Wenn schon Wiedergeburt, dann bitte mit Fallschirm   167

Romane/Serien · Nachdenkliches

Von:    Klaus Asbeck      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 4. Januar 2007
Bei Webstories eingestellt: 4. Januar 2007
Anzahl gesehen: 2411
Seiten: 16

Ich war zu ihm als Immobilienmakler gekommen, denn er wollte sein Haus verkaufen. Eines Abends saßen wir beiden älteren Männer bei ihm in zwei großen ledernen Ohrensesseln vor einem lodernden Kaminfeuer und es ergab sich irgendwie, dass er mir seine Lebensgeschichte wie folgt erzählte:



„Ich begann die Welt mit anderen Augen zu betrachten, als ich etwa zwölf Jahre alt wurde. Dieser Umschwung ging einher mit dem bisher unbekannten Bedürfnis, mir öfter in die Hose zu greifen. Auch verlor meine Stimme allmählich die Soloqualität im Knabenchor. Diese Heftigkeit auch anderer innerer und äußerer Veränderungen hat dann leider angehalten und meinem Leben ständig die Unsicherheit zwischen Wunsch und Illusion auf der einen Seite und unabänderlicher Realität auf der anderen Seite beschert. Als Jungmann oder als älterer war ich eher unauffällig. Und ich wunderte mich stetig, warum mein innerer Reichtum überhaupt nicht bemerkt wurde. Kein Wunder also, dass ich viel mit mir selbst beschäftigt war. Warum ich dann auch noch zusätzlich geschielt habe, bleibt mir ein Rätsel, trug ich doch auch so schon ausreichend schwer an meinem Schicksal. Und es sollte noch schlimmer kommen. Aber davon später.



Mein Vater war ein erfolgreicher Rechtsanwalt, Mitglied des Gemeinderates und besonders beliebt als Kegelbruder bei den Kegelschwestern. In diesem Klub durfte ich, übrigens für drei Mark die Stunde, die Kegel aufsetzten und ab und an beobachten, wie mein hochangesehener Vater der einen oder anderen Dame, die am Zuge war, blitzschnell mit der Hand über ihren Hintern fuhr. Klar, dass soviel Aufmerksamkeit jedes Mal mit einem süßen Lächeln bedacht wurde.



Ich bin mir nicht sicher, ob mein Vater sich bei mir mit erzieherischen Aufgaben aufgehalten hat, abgesehen von seinen tief-ernsten Bemerkungen z.B., dass das Leben kein Schlaraffenland sei. Diese Bemerkung fiel unweigerlich immer dann, wenn ich von ihm meine fünf Mark Taschengeld erbat. Diese monatlichen fünf Mark habe ich dann später bei einer jungen Witwe mit Arbeiten in ihrem großen Vorgarten gegen zwei Mark stündlich aufgebessert. Meine anschließenden Aufmerksamkeiten für ihren kleinen Vorgarten entlohnte sie nicht mit Geld. Ob das daran lag, dass sie mir dabei anfänglich umsichtig zur Hand gehen musste, habe ich eigentlich nicht in Erfahrung bringen wollen.
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Diese Beschäftigungen an und bei ihr endeten dann aber abrupt, als ein älterer Mann auftauchte und sie zum Quietschen brachte, was mich bei meiner letzten Arbeit in ihrem großen Vorgarten akustisch erreichte. Und dabei hatte sie mich doch noch kurz vor meiner doppelten Kündigung so aufmunternd gelobt „Herzchen, Du hast Dich ja richtig zu einem kleinen Meister entwickelt.“



Mittlerweile war ich sechzehn Jahre alt geworden, schielte immer noch, und auch meiner Tätigkeiten bei der Witwe hatten mich nicht selbstsicherer gemacht. Und die monatlichen fünf Mark sollten auch nur noch bis zu meinem achtzehnten Geburtstag garantiert sein. Aber davon später.



Meine Mutter war auch erfolgreich – und zwar als Schlampe, was mir allerdings erst viel später aufging. Denn mit meinen sechzehn Jahren beschränkte mich noch mein Glaube an das Unvermeidliche und das ahnungslose Wundern, also die Hinnahme der Gegebenheiten.

Meine Mutter musste meinem Vater durch ihre langen Beine und durch ihre spitzen Titten aufgefallen sein, denn ansonsten fiel sie weniger auf, es sei denn manchmal durch ein paar deftige Sprüche, die ich zum Teil erst später entschlüsseln konnte. Einen dieser für mich irgendwie verschlüsselten Sprüche „Mensch, das Leben ist geil“ brachte sie häufig beim Abendbrot, wenn sich ihre oft blanken Titten in der durchsichtigen Bluse bewegten. Dann schaute mein Vater regelmäßig mit Glanz in den Augen vom Essen auf, stellte aber zu dieser Äußerung keine Fragen. Aber er war ja auch viel klüger als ich. Jedenfalls war ich an solchen Abenden meistens früh allein.



Das Alter meines Vaters hatte ich mal erfahren, als er traurig feststellte, dass er nun bald 55 würde. Und als Mutter ihn – wieder in besagter Bluse – damit trösten wollte, dass er doch noch ganz erstaunlich fit sei, warf er ihr einen dankbaren Blick zu mit den Worten: „Du mit Deinen Vierunddreißig hast gut reden, und Du wirst mich noch gänzlich schaffen.“ Worauf sie ziemlich laut lachte, was ich unpassend fand, und wo ich anschließend wieder allein den Abend in der Wohnung verbrachte.

