie: ,,Möchtest du dir ihn nicht kaufen? Du sagtest doch, du findest ihn hübsch?“ Skeptisch sah Jeanette dem Hut nach und meinte: ,,Ich würde ja gerne, aber mein Vater sagt mir immer, ich würde viel zu viel Geld für all meine Sachen ausgeben.
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Und dieses mal habe ich, was das angeht, nun irgendwie auch ein schlechtes Gewissen.“ Ich nahm es nickend zur Kenntnis und meinte darauf zu ihr: ,,Na ja, und wenn schon. Du hast doch sowieso schon einen sehr hübschen Hut.“ Jeanette lächelte mich geschmeichelt an und als wir darauf eienen Stockwerk höher gingen, beschlossen wir, im Restaurant a la Carte auf dem B-Deck hinter der achter Treppe direkt neben dem Cafe Parisian, welches mit runden Tischen und gepolsterten Stühlen einem französischem Restaurant nachempfunden war und den Passagieren erlesene Speisen aus Frankreich servierte, zu Mittag zu essen. Während wir dort ein vorzügliches Mittagessen genossen und Jeanette ihr Gesicht dabei auf ihren Teller senkte, sah ich sie eine ganze Weile unauffällig an und dachte darüber nach, was für ein wunderschönes und überaus freundliches Wesen Jeanette doch war. Wenn ich an die Mädchen aus meinem Internat dachte, fiel mir keines ein, welches mit ihr zu vergleichen war. Sie schien wirklich ein wahrer Engel auf Erden zu sein und je länger ich darüber nachdachte, desto eher war ich im Begriff, ihr meine Ehrlichkeit zu offenbaren. Doch als ich kurz davor war, den Mund zu öffnen, sah sie mich an und fragte: ,,Du bist so still! Ist alles in Ordnung?“ Nun schwand alles, was ich mir in dem Moment alles in den Kopf gesetzt hatte und antwortete, ohne darüber nachgedacht zu haben, was ich da faseln würde: ,,Mir geht es gut, danke. Ich dachte nur gerade daran, wie du wohl so als Kind warst.“ Sie sah mich verständnislos an und fragte: ,,Wie kommst du denn darauf?“ Ich begann nervös zu werden und verzog das Gesicht, worauf ich dann albern sagte: ,,Weiß ich auch nicht.“ Sie schüttelte leicht kichernd den Kopf und meinte: ,,Du bist vielleicht verrückt.“, worauf sie sich dann wieder ans Essen wandte und ich in Gedanken versunken zu ihr sagte: ,,Ja, das bin ich wohl wirklich.“

Nachdem Essen gingen wir die achtere Treppe hoch zum A-Deck, über dem sich auch eine große Glaskuppel befand und tagsüber das Licht durchfiel, und liefen auf dem Promenadendeck nach achtern zum hinteren Mast, wo wir uns dann auf eine Bank setzten und stillschweigend das sonnige Wetter genossen.
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Dabei wagte ich wieder unauffällig einen Blick rüber zu Jeanette, die ihren Hut abgenommen hatte und ihr Gesicht mit geschlossen Augen zur Sonne hin hielt. Die feinen Brisen, die sich in diesen windgeschützten Bereich hindurchzwingen konnten, ließen ein paar Strähnen ihrer glänzenden Haare hin und her wehen und Jeanette schien dies sehr zu genießen. Ich wusste nicht, was ihr gerade so durch den Kopf ging, aber ich überlegte mir erneut, ob ich ihr jetzt, wo sie so entspannt neben mir saß, wir uns nun schon so gut miteinander verstanden und so wunderbar miteinander redeten, meine Liebe gestehen sollte. Ich sah ihre zarten Hände übereinanderliegend auf ihrem Bauch ruhen und war schon im Begriff, einer dieser Hände zu nehmen und ihr mein Geständnis zu offenbaren, als aber dann das Sonnenlicht plötzlich schwächer wurde und Jeanette ihre Augen wieder öffnete. Ich zog meine Hand rasch wieder zurück und sah nach oben, um die Ursache für diese plötzliche Blässe herauszufinden und stellte fest, dass sich der Wind gedreht hatte und der Rauch aus den Schornsteinen nun direkt über uns an dem 50m hohen Mast, an dessen Spitze die rote White Star Line Fahne wehte, entlang quoll und das Sonnenlicht verblassen ließ. ,,So was.“, gab Jeanette ihrer Verwunderung zum Ausdruck und setzte ihren Hut wieder auf. Leicht verärgert darüber, dass ich die Chance nun nicht genutzt hatte, bot ich ihr an, uns woanders hinzusetzen, um die Sonne weiterhin genießen zu können, worauf sie sich über die Hände strich und meinte: ,,Ach nein, ich finde es gerade sehr schön hier mit dir zu sitzen.“ Das hatte sie tatsächlich ernst gemeint und ich sah darin eine weitere Chance. Doch kaum als ich den Mund aufmachen wollte, erklangen vom Achterdeck aus plötzlich vergnügte Kinderschreie, als ein paar Kinder aus der dritten Klasse mitten in einem Fußballspiel auf dem tiefer gelegenem Wellendeck waren. Trotz, dass ich schon wieder die Chance verpatzte, so verblüffte es mich doch sehr, wie Jeanette den Kinder beim Spielen zusah. Was Kinder anging, schien Jeanette überhaupt wohl sehr zu beeindrucken und es wirkte so, als könne sie es kaum erwarten, irgendwann selbst ihre Eigenen zu haben. Auch ich konnte zweifellos von mir behaupten, dass auch ich von den kleinen niedlichen Wesen immer sehr gerührt war, da sie mit soviel Neugier und grenzenloser Freude die Welt entdecken und mich immer an die Zeiten erinnern, in der ich noch ein kleines Kind war.
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Jeanette und ich sahen den Jungs auf dem Deck eine Weile beim Fußballspielen zu und ich fand es recht amüsant, wie wild sie mit dem kleinen Ball aufeinander losgingen und es einer von ihnen dann tatsächlich geschafft hatte, den Ball über die Reling zu kicken. Entsetzt liefen sie hinterher und versuchten, ihn noch zu erwischen, aber es war bereits zu spät. Sie blieben an der Reling stehen und sahen wohl noch zu, wie ihr Ball gerade ins Wasser plumpste und in dem von den Schrauben aufgewirbelten Wasser verschwand. Zuerst waren sie sicherlich sehr darüber frustriert, aber nach einer Weile schienen sie es verdrängt zu haben und rannten jetzt plötzlich alle zu den Bordkränen, die sie dann hinauf kletterten und ihnen wohl mehr Freude bereitete, als das Fußballspiel. Schön war es mal lachende Kinder zu sehen, da es in dieser Zeit so selten war. Ich hoffte, dass diese Kinder in New York ein besseres und zufriedeneres Leben haben werden. Immerhin haben sie ja schon das große Vergnügen, auf dem größten Schiff der Welt in eine neue und sichere Zukunft zu fahren.

Ihre Hände und Klamotten waren von dem öligen Seil der Kräne ganz schön verschmiert worden. Für die Kleidung gab es zwar eine Reinigung an Bord, aber ihre Hände mussten sie schon selber schrubben, was wohl sehr mühselig gewesen sein muss, bis sie einigermaßen wieder sauber waren. Als die Kinder das Wellendeck verließen, um wahrscheinlich zu ihren Kabinen zu gehen, versuchten sie sich das Öl noch an den Hosen abzuwischen, aber das half so gut wie gar nichts. Stattdessen wurden ihre Hosen jetzt noch schmutziger und darüber konnten Jeanette und ich uns gut amüsieren. ,,Die klettern jetzt bestimmt nicht mehr auf die Kräne.“ meinte sie, worauf ich ihr zustimmte: ,,Garantiert nicht.“ und anschließend auf meine Taschenuhr schaute, 14:30. ,,Was meinst du, laufen wir ein paar Runden auf dem Deck?“ fragte ich, worauf sie dies mit einem Nicken bejahte und wir beide darauf einen Spaziergang auf dem Promenadendeck führten. Während wir dabei so die ersten Schritte auf der Backbordpromenade machten, fragte mich Jeanette: ,,Wie lange ist denn dein Vater eigentlich schon mit den Flugzeugen beschäftigt?“, und ich antwortete: ,,Seit gut zwei Jahren.
