Romane/Serien · Nachdenkliches

Von:    Klaus Asbeck      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 3. November 2003
Bei Webstories eingestellt: 3. November 2003
Anzahl gesehen: 2507
Seiten: 9

Es war einmal ein Bauer, der alleine auf seiner kleinen Scholle lebte. Er hatte eine stattliche Figur, wenngleich die harte, tägliche Arbeit und das beginnende Alter seinen Rücken gebeugt hatten. Nachdem der lange und alles vernichtende Krieg zuende war, und man nicht mehr um sein Leben bangen mußte, konnte er wieder seinen kleinen Handel aufnehmen. Während der wärmeren Jahreszeit brachte er einmal wöchentlich auf einem Handkarren ein paar Feldfrüchte und Gemüse aus dem Garten in die kleine Stadt am Horizont. Für den Erlös kaufte er sich Petroleum oder andere nützliche Dinge, die er selbst nicht herstellen konnte. Im Winter, wenn es die Witterung zuließ, brachte er Holz aus dem nahen Wald in die Stadt.

So verlief sein Alltag. Nur die Jahreszeiten brachten Ab-wechslung in sein hartes aber zufriedenes Leben.

Es war mal wieder Frühling. Die Natur war wie auf einen geheimen Befehl hin erwacht. Die Vögel trugen emsig Nistzeug zusammen. Bäume und Sträucher umgaben sich mit einer hellgrünen Aura. Kraniche und Wildgänse ka-men vom Süden zurück und flogen rufend in Keilform ihren nördlichen Brutplätzen entgegen. Diese wenigen Wochen waren die einzige Zeit im Jahr, in der der Bauer eine gewisse Einsamkeit verspürte. In dieser Zeit unter-brach er öfter als gewöhnlich seine Arbeit, setzte sich vor seine bescheidene Hütte und schaute gedankenverloren über das weite Land.



In dieser ihn bewegenden Jahreszeit geschah es, daß er schwerbepackt mit einem Bündel Holz auf seinem Rücken vom Wald zu seiner Hütte zurückkam, vor der auf einem Stein eine junge Frau saß. Ihre Haare hingen ihr strähnig und verfilzt ins Gesicht, und ihre zerschlis-sene Kleidung bedeckte nur notdürftig ihren Körper. Der Bauer blieb vor ihr stehen und ließ das Holzbündel zur Erde gleiten. Er blickte auf sie herunter, aber sie sah ihn nicht an. "Wer bist Du, wie heißt Du, woher kommst Du?," wollte er von ihr wissen. Aber er erhielt keine Antwort. Sodann fragte er sie, ob sie Hunger verspüre, worauf sie lebhaft mit dem Kopf nickte. Er wollte sie an die Hand nehmen, was sie aber heftig abwehrte. "Nun gut," meinte der Bauer, "dann folge mir in die Hütte." Er forderte sie auf an dem groben Holztisch Platz zu nehmen, und machte sich am Ofen zu schaffen.
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Sie rührte sich derweil nicht. Ihre großen, dunklen Augen er-kundeten ängstlich das Innere der Hütte, die nur aus einem Raum bestand.



Nach einer geraumen Zeit nahm der Bauer einen dampfenden Topf mit Kartoffeln vom Ofen und setzte ihn vor ihr ab. Von einem Regal nahm er ein Stück gro-bes Brot und legte es ebenfalls vor sie auf den Tisch. Die junge Frau wartete erst gar nicht ab, bis der Bauer das Holzbesteck und ein Messer aus der Tischschublade her-vorgekramt hatte. Gierig stopfte sie sich die Kartoffeln in den Mund und biß von dem Brot ab, so als befürchtete sie, daß man es ihr wieder wegnehmen würde. Bei diesem Anblick erhellte ein flüchtiges Lächeln das zer-furchte Gesicht des Bauern.

Als sie alles bis auf den letzten Krümel verschlungen hatte, ließ sie einen gewaltigen Rülpser vernehmen, über den sie sich selbst erschrak. Der Bauer schaute sich hilf-los in der Hütte um. Dann schaute er die junge Frau an. "Was mache ich nur mit Dir?" Und sie tippte energisch mehrfach mit dem Finger auf die Tischplatte, worauf der Bauer sie fragte, ob sie etwa bei ihm bleiben wolle. Sie nickte mehrfach mit dem Kopf und ein kehliger Laut entrang sich ihrer Brust.