Später ist mir der begründete Verdacht gekommen, dass meine Mutter meinem stattlichen Vater derart das Fremdgehen auf ganz natürliche Weise erschwert, wenn nicht gar verhindert hat.
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Mein Leben strebte derweil dem folgenschweren achtzehnten Geburtstag und davor dem Abitur entgegen. Das Abitur habe ich wider Erwarten geschafft, oder besser gesagt, der Mithilfe einer spindeldürren und auch ansonsten ausgehungerten Mitschülerin zu verdanken, deren Gesicht von einer langen Nase dominiert wurde. Meine Kenntnisse von den verteufelt komplizierten BH-Verschlüssen meiner mir abhanden gekommenen Witwe konnte ich hier also nicht anbringen. Allerdings tauchte bei meiner Mitschülerin für mich das neue Problem auf, dass ich bei ihrem Temperament jedes Mal voll damit beschäftigt war, mich oben zu halten. Jedenfalls dankte sie es mir mit Nachhilfestunden auch in Mathe, Latein und Deutsch. Daß nämlich „das“ manchmal auch mit scharfem „s“ geschrieben werden muss, wollte bis dahin einfach nicht in meinen Kopf rein. Diese feine orthographische Unterscheidung machte sie mir mit dem einfachen Satz klar: „Daß Du mich immer sofort bumsen willst, das ist ungehörig.“ Später ist sie mir dann mit einem Kinderwagen begegnet. Sie hat mich nicht wiedererkannt oder wollte es nicht, zumal sich mein Äußeres zu diesem Zeitpunkt meines Lebens stark verwildert hatte.



Wenn also mein Abitur mit seinen Begleitumständen noch etwas Erfreuliches darstellte, so war dies jedenfalls nicht mein achtzehnter Geburtstag kurz darauf. Zu meinen jeweiligen Geburtstagen hatte ich eigentlich nur von meiner gütigen Großmutter Geschenke erhalten. An diesem achtzehnten Geburtstag überreichte mir mein Vater beim Abendessen in einem Briefumschlag sage und schreibe fünfhundert Mark und erklärte seine Großzügigkeit sofort wie folgt: „Karl-Heinz, Du bist nun volljährig. Wir haben Dich lange genug ernährt. Stelle Dein Leben nun auf eigene Füße, nimm Dir eine Bude und suche Dir eine Beschäftigung.“ Meine Mutter nickte dazu derart zustimmend, dass ihre Titten unter der hauchzarten Bluse ins Schwingen gerieten.



Am nächsten Morgen bin ich dann mit zwei leichten Koffern zu meiner Oma gezogen, die von da ab mit meinen Eltern kein müdes Wort mehr wechselte. Aber ihren für mich so bitteren Tod konnte ich nicht verhindern. Da habe ich mich beim Militär gemeldet.
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Aber als ich dort wegen meines Abiturs schnell Unteroffizier wurde (die Offizierslaufbahn hatte ich mir nicht zugetraut) und aufgrund meines Schielens immer der falsche Mann meine Befehle ausführte, da habe ich dann drei Jahre später meine Entlassung eingereicht. Mit der Abfindung konnte ich mich erst einmal über Wasser halten.



Am Entlassungstag schlenderte ich mit meinen beiden Koffern ziellos durch die Straßen des Garnisonsstädtchens und landete dann abends in einer mäßig beleuchteten Kneipe, nachdem ich die Koffer am Bahnhof in zwei Schließfächern verstaut hatte.

In der Kneipe empfingen mich als erstes dichter Zigarettenqualm und dann zwei stark geschminkte Mädchen, die sich sogleich links und rechts bei mir einhakten, so als wenn wir uns schon länger kennen würden. Sie setzten mich zwischen sich auf einen hochbeinigen Hocker an dem Tresen, hinter dem sofort ein gewaltig korpulentes Weib auftauchte, dessen Brüste dem dicken Hintern oder umgekehrt Konkurrenz machten. Meine beiden Nachbarinnen gaben sich mit einem Bier zufrieden, nachdem sie wohl erahnt hatten, dass ich es nicht üppig hatte. Denn alles, was ich an Barem als Abfindung bekommen hatte, passte bequem in meine Geldbörse, ohne ihren Umfang sichtbar zu verändern. In dem Raum saßen verstreut ein paar Männer, unlustig wie ich, wie mir schien. Zu ihnen gesellten sich dann auch bald meine beiden Nachbarinnen, nachdem ich mich als wenig amüsant oder gar als Langweiler entpuppt hatte.