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“, worauf Jeanette fragte: ,,Und was hatte er davor gemacht?“ ,,Davor war er im Immobilengeschäft tätig.“ ,,Immobilien?“, fragte Jeanette erstaunt nach und ergänzte: ,,Wow, weshalb ist er denn nicht dabei geblieben?“ darauf ich: ,,Nun ja, sein spezielles Gebiet war eben der Verkauf von Häusern, doch die hielten irgendwie nur ein paar Jahre stand und auch die Grundstücke, auf denen die Häuser sich befanden, waren nicht gerade bewundernswert. Eines Tages begegnete er bei seinem Verkauf einem Makler aus der Flugindustrie in Bristol und offensichtlich hatte mein Vater bei ihm so einen guten Eindruck hinterlassen, dass er ihn für die Flugzeugbranche vorschlug und das hatte mein Vater dann auch mit viel Ehrgeiz und Fleiß angenommen. Er hatte sich bis zum Flugingenieur hochgearbeitet und ist deshalb jetzt auch in Lakehurst tätig. Dort verdient er nun beinahe das dreifache an dem, was er im Immobiliengeschäft bekam.“ Jeanette fing an zu grinsen und meinte: ,,Ein großer Vorteil für dich, was deine Reise auf deinem Lieblingsschiff angeht.“ Ich schmunzelte zurück, worauf wir beide einen Moment lang schweigsam nebeneinander liefen und Jeanette dann sagte: ,,Bristol sagst du? Da war mein Vater auch eine zeitlang tätig, als er sich mal kurzer Zeit mit Flugzeugen beschäftigte. Als ich dreizehn Jahre alt war, nahm mich mein Vater ein einziges mal mit nach Bristol und hat mir dort alles gezeigt. Ich durfte mich sogar mal in ein Flugzeug reinsetzen, fühlte mich dabei allerdings ein wenig eingeengt.“ Darauf ich lachend: ,,Ja, bequem sind die Cockpits von solchen Flugzeugen nicht gerade.“, und Jeanette ergänzte: ,,Noch dazu ist es sicher ziemlich kalt, wenn man darin so offen in einigen tausend Metern durch die Luft fliegt.“ Ich blickte nachdenklich auf und sagte dann etwas Spaß tonend: ,,Dann wird es wohl Zeit, dass ich Flugzeuge mit Cockpits entwickele, die größer, komfortabler und vor allem wärmer sind.“ Jeanette lächelte leicht und meinte: ,,Davon bin ich überzeugt, dass du das tun wirst.“ Wieder liefen wir eine zeitlang schweigend nebeneinander die Promenade nach vorne und als wir an den vorderen offenen Fenster der langen Fensterreihe ankamen, blickte Jeanette über die Reling nach unten und meinte: ,,Es ist ja schon wirklich unglaublich, dass so ein riesiges Schiff überhaupt schwimmfähig ist.
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“ Ich entgegnete: ,,Der Fortschritt ist eben unaufhaltsam!“, worauf Jeanette tief frische Seeluft einatmete und anschließend hocherfreut meinte: ,,Es ist so fantastisch, hier auf dem Schiff zu sein. Ich würde am liebsten gar nicht erst wieder von Bord gehen.“ ,,Mir geht es genauso.“ Jeanette drehte sich zu mir und meinte grinsend: ,,Verstecken wir uns doch, wenn wir in New York anlegen, damit wir etwas länger an Bord sein können, was meinst du?“ darauf ich: ,,Nun ja, warum nicht? Es gibt hier genug zu Essen, genug zu Trinken, ausreichend viele Kabinen und jede Menge, um sich hier zu beschäftigen. Also von daher, verkriechen wir uns doch einfach in einem der Rettungsboote.“ Jeanette und ich fingen an zu lachen und als wir danach langsam wieder weitergehen wollten, fragte sie: ,,Apropos Trinken. Hättest du Appetit auf ein wenig Tee? Tea Time ist an Bord nämlich schon um 15:00uhr.“ Ich dachte nach und meinte: ,,Hm, Tee? Ja gern, warum nicht? Und wo?“, worauf Jeanette antwortete: ,,Folge mir.“

Wir gingen zur vorderen Haupttreppe und Jeanette führte mich runter zum Empfangsraum auf dem D-Deck. In diesem mit Palmenzweigen geschmückten Raum wurde während der Reise über am Nachmittag Tee und Kleingepäck serviert. Er befand sich um die Treppe herum auf dem D-Deck vor dem Speisesaal und war mit einem rötlich gelb gemusterten Teppich bedeckt, auf dem sich etliche Tische und Stühle aus Korbgeflecht für den Aufenthalt der Passagiere der ersten Klasse boten. Jeanette und ich genehmigten uns an einem Tisch nahe am Fenster eine Kanne Tee mit ein wenig Gepäck und als ich die Kappelle in der Ecke ein mir bekanntes Musikstück spielen hörte, sah ich Jeanette kurz an und fing danach an zu kichern, worauf Jeanette verwundert aufblickte und mich fragte, was es da so zu kichern gäbe und ich sagte ihr: ,,Nun ja, weißt du, das Stück, was die Kapelle gerade spielt, heißt: ,,Jeannie With The Light Brown Hair““. Etwas verwirrt sah Jeanette zu der Kappelle hin, bis sie mich dann fragte: ,,Ja und?“ und ich antwortete: ,,Na ja, dein Name ist doch ,,Jeanette“, fast wie ,,Jeannie“, und dein Haar ist auch beinahe hellbraun.“ Jetzt begriff Jeanette, was ich meinte und sah darauf erneut und leicht belächelt zur Kapelle hin, bis sie dann zu mir meinte: ,,Aha, also wenn du meinst, dass sich dieses Stück auf mich bezieht, dann fühl ich mich aber sehr geehrt.
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“ Ich grinste und nachdem ich einen Schluck von meinem Tee nahm, fragte ich sie: ,,Magst du Musik?“ und sie antwortete: ,,Natürlich, sehr sogar.“, worauf sie noch mal zur Kapelle hinschielte und ergänzte: ,,Allerdings muss ich sagen, dass ich vieles, was die Kapelle bis jetzt an Bord gespielt hat,...nun ja...etwas nervtötend finde. Außer dieses Stück hier. Das gefällt mir jetzt ganz gut.“ Kichernd blickte ich nun auch noch mal zur Kapelle hin und meinte: ,,Na ja, diese Stücke hier sind ja auch nicht wirklich mit den berühmten Musikwerken der großen Komponisten zu vergleichen.“ Darauf sie: ,,Ich war mal mit meinen Eltern auf einem Musikkonzert gewesen. Das Stück hieß....Moment, wie hieß es noch...hm....irgendwas mit dem Titel: Bilder.“ Ich fuhr fort: ,,Bilder einer Ausstellung von Modest Mussorgsky?“ Sie sah mich überrascht und zugleich erstaunt an, bis sie sagte: ,,Richtig, genau.“ und ich ergänzte: ,,Ein beinahe sechzigminütiges Klaviermusikwerk bestehend aus fünfzehn Stücken, darunter Das Große Tor von Kiew als Finale.“ Beeindruckt entgegnete sie: ,,Wow, du scheinst dich wohl sehr damit auszukennen.“ und ich meinte bescheiden: ,,Na ja, ich bin mit Musik groß geworden, daher kenne ich ein paar Musikstücke und deren Komponisten.“ Jeanette blickte leicht betrübt auf den Tisch und meinte: ,,Ich kenne mich da so gut wie gar nicht aus. Das ist eigentlich schade, denn Musik ist wirklich etwas, wovon jeder etwas verstehen sollte.“ Darauf ich grinsend: ,,Das hat dir deinen erstklassigen Abschluss doch nun nicht unbedingt beeinflusst, oder?“ Sie blickte zuerst überrascht zu mir auf und sah dann geschmeichelt wieder auf den Tisch, bis ich sagte: ,,Was Unbildung angeht, müsste ich mich eher schämen, denn mein Abschluss war wirklich nicht gerade verblüffend.“ Jeanette blickte wieder zu mir auf und entgegnete: ,,Wer sagt denn, dass du ungebildet bist? Ich halte das absolute Gegenteil von dir.“ Nun war ich recht geschmeichelt und Jeanette ergänzte: ,,Ob man einen Schulabschluss nun sehr gut oder eher bedürftig bestanden hat, spielt doch nun wirklich keine große Rolle. Bestanden ist bestanden und das ist es, was zählt. Oder etwa nicht?!“ Ich erinnerte mich, wie Onkel Frank dasselbe zu mir in Southampton sagte und während ich mir das durch Kopf gehen ließ, meinte Jeanette: ,,Aber was meine Unwissenheit zur Musik angeht, könntest du mir vielleicht doch helfen, sie ein wenig aufzubessern.