Die einzige Frau in seiner unmittelbaren Umgebung, an die der Bauer sich erinnern konnte, war seine Mutter ge-wesen, die mit ihm, als er noch ein Kind war, von Bauernhof zu Bauernhof gezogen war, wo sie sich jedes Mal als Magd verdingte. Doch das war lange her. Er hatte seine Mutter in diesem langen Krieg verloren. Ma-rodierende Soldaten hatten sie verschleppt.



Der Bauer ging in eine hintere Ecke des Raumes und holte unter einer losen Dielenplatte ein Kästchen hervor, dem er etwas Geld entnahm. Sodann sagte er zu ihr, daß er versuchen werde, in der Stadt etwas für sie zum An-ziehen und ein paar gebrauchte Pferdedecken zu be-sorgen. Doch könne er vor der Dunkelheit nicht zurück sein. Sie solle sich nicht fürchten. Er zeigte ihr noch, wie man die Petroleumlampe entzündet, und machte sich so-dann mit seinem Handkarren auf den Weg.



Als er spät am Abend zurückkam, war der Tisch gedeckt, die Kartoffeln dampften auf dem Herdfeuer und ein paar Gänseblümchen standen auf dem Tisch. In einer Ecke hatte sie Stroh aufgeschichtet.
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Dies sollte offensichtlich ihre Lagerstatt sein.



Der Bauer musterte dies alles mit einem stillen Blick. Und als er die Gänseblümchen gewahr wurde, griff etwas nach seinem Herz. Er langte in seinen Sack und holte ein geblümtes, einfaches, aber sauberes Kleidchen hervor, das er auf den Tisch legte. Sodann machte er sich an ihrem Strohlager zu schaffen, legte zwei Pferdedecken darüber und befestigte eine Decke als Vorhang an einem Dachbalken davor. Er drückte ihr das Kleidchen in die Hand, mit dem sie hinter dem Vorhang verschwand.



Er stellte die Kartoffeln und das Gemüse auf den Tisch, an dessen beiden Enden sie sodann Platz nahmen. Im Schein der Petroleumlampe sah er, daß sie ein Kopftuch trug. "Willst Du das Kopftuch nicht abnehmen?", forderte er sie auf. Sie schüttelte verneinend den Kopf, nahm es dann aber doch ab. In seiner Abwesenheit hatte sie sich ihre Haare bis auf ein paar Zentimeter abge-schnitten. Als sie seinen sprachlosen Blick sah, nickte sie nur mehrfach mit dem Kopf. "Du kannst wohl nicht sprechen, oder?" Sie schüttelte den Kopf und machte mit beiden Zeigefingern ein Kreuz. "Ach, mein unbekanntes Mädchen, so werde ich denn nie etwas über Dich er-fahren," seufzte der Bauer und fuhr fort: "Du bist offen-sichtlich herrenlos. Welches Leid mag Dir widerfahren sein." Sie stand vom Tisch auf und räumte ab. Das Kleidchen stand ihr gut. Und er konnte nicht umhin darunter ihre fraulichen Konturen wahrzunehmen. Sie legte ihre beiden Handflächen aneinander und neigte den Kopf zur Seite zum Zeichen, daß sie müde sei. Er nickte und murmelte: "Mögest Du unter diesem Dach Frieden finden." Sie ging hinter ihren Vorhang. Und er hörte, wie sie sich auf ihrem Nachtlager einrichtete. In dieser Nacht konnte er nicht schlafen, denn es hatte ihn etwas ange-rührt, was ihm unbekannt war.