Die stattliche Wirtin oder vielleicht auch nur Bedienung hinter der Theke, an der mein Blick notgedrungen haften blieb, beschäftigte intensiv meine Phantasie nach dem Ob und Wie der körperlichen Möglichkeiten. Vielleicht war es dann ihr Mitleid und ihr fraulicher Instinkt, der ihr eingab, dass bei mir noch was zu retten sei, was dann wohl in ihren Worten, wenn auch versteckt, zum Ausdruck kommen sollte „Ach, Kleiner, Du schielst so süß.“

Ich war mittlerweile zu dreiundzwanzig Jahren herangereift und hätte mich in diesem Augenblick gerne unsichtbar gemacht. Aber wie das bei meinen 185 cm? Und sie fuhr zu dem frisch entlassenen Unteroffizier wie folgt fort „Kleiner, nun weine mal nicht gleich, ich meine das beim Leben meiner Tochter ganz ernst. Wenn Du nicht so erbärmlich jung wärst, wär es nen Versuch wert, auch wenn Du mir wie Neuschnee vorkommst oder vielleicht gerade deswegen.
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“ Damit hatte sich das Gemisch aus weiblich und mütterlich bei ihr wohl erst einmal erschöpft, denn sie wandte sich abrupt einem anderen Gast an der Theke zu. Und mir blieb, mein Bierglas drehend, nichts anderes übrig, als mit meinen Blicken wieder an ihren Rundungen entlang zu gleiten. Und irgendwie machte sich bei mir dann Hunger in der Hose aber auch im Magen bemerkbar. Letzteren besänftigte ich mit einem panierten Schnitzel, das ich einem Korb auf der Theke entnahm. Und hinterher schob ich noch ein hartgekochtes Ei.



Sie hatte mich wohl aus den Augenwinkeln beobachtet – so, wie es nur Frauen zustande bringen -, denn sie kam zu mir zurück und fragte mich, wie ich denn an diesen Heißhunger geraten sei. Und überhaupt , ich solle doch mal was von mir preisgeben. Ich erzählte ihr, irgendwie erwärmt, meine Geschichte rückwärts. Als ich bei der Lebenspassage meines achtzehnten Geburtstages angelangt war, sagte sie nur „Hör auf, Du versaust mir ja den ganzen Abend. Nimm Dir noch ein Schnitzel, geht auf meine Rechnung.“ Und ließ mich wieder allein, wo mich doch gerade ihre gewaltigen Rundungen nicht mehr so sehr zu verunsichern begannen. Nach dem zweiten Schnitzel war dieser Hunger gestillt. Den anderen rückte ich in der Hose zurecht. Hier hätte ich es eigentlich aushalten können, wenn mich nicht die Frage nach dem Nachtquartier zu beschäftigen begann. Doch dieses Mutterweib, das Gerda hieß, konnte wohl Gedanken lesen. Beim Bierzapfen fragte sie mich nach meiner Bleibe, worauf ich mit den Schultern zuckte. Sie stellte das Bier bedächtig vor dem anderen Gast ab und baute sich vor mir mit den Worten auf „Mit Dir habe ich mir ja eine prächtige Laus in den Pelz gesetzt. Du kannst erst mal bei mir übernachten. Und wenn ich morgen früh komme, must Du auf die Luftmatratze. Kapiert? Lola komm mal rüber“ rief sie in den Raum. Sie gab der Angesprochenen einen Schlüssel und wies sie an, mich in ihr kleines Appartement zu bringen. Und zu mir sagte sie „Du kannst meinen Rasierapparat benutzen, denn im Vergleich zu Dir hat Rübezahl einen Kinderpopo als Gesicht. Ein Handtuch findest Du im Schrank. Eine frische Unterhose von mir kann ich Dir leider allein schon wegen ihrer Größe nicht anbieten“ und lachte dabei dröhnend.
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Ich stapfte also Lola um drei Häuserecken hinterher und fand mich schließlich in einer kleinen Dachwohnung wieder, die nur aus Schrägen zu bestehen schien. Lola sprühte sich schnell noch im Badezimmer unter den Achseln und unter ihrem Rock mit einer gewaltigen Duftnote ein, gab mir zum Abschied einen flüchtigen Kuss mit der Bemerkung „Mensch, Du hast Schwein“ und verschwand. Mit mir selbst und der kärglich eingerichteten Wohnung alleingelassen, die nichts Persönliches aufzuweisen schien, kam ich mir plötzlich tierisch einsam vor. Und Selbstmitleid überkam mich, von dem ich gehört hatte, dass es schädlich sei. Letztendlich legte ich mich in ihr schmales Eisenbett, in dem mich ihr starkes Parfum empfing und mich einlullte. Als sie morgens gegen vier Uhr kam, musste ich schlaftrunken das Bett verlassen und eine Luftmatratze für mich aufblasen. Denn dieses schmale Bett hätte vielleicht zwei heftig Verliebte mit normalen Körpermaßen geduldet, aber selbst bei bestem und eindeutigem Willen niemals mich und den Hintern von Gerda.



So ging das ein paar Tage und Nächte. Tagsüber lief ich rum und aß Würstchen an Pommesbuden und abends Gratisschnitzel an ihrem Tresen. Und dann hatte Gerda Arbeit für mich in einer Kleinstadt als Butler – was immer das bedeutete – bei einer ehemals bekannten Sängerin gefunden, die von ihrer Glanzzeit träumte inklusive der großen Zahl ihrer Liebhaber, und die mich nach einer Vorbesichtigung bei ihr anstellen wollte.



Als ich also meine letzte Nacht bzw. Morgen in der Dachwohnung verbrachte, forderte Gerda mich morgens nicht auf, ihr Bett zu verlassen und mich auf die Luftmatratze zu legen. Anstatt dessen kleidete sie sich ganz langsam aus und legte sich behutsam auf mich, wobei mein Kopf zwischen ihre Brüste geriet, und ich tatsächlich mit dem Atemholen in Bedrängnis kam. Das wurde sofort besser, als sie sich rittlings auf mich setzte. Und meine bisherige, diesbezüglich ratlose Phantasie erfuhr nun die Realität, dass nichts unmöglich ist, wenn man nur willens ist.