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“ Ich zuckte mit den Achseln und meinte: ,,Aber gerne doch. Was möchtest du wissen?“ Sie schaute nachdenklich noch mal zur der Kapelle, bis sie sagte: ,,Du könntest mir vielleicht etwas mehr über die ,,Bilder einer Ausstellung“ erzählen.“ worauf ich entgegnete: ,,Das kann ich ganz gewiss tun.“ Ich setzte mich etwas aufrechter hin und begann zu erzählen: ,,Also, eigentlich sind die fünfzehn Stücke reine Klavierwerke, doch es gibt sie auch in Orchesterfassungen. Das erste Stück: Die Promenade, beschreibt mit einer klangvollen Trompete und begleitenden Hörnern, und später noch mit anderen Instrumenten, den Eintritt in die gewaltigen Museumskorridore, in denen die Bilder ausgestellt sind. Glanzvolle und fein polierte Holzplankettböden, lange runde Säulen, riesige Wände mit jede Menge Schnitzereien verziert, gewölbte Decken mit strahlenden Kronleuchtern, große weite Bogenfenster, durch die tagsüber das Licht hinein scheint, und schließlich die großen Bilder, die sich mit Gold gemusterten Rahmen an den Wänden in vielen bunten Farben erstrecken. Das erste Bild, und das ist bereits das zweite Stück, zeigt einen Gnomus. Die Musik dazu beschreibt mit ruckartigen Violine-, Cello- und Tubenlauten die schnellen hektischen Bewegungen des seltsamen Wesens. Man hört förmlich seine flinken Schritte, die er mit seinen großen, platten und dreckigen Füßen macht. Durch seine krummen Beine und seinem kleinen dicken Bauch ist er nicht besonders groß. Seine langen Arme und verkrümmten Hände schleift er während des Laufens hinter sich her und sein runder Kopf, auf dem die Ohren spitz verlaufend nach oben stehen, ein langer Zinken aus seinem Gesicht nach vorne zeigt und zwei krumme Zähnchen aus seinem Mundwinkeln nach unten ragen, lässt ihn zu dem hässlichstem Ungetüm machen, den die Menschheit je gesehen hat. Er versucht sich, unter das Menschenvolk zu mischen, doch er wird wegen seines Äußerem immer wieder ignoriert und verabscheut. Manchmal wird er von einigen sogar gewalttätig mit Peitschen oder Knüppel abgewiesen. Doch er selber spürt kaum Schmerzen, nicht mal gefühlsmäßig.
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Er weiß nur, dass er unter den Menschen nicht willkommen ist und macht sich deshalb mit schnellen Schritten aus dem Dorf zurück in die Berge zu seinen Artgenossen. Das dritte Stück ist wieder eine Promenade, allerdings beschreibt die Melodie dieses mal nicht den Raum mit klangvollen Trompeten und Hörnern, sondern mit einem sanften Tubenlaut und hinzukommenden Flöten die Wiederkehr in die reale Welt, denn beim Anblick des entsetzlichen Gnomus auf dem ersten Bild ist der Betrachter so sehr erschreckt worden, dass er sich in dem nächsten Korridor einen Moment für sich gönnt und dabei aus einem der großen Bogenfenster zwitschernde Vögel draußen auf der Fensterbank betrachtet. Dies gibt ihm das sichere und beruhigende Gefühl, in der Wirklichkeit zu sein und nicht auf irgendeiner Weise so einem Ungeheuer wie dem Gnomus zu begegnen. Im nächsten Bild ist ein altes Schloss zu sehen. Es ist verlassen und an vielen Stellen zerstört. Unkraut, Moor sowie andere grüne Pflanzen haben die riesigen Gemäuer des Schlosses umschlungen und lassen die einst so glorreiche Pracht des Gebäudes vollkommen verschwinden. Dunkle Wolken ziehen über das Land und lassen die gesamte Umgebung düster und kalt erscheinen. Dazu interpretieren tiefe Molltöne musikalisch den bedauerlichen Verlust einer glanzvollen Ära. Dies macht den Betrachter erneut nachdenklich und während er in den nächsten Raum stolziert, denkt er ununterbrochen an diese traurige Erscheinung, die das Bild eben dargestellt hatte. Doch kaum, als er den nächsten und größeren Saal mit weiteren Bildwerken betreten hat, bringt ihn seine hocheindrucksvolle Erscheinung wieder auf andere Gedanken. Hierzu erklingt wieder das Stück Promenade in einer 38sekunden langen Melodie aus Trompeten, Hörnern und Streichinstrumenten. Im dem nächsten Bild sieht man noch mal das alte Schloss, diesmal allerdings im Hintergrund, denn worum es hier jetzt geht, spielt sich im dicht zugewachsenem Garten des Schlosses ab. Trotz der dicht aneinander liegenden wilden Pflanzen ist mittendrin eine bunte Atmosphäre zu erkennen. Es handelt sich dabei um Kinder, die in dem berühmten Park Tuilerien von Paris spielen. Eine Oboe und dazukommende Querflöten schildern die grenzenlose Fröhlichkeit, das viele Gelächter, den unzähligen Spaß und die vielen lustigen Spiele, die die Kinder in dieser dusteren Gegend führen und sich durch nichts, aber auch absolut gar nichts ablenken lassen.