Am kommenden Morgen, als die Sonne ihre ersten Strahlen über das Land schickte, erhob er sich. Er machte Feuer, um eine große Schüssel mit Wasser für sie zu er-wärmen, die er sodann vor ihrem Vorhang abstellte. Er ging nach draußen, um die Hühner und die alte Ziege zu füttern. Er ließ sich Zeit und machte wohl manchen Weg zweimal. Als er dann flüchtig wie ein Dieb durch das Fenster spähte und sah, wie sie den Tisch für das Früh-stück deckte, betrat er die Hütte.
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"Hast Du gut ge-schlafen?" Sie nickte und schaute ihn sogar dabei an. Als sie sich wieder gegenüber saßen, fragte er sie, ob sie vielleicht schreiben könne, was sie mit einer Kopfbe-wegung verneinte. Der Bauer dachte nach. "Wie soll ich Dich nennen?" Doch sie hob nur die Schultern. "Ich nenne Dich Anna, ja. Es ist ein Name, der sich an seinem Anfang und seinem Ende gleicht; er ist rund und in sich geschlossen." Sie nickte zustimmend. Und die Angst in ihren Augen machte zögerlich einem scheuen Strahlen Platz.



Sie leerte draußen die große Schale mit Schmutzwasser und holte damit am Brunnen frisches Wasser. Sie er-ledigte den Abwasch und begab sich daran, die Fenster von ihrem jahrelangem Schmutz zu befreien. Als sie damit geendet hatte, tanzten die Sonnenstrahlen in dem Raum. Der Bauer spaltete draußen Holz und sah immer wieder zur Hütte rüber. Es hatte ihn etwas Unbekanntes berührt. Am Nachmittag sah er sie im Garten, wie sie kniend die jungen Pflänzchen vom Unkraut befreite.



Der Frühling ging und der Sommer hielt Einzug. Beide gingen ihrer Arbeit nach, die sie sich im stillen Einver-nehmen aufgeteilt hatten. Sie redeten wenig miteinander. Doch begegneten sich ihre Blicke oft genug. Aber er be-merkte, wie sich zunehmend Traurigkeit in ihren Blick einnistete. Und eines Abends, als sie beide wortlos vor der Hütte den Sonnenuntergang betrachteten, faßte er sich ein Herz sie zu fragen, ob sie sich nicht wohl bei ihm fühle. Doch sie verneinte dies mit dem Kopf. Sie zeigte mit dem Finger auf ihr Herz, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Mehrere Tage lang quälte den Bauer die Frage, was das wohl zu bedeuten habe. Und eines Tages, als sie sich wieder am Tisch gegenüber saßen, und ihr Blick zum ersten Mal dem seinen nicht auswich, da wußte er es. Er stand vom Tisch auf, kramte in einer Schublade rum und ging mit einem Bündel nach draußen. Nach einem kleinen Augenblick betrat er wieder die Hütte in einem weißen Hemd und einer Hose, die ehe-mals schwarz gewesen und jetzt grau war. Er ging auf sie zu, blieb vor ihr stehen und brachte hinter seinem Rücken einen kleinen Blumenstrauß zum Vorschein, den er un-beholfen in seinen groben Händen vor sich hielt. "Anna," und nach eine Pause.
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"Anna, willst Du meine Frau werden?" Sie sprang auf ihre Füße und warf ihre Arme um seinen Hals, und die lang angestaute Sehnsucht floß ihr über die Wangen. Er hob sie auf in seine Arme und trug sie vor die Tür. So mit ihr vor der Hütte verharrend, flüsterte er "Dem Himmel sei Dank." Sie glitt auf den Boden und reckte sich auf den Zehenspitzen an ihm hoch, um ihn zu küssen. Und noch in selbiger Nacht zeigte sie ihm mit ihrem uralten weiblichen Wissen, wie beide ein Paar wurden.



Nach einem Jahr wurde ihnen eine Tochter geboren, die sie Akeleia nannten. Sie war ein stilles, zufriedenes Kind. Sobald es krabbeln konnte, mußten es die Eltern ständig suchen. War es nicht bei den Hühnern, dann war es bei der Ziege. Und einmal war Akeleia weder da noch dort zu finden. Die Eltern suchten überall ums Haus und riefen nach ihr. Da hörte der Vater vom nahen Waldrand her ihr helles Lachen. Dort saß sie im hohen Gras und ein Reh leckte ihr durch das Gesicht, worauf sie jedesmal hell auflachte. Als das Reh den Vater sah, sprang es in hohen Sprüngen zum Waldrand, wo es stehen blieb und zusah, wie der Vater sein Kind aufhob und küßte. Akeleia jedoch blickte weinend dem Reh nach. Der Vater schaute auf seine weinende Tochter und dachte: " Welch ein besonderes Kind. Der Himmel möge es beschützen."