Als wir uns dann kurz darauf trennten, und ich im Begriffe stand, mit meinen beiden Koffern zu der ehemaligen Diva zu fahren, umarmte mich Gerda, und ließ mich zum Abschied noch einmal die warme Fülle ihres Körpers spüren.
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Ich bekam nur ein klägliches „Danke“ raus, und mein Blick verschleierte sich. „Lass gut sein, Kleiner, und melde Dich mal.“ Und auch ihre Augen wurden feucht.



Stunden später schellte ich an der schweren Haustür einer alten Villa. Eine elegant gekleidete Dame öffnete mir. Ihr Alter war für mich nicht bestimmbar. Der Schilderung von Gerda zufolge musste sie die Sechzig erreicht haben, was ihre äußere Erscheinung aber nicht vermuten ließ. „Kommen Sie rein, Karl-Heinz. Ich zeige Ihnen erst mal Ihr Zimmer und Ihr Bad, wo Sie sich vor dem Essen etwas herrichten können.“ Wir durchschritten eine große Halle, in der eine breite Treppe nach oben zu den Schlafzimmern führte. „Ich lasse Sie nun allein. Gegen 19.00 Uhr können wir dann einen Aperitif vor dem Essen unten in dem Raum rechts neben der Treppe nehmen.“ Ich betrachtete mein helles geräumiges Zimmer mit dem schweren alten Holzbett, einem Schrank, einem Schreibtisch nebst Stuhl davor, sowie einem halben Dutzend Aquarellen und Fotos, die offensichtlich dieselbe junge Frau in spärlich bekleideten griechischen Posen darstellte, oder sie in der Aufmachung der dreißiger Jahre zeigte. Ich konnte mich von diesen Bildern schwerlich trennen, irgendwie faszinierte mich diese Frau darauf. Ob es sich wohl um meine Arbeitgeberin in jungen Jahren handelte?

Im angrenzenden Bad mit der altmodischen Badewanne auf gusseisernen Füßen und dem großen Spiegel über dem Waschbecken rasierte ich mich und brachte meine Frisur mit ihrem Mittelscheitel in Ordnung. Mein Spiegelbild verkündete aber trotzdem kein Highlight. Dann suchte ich unten das von ihr beschriebene Zimmer auf, wo sie bei meinem Eintreten aus einer geschliffenen Karaffe etwas leicht Gelbliches in zwei kleine Kristallgläser goss. Mir eines davon reichend, meinte sie mit ihrer dunklen Stimme: „Ich hoffe, Sie mögen Sherry, und ich hoffe, wir vertragen uns, was ja bei einem gegenseitigem, ehrlichen Austausch und Bemühen möglich sein müsste.“ Dabei schaute sie mich mit ihren übergroßen Augen aus einem faltenlosen Gesicht irgendwie eindringlich an.



Beim Essen musste ich ihr die von ihr zubereiteten Speisen reichen. Anderes Personal schien es nicht zu geben. „Mein lieber Butler ist vor einem Jahr plötzlich an Herzversagen gestorben“, bestätigte sie meine Vermutung.
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Ich musste ihr dann aus meinem Leben berichten und erzählte wieder rückwärts, erst von Gerda, die sie irgendwoher kannte, und die mich ihr empfohlen hatte. Und als ich dann wieder bei meinem achtzehnten Geburtstag angelangt war, wobei ich die Episoden mit der heißen Witwe und der dünnen Mitschülerin tunlichst ausgelassen hatte – auch der letzte Morgen mit Gerda fand keine Erwähnung -, da nahm sie meine Hand und hielt sie länger als erwartet fest. Mit einem Räuspern, wobei sie sich mit einer Serviette über ihre vollen Lippen fuhr, zählte sie sodann das auf, was in Zukunft zu meinen Pflichten gehören würde. Mir schien allerdings, dass ich für diese Pflichten eines sehr persönlichen Butlers, wie sie es abschließend nannte, sehr üppig bezahlt werden würde. Sodann bat sie mich, sich um den Abwasch zu kümmern. Sie wolle sich derweil umziehen. Man könne sich dann anschließend im Raucherzimmer treffen, wenn ich wolle.



Als ich mit dem Abwasch fertig war, ging ich in besagtes Raucherzimmer, wo sie in einem bequemen dunkelroten seidenen Hausanzug in einem hohen ledernen Ohrensessel saß und eine Zigarette in einer Bernsteinspitze rauchte. Sie hatte die Beine übergeschlagen, wobei die links und rechts hochgeschlitzte Hose ein schlankes Bein soweit freigab, dass seine Makellosigkeit zum Vorschein kam. Irgendwie hatte ich Frauen in diesem fortgeschrittenen Alter faltenreicher und verbrauchter in Erinnerung.

Sie bat mich, das Kaminfeuer anzuzünden, und ihr gegenüber dann Platz zu nehmen. Ob ich rauche und ob ich einen Whisky trinken wolle, fragte sie mich. Als ich beides verneinte, lächelte sie. Dabei saß ich kerzengerade in dem Ohrensessel, wobei die hohe Lehne eigentlich auch gar nichts Lässigeres zuließ. Himmel, solche Beine hatte ich noch nicht gesehen, schlank und endlos.