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Das nächste Bild allerdings zeigt genau das Gegenteil. Zu sehen ist ein alter Karren mit schweren Waren beladen, der von einem Ochsen und mit Hilfe von Bauern nur mit aller größte Mühe bei Regen durch die schlammigen Felder gezogen wird. Das Stück dazu trägt den Namen Bydlo und stellt mit tiefen Horn und Tubenlauten die mühselige Arbeit der Bauern und des Ochsen dar. Der Regen wird immer schlimmer und der Boden immer weicher. Die Ware auf dem Wagen wird völlig durchnässt und ruiniert. Das Tier so wie die Bauer sickern mit jedem Schritt bis zu den Knien in den Schlamm hinein. Als dann schließlich auch der Karren im Schlamm einsickert und nicht mehr fortzukriegen ist, koppeln die Bauern den Ochsen ab und packen einen Teil der Ware auf seinem Rücken. Den Rest nehmen die Bauern auf ihre Schultern und gehen dann gemeinsam mit dem Ochsen zu Fuß weiter, bis sie nach einem langen anstrengenden Fußmarsch dann endlich und mit großer Erleichterung an ihrem Ziel ankommen. Nun erfolgt wieder ein Promenade Stück, diesmal allerdings in einem traurigem Klang, denn der Betrachter lässt sich auf dem Weg zum nächsten Bild noch mal diese schwere und mühselige Arbeit, die die Bauern und der Ochse eben zu verrichten hatten, durch den Kopf gehen und ist betrübt darüber, wie hart es auf dieser Welt zugehen kann. Schon bald aber wird seine Betrübnis aufgehoben, als er sich das Bild der Tanzenden Kückeneier ansieht.“ Jeanette fing an zu lachen und fragte nach: ,,Tanzende Kückeneier?“, worauf ich fortfuhr: ,,Ja, ganz recht. Das Bild ist einem russischem Kindertheater mit dem Titel: ,,Trilby“ gewidmet, indem eine tanzende Eierschale die Bühne bezwingt. Das Bild zeigt ein Kind, das sozusagen in einer Eierschale bekleidet ist und fröhlich darin hin und her tanzt.“ Jeanette blickte unverständlich drein und fragte: ,,Und warum heißt es dann Tanzende Kückeneier? Um Kücken scheint hierbei doch gar nicht zu gehen.“ Ich antwortete: ,,Auf dem Bild nicht, das ist richtig....“, worauf ich meine Tasse leer trank, sie mit einer Servierte säuberlich trocknete und anschließend ergänzte: ,,...aber in der Musik schon.“ Ich drehte die Tasse um und summte die Melodie nach, wobei ich mit der Tasse tanzende Bewegungen darstellte und Jeanette sich vor Lachen die Hände vor dem Mund hielt.
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Sie verstand sofort, dass ich mit der Tasse nun ein tanzendes Kückenei darstellte und ich merkte, wie einige in der Nähe sitzende Passagiere mich dabei leicht empört ansahen. Ich lies mich davon aber nicht beeinflussen. Ich ließ die Tasse weiterhin tanzen und stellte anschließend mit zwei Fingern noch den Kopf des geschlüpften Kückens dar, was Jeanettes Lachen zusätzlich noch verstärkte, bis ich die Tasse schließlich wieder auf die Untertasse setzte und mir einen neuen Tee einschenkte. ,,Nun gut,“ sagte ich dabei: ,,es geht ja noch weiter. Das nächste Stück beschreibt zwei Bilder, nämlich die Porträts von zwei polnischen Juden mit den Namen Samuel Goldenberg und Schmuyle. Mit kräftigen und dramatischen Streichinstrumentlauten beschreibt die Melodie den Reichtum und den grenzenlosen Ruhm des Herrn Goldenberg. Man spürt seine Gier und sein Streben nach Macht. Man wird förmlich Opfer eines herzlosen Charakters. Doch dann wird die Melodie leiser und wechselt über in einem rhythmischen Trompetenklang. Sie beschreibt zuerst das Auftreten des armen Schmyle, der in einer Gasse verkrochen auf dem Boden sitzt und vor sich hingrummelt. In seinem langen Leiden hat er es nun aufgegeben, auf Wunder zu warten und sehnt sich jetzt nur noch nach einem schnellen Ende. Doch dann kommt der Moment, wo der reiche Herr Goldenberg an ihm vorbeikommt. Er stellt sich aufrecht hin, streckt die Hand nach ihm und bittet um ein wenig Almosen, doch der herzenslose Herr Goldenberg würdigt ihn keines Blickes und lässt den armen Schmuyle zurück. Dies beschreibt die Melodie mit einem plötzlichem und recht unerwartendem Ende. Das nächste Bild zeigt den Marktplatz von Limogos, einem Ortsteil von Paris. Hierzu wird die Melodie nun von vielen unterschiedlichen Instrumenten mit schnellen Lauten gespielt. Sie beschreibt damit die alltägliche wilde Laufbahn auf dem Marktplatz. Streitende Marktweiber, Handlungen an den Verkaufsständen, dichtes Gedränge, umher rufende Verkäufer und über den Köpfen der Menschenmenge fliegende Fische, die von den Booten am Fluss aus zu den einzelnen Fischverkaufsständen geworfen werden. Dann tritt aus der wirr umherlaufenden Menschenmenge plötzlich ein einzelner Herr mit einem auffälligem Zylinder heraus und begibt sich alleine in eine abgesonderte Gasse.
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Bei diesem Herrn handelt es sich um Modest Mussorksky, dem Komponisten der Musikwerke, der sich in der Gasse mit einem Freund trifft, nämlich Viktor Hartmann, dem Maler der einzelnen Bilder, der mit einer brennenden Öllampe neben einer offenen Falltür in der Gasse auf ihn wartet. Nachdem sie sich schließlich begrüßen, steigen sie beide durch die Falltür in eine finstere und kalte Kammer ein. Nun werden aus den schnellen Musiklauten plötzlich ein heftiger Gongschlag und ein lang anhaltender Trompetenlaut, als Hartmann die Lampe in der Dunkelheit hochhält und die beiden Herren ein Regal mit unzähligen Totenköpfen erblicken.“ Jeanettes Augen weiteten sich und ich bemerkte, wie es ihr eine Gänsehaut machte. Ich fuhr fort: ,,Tiefe Töne von Hörnern und Tuben sowie schnelle heftige Paukenschläge beschreiben nun die unheimlichen Tiefen der Katakomben von Paris. Tausende von Totenköpfen starren mit ihren großen dunklen Augenhöhlen auf die beiden allein umherwandernden Herren mit ihrer leuchtenden Öllampe, doch das scheint Mussorksky und Hartmann nicht im geringsten zu stören. Völlig gelassen und ohne jede Angst sehen sich die beiden die vielen Totenköpfe in den Regalen an, bis sie schließlich genug davon haben und aus der dunklen Kammer wieder ans Tageslicht nach oben zurückkehren.“ Jeanette atmete tief ein und meinte darauf: ,,Puh, ganz schön erschreckend.“ Ich entgegnete darauf: ,,Genau darum geht es auch im nächsten Stück, nämlich wieder eine Promenade. Hier beschreibt die Melodie wieder die Betrübnis des Betrachters, denn nach Anschauung der unheimlichen Katakomben wird er das Gefühl nicht los, dass das nächste Bild vielleicht wieder so erschreckend sein könnte. Und genau so ist es auch, denn das nächste Bild ist das Haus der Baba Jaga.“ Jeanette blickte etwas unverständlich drein und fragte: ,,Das Haus der Baba Jaga?“, worauf ich antwortete: ,,Ganz genau. Baba Jaga ist eine böse Hexe, die die Russen sehr fürchten, da sie Menschen und besonders deren Knochen zum Fressen gern hat.“ Erneut weiteten sich Jeanettes Augen und ich fuhr fort: ,,Ihr Haus steht mit Hühnerbeinen auf einem Mörser. Schon in den ersten Akkorden des Stückes beschreibt die Melodie mit harten Paukschlägen und bösartigen Hornklängen die scharfen und stampfenden Klingen, die mit dem Haus durch den Wald marschieren und nach menschlichen Opfern suchen.