So lebten die Drei mit Glück gesegnet mehrere Jahre zusammen. Aber es war so, als wollte so viel Glück den Neid heraufbeschwören. Als Akeleia fünfjährig wurde, erkrankte die Mutter auf der Lunge. Sie hustete immer schlimmer, bis auch Blut austrat. Der Bauer mußte dies hilflos mit ansehen, fast ohnmächtig vor Schmerz. Einen Arzt gab es nicht. Wie hätte er ihn auch bezahlen können. So saß er stundenlang an ihrer Lagerstatt, hielt ihre Hand und betete um Gnade. Eines Tages, als er von draußen mit frischem Wasser zurückkehrte, um sie zu waschen, lag sie lächelnd erstarrt dar. Er warf sich verzweifelt auf-schreiend über ihren toten Körper. "Du bist wortlos ge-kommen, Du bist wortlos gegangen," stammelte er. Er nahm seine Tochter hoch in seine Arme und bedeckte diese mit seinen Küssen.



Sie beerdigten den Leichnam im Garten unter einer mächtigen Ulme, in deren Rinde der Vater den Namen "Anna" einkerbte.
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Sodann zog er wieder sein weißes Hemd und die ehemals schwarze Hose an und nahm mit Akeleia an der Hand stumm Abschied am frischen Grab.



Aber das Leben nahm seinen Fortgang. Akeleia saß fortan am Tisch auf dem Platz ihrer Mutter, dem Vater gegenüber. Und schon früh übernahm sie auch deren Pflichten in der Hütte und darum herum. Mittlerweile hatte sich auf Annas Grab eine stattliche wilde Rose an-gesiedelt. Wenn der Vater auch nicht den genauen Todestag seiner Frau kannte, so konnte er ihn doch in etwa an der Natur ablesen. Und dieser Tag wurde nie vergessen.



So vergingen die Jahre. Die alte Ziege war gestorben. Der Bauer hatte eine junge Ziege mitgebracht, der Akeleia den Namen Antonius gab, obwohl es eine weib-liche Ziege war.

Akeleia war nun schon fünfzehn Jahre alt geworden. Und vor dem Einschlafen meinte der Vater ab und an einen leisen Seufzer von ihr zu vernehmen.

Als sie eines abends wieder gemeinsam das einfache Mahl einnahmen, und ihre knospende Weiblichkeit nicht mehr zu übersehen war, meinte der Bauer: "Akeleia, Du reifst zur Frau. Die Natur beginnt ihre Forderung geltend zu machen." Akeleia fragte zurück, was er denn damit meine. "Ich meine damit," antwortete der Vater, "daß Du nicht ewig bei mir leben kannst, daß der Tag nicht fern ist, an dem Du Dir einen Mann suchen mußt, um eine eigene Familie zu gründen." Entsetzt starrte Akeleia ihren Vater an und rannte nach draußen. Als sie sich be-ruhigt hatte, kam sie zurück und setzte sich wieder an den Tisch. "Vater, wenn das so ist, dann mag die Natur lange warten, denn ich verlasse Dich nicht." Sie sagte dies mit einer solch festen Stimme, daß der Vater nichts darauf entgegnen konnte. Er ging um den Tisch herum und strich seiner Tochter mit der Handfläche, die so rauh wie eine Borkenrinde war, zärtlich über den Kopf. Und im-mer dann, wenn ihr Vater in der Folgezeit dieses Thema wieder ansprechen wollte, reagierte seine Tochter darauf unwillig. So blieben sie zusammen.



Und die Jahre vergingen. Doch konnte Akeleia kaum die Augen davor verschließen, wie ihren Vater zunehmend die Kräfte verließen. So wurden beispielsweise die Pausen, die er beim Holzhacken einlegen mußte, immer länger.
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Und bei der beschwerlichen Feldbestellung half Akeleia zunehmend mit. Der Garten war gänzlich in ihre Zuständigkeit übergegangen.