Sie rauchte, wobei die gepflegten Hände mit den langen Fingernägeln meine Aufmerksamkeit von den Beinen ablenkte. Was machte ich hier eigentlich? Doch diese Unsicherheit legte sich später nach und nach, denn fortan leitete sie mich behutsam und an unsichtbaren Fäden. Dann stand sie auf und ich natürlich auch. Und sie führte ihre rechte Hand leicht an meine Lippen. „So in etwa, Karl-Heinz, aber das später, schlafen Sie gut.
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Man sagt, die Träume der ersten Nacht in einem fremden Bett gehen in Erfüllung.“ Und dann schwebte sie von dannen. Und meine Träume in dieser ersten Nacht in diesem Haus waren alles andere als durchschaubar und geordnet.



Die nächsten Tage verliefen mit vielerlei sachlichen Beschäftigungen, wie sie ein so großer Haushalt einer alleinstehenden und anspruchsvollen Dame erforderten. Nur die gemeinsamen Abende gewannen unmerklich an Vertrautheit.



Eines Abends am Kaminfeuer meinte sie wie beiläufig, ob ich etwas dagegen einzuwenden hätte, mein Outfit, wie sie sich ausdrückte, etwas gefälliger zu gestalten. Und als ich sie fragend aber nicht mehr so gänzlich unsicher anschaute, sagte sie, dass das Schielen ja nun keine unüberwindliche Gegebenheit darstellen müsse, dass vielleicht auch eine andere Frisur in Betracht zu ziehen sei, und dass man sich auch um eine bessere Kleidung kümmern könne – wenn ich wolle, gewiss. Als ich sie immer noch wenig geistreich und wortlos anstarrte, fügte sie erklärend hinzu: „Ach, Karl-Heinz, ich habe es satt, auf den sogenannten Parties als alleinstehender Exot zu erscheinen. Ich möchte, dass Sie mich begleiten. Aber diese Welt da ist cool, und man wird Sie vornehmlich nach Ihrem Äußeren beurteilen – und natürlich auch nach Ihrer Jugend. Nein, Sie gefallen mir, wie Sie sind, erstaunlich unverbraucht. Könnten Sie sich vorstellen, meinen Vorstellungen zu folgen, ohne sich von mir vergewaltigt zu fühlen?“ Und da habe ich sie zum ersten Mal direkt wie folgt angesprochen „Gnädige Frau, Sie sind für mich unerklärlich großzügig, wie könnte ich Ihnen diese Ihre Wünsche versagen. Ich merke sehr wohl, dass Sie mich modellieren, fahren Sie fort in Ihrem Werk, auch wenn nicht viel ursprüngliches von mir übrig bleiben sollte, denn was wäre ansonsten aus mir geworden. Ich bin Ihnen dankbar und vertraue Ihnen.“ Als er die gesagt hatte, war er selbst erstaunt über das Gesagte. Sie bewegte sich vor und nahm seine Rechte in ihre Hände. „Ach, Karl-Heinz, dem rohen Diamanten tut das Schleifen erst einmal weh, bis er dann in vielen Farben erstrahlt. Und wenn ich nicht mehr bin, sollen Sie als freier Mann von allen Fesseln, auch denen Ihrer Vergangenheit befreit sein.“ Und nach einer Pause fügte sie wie zu sich selbst hinzu „So gut, ich es vermag.
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“ Das war der letzte gemeinsame Abend, wo wir uns mit „Sie“ anredeten, nach fünf Monaten meiner Anstellung.



Am kommenden gemeinsamen Abend vor dem Kaminfeuer erschien sie in einem knallroten langen Abendkleid mit großem Ausschnitt und trug zum ersten Mal ihre schwarz gefärbten Haare offen über ihre entblößten Schultern fallend. Aus der Küche brachte sie eine Flasche Champagner mit und übergab sie ihm zum Öffnen, während sie die Kelchgläser aus dem Schrank holte, die ich ungeschickt füllte. Sie stand lächelnd vor mir. Und ich wollte ihre Hand küssen. Aber sie zog mich an sich und küsste mich sanft „Karl-Heinz, wenn Du mich in mein zunehmendes Alter begleiten willst, dann kenne ich den Preis, den Du zahlst. Aber ich biete Dir dafür mein ganzes Ich und Deine Absicherung an. Kannst Du Dir das vorstellen, leichten Herzens?“

In meiner Überwältigung und noch so jung brachte ich nur ein zaghaftes „Ja, das kann ich, gnädige Frau“ und ich musste mich dazu nicht zwingen. „Mein Lieber, ich heiße Therese, küss mich, damit ich die Wahrheit Deiner Worte verspüre.“ Ich küsste Sie scheu. Und sie öffnete mit ihrer Zunge meine geschlossenen Lippen. Spät in der Nacht streichelte ich ihren stark welligen und so warmen Bauch, nachdem ich mich über ihre aufrecht stehenden Brüste gewundert hatte. Sie antwortete unvermittelt auf die unausgesprochene Frage. „Ach, mein Liebster, eine ehemalige Diva kann so sehr schlecht altern, den Bauch habe ich von der Runderneuerung wegen der Gefährlichkeit des Eingriffs, und weil er als letztes entdeckt wird, ausgenommen.“ Ein wirklich zärtliches Mitleid überkam mich, und ich gab ihr in dieser Nacht ein zweites Mal das Gefühl eine begehrenswerte Frau zu sein.



