Die Geschichte Coupés - Alle Teile   12

Romane/Serien · Romantisches

Von:    Julia D.      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 26. Oktober 2003
Bei Webstories eingestellt: 26. Oktober 2003
Anzahl gesehen: 5359
Seiten: 56

Diese Story ist Teil einer Reihe.

Verfügbarkeit:    Die Einzelteile der Reihe werden nach und nach bei Webstories veröffentlicht.

   Teil einer Reihe


Ein "Klappentext", ein Inhaltsverzeichnis mit Verknüpfungen zu allen Einzelteilen, sowie weitere interessante Informationen zur Reihe befinden sich in der "Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht":

  Inhaltsangabe / Kapitel-Übersicht      Was ist das?


„Ich friere, Anna.“ Merry blinzelte ihre Schwester an. Sie konnte nur schemenhaft ihr Gesicht erkennen, was sie von ihr abgewandt hatte. Sie sah verträumt aus dem Fenster, hinaus in die tief schwarze Nacht. Ihr weißes Nachthemd schmiegte sich eng um ihren Körper, ließ jede einzelne Rundung und Form erkennen. Ihr langes, welliges Haar das jetzt so schwarz wie die Finsternis draußen wirkte, hatte sie sich zu einem langen geflochtenen Zopf gebunden.

„Anna, bitte. Zieh den Vorhang zu. Mich friert es so arg. Bitte.“ Merry sah ihre Schwester an. Ihre Augen glänzten in dem fahlen Licht das vom Mond herein drang.

„Sicherlich, mein Herz.“ Sie faste den schweren Stoff und zog ihn mit viel Kraft zu. Sie verharrte noch einen kurzen Augenblick am Vorhang, strich mit den Finger über ihn und senkte ihren Kopf.

„Nun komm ins Bett zurück. Sonst wirst du noch erkranken.“ Anna gehorchte ihr. Sie kroch unter die dünnen Decken, die aus dem feinsten Stoff und die reinste Seide bestanden, bestickt mit den schönsten Mustern aus Goldfäden. Anna betrachtete die Bestickung aufmerksam und flüsterte in Merrys Richtung gewand: „Sie sind so schön und haben so viele Taler gekostet, dass man damit wahrscheinlich eine siebenköpfige Bauernfamilie einen Lenz lang hätte ernähren können.“ Sie machte eine kurze Pause. „Aber warm halten sie einen nicht. Seltsam, findest du nicht auch? Ist das nicht der Zweck den sie erfüllen sollte?“

Merry seufze. Ihre immer verträumte Schwester. Fast jeden Abend machte sie so etwas. Fast jeden Abend wurde sie nachdenklich. „Sie sollen nicht warm halten, sondern hübsch aussehen und uns weich betten. Und nun schlafe endlich, sonst wirst du morgen den ganzen Tag wieder verschlafen im Hof. Vater gefällt dass nicht.“

Anna nickte. „Ja, du hast wieder einmal Recht. Vater würde es nicht gefallen.“ Anna legte sich zurück und starrte an die Decke. „Eine gesegnete Nachtruhe, Merry.“

Merry war schon fast wieder dem Schlaf verfallen. Sie gab einen bestätigten Laut raus und wiegte sich in ihren Träumen.



Als Merry erwachte, war der Vorhang bei Seite geschoben und die Sonnenstrahlen fielen weit in den Raum. Sie atmete den herrlichen Frühlingsduft ein und streckte sich. Sie sah zur Seite, erkannte ihre Schwester schlummernd in ihrem Bett liegend.
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Die Zofe trat ein. Sie hielt eine Waschschüssel in der Hand. „Guten Morgen Fräulein Merry. Ich hoffe, dass ihre Nacht angenehm war und mit vielen herrlichen Träumen gesegnet war.“ Sie lächelte Merry lieb an und stellte die Schüssel auf der Kommode ab. Dann trat sie zum Schrank und suchte die passende Bekleidung für den Tag hinaus.