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Tatsächlich befinden sich in dem Moment drei nichtsanhnende Menschen in der Nähe, die nachdem Anblick des Ungetüms die Flucht ergreifen, aber nicht weit kommen, da das Haus der Baba Jaga mit seinen Hühnerbeinen von dem Mörser plötzlich abspringt und sich die hilflosen Menschen schnappt. Danach springt es mit seinen drei Opfer auf seinem Mörser zurück und es erfolgt ein totales Blutgemetzel.“ Jeanette schluckte beschwert und legte ihre Hand an die Brust, worauf sie dann meinte: ,,Das ist ja entsetzlich.“ Ich entgegnete grinsend: ,,Es geht ja noch weiter. Also, nachdem das Haus der Baba Jaga schließlich seine drei Opfer verspeist hat, begräbt es seinen Mörser und seine Hühnerbeine unter die Erde, wodurch es nun wie ein ganz gewöhnlich Haus aussieht und auf seine nächsten Opfer wartet. Kurz darauf kommt ein Herr auf einem Pferd vorbei geritten und erblickt das Haus. Zuerst denkt er nichts ungewöhnliches, doch auf irgend eine Art und Weise spürt er doch Gefahr und lässt das Haus beim Vorbeireiten vorsichtshalber nicht aus den Augen. Dann auf einmal gräbt sich das Haus mit seinem Mörser wieder aus dem Boden und stampft auf den Reiter zu. Der Herr spannt den Zügel des Pferdes und ergreift im Galopp die Flucht. Er springt mit ihm über gefallene Baumstämme, peitscht sich durch Äste und Zweige, galoppiert durch Bäche und hügelige Ebenen, während das Haus der Baba Jaga ohne Halt hinterher kommt und alle Hindernisse, die der Reiter mit dem Pferd elegant überwindet, einfach umwirft oder zerhackt. Für den Reiter gibt es so gut wie keine Möglichkeiten, dem Haus zu entkommen, doch dann aber erblickt der Reiter durch die Bäume hindurch die Rettung.“ Jeanette wurde ungeduldig und fragte: ,,Was? Was erblickt er?“ Ich antwortete: ,,Dies ist nun das letzte Bild und das absolute Finale der Musikwerke, nämlich Das Große Tor von Kiew. Der Reiter kommt aus dem Wald heraus und galoppiert schnurstracks durch dieses Tor. Das Haus der Baba Jaga aber wagt es nicht, ihn weiterhin zu verfolgen und zieht sich wieder zurück in den tiefen dunklen Wald, da es gegen die vielen Stadtbewohner hinter dem Tor keine Chance hat. In dem letzten Stück beschreibt die Melodie nun mit klangvollen Trompeten, begleitenden Glockenspielen, kräftigen Pauken- und Beckenschlägen und schließlich fröhlichen Streichinstrumentenlauten die hocheindrucksvolle Erscheinung des Tores, welches in einem altrussischen Stil gebaut ist und seine Kuppel einem slawischem Helm gleicht.
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Auf dem Bild kann man auch noch sehen, wie der Reiter durch dieses Tor schreitet und sich in Kiew vor dem unheimlichen Haus der Baba Jaga in Sicherheit bringt. Und damit endet dann auch das große Musikwerk aus Modest Mussorksky´s Bilder einer Ausstellung.“ Jeanette sah mich einen Moment lang ganz erstaunt an und fragte darauf: ,,Und das hast du jetzt alles auswendig gewusst?“, worauf ich antwortete: ,,Na ja, was heißt auswendig? Ich habe mir vieles beim Hören der Musik einfach nur zusammen fantasiert.“ Jeanette blickte verblüfft aus dem Fenster, bis sie mir wieder ins Gesicht sah und meinte: ,,Das ist ja erstaunlich. Ich muss sagen, ich bin wirklich sehr beeindruckt von deiner fantasievollen Kreativität.“ Ich sah geschmeichelt auf den Tisch, wobei ich Jeanettes leere Tasse bemerkte und ich sie fragte: ,,Darf ich dir noch ein wenig Tee einschenken?“ Sie lächelte erfreut auf und antworte: ,,Oh ja, sehr gerne.“



Schließlich brach nach ein paar weiteren Unterhaltungen der Zeitpunkt für das Abendessen an, als draußen auf dem Deck sowohl als auch drinnen im Treppenhaus ein Besatzungsmann auf einem Horn eine Art kleine Fanfare spielte und den Passagieren damit, wie jeden Abend an Bord, die Servierung des Dinners bekannt gab. Jeanette und ich machten uns auf den Weg zu unseren Kabinen, um uns für das Abendessen fertig zu machen und ich teilte Jeanette mit, dass ich sie und ihre Eltern in der Empfangshalle vor dem Speisesaal erwarten werde. Ich war gespannt darauf, wie hübsch sie sich für heute Abend machen würde, da ich Jeanette bis jetzt noch nie in einem Abendkleid gesehen hatte, und nachdem ich mir meinen Anzug anzog, die Haare ordentlich kämmte und mich frisch einparfümierte, ging ich um punkt 18uhr runter in die Empfangshalle und wartete an einer Holzsäule unmittelbar vor der Treppe auf Jeanette und ihre Eltern. Hier in diesem Raum nahmen einige Passagiere, die ebenfalls auf Angehörige warteten, schon ihre Aperitifs ein und führten mit ein paar anderen Passagieren, die sie wohl im Laufe des Tages kennen gelernt hatten, ein paar kleine Schnacks durch.
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In der Ecke ermunterte die Kapelle weiterhin mit fröhlichen Violine- und Klavierstücken ein wenig die Stimmung und kaum als ich mich ein wenig der Musik zuwandte, kamen Mr. und Mrs. Franklin in Abendgarderobe Arm an Arm gehakt die Treppe runter auf mich zugelaufen und begrüßten mich auf ihre freundliche Art und Weise, wobei ich Mrs. Franklin zu meiner Begrüßung zusätzlich noch einen Handkuss gab und sie es geschmeichelt aufnahm. Ich fragte sie anschließend, wo Jeanette abgeblieben war, da sie noch fehlte, und Mr. Franklin antwortete, sie würde gleich kommen, worauf Mrs. Franklin mich fragte, ob wir beide einen schönen Tag zusammen hatten und ich antwortete: ,,Oh ja, sehr sogar. Wir haben viel zusa....“ Auf einmal weiteten sich meine Augen und mein Mund klappte auf, als ich Jeanette langsam die oberen Stufen von der Treppe runter kommen sah. Sie trug ein weinrotes und glitzerndes Kleid, hatte freie Oberarme, roten Lippenstift und ihre wunderschönen seidenglatten Haare verschlangen sich hinter ihrem Nacken zu einem eleganten Knoten, an dem sie zusätzlich zu ihrer Halskette noch ein silbernes kleines Schmuckstück trug. An ihren Händen, von denen sie die rechte auf dem Geländer gleiten ließ und in der anderen eine kleine Tasche hielt, hatte sie weiße Handschuhe übergezogen und als sie an dem strahlenden Kerzenleuchter vorbei lief, schimmerte sein goldener Schein direkt in ihr lächelndes Gesicht und lies ihre unglaubliche Schönheit noch viel deutlicher zeigen. Als sie schließlich direkt vor mir stand und ich in ihre glänzenden Augen sah, schaffte ich es voller Verblüffung dann doch noch, ihr zu sagen: ,,Du....du siehst sehr schön aus.“ Zum ersten mal machte ich ihr endlich ein Kompliment und die Freude, die sie dafür mit ihrem zauberhaften Lächeln zeigte, ging mir sehr ans Herz und ich gab ihr darauf zur Begrüßung ebenfalls einen Handkuss, was sie anscheinend noch mehr erröten lies, da sie ihr Gesicht nun nach unten senkte und versuchte, es vor mir zu verstecken. Ich reichte ihr darauf meinen Arm und fragte mit verscherztem Ausdruck: ,,Gestatten Sie, Miss?“, worauf sie wieder aufblickte, sich an mich hakte und antwortete: ,,Sehr gern, der Herr.“ Als wir darauf auf ihre Eltern zu liefen, die ein paar Meter vor dem Speisesaaleingang im Gespräch mit einem Paar waren, rief ein Herr in Begleitung einer Dame von der Seite: ,,Guten Abend, Miss Franklin.