Am kommenden Morgen, als ich den Frühstückstisch bereits gedeckt hatte, erschien sie in einem leichten Morgenmantel. Die Haare, die sie gewöhnlich in einem schweren Nackenknoten trug, fielen ihr locker über die Schultern. Ich saß bereits am Tisch und sie trat hinter mich und legte die Arme um mich. Sie setzte sich dann mir gegenüber hin und blickte mir lächelnd in die Augen, die ich niederschlug. „Guten Morgen, Karl-Heinz, sollte ich wie üblich korrekt gekleidet sein, nunmehr ganz überflüssigerweise?“ „Guten Morgen, Therese, nein, Du gefällst mir so in Deiner einfachen Aufmachung.
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“ Sie ging um den Tisch herum und goss mir Kaffee ein, was ich nicht verhindern konnte. „Aber sollte dies nicht zukünftig meine Aufgabe sein“ meinte sie mehr als Feststellung denn als Frage.

„Karl-Heinz, Du würdest mich froh machen, wenn Du als mein Lebenspartner an meiner Seite bliebest, wenngleich mein Alter und mein Vermögen nicht zu übersehen sind. Aber so weit es in meiner Macht stehst, und Du mir dabei behilflich bist, werde ich alles tun, damit Du den Unterschied in erträglicher Weise empfindest.“ Ich schaute sie an und nickte. Ich spürte in diesem Augenblick, dass meine Zuneigung zu ihr ausreichen würde, dieses Arrangement einzuhalten und auszufüllen.



Die kommenden Monate waren ausgefüllt mit vielerlei Veränderungen für mich. Mein Mittelscheitel wich einem Seitenscheitel. In der Öffentlichkeit trug ich nur noch teure Anzüge mit Weste und Krawatte. Und ich machte den Führerschein, so dass ich nun ihren Wagen fahren konnte. Und danach wurde ich am linken Auge operiert, so dass mir die Leute, die ich ansprach, spontan antworteten, ohne erst nach links zu schauen.

Als wir an einem warmen Sommerabend auf der Terrasse hinter dem Haus saßen, und klassische Musik bei weit geöffneten Flügeltüren erklang, schob sie ihren Korbsessel dich an den meinen und ergriff meine Hand. „Karl-Heinz, Du bist nun über ein Jahr bei mir, und wir sind zusammen, wir haben uns oft zärtlich geliebt und kein einziges Mal gestritten. Von Liebe will ich nicht reden, aber ich bin glücklich. Manchmal bemerke ich aber in Deinen Augen einen Zug von Traurigkeit. Was ist es, sag es mir in Aufrichtigkeit? Ist es, dass wir zu wenig Menschen treffen, empfindest Du Unfreiheit oder drückt Dich die Abhängigkeit?“



„Ach Therese, ich lebe wie auf einer Wolke, von der ich nicht weiß, ob sie mich wirklich tragen wird. Oft denke ich auch an meine Kindheit und Jugend zurück, wo ich mir neben allem anderen auch noch so nutzlos vorkam. Gewiss, ich spüre Deine Zärtlichkeit, und ich fühle mich zum ersten Mal in meinem Leben geborgen. Aber ich bin immer noch nutzlos.“ Es entstand eine lastende Stille.
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„Willst Du studieren, und was?“ wollte sie wissen. Nach einer längeren Pause entgegnete ich „Ja, ich möchte studieren – Jura.“ Meine Hände verkrampften sich ineinander. Ja, wenn, dann nur Jura. Das war ich mir schuldig.

„So soll es denn sein, wenn Du damit einverstanden bist, die Universität in Hamburg zu wählen , die Du bequem mit dem Zug in einer halben Stunde erreichst, so dass Du bei mir die kommenden Jahre wohnen bleiben kannst. Denn wer weiß, wie viel gemeinsame Zeit wir noch haben. Und danach bist Du ohnehin frei mit noch sehr viel Leben vor Dir. Erscheint Dir mein egoistischer Vorschlag gleichwohl angemessen und akzeptabel?“

Gerührt und erfreut zog ich sie zu mir herüber auf meinen Schoß und streichelte ihre kunstvollen Brüste.

„Therese, gewiss bin ich, wie mir Dein Vorschlag verdeutlicht, in meinen jungen Jahren nicht frei und von Dir abhängig. Aber Deine zwanglose Großzügigkeit lässt es mich wenig spüren. Und wie sollte ich Deinen Egoismus nicht verstehen. Das Leben hat mich doch mehr gelehrt, als nur ein braver Junge zu sein. Auch ich will nicht von Liebe sprechen. Aber meine Zuneigung zu Dir ist tragfähig, denn Du weißt sehr wohl, dass Du zwar meine Geliebte bist aber auch meine Mutter. Wenn dies wahr ist, was gäbe es dann an stärkeren Bindungen? Und was die Freiheit betrifft, so will so mancher Vogel im goldenen Käfig bei weit geöffnetem Türchen nicht davonfliegen, weil er gar nicht weiß, was er mit der Freiheit anfangen soll oder sich vor ihr sogar fürchtet. Ich werde also täglich gerne zu Dir und meinem goldenen Käfig zurückkommen. Das ist gewiss.“

Ich beugte mich vor, um in ihre Augen zu schauen. Dieser stolzen Frau liefen die Tränen über die Wangen. Ob diese nur von meinen Worten herrührten? Mit den Worten „Gott beschütze Dich“ erhob sie sich von meinem Schoß und ging ins Haus.



