Zwischen Wahrheit und Ordnung   31

Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    Manfred ManfredJG      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 25. Februar 2007
Bei Webstories eingestellt: 25. Februar 2007
Anzahl gesehen: 2203
Seiten: 3

Anfangs wurde er wegen seiner profunden Kenntnisse der Materie herzlich willkommen geheißen im Team der Mitarbeiter. Er, der Texte interpretieren und ihrem Wert nach einschätzen konnte. Selbst leichte Andeutungen spürte er zwischen verwirrenden Satzkonstruktionen auf und entlarvte sie ihrem Sinn gemäß. Anfangs - das war fünf Jahre her. Und fünf Jahre sind eine lange Zeit zwischen Entwicklung und Ziel in einer wirtschaftlich funktionierenden Organisation. Anfangs ist man froh, wenn solche Berater den eigenen Weg begleiten. Vor allem, wenn sie eine Art Vermittlung beherrschen, die Frieden stiftet zwischen den Extremen. Und genau so einer war er. Sein Denken bezüglich Wirtschaftlichkeit passte hervorragend ins nicht vorhandene Konzept seines Auftraggebers, eines jungen Verlages, der in der Entwicklung begriffen war.



Genau Fünf Autoren gaben damals ihr Bestes und verhalfen dem Verlag zu einem Ruf, der durch die Region schallte. Alles, was schreiben konnte, stellte sich in die Schlange der Bewerber und brachte die Strukturen des Verlages zu einem Aufbruch, der zunächst unbemerkt geschah. Ein kleiner Hausmeister übernahm die Rolle des Ansprechpartners - vermittelte zwischen Lektor und Autoren. Zwar lagen seine Stärken eher im Erstellen von Listen, aber zusammen mit dem Lektor gewann er zunehmend an Teilwissen. Er konnte inzwischen die Bedeutung von Worten in einem Satzzusammenhang erkennen. Dies allerdings nur bei einzelnen Sätzen. Einen Abschnitt zu deuten, war ihm nicht gegeben. Dazu aber stand ihm ja der Lektor zur Verfügung und gemeinsam tüftelten die beiden bei einem frischen Kaffee in Texten herum.



Kaffee für Kaffee verstrich die Zeit, die inzwischen vierzehn Autoren in den Verlag integriert hatte. Der Hausmeister war zwar immer noch Listendenker, aber sein Ruf hatte inzwischen seine Kenntnisse überholt. Irgendwer musste ja auch verantwortlich für den Erfolg innerhalb des Verlages sein. Und da der Hausmeister allem Anschein nach die größte Kompetenz besaß, wurde er kurzerhand zum Abteilungsleiter für Extremautoren erkoren. Eine schwierige Aufgabe, die er nach bestem Wissen und Gewissen wahrnehmen wollte. Allerdings gab es da ein Problem - den Lektor. Der war ja eigentlich im Hintergrund federführend und somit unberechenbar. Konnte das auf die Dauer gut gehen? War da nicht eine gewisse Abhängigkeit, die man nicht einkalkulieren konnte? Der Hausmeister wurde unsicher.
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Kaffee für Kaffee schwand sein Vertrauen in den kompetenten Berater und mit dem Schwinden des Vertrauens suchte man nach einer zweiten Beratung. Immerhin, was würde passieren, wenn der Lektor starb? Jederzeit konnte er über eine Schnecke auf der Autobahn stolpern und sein Leben aushauchen. Die Frage stellte sich, ob denn überhaupt die Kompetenz des Beraters für die wachsenden Ansprüche an den Hausmeister ausreichend sei. Immerhin standen weitere Bewerber vor der Tür.



