Wie oft schon habt ihr mich gefragt, was ich denke? Niemals habt ihr eine Antwort bekommen. Meine Gedanken, sie gehören mir. Ich behalte sie für mich, wie einen wertvollen Schatz versuche ich dieses Heiligtum zu verteidigen. Niemand soll wissen, was ich wirklich denke und fühle. Schon so oft habe ich 10 „Pfennig“ oder später 10 „Cent“ (man beachte die Wertsteigerung!) für mein kostbarstes Gedankengut geboten bekommen. Aber selbst dieser extremen Versuchung konnte ich widerstehen (mein Gott, wie dumm von mir, ich könnte längst reich sein, wenn ich das Geld kassiert hätte und dafür eine „Falschaussage“ geliefert hätte). Jedes Mal wenn dieser Satz fiel, stumpfte ich mehr ab. Ich gestehe, die ersten Male suchte ich noch nach etwas „passendem“, an das ich grad denken könnte, aber als mir das zu müssig wurde, begann ich diese Frage zu ignorieren. Allenfalls ein extrem informatives „Nichts“ kam mir ab und an über die Lippen. Versucht mal an dieses „Nichts“ zu denken, es ist unglaublich schwer. Plötzlich muss man an 1000 Dinge denken, nur nicht an „nichts“. Wie denkt man überhaupt an „nichts“? Selbst wenn ich eine Entspannungs-CD höre, dann denke ich zumindest noch dadran, ob mir die Musik gefällt oder nicht. Eines Tages passierte das Unglaubliche, auch du schaust mich an und fragst mich: „Was denkst du grade?“ Einen Moment schrecke ich zusammen, was interessieren ausgerechnet dich meine Gedanken? Ich fange grade an dich für diese Frage zu verfluchen und wieder: „Sag mir doch bitte mal, was du denkst!“ Ich schaue dich entsetzt an, ich weis nicht, wen ich in diesem Moment mehr hasse: Dich? Weil du mich das fragst? Mich? Weil ich dir keine Antwort geben kann/will/möchte. Und ich hole tief Luft und sage: „Nichts!“ Dabei versuche ich all meine Glaubhaftigkeit in dieses eine Wort zu legen, zur Verstärkung meiner Aussage schaue ich dir dabei tief in die Augen. Du lachst: „Gut kannst du das, man könnte es dir fast abkaufen und nun sag mir was du wirklich denkst!“ Du machst mir Angst, du willst es wirklich wissen. Jeder andere zuvor, hat sich damit abgefunden, niemals weiter versucht in meiner Seele, in meinem Gehirn rumzustochern. Aber dir ist es ernst, du willst es wirklich wissen. Wieder hole ich tief Luft, aber es kommt kein Ton heraus. Du schaust mich an und sagst: „Du musst es versuchen, du musst es einfach nur versuchen.
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Ich merke wie ich langsam Panik bekomme, aber dann kommt mir die vermeintlich rettende Lösung: „Was denkst du denn grade?“ versuche ich es mit einer Retourkutsche, die mich bisher aus allen brenzligen Situationen retten konnte. „Was ich denke? Ich denke, dass du ein Problem damit hast, über deine Gefühle zu sprechen, du kannst es gar nicht mehr!“ bekomme ich stattdessen zu hören. Eigentor, na prima. Mein Gehirn dreht völlig durch, ich weis gar nicht mehr, was ich dachte, ehe du diese furchtbare Frage gestellt hast. Meine Gedanken drehen sich nur noch im Kreis: „Hilfe, was um Himmels Willen könnte ich jetzt sinnvolles denken??“ Du merkst es sofort, du siehst es mir an und sagst: „Überleg doch nicht!! Du sollst einfach nur die Augen schließen und mir sagen, was du denkst!“ Ich schließe die Augen, ich merke wie eine Träne sich ihren Weg sucht, sie drückt sich durch die geschlossenen Augenlider und tritt schließlich in das Halbdunkel des abends, sie läuft meine Wange hinunter, ehe sie mein Kinn erreicht, wischst du sie fort. „Psssscht, nicht weinen, es ist nicht so schwer, wie du denkst!“ flüsterst du mir zu. Es ist schwer, es ist so verdammt schwer, meine Lippen scheinen zusammengeklebt zu sein. Minuten vergehen, vielleicht kann ich dieser Situation durch eisiges schweigen entfliehen? Du schaust mich traurig an: „Wovor hast du nur so eine verdammte scheiss Angst? Kannst du mir das vielleicht mal erklären??“ Ich liege einfach da und habe meine Augen noch immer geschlossen, mehr Tränen, als du fortwischen könntest, suchen sich ihren Weg. Endlich, eine Frage auf die ich eine Antwort geben kann: „Davor noch einmal alles zu zerstören, was ich je hatte. Ich habe ein einziges Mal gesagt, was ich wirklich denke und damit habe ich alles kaputt gemacht. Es war nicht böse gemeint – es war das, was ich damals dachte und von diesem Tag an, wollte ich nie wieder jemandem sagen, was ich wirklich denke.“ Leise schluchze ich in mein Kissen, ich kann und will dir nicht sagen, was ich denke. Niemals. Nicht heute, nicht morgen – nie. Und du antwortest: „Das weis ich, aber wenn du es mir nicht sagen kannst, dann werden wir uns nie wiedersehen, so ist das!“ Es tut weh, es tut so verdammt weh, ich will schreien, dass ich dich dafür hasse, aber selbst das gelingt mir nicht, ich schweige eine Weile und schweren Herzens bringe ich etwas über die Lippen: „Pass gut auf dich auf!“ Ich glaube es selbst nicht, was ich da grade sage, welch schwachsinnige Worte ihren Weg nach „draußen“ gefunden haben.
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Langsam ziehst du dich an, so als wolltest du mir noch Zeit geben, aber ich bringe kein weiteres Wort zu stande. „Das wars dann wohl!“ traurig siehst du mich an. Ich beginne dich zu hassen, richtig zu hassen, warum tust du mir das an? Du hast es immer gewusst, meine Gedanken gehören mir ganz allein. Und sie werden mir immer allein gehören, denn selbst wenn ich es will, wenn ich es von ganzem Herzen will, ich kann Dir nicht mehr sagen, was ich wirklich denke. Ich habe es verlernt meine Gedanken frei zu lassen und nun halten sie mich gefangen.
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