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Sie sehen ja wieder einmal bezaubernd aus.“ Jeanette drehte sich zu dem Herrn hin und entgegnete: ,,Vielen Dank, Sir. Gordon. Guten Abend, Mrs. Gordon.“ ,,Guten Abend, mein Kind.“, sagte die nette Dame neben dem Herrn zurück und ich hörte sie noch zu ihrem Gatten flüstern: ,,Schau sie dir an, ist sie nicht wunderschön?“, worauf ihr Gatte bestätigte: ,,Das ist sie, zweifellos.“ Jeanette schien das nicht gehört zu haben, da sie in dem Moment gerade auf ihre Eltern fixiert war und ich fragte sie: ,,Dich scheint ja jeder hier an Bord schon zu kennen, oder?“ Sie schüttelte grinsend den Kopf und meinte: ,,Nein, nein. Die Gordons und meine Eltern hatten gestern in der Bibliothek ein ausführliches Gespräch gehabt. Mrs. Gordon ist auch Modedesignerin, genau wie meine Mutter“ ,,Oh.“, gab ich verwundert zum Ausdruck und als Mrs. Franklin uns erblickte, meinte sie: ,,Ich glaube, ich habe noch kein schöneres Paar gesehen, als euch zwei. Davon würde ich jetzt am liebsten ein Foto machen lassen.“ Jeanette lief ein wenig purpurrot an und sagte in einer warnenden Tonart: ,,Mama, bitte!“ Mrs. Franklin ignorierte ihre Worte und begrüßte Jeanette mit einer liebevollen Umarmung, worauf Jeanettes Vater ihr dann zur Begrüßung auch einen Handkuss gab und ihr sagte, wie schön sie heute Abend aussah. Schließlich gingen wir, wie die anderen Passagiere auch, alle gemeinsam in den Speisesaal und begaben uns zu dem Tisch der Franklins. Als wir uns setzten und der Steward mit den Speisekarten ankam, gaben wir alle unsere Bestellung auf und begannen anschließend über den heutigen Tag an Bord zu sprechen. Jeanettes Eltern hatten den Kapitän der Titanic getroffen und sich kurz mit ihm unterhalten. Sein Name war Edward James Smith und er erzählte ihnen, dass er auch auf der Jungfernfahrt der Olympic diente und die Titanic nun die letzte Fahrt vor seiner Pension sei. Ich machte mir Gedanken darüber, wie ein Kapitän, der das Kommando über so ein gigantisches Schiff wie die Titanic hatte, wohl aussehen mochte. Zugleich schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass, wenn Kapitän Smith auf der Olympic diente, er ja auch für den Unfall mit der Hawke von 1911 verantwortlich war. Ein Jahr später auf der Titanic geschah nun der beinahe Unfall mit der New York in Southampton, für das er auch verantwortlich war, wobei die Titanic allerdings verschont blieb.
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Die Franklins sprachen ihn, nachdem ich ihnen davon ja heute Morgen beim Frühstück im Veranda Cafe erzählte hatte, auf diesen Vorfall an und er meinte, dass er versucht habe, die Titanic mit eigener Kraft aus dem Hafen zu bringen, da die Schlepper nur mühselig mit ihr vorankamen, wobei er allerdings die Größe der Titanic unterschätzte und nicht damit rechnete, dass er andere Schiffe gefährden würde. Oh Mann, dachte ich mir. Hoffentlich brachte Kapitän Smith es jetzt nicht noch fertig, die Titanic in den nächsten Tagen richtig zu beschädigen. Na ja und wenn schon, das würde ihr ja sowieso nichts ausmachen, denn schließlich galt die Titanic nicht umsonst als unsinkbar und außerdem war Kapitän Smith sicher der erfahrenste Seemann der sieben Weltmeere, denn sonst wäre seine letzte Fahrt bestimmt nicht das Kommando über die Jungfernfahrt der Titanic gewesen.

Nach dem Essen erzählte Jeanette ihren Eltern, wie viel ich ihr über Musik erzählt hatte und für die beiden war es das erste mal, dass sie einem Jungen begegneten, der klassische Musik mochte und ich konnte sie mit dem Stück überzeugen, welches die Kapelle gerade in der Mitte des Speisesaals spielte. Es waren ,,Die Ungarischen Tänze“ von Johannes Brahms. Die Kapelle spielte übrigens nicht nur solche Stücke, sondern auch viel Ragtime und Blues, was zu der Zeit sehr angesagt war, mich aber ehrlich gesagt nicht so sonderlich begeisterte. Mrs. Franklin sah grinsend zu der Kapelle hin und meinte anschließend zu ihrem Gatten: ,,Wirklich schade, dass es hier keine Tanzfläche gibt. Wir haben lange nicht mehr getanzt.“ Mr. Franklin legte seinen Arm um seine Frau und drückte sie liebevoll an sich, bis er sagte: ,,Ja, das haben wir wirklich lange nicht mehr getan.“ Ich wurde nervös und rechnete nun damit, dass mich die Franklins fragen würden, ob ich auch gerne tanzte und die korrekte Antwort darauf wäre mir gegenüber Jeanette ziemlich unangenehm gewesen, da sie mit Sicherheit auch einer der Mädchen war, die Freude an so etwas hatten. Seltsamerweise sind die Franklins und auch Jeanette nicht weiter darauf eingegangen, als Mrs. Franklin nämlich meinte, dass wir den Speisesaal für den heutigen Abend wohl wieder verlassen konnten, und als wir uns zur Treppe begaben, entschieden sich Mr.
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und Mrs. Franklin, im Gesellschaftsraum noch einen Drink zu nehmen, während Jeanette und ich beschlossen, noch ein wenig auf dem Deck spazieren zu gehen. Bevor wir uns aber dort hin begaben, zogen wir uns beide noch unsere Mäntel über und machten uns dann gemeinsam die Treppe rauf zum Bootsdeck.

Die Nacht war diesmal etwas frischer, aber dies war für uns nun kein Grund, wieder reinzugehen, denn der Sternenhimmel war schön zu beobachten und wir liefen die ersten paar Meter nur mit Blick nach oben. Allerdings sagten wir dabei kaum ein Wort und das machte mich erneut wieder nervös. Meine Gedanken drehten sich immer noch um die Worte der Franklins, als es ums Tanzen ging und ich wurde das Gefühl nicht los, dass Jeanette mich nicht doch noch jeden Moment darauf ansprechen würde, bis ich schließlich selber das Wort ergriff und sie fragte: ,,Sind deine Eltern leidenschaftliche Tänzer?“ ,,Oh ja“, antwortete sie darauf: ,,das sind sie. Du müsstest die beiden mal sehen, sie sind wirklich ein wunderbares Tanzpaar.“ Ich nahm es wenig interessiert mit einem Nicken zur Kenntnis, bis Jeanette dann leicht verträumt fortfuhr: ,,Ich finde, dass Tanzen überhaupt etwas Wunderschönes ist. Ich kann einfach nicht verstehen, dass es Leute gibt, die genau das Gegenteil finden. Sie wissen gar nicht, was sie sich dadurch entgehen lassen.“ Mein Herz fing vor Nervosität an zu klopfen und um nun keinen falschen Eindruck bei Jeanette zu hinterlassen, sagte ich schnell: ,,Das kann ich mir denken. Es ist sicher ein einzigartiges Erlebnis, ich meine, wenn es deine Eltern so mit Begeisterung tun.“ Jeanette lächelte erfreut auf und stellte mir dann schließlich doch noch die für mich erschreckende Frage: ,,Tanzt du auch sehr gerne?“ Leicht entsetzt sah ich sie an, bis ich dann verunsichert antwortete: ,,Na ja, ich....ich habe es ehrlich gesagt noch nie gemacht.“ Jeanette schmunzelte und fragte mich anschließend etwas, womit ich in diesem Moment niemals gerechnet hatte: ,,Soll ich es dir beibringen?“ Verdutzt blieb ich stehen und sah in ihr strahlend zart lächelndes Gesicht und obwohl ich es mein ganzes Leben lang ablehnte oder mich nie dafür interessiert hatte, zu tanzen, antwortete ich völlig ungewollt, um sie schließlich nicht zu enttäuschen: ,,Einverstanden. Nur wo?“ Jeanette zeigte um sich auf den Boden und meinte: ,,Hier oben ist ausreichend Platz.