Ich studierte also in Hamburg Jura und bestand das erste Staatsexamen nach der relativ kurzen Studienzeit von insgesamt nur sieben Semestern mit „befriedigend“. Therese hatte mein Selbstvertrauen mit ihrer wissenden Zuneigung zu mir derart gestärkt, dass dieses Ergebnis ermöglicht wurde. Das Studium selbst hatte keine erwähnenswerten Ereignisse. Ich war und blieb schon allein durch meine gediegene äußere Erscheinung Einzelgänger, auch wenn mich manch neugieriger Blick einer Kommilitonin streifte.
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Therese, die mich häufiger zu Gesellschaften mitnahm, veranstaltete nach meinem Examen ein großes Fest, und stellte mich offiziell als ihren künftigen Rechtsanwalt vor. Das tat sie lächelnd und derart selbstsicher, dass wohl für diesen kurzen Augenblick so mancher der Anwesenden unseren beträchtlichen Altersunterschied vergessen haben mag.

Im Anschluss daran absolvierte ich in Hamburg die achtzehn monatige Referendarzeit und bestand auch dieses Examen mit „befriedigend“. Therese hatte für mich natürlich schon eine Rechtsanwaltsstelle in einer gutgehenden Anwaltskanzlei besorgt, wo meine ernsthafte Arbeit bald auffiel, so dass ich bereits nach zwei Jahren Juniorpartner wurde.



Mein Leben verlief in Zufriedenheit und im Gleichklang mit mir. An meiner tiefen Zuneigung zu Therese hatte sich nichts geändert. Dankbarkeit und Respekt waren die Quelle dafür. Wir schliefen jedoch nur noch gelegentlich miteinander. An die Stelle dessen war mehr Zärtlichkeit getreten. Ich war nun fast über acht Jahre mit ihr zusammen. Sie ging auf die Siebzig zu und war in prachtvoller Verfassung – bis zu dem Tag, als sie auf der Treppe ausglitt und sich bei diesem Fall einen Oberschenkelhalsbruch zuzog. Die Operation verlief zwar erfolgreich, aber gleichwohl war sie danach nicht mehr dieselbe. Ihr Laufen war eingeschränkt, sie verspürte häufig Schmerzen und sie fühlte sich plötzlich alt. Schlafen mit mir wollte sie nicht mehr. Oft sagte sie, dass ihre Zeit gekommen sei. Und ich hatte nicht mehr die Macht, sie abzulenken oder gar aufzuheitern. Außerdem begann sie stark zu trinken. Sie aß wenig und verließ auch nur noch das Haus, wenn es unvermeidlich war. Ihre Haare färbte sie nicht mehr.



So ging das etwa ein Jahr lang. Eines Morgens erschien sie nicht zum Frühstück. Ich schaute nach ihr. Sie lag schwer atmend im Bett. Auf ihrer Stirn stand kalter Schweiß, den ich abtupfte. Ihre großen Augen blickten mich an und ihre kalten Hände suchten die meinen. „Mein Geliebter, es geht zuende. Verlass den goldenen Käfig und genieße Dein noch langes Leben. Ich will hier sterben,“ sagte sie mit schwacher Stimme.

Wie von Sinnen rief ich sofort unseren Hausarzt an, der auch auf der Stelle kam.
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Er untersuchte ihre Augen, fühlte ihren Puls und hörte ihre Lungen und das Herz ab. „Es steht nicht gut um sie. Ich vermute eine Lungenembolie. Die Herztätigkeit ist minimal. Sie muss sofort ins Krankenhaus.“ Therese bewegte lautlos die Lippen. Ich sagte dem Arzt, dass sie nicht ins Krankenhaus wolle. Doch dieser verständigte über Telefon den Notfallwagen. Als man in der Ferne seine Sirene hörte, öffnete Therese die Augen, die mich unendlich liebevoll ansahen. Dann fiel ihr Kopf zur Seite. Alle Wiederbelebungsversuche, denen ich mich heftig widersetzt hatte, brachten sie nicht mehr ins Leben zurück. Ich drängte alle, auch den Arzt, aus dem Zimmer, rückte einen Stuhl heran und sprach, indem ich ihre Rechte in meine beiden Hände nahm, stotternd in etwa folgendes Gebet:

„Ich danke Dir für alles. Was wäre aus mir ohne Dich geworden. Gewiss muss ich nun in großer Trauer und Leere ohne Dich weiterleben, aber ich lasse Deine Seele gehen in der Hoffnung, dass sie ihren Weg findet. Gehe in Frieden. Amen.“



Sodann küsste ich sie auf den Mund und verließ das Zimmer, das ich später abschloss und danach nie wieder betrat. Die Beerdigung fand im kleinen Kreis statt. Ich folgte ihrem Sarg, emotionslos.

Man sagt, dass die Zeit alle Wunden heilt, aber sie nahm sich damit bei mir Zeit. Therese hatte mir das Haus und ihr Vermögen überschrieben, und es gab niemanden mehr, der Ansprüche hätte geltend machen können.