Eines Abends sagte ihr Vater: "Meine Tochter, ich werde älter und meine Kräfte verlassen mich zunehmend. Was wird aus uns? Was soll aus Dir werden, wenn ich nicht mehr bin?" "Ach Vater," antwortete sie, "das ist noch lange hin." "Nein, das ist nicht mehr lange hin. Die Schatten senken sich. Ich weiß es besser." Akeleia fuhr sich über die Augen und machte sich daran, das Geschirr zu spülen. Als beide zu Bett gingen, umarmte sie ihren Vater. Er war schmal geworden. Seine Wangen waren eingefallen. Gebeugt stand er vor ihr. Und sie flüsterte kaum vernehmbar: "Vater, ich liebe Dich, Du mein ein-ziger Mann." Er vernahm es. Und zum ersten Mal in seinem Leben wurden seine Augen feucht. Denn er war über alle Maßen reich in diesem Leben beschenkt worden. Zweimal war ihm die uneingeschränkte Liebe begegnet. So konnte er nur hervorbringen: "Meine Tochter, meine Tochter."



Am nächsten Morgen lag ein Hauch Winter in der Luft. Akeleia war es nun, die früh aufstand, Feuer im Ofen entfachte und Antonius fütterte, die nun auch schon in die Jahre gekommen war. Die Hühner hatten nach und nach die Füchse oder Marder geholt. Danach ging sie noch in den Garten und pflückte die letzten, halbreifen Tomaten. Der Frost war nicht mehr weit. Dem Grünkohl allerdings würde er guttun. Und dem Feldsalat konnte er so schnell nichts anhaben.



Sie ging zurück in die Hütte und setzte Wasser für einen kräftigenden Weidenrindentee auf. Ihr Vater schaute ihr währenddessen von seinem Lager aus zu. Es schmerzten ihn die Glieder, und er wartete unter der wärmenden Bettdecke ab, bis das Herdfeuer in der Hütte seine Kraft entfaltet hatte. Und wenn sie sich dann gegenüber saßen, und er ein ums andere Mal betonte, daß er zu nichts mehr nütze sei, dann erwiderte sie leicht zornig: "Vater, daß Du lebst, ist alles, was ich begehre." Danach schwieg er und blieb gedankenschwer am Tisch sitzen, während sie sich besonders lärmend in der Hütte zu schaffen machte.

So verbrachten sie noch den Winter zusammen, an des-sen Ende der Bauer die Hütte nicht mehr verlassen konnte.
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Geschwächt lag er die meiste Zeit auf seiner Lagerstatt und sprach kaum noch ein Wort. Abends setzte sie sich neben ihn und stellte die Petroleumlampe an das Kopfende seines Bettes. Sie erzählte ihm, daß die Kraniche und die Wildgänse aus dem Süden zurückge-kehrt seien, daß die Vögel Nistzeug suchten, oder auch, daß sie unter dem Holzhaufen an der Hütte drei junge Kätzchen entdeckt habe. Und ihr Vater sah sie mit seinen müden Augen unentwegt an, ohne ein Wort zu sagen. Und wenn ihm diese dann zufielen, rückte sie seine Decke nochmals zurecht und küßte ihn auf die Stirn.



Eines Morgens lag er regungslos dar. Als sie ihn er-schrocken sanft an seiner Schulter rüttelte, öffnete er die Augen und hauchte: "Anna, ich komme." und verschied.

Akeleia sank neben ihm auf die Knie und verbarg schluchzend ihr Gesicht in seiner Decke. So verharrte sie eine kleine Ewigkeit. Danach ging sie nach draußen und hob neben dem Grab ihrer Mutter eine Grube aus. So-dann zog sie den Leichnam von der Lagerstatt bis an die Grube und ließ ihn sanft hineingleiten. Sie pflückte ein paar Gänseblümchen und steckte das kleine Sträußchen in seine gefalteten Hände. Sodann schaufelte sie das Grab zu. Sie sprach lautlos ein Gebet, in dem sie ihrem Schöpfer und ihrem Vater für so viel Glück dankte. Es war mittlerweile dunkel geworden. Angezogen legte sie sich auf ihre Lagerstatt und weinte eine lange Nacht lang.