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“ Ich warf einen flüchtigen Blick über das Deck backbord liegend nahe am dritten Schornstein, auf dem wir uns gerade befanden und sagte nach einem Achselzucken: ,,Gut, wenn du meinst. Was tanzen wir denn?“ darauf Jeanette: ,,Erstmal müssen wir die Tanzhaltung einnehmen.“ Jeanette ging ein Schritt näher auf mich zu und nahm meine rechte Hand, worauf sie sagte: ,,Deine rechte Hand legst du unter meinem linken Arm an meinen Rücken, während ich meine linke Hand auf deine rechte Schulter lege.“ Recht überrascht darüber, wie nah sie plötzlich vor mir stand und mich auch noch berührte, brachte ich es gar nicht zustande, dies nun zu befolgen, was Jeanette wohl recht amüsant fand und lachend meinte: ,,Leg deine Hand ruhig auf meinen Rücken, ich beiße dich schon nicht.“ Ich tat wie mir geheißen, worauf Jeanette meine Hand an ihrem Rücken dann etwas weiter nach oben schob und dabei sagte: ,,Ein klein wenig höher noch, und dann komm etwas näher zu mir. Genau so.“ Jetzt stand ich so nahe vor Jeanette, dass ich tief in ihre wunderschönen Augen sehen und an ihren zarten Lippen sogar noch einen kleinen Rest von ihrem Lippenstift erkennen konnte, den sie sich nach dem Dinner wieder abgewischt hatte, und wieder stieg in mir dieses einzigartige warme Gefühl, welches alles um mich herum in Vergessenheit geraten lies und ich mich wirklich nur noch auf diesen einzigen Moment zu konzentrieren versuchte. Dies war für mich doch nun wirklich die einmalige Gelegenheit, Jeanette zu sagen, was ich für sie empfand, doch als ich gerade dabei war, den Mund zu öffnen, hatte Jeanette mit ihrer anderen Hand auf einmal meine freie linke Hand genommen und auf ihre Augenhöhe gehalten, worauf sie anschließend sagte: ,,So, oberhalb ist unsere Stellung nun komplett, jetzt müssen wir nur noch unsere Füße richtig positionieren.“ Ich schaute nach unten und Jeanette fuhr fort: ,,Wir müssen uns so gegenüberstehen, dass unser rechter Fuß zwischen den Füßen des Partners gegenüber liegt.“ Wir stellten uns so hin, wie Jeanette es gesagt hatte und als wir die Tanzstellung nun schließlich ganz komplett hatten, fragte ich Jeanette: ,,Und was tanzen wir nun?“, worauf sie fest entschlossen antwortete: ,,Für den Anfang ist es immer am besten angebracht, einen langsamen Walzer zu tanzen.
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Du als Herr fängst mit dem rechten Fuß an und machst einen Schritt nach vorne, während ich als Dame mit dem linken Fuß einen Schritt nach hinten mache. Dabei musst du aber auch unbedingt darauf achten, dass du zwischen meine Füße trittst, sonst könnte es für mich etwas schmerzlich enden.“ Dies war für uns beide ein kleiner Anlass zum Lachen und Jeanette ergänzte dann noch: ,,Also los.“ Immer noch ein wenig verlegen machte ich mit dem rechten Fuß einen Schritt nach vorne zwischen ihre Füße und Jeanette mit dem linken Fuß einen Schritt nach hinten, worauf Jeanette dann fort fuhr: ,,Sehr gut. Und jetzt machst du mit deinem linken Fuß einen Schritt zur Seite, was ich mit meinem rechten Fuß dann auch befolge.“ Auch das befolgte ich anscheinend fehlerlos, was ja auch nicht schwer war, und Jeanette erklärte weiter: ,,Perfekt. Und jetzt ziehst du deinen rechten Fuß seitwärts an deinen linken Fuß ran.“ Nachdem ich das tat und Jeanette das ebenfalls befolgte, fuhr sie fort: ,,So, und nun tanzen wir das gleiche wieder zurück, nur das du nun mit dem linken Fuß einmal nach hinten schrittst, dann mit dem rechten Fuß zur Seite und anschließend den linken Fuß seitlich ransetzt. Los geht’s.“ Als ich auch das fehlerlos meisterte, sah mich Jeanette erfreut an und meinte: ,,Großartig. Siehst du? So schwer ist es gar nicht.“ Verwundert kratzte ich mich am Hinterkopf und fragte anschließend: ,,Ist das alles?“, worauf Jeanette einmal nickte und antwortete: ,,Als Grundschritt ja!“ Ich lies mir den ganzen Tanz noch mal durch den Kopf gehen und sagte: ,,Ah, jetzt versteh ich. Ein Walzer besteht doch immer aus einen Dreivierteltakt, demnach ist jeder Schritt, den wir machen, also ein Taktschlag.“ Jeanette nickte und meinte: ,,Ganz genau, aber da es ein langsamer Walzer, ist es auch ein langsamer Dreivierteltakt: Eins...zwei, drei. Eins...zwei, drei.“ Erneut lies ich mir den Tanz noch mal langsam durch den Kopf gehen und fragte anschließend, was ich von selber nicht gedacht hätte: ,,Können wir den Tanz noch mal wiederholen?“ Jeanette lächelte erfreut auf und antwortete: ,,Aber natürlich, sehr gerne.“ Wir stellten uns wieder in Tanzstellung und fingen erneut an, den langsamen Walzer zu tanzen: Vor...seit, ran...vor...seit, ran. Dann erinnerte ich mich daran, wie die Schüler auf der Abschlussparty meines Internates in Portsmouth mit den Schülerinnen Drehungen tanzten und ich versuchte, dies nun auch mit Jeanette zu tun und ohne, dass sie es mir gezeigt hatte, habe ich es einwandfrei hinbekommen.
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Dann wechselte ich den Takt um auf einen schnelleren Walzer und tanzte mit Jeanette schwungvoll im Kreis herum und summte dabei sogar das Musik ,,An der schönen blauen Donau“ mit, da es sich bei diesem Stück um einen Wiener Walzer handelte und hierfür gerade geeignet war. ,,Hey“, meinte Jeanette dabei sehr verwundert: ,,du bist echt gut. Du führst sogar richtig deutlich.“ Dadurch, dass sie mir nun ein Kompliment machte und mich dabei auch noch anlächelte, war ich für einen Moment lang unkonzentriert und stieß mit meinem linken Schienbein gegen einen der Liegestühle, der sich darauf um beinahe 90° selbstständig machte. Es tat mir nicht wirklich weh, aber im selben Moment ging eine Taschenlampe an, als ein Offizier bei seinem Nachtrundgang auf dem Deck an uns vorbei gelaufen kam und fragte: ,,Ist Ihnen was passiert, Sir?“ Jeanette und ich gingen erschreckt aus der Tanzhaltung und ich antwortete: ,,Nein, Sir. Mir ist nichts passiert.“ Der Offizier knipste die Taschenlampe wieder aus und entgegnete: ,,Dann verzeihen Sie bitte die Störung.“ Als er darauf über das Sonnendeck rüber auf die andere Seite des Deck ging, sahen Jeanette und ich uns an und fingen furchtbar an zu lachen, wobei Jeanette sich die Hände vor die Augen hielt und ich sie fragte: ,,Glaubst du, er hat uns gesehen?“ Jeanette nahm darauf ihre Hände wieder vom Gesicht und antwortete: ,,Bestimmt hat er das.“ Nachdem wir uns darauf einen Moment nahmen und uns vom Lachen wieder eingekriegten, meinte ich zu Jeanette: ,,Das...das ist toll. Ich wusste gar nicht, dass Tanzen so viel Spaß machen kann.“ In Jeanettes Gesicht zeigte sich wieder ein erfreutes Lächeln und sie sagte darauf: ,,Freut mich, dass es dir gefällt. Es gibt nicht viele Menschen, die das so empfinden.“ Empfinden! Das schien für mich nun das perfekte Stichwort dafür zu sein, Jeanette nun endlich meine Empfindung für sie zu offenbaren und als ich näher auf sie zu ging und dabei ihre Hand nahm, sagte ich: ,,Jeanette, ich....“ Jeanette sah mich wegen meiner plötzlichen Handlungsweise vollkommen überrascht und recht verlegen an und wieder verlor ich den Mut, ihr die Wahrheit zu sagen.