Zu diesem Zeitpunkt hatte der Lektor drei Jahre im Verlag zugebracht. Wie gesagt, er war jemand, der zwischen den Satzkonstruktionen Inhalte aufspüren konnte. Und er spürte das mangelnde Vertrauen des Hausmeisters. Andre Lektoren wurden geladen, gesichtet und auserwählt, im Ausfallsfall einzuspringen. Natürlich nur zum Wohle der Zusammenarbeit zwischen Autoren und Verlag, keineswegs um den Hauptlektor zu ersetzen. Wenn, dann nur im Krankheitsfall. Das fünfte Jahr zog ins Land und irgendwie war der Kaffee ausgegangen. Gespräche zwischen Hausmeister und Hauptlektor fanden nicht mehr im Verlag statt, sondern Vorort - zusammen mit den Autoren. Und um alles ordentlich zu machen, entstand eine Liste, in der peinlich genau jede Satzkonstruktion mit einem Haken versehen wurde. Haken konnte der Hausmeister beurteilen. Und irgendein Instrument musste ja vermitteln zwischen Autor und Verlag. Bei fünfzehn Autoren war das inzwischen nicht mehr so einfach. Weitere Bewerber standen vor der Tür.



So kam es im Jahre sechs zur Aufteilung der Kompetenzen zwischen Hauptlektor und Nebenlektoren. Der Hauptlektor sollte nun zwölf Autoren betreuen und die Nebenlektoren alle übrigen Bewerber. Der Kaffee allerdings sollte zukünftig bezahlt werden - und zwar vom Trinker selbst. Alles wurde peinlich genau in der erstellten Liste festgehalten, die Grundlage für die Entwicklung des Verlages geworden war. Der Hausmeister pflegte sie in Form und Inhalt, zumindest was den Zusammenhang eines Satzes betraf. Abschnitte begriff er immer noch nicht. So war für ihn bei der Verwendung des Wortes 'Pharisäer' in einem Satz ein biblischer Zusammenhang gegeben, während sich der Abschnitt tatsächlich in einem ostfriesischen Cafe ereignete und von einem Getränk berichtete. Der Hauptlektor ließ das Wort zu, der Hausmeister aber lehnte es als Angriff auf religiöse Grundwerte ab.
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So auch die Nebenlektoren, die natürlich gerne den Job des Hauptlektors übernommen hätten. Stück für Stück der Liste entzweite die beiden Kaffeetrinker. Die Autoren konnten die sich zuspitzenden Ereignisse nicht verstehen. Kannten sie doch zu genau, was sie ausdrücken wollten.



Und dann war es soweit. Gut vorbereitet erschien der Hausmeister mit einer Liste Vorort, wo die Gespräche zwischen dem Lektor und ihm seit drei Jahren stattfanden. Im Verlauf einer halben Stunde präsentierte er einen Pharisäer nach dem anderen, während der Hauptlektor geduldig lauschte - Kaffee trinkend. Denn den gab es ausnahmsweise heute umsonst. Am Ende wanderte ein Dokument über den Tisch, das zitternd die Auflösung des Vertrages zwischen Hauptlektor und Verlag erbat. Die Schweißperlen auf der Stirn des Hausmeisters waren kaum zu übersehen und im Hintergrund applaudierten die Nebenlektoren Sieg. Der Hauptlektor hingegen nahm das Schreiben ruhig entgegen, unterzeichnete gewohnt lässig und bedankte sich beim Hausmeister. Immerhin hatte sein Verstand die letzten Jahre richtig eingeschätzt und seine Kompetenz war immer noch unbestritten. Aber seine Menschlichkeit hatte Mitleid mit dem Listenhengst, der unbewusst in eine Zukunft ohne ihn rannte. Schade eigentlich, dass es so kommen musste. Und alles nur wegen einem Kaffee mit Rum, der in Ostfriesland 'Pharisäer' genannt wird.



Natürlich hatte die Auflösung des Vertrages zwischen Verlag und Hauptlektor den Grund der Unwirtschaftlichkeit. Wie auch anders. Wirtschaftlichkeit misst sich an Haken, die man in Listen abstreichen kann. Zumindest in den Augen eines Hausmeisters.
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Kommentar von "Sebastian Krebs" zu "Ein Wort zum Valentinstag"

Durchaus nette Geschichte, die einen wohl wahren Kern behandelt. Fünf Punkte und ein Trullala!

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