Nachdenkliches · Kurzgeschichten

Von:    Klaus Asbeck      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 23. September 2006
Bei Webstories eingestellt: 23. September 2006
Anzahl gesehen: 2218
Seiten: 4

Er saß im Morgengrauen an dem Flusslauf, der ohne Hast an seiner kleinen Hütte vorüberzog. Die Sonne schickte sich an, die dunklen Schatten auch in seiner Seele zu verdrängen und dem beginnenden Tag seine Geltung zu verschaffen. Hier und da zeigten kleine Kreise auf der Wasseroberfläche an, dass es vielfältiges Leben im Fluss gab. Es herrschte eine atemberaubende, fast heilige Stille um ihn herum, die auch sein Inneres nicht unberührt ließ.

Als er vor Jahren erkennen musste, dass das Unrecht, das er zugefügt hatte, nicht so einfach zu löschen war, hatte er das Nötigste in einen großen Rucksack gepackt und war mit unbestimmtem Ziel aufgebrochen. Er war lange gewandert und hatte der Versuchung widerstanden, den Verlockungen eines geregelten Lebens nachzugeben. Bis er eines Tages hier angekommen war, bei einer alten Holzhütte und ihrem trägen Flusslauf. Er hatte den Rucksack abgesetzt, in die nähere und ferne Umgebung geblickt und empfunden, dass dies ein friedvoller Platz sei.

In der Folgezeit sammelte er das, was die Menschen in ihrem Überfluß wegegeworfen hatten und richtete sich auf ein neues Leben ein. Und der Fluss ernährte ihn großzügig. Und das Holz, das der Fluss vor seiner Hütte stapelte, ließ ihn nicht frieren. Er zählte die Zeit nicht und lernte im Augenblick zu leben. So verging seine Zeit. Und wenn die Einsamkeit nach ihm griff, dann machte er sich klar, dass es keine äußere war, sondern dass es jene war, in die jeder Mensch hineingeboren wird; der Preis für die eigene Individualität.



Hin und wieder tauchten Menschen auf, die sein Leben scheu und unsicher respektierten, und die oft wortlos ein nützliches Geschenk hinterließen. Einmal jährlich schnürte er sein Bündel, nahm seinen Wanderstock und brach in die ferne Stadt auf, um den Bezug zum menschlichen Leben nicht gänzlich zu verlieren, und um von der diffusen Sehnsucht geheilt zurückzukehren.



Als er einmal wieder in der Stadt angelangt war, mit ihrem hektischen Leben, ihrem Schmutz und ihrem Lärm, setzte er sich auf eine Bank, bereit sofort wieder umzukehren. Da stand ein kräftiger, schwarz-weißer Hund vor ihm und schaute ihm bewegungslos in die Augen. Und er schaute dem Hund auch in die Augen.
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Irgendeine lautlose Kommunikation sprang zwischen beiden Seelen hin und her, die der Hund wohl besser entschlüsseln konnte, als er es imstande war.

Er ließ wie unbewusst seine Hand über den Kopf des Hundes gleiten, der dies zuließ, und stand auf, um sich auf den Heimweg zu machen. Und der Hund folgte ihm in einem größeren Abstand, der sich bis zur Hütte nicht verringerte, wo sie nach Stunden angelangt waren.

Er rief den Hund in die Hütte, um ihm dort zu saufen und von den Resten seines kärglichen Mals zu fressen zu geben. Doch der Hund verharrte im Abstand von einigen Metern an einer unsichtbaren Grenze vor der Hütte, was sich erst änderte, als der Vollmond zu Neumond übergegangen war. In der Zwischenzeit hatte sich der Hund dort eine Mulde gescharrt, in der er schlief oder neben der er sitzend und aufmerksam die Tätigkeiten des Mannes verfolgte.



Da der Hund also nicht in die Hütte kommen und unbedingt an besagter Stelle bleiben wollte, versorgte der Mann ihn dort, wo er war, setzte sich neben ihn und fuhr ihm über den breiten schwarzen Rücken. Er war offensichtlich ein Mischling, aber so ausgewogen und geradezu edel, wie es nur ganz wenige reinrassige Hunde sind. Er hatte einen kräftigen Körperbau mit einer breiten, tiefgezogenen Brust und muskulösen Gliedmaßen, die darauf schließen ließen, dass er daran gewöhnt war, weite Strecken zu laufen. Sein Kopf war breit mit einer stumpfen Nase und großen, runden, dunkelbraunen Augen, was ihm trotz seines stämmigen halbhohen Körperbaus einen gutmütigen Eindruck verschaffte. Die Farbe Weiß dominierte am Hals, Bauch und an den Flanken. Der lange Schwanz endete ebenfalls in Weiß. Und da er diesen beim Laufen hoch in der Luft trug, verschwand dieser als Letztes hinter Erhebungen oder tauchte als Erstes dahinter wieder auf.

Als die Dämmerung dieses ersten gemeinsamen Tages hereinbrach, ging der Mann in seine Hütte und bereitete sich wie üblich eine Fischmahlzeit. Als er im schwindenden Licht nach draußen ging, um Wasser zu holen, war der Hund verschwunden.