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Mein Herz begann zu klopfen und Schweißperlen liefen mir die Stirn runter. Da es nun eine sehr unangenehme und zum Teil sehr seltsame Situation war, versuchte ich sie noch zu retten, indem ich jetzt ganz schnell fragte: ,,Sag doch mal ehrlich, wie bin ich so als Tanzanfänger?“ Zuerst immer noch recht verlegen, weil sie sicher mit was anderem in diesem Moment gerechnet hatte, begann sie zu grinsen und meinte: ,,Och, so im Großen und Ganzen recht zufrieden stellend.“ Ich sah sie mit gerunzeltzer Stirn an und fragte: ,,Zufrieden stellend?“ Jeanette deutete über meine Schulter nach hinten und fragte: ,,Hey, sind das dort nicht meine Eltern?“ Ich drehte mich um und konnte keine Menschenseele erkennen, wo Jeanette hingedeutet hatte. ,,Wo denn?“ fragte ich: ,,Ich sehe niemanden.“ Dann hörte ich schnelle Schritte und ein leises Kichern und als ich mich wieder zurückdrehte, sah ich, wie Jeanette sich davon geschlichen hatte und anfing, kichernd davon zu rennen. ,,Hey!“, schrie ich ihr nach und nahm die Verfolgung auf, wodurch es zwischen uns zu einem ,,Fangspiel“ kam und wir beide lachend wie kleine Kinder auf dem Deck hin und her rannten. Schließlich war ich nach kurzer Zeit dann doch ein wenig schneller als sie und packte sie an beiden Armen, sodass sie mir nicht mehr weglaufen konnte und wir uns beide darauf immer noch lachend dicht gegenüber standen. Als wir uns aber dann tief in die Augen sahen, wurden wir auf einmal still und Jeanette zeigte wieder ihr zauberhaftes Lächeln in ihrem Gesicht und dann geschah das, was ich glaubte, bei Jeanette nie erreichen zu können. Ganz langsam kamen wir uns immer näher, bis unsere Lippen sich berührten und wir uns mit geschlossen Augen küssten. Zum ersten mal in meinem Leben hatte ich ein Mädchen geküsst und ich hätte nie gedacht, wie schön so etwas sein konnte. Ihre Lippen waren so unglaublich weich und warm und es war so ein wunderschönes Gefühl, dass ich es gar nicht mehr loswerden wollte. Alles um mich herum geriet in Vergessenheit und nichts, aber auch absolut gar nichts brachte mich dazu, davon wieder loszukommen. Es war wie, als würde ich mich völlig abgesondert in einer Gefühlswelt voll von Zärtlichkeit, Geborgenheit und grenzenloser Leidenschaft befinden, aus der ich nie wieder fortgehen wollte. Als wir es aber dann doch beendeten, sah Jeanette mich mit ihren strahlenden Augen an und strich mir sanft übers Gesicht.
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Ich fühlte mich innerlich vollkommen aufgeblüht und ich merkte, dass ich Jeanette immer noch an beiden Armen festhielt, worauf ich dann leicht verlegen zu ihr sagte: ,,Tja.... eigentlich wollte ich dir vorher noch etwas gesagt haben.“ Darauf sie: ,,Und was?“ Ich nahm sie an den Händen und führte sie zu einer nahe liegenden Bank, wo ich ihr in die Augen sah und ihr, ohne mich diesmal von jeglicher Kleinigkeit umstimmen zu lassen, sagte: ,,Ich wollte dir schon lange sagen, dass du das schönste Mädchen bist, das mir je begegnet ist. Seit ich dich das erste mal im Kabinenflur gesehen habe, empfinde ich für dich ein Gefühl, wie ich es noch nie in meinem ganzen Leben gespürt hatte. Ein Gefühl, welches mir eindeutig sagt, dass du mir etwas bedeutest und....ich dich von ganzen Herzen liebe.“ Tief geschmeichelt und beinahe zu Tränen gerührt drehte Jeanette ihr Gesicht zur Seite und sah einen kurzen Moment lang in die Ferne, bis sie dann nach unten schaute und gefühlsbetont sagte: ,,Oh, Tim, du...du bist der erste Junge, der so etwas zu mir sagt und ich....ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie....so glücklich gefühlt, wie jetzt.“ Ich drehte ihr Gesicht wieder zu mir hin und erneut fingen wir wieder an, uns zu küssen, diesmal aber viel länger und ohne die kleinste Unterbrechung. Dies war wirklich ohne Zweifel der schönste Moment in meinem ganzen Leben und zweifellos auch der schönste Moment, den ich mit Jeanette zusammen auf dem Schiff hatte.

Mit der Zeit wurde es draußen dann doch zu kalt und wir gingen wieder rein zu Jeanettes Kabine, wo ich ihr vor der Tür dann mit einem leichten Stöhnen sagte: ,,Tja, dann sehen wir uns wohl morgen beim Frühstück.“ Jeanette nahm meine Hand und sagte: ,,Ach, bitte. Bleib doch noch ein Weilchen, ich möchte jetzt noch nicht von dir alleine gelassen werden.“ Ich blickte zur nebenliegende Kabinentür und fragte: ,,Und deine Eltern? Würden sie es nicht seltsam finden, wenn sie uns beide so spät noch zusammen sehen?“ Sie schaute nun ebenfalls zur Kabinetür ihrer Eltern hin und meinte: ,,Ach, die werden denken, dass ich schon schlafen gegangen bin. Die kommen heute bestimmt nicht mehr in meine Kabine.“ Ich zuckte mit den Schultern und ging mit ihr in die Kabine, wo ich ihr half, den Mantel abzunehmen und wir uns darauf dicht gegenüberstehend einen Moment lang in die Augen sahen.
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Jeanette strich mir liebvoll das Haar ein wenig von der Stirn, worauf sie mir dann einmal über das Gesicht strich und mich wieder küsste. Dann als sie mir wieder in die Augen sah, strich sie mit ihren Fingern sanft mein Kinn entlang an meinem Hals runter bis zu meinem Jackettkragen, woran sie ihre Finger dann zärtlich festkrallte und mich anschließend an ihr Bett führte. Dort setzten wir uns hin, zogen die Schuhe aus und legten uns dicht nebeneinander hin, worauf wir dann anfingen, uns ununterbrochen bis tief in die Nacht hinein zu küssen. Irgendwann lehnte Jeanette ihr Gesicht an meine Brust und war langsam dabei, die Augen zu schließen und einzuschlafen. Auch ich fing schnell an, müde zu werden und schließlich fielen wir beide, ohne dass wir es überhaupt wollten, in den Schlaf und viele Stunden später wachte ich als erstes von uns beiden wieder auf. Jeanette hatte ihr Gesicht noch immer an meine Brust gelehnt und schlummerte leise atmend vor sich hin. Aus den Fenstern konnte ich sehen, dass der nächste Tag langsam anbrach und als ich meine Taschenuhr aus der Jackettasche holte, stellte ich 7uhr am Morgen fest. Dies war die erste Nacht, in der ich nicht in meiner Kabine schlief und vor allem die erste Nacht in meinem Leben, die ich nicht alleine verbracht hatte und ich stellte fest, dass Jeanette selbst im Schlaf wie ein Engel sanft lächelte.
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Kommentare zur Story:

  Des iist so schlecht  
anonym  -  01.01.09 15:40

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Kommentar von "SCvLzH" zu "Am Meer"

... melancholisch aber schön ...

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Kommentar von "rosmarin" zu "Die Belfast Mission - Kapitel 02"

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