Das nun leere Haus drückte schwer auf mir. Ich war noch jung. Die voraussichtliche Hälfte meines Lebens hatte ich noch nicht überschritten. Aber ich fühlte mich plötzlich uralt und wieder einsam. Obwohl nun wohlhabend und respektiert, bewegte ich mich im Kreis. Ich verrichtete meine Arbeit als Rechtsanwalt nun schon in Routine. Ich nahm zwar Einladungen an, aber an meiner inneren Einsamkeit änderte das nichts. Gewiss gab es genügend Frauen, die mich attraktiv und auch vielleicht geheimnisvoll fanden. Aber irgendwie schob sich immer wieder das Bild von Therese dazwischen, ihr Lächeln, ihre Worte, ihre stolze Zerbrechlichkeit.



Seit einiger Zeit hatte ich eine Haushälterin eingestellt. Unter den vielen Bewerberinnen hatte ich die unattraktivste ausgesucht, viel älter als ich und mit einer bestimmenden Art.
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Ich ließ sie, Elfriede, gewähren und zeigte mich ihr gegenüber sehr großzügig – so, wie ich es selbst vor langer Zeit in diesem Haus erfahren hatte. Wir gingen freundlich und höflich miteinander um. Doch dauerte es eine gewisse Zeit, bis wir das Mittag- und Abendessen gemeinsam einnahmen. Und es dauerte lange, bis sie sich auf meine mehrfache Aufforderung hin zu mir mit ans Kaminfeuer oder in der warmen Jahrszeit neben mich auf die Terrasse setzte.

Wir redeten auch dann nicht viel miteinander, wenngleich wir vieles voneinander wussten. Ich las dann meistens in der Zeitung oder in einem Buch, während sie häkelte oder strickte. An ihrem sechzigsten Geburtstag schenkte ich ihr einen Brillantring, wo sie mich vor Freude fast umarmt hätte. Und ich bemerkte lachend dazu „Dann tue es doch!“ „Aber Herr Rechtsanwalt!“ „Ach, liebe Elfriede, lass das doch stecken.“



An einem Wochenende beschloss ich, nach Jahren zum ersten Mal Gerda zu besuchen. Ihre neue Adresse hatte meine Sekretärin ausfindig gemacht und mich bereits angemeldet.

Unser Treffen war bewegt, wenn auch mehr innerlich als äußerlich sichtbar. Sie saß in ihrer nun etwas geräumigeren Wohnung breitbeinig in einem bequemen Sessel. Ihre immer noch gewaltigen Brüste wurden jetzt aufgefangen von der obersten Bauchrolle, die an Umfang auch nichts zu wünschen übrig ließ. Ihr ehemals hübsches Gesicht war aufgedunsen und rot. Sie litt offensichtlich an Bluthochdruck.



„Starr mich nicht so an. Ich weiß selbst, dass der Lack nun gänzlich ab ist. Erzähle mal lieber, was Du in den letzten Jahren erlebt und angestellt hast, Herr Rechtsanwalt. Schielend hast Du mir jedenfalls besser gefallen.“

Und ich erzählte ihr die Geschehnisse der letzten Jahre mit meinen dazugehörigen Gefühlen, so gut es ging, denn hin und wieder nahm mich dabei die Erinnerung in ihren ungnädigen Griff. Als ich geendet hatte, wurde ihre spröde Art durchsichtig. „Deine Geschichte geht einem ja glatt ans Herz.“

Ich habe dann diese liebe und gute Frau, die meist mehr gegeben als zurückerhalten hat, das nächste Mal nur noch in ihrem Sarg liegend angetroffen.



Später ist mir noch einmal eine Frau begegnet, die meine schon tot geglaubten Gefühle erwecken konnte.
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Anette, nicht mehr jung, wartete vor mir an der Kasse eines Einkaufszentrums im Rollstuhl, an dem sie seit über zwanzig Jahren gefesselt war. Ihr war beim Bezahlen an der Kasse die Geldbörse heruntergefallen. Als ich sie ihr reichte, begegneten sich unsere Augen.

Sie war wohl die zärtlichste Erfahrung meines Lebens. Aber diese hier zu schildern, traue ich mir nicht zu, denn sie hat sich nach zwei Jahren unserer Gemeinsamkeit für mich gänzlich unerwartet das Leben genommen.

In ihrem Abschiedsbrief an mich stand geschrieben:

„Ich habe Dich zu sehr geliebt, so dass ich die Angst nicht mehr ertragen konnte, unsere Liebe würde eines Tages nachlassen. Verzeihe mir bitte, wenn Du kannst.“



Jetzt lebe ich nur noch mit meiner mir seit meiner Kindheit vertrauten Einsamkeit zusammen, mit der ich mich aber irgendwie arrangiert habe.“



Mein Gastgeber schloss seine Schilderung mit der leisen Bemerkung, wie zu sich selbst „Wenn schon Wiedergeburt, dann bitte mit Fallschirm.“

Sodann erhob er sein Whiskyglas mit den Worten „Ich bin mit dem Verkauf dieses Hauses einverstanden zu den Bedingungen, wie wir sie abgesprochen haben. Prosit!“

„Und was werden Sie anschließend machen, Karl-Heinz?“ „Was ich anschließend machen werde? Nun, ich werde dieses Land verlassen und abseits aller Hektik einen stillen Platz für mich suchen, wo ich meinen Frieden finden und lernen werde, im Augenblick – und nur in diesem – zu leben.“





K. A. 03.01.2007
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