Beim ersten Lichtstrahl am kommenden Morgen schaute der Mann als erstes nach dem Hund, der friedlich in seiner Mulde schlief, nachdem er die Nacht offensichtlich mit Jagen verbracht hatte, denn überall lagen Fasanenfedern verstreut herum.
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Erleichtert stellte der Mann fest, dass er sich also um die Versorgung des Hundes kaum und allenfalls bei Schneefall im Winter kümmern musste. Doch noch waren die Blätter an den Bäumen, wenngleich sie sich zu verfärben begannen. Es war trocken, und die Temperaturen auch noch in der Nacht angenehm.



Der Mann, der sich an die Gegenwart des Hundes und daran gewöhnt hatte, dass dieser oftmals längere Zeit fortblieb, ging wie gewohnt seiner täglichen Beschäftigung nach, sah nach den Reusen und versetzte sie wenn nötig. Auch überprüfte er in regelmäßigen Abständen die Angelruten. Zudem gab es immer etwas an der Hütte zu reparieren, zumal das Dach mit seinen Holzschindeln. Auch musste ein Holzvorrat für den Winter angelegt werden. Jetzt im Herbst ging er im nahen Wald Pilze suchen oder Brombeeren pflücken. Da geschah es nicht selten, dass der Hund nach längerer Abwesenheit wie aus dem Nichts an seiner Seite auftauchte und dabei vor Freude grunzte und seinen Körper hin- und herbog. In allerdings seltenen Augenblicken sprang er auch an dem Mann hoch und leckte ihm großzügig durch das Gesicht. Aber ansonsten war er mehr zurückhalten und hielt auf Abstand.



Als der Mond wechselte, die Nächte kühler wurden und Regenwolken heraufzogen, kam der Hund in die Hütte und legte sich wie selbstverständlich auf den für ihn mit Laub gestopften Sack vor dem Bett des Mannes.



Wenn es das Wetter zuließ, und die Arbeit getan war, saßen beide am späten Nachmittag vor der Hütte, der Mann auf einem groben Holzblock mit dem Rücken an die Holzwand der Hütte gelehnt, und der Hund in einem gewissen Abstand vor ihm, der ein Streicheln nur selten zuließ. Und wenn der Mann dem Hund Geschichten erzählte, dann stellte dieser seinen Kopf schräg und die ansonsten hängenden Ohren halb abgeknickt hoch. Und wenn die Geschichte etwas kurz ausgefallen war, dann geschah es nicht selten, dass der Hund eine Vorderpfote hob, um eine neue zu erbetteln. Und so verging die Zeit bei beiden und in der Natur.



Der Hund war schon einige Monde bei dem Mann. Beide hatten den Winter leidlich überstanden. Aber auch bei großer Kälte und bei Schneefall hatte der Hund an seinem Trieb festgehalten und blieb oftmals längere Zeit verschwunden.
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Der Mann musste bei dem Gedanken lächeln: Waren sie sich beide nicht sehr ähnlich? Unabhängig, keine allzu intime Nähe duldend, authentisch und kraftvoll.



Als der Frühling nahte, die Zeit der Schneeglöckchen vorbei war, anstattdessen die ersten Osterglocken sichtbar wurden, und die Fische übermütig aus dem Wasser sprangen, da freute sich der Mann auf die kommende Zeit mit dem Hund. In seiner Gegenwart erfuhr er sein eigenes Ich und die Natur viel intensiver. Ein schönes Jahr würde vor ihnen liegen.



Als es die ersten wärmenden Sonnenstrahlen zuließen, saßen sie zum ersten Mal in diesem Jahr nachmittags wieder vor der Hütte. Und der Hund wartete mit erhobener Vorderpfote, schräg gestelltem Kopf und abgeknickten Ohren auf eine Geschichte, die erste in diesem Jahr. Aus irgendeinem Grund hatte den Mann etwas daran gehindert, dem Hund einen Namen zu geben. In diesem Augenblick war der Mann sehr bewegt. Und als er den Hund mit „Mein Bruder“ ansprach, sprang dieser erschrocken auf und lief wie in Panik fort. Das Letzte, was der Mann von ihm sah, war seine weiße Schwanzspitze, die hinter dem Hügel verschwand. Der Mann wartete auf seine Rückkehr einen langen Mond. Vergebens. Dann kam ihm die Einsicht in das Geschehen.

Und es überkam ihn zum ersten Mal eine alles umfassende Einsamkeit, die sich durch nichts besänftigen ließ. Später fertigte er ein Kreuz und steckte es unter einer alten Eiche in die Erde. Und davor türmte er einen Haufen Kieselsteine auf, die er aus dem Bachbett geholt hatte.

Danach ging es ihm besser, wenngleich die Erinnerung noch lange schmerzte.



Und wieder einmal musste der Mann seine Lektion vom Loslassen lernen.



K. A. 20. IX. 2006
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Kommentare zur Story:

  sehr schön! auch wenn ich wohl noch eine weile über den "bruder" nachdenken muss bis ich das so ganz verstehe^^
lg darkangel  
darkangel  -  10.02.07 17:31

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Interessante Kommentare

Kommentar von "Nausicaä" zu "frühling z2"

einfach toll, dieses frühlingsgedicht. du findest in deinen gedichten häufig ganz eigene, besondere bilder. wunderschön, ohne kitschig zu sein.

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