Als der Morgen graute, erhob sie sich, packte ein Bündel Sachen zusammen, ging nach draußen, verschloß die Tür und schloß die Fensterläden. Sie holte Antonius aus dem Stall und machte sich auf den Weg, den ihr eine innere Stimme vorgab. Sie blickte nicht zurück. Sie schlug eine Bogen um die kleine Stadt. Und Antonius tippelte an der Leine neben ihr her. Gegen Abend kamen sie an ein Nonnenkloster. Sie zog an der Glockenschnur so lange, bis sich die schwere Tür öffnete, und eine Nonne in ihr erschien und sie nach ihrem Begehren fragte. "Ich und Antonius möchten bei Euch bleiben," wobei sie auf die Ziege neben sich deutete. Die Nonne lächelte und meinte: "Da müssen wir die Schwester Oberin fragen. Komm rein." Die Nonne verschwand und ließ beide in der großen steinernen Halle zurück.
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Dann kehrte die Nonne zurück und sagte, daß die Schwester Oberin sie erwarte, doch müsse sie ihre Ziege hierlassen. Aber das lehnte Akeleia entschieden mit dem Hinweis ab, daß Antonius alles sei, was sie habe. Die Schwester runzelte die Stirn, und hatte gerade den Satz ausgesprochen, daß Akeleia noch lernen müsse zu gehorchen, da betrat die Schwester Oberin die Halle. Akeleia wollte ihr zu Füßen fallen, doch die Schwester Oberin hielt sie fest mit den Worten: "Nein, nicht Du," und legte ihr zum Segen ihre beiden Hände aufs Haupt. Ein warmer Schauer lief durch Akeleias Körper, und sie wußte, daß sie geborgen war. Antonius kam in den Stall zu den anderen Tieren, die Akeleia fortan allesamt versorgen durfte.

Für viele Jahre verrichtete sie vor ihrer Lagerstatt abends ihr Gebet, wobei sie erst Gott dankte und dann ihrem Vater. Aber mit den Jahren vermischten sich beide in ihren allabendlichen Gebeten zu ein und derselben Person. Gott hatte dafür Verständnis und schenkte ihr Frieden.



1.XI.2003
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Punktestand der Geschichte:   137
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Kommentare zur Story:

  Diese Story ist nicht schlecht, doch muß ich mich hier der Meinung von Heidi STN und Redfrettchen anschließen. Viele Fragen bleiben offen, zu viele, um die man sich Gedanken machen muß(Hab ich auch schon mal geschrieben). Und leider fehlt Spannung.
Zum Kommentar:
Die Liebe zu Ihrem Vater dürfte auch eine "Irdische" gewesen sein, wenngleich auch keine sexuelle. Da verstehe ich es nicht so ganz, daß die Tochter nach seinem Tod sogleich in ein Kloster geht, ohne zu versuchen, das Leben zu leben...seltsam, seltsam...naja.
4 Points  
Dr. Ell  -  09.02.04 19:28

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  Sehr schöne Geschichte. Doch kommt sie mir recht oberflächlich geschrieben vor, es fehlt noch die Spannung, irgendwie.

Gut.  
Redfrettchen  -  30.11.03 09:44

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Hallo Heidi,
Himmel bist Du mir treu.
Also, die offenen Fragen sind gewollt, damit der Leser seine Fantasie walten lassen kann.
Akeleias große Liebe war ihr Vater, da hätte sie eine "irdische" wohl eher gestört. O.K.?
Gruß
Klaus  
Klaus Asbeck  -  13.11.03 17:52

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  ein schöner, trauriger Märchen.
(seit dem ich "Alchimist" gelesen habe, liebe ich Märchen für Erwachsene...)
Schade, dass die Ende offen bleibt - der Leser erfährt nicht, ob Akeleia im Kloster den Rest ihres Lebens bleibt? wird sie nie andere Liebe kennenlernen?
eigentlich ist es mehr die Geschichte des Bauers - und auch hier blieben viele Fragen offen: woher kam Anna, was war ihr passiert bevor sie zu dem Bauer fand usw.?
trotzdem sehr schön geschrieben.
5 Punkte.
Gruß, Heidi  
Heidi StN  -  12.11.03 16:58

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