„Oh Carol, ich habe so lebendige Träume gehabt, dass ich dachte ich befände mich in Schloss Lebbick und mein erwachen sei ein Traum.“ Merry sprang aus dem Bett. Sie setzte sich auf den Stuhl, direkt vor einer Kommode mit einem riesigen Spiegel. Um den Spiegel hing ein weißer Schleier - mit den selbem Bestickungen die ebenfalls auf ihrer Decke waren.

Auf der Kommode lagen, eine goldene Bürste, ein goldener Kamm und ein kleiner goldener Handspiegel. Merry beugte sich vor und roch an den gelben Tulpen die man ihr ins Zimmer gebracht hatte.

„Setzten sie sich hin und bleiben sie still. Sonst schmerzt es sie, wenn ich ihr Haar bürste.“, drohte Carol ihr ernst. Die Zofe war schon seit die beiden Zwillinge geboren waren für sie verantwortlich gewesen. Sie liebte sie wie ihre eigenen. Merry, die aufgeweckte mit diesem lebensfrohen Geist und ihre Schwester Anna, verträumt und nachdenklich. Sie waren so gleich und doch so verschieden. Sie waren keine eineiigen Zwillinge, aber es gab eine starke Bindung zwischen ihnen, die nicht zu erklären war.

Merry ließ sich zurück fallen. „Ich träumte, dass ich draußen im Hof spazieren gehe und der junge Prinz mir begegnet. Er war wunderschön, Carol. Und er hatte für mich ein Gedicht geschrieben, welches er mir vortrug. Es war wunderschön. Und er küsste mich.“ Sie sah verträumt in den Spiegel. Carol kämmte ihr Haar mit einem Lächeln. „Und was taten sie?“, fragte sie Merry.

Sie kicherte. „Ich holte ihn nachts zu mir ins Gemach, wo er mich auf Rosen bettete und mich liebte.“

Carol schüttelte den Kopf. „Ihr habt eine rege Fantasie, Fräulein. Wartet doch erst einmal ab bis der junge Prinz eingetroffen ist. Mag sein er ist gar nicht so schön wie ihr glaubt. Vielleicht hat er ja viele Pickel und schaut aus wie ein Eber in der Paarungszeit. Vielleicht ist er auch so klein, dass er auf ein Pony ins Schloss geritten kommt.
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Sie werden sehen, wenn er sich vor Eurer Schönheit verbeugt, dann werdet ihr ihn umrennen.“

Merry schüttelte lachend den Kopf. „Nein Carol. Er wird wunderschön sein. Das weiß ich. Und ich werde ihn heiraten und er wird mir die Sterne vom Himmel holen.“

„Ja, Merry.“ Anna hatte sich im Bett aufgerichtet. Das euphorische Schreien ihrer Schwester hatte sie aus dem Schlaf gerissen. „Er wird wunderschön sein und du und er ihr werdet das schönste Hochzeitspaar, dass man je gesehen hat. Und ich werde deine Schleppe tragen und es wird rote Rosen regnen, welche das Volk aus den Fenstern werfen.“ Sie stand auf und umarmte ihre Schwester von hinten. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. „Und du wirst wunderschöne Kinder haben und ein wunderschönes Leben führen. Alle werden dich beneiden und wünschten sie währen an deiner Stelle. Du wirst sehen, Merry. All deine Träume werden sich erfüllen.“

Carol hatte Merry ihr schönstes Kleid gegeben. Es war weiß mit einem hell blauen Unterrock und weißen Handschuhen, bis zu den Ellenbogen. Eine große hell blaue Schleife zierte ihr Steißbein und ihr wunderschöner Rücken lag frei. Das Kleid lag weich um ihren Körper gehüllt und die Coursage war stramm um ihre Taille geschnürt.

Sie hatte ihr blondes Haar aufwendig hochgesteckt und ihre großen braunen Augen strahlten aus ihrem rosigen Gesicht. Ihre Haut schimmerte leicht und duftete herrlich nach Blumen.

Anna sah ihre Schwester bestaunend an. „Du siehst wunderschön aus.“ Merry lachte verschämt. „Anna, mach nun du dich frisch. Ich werde schon nach unten gehen. Der Prinz trifft bereits zum Frühstück ein und ich will meinen zukünftigen Mann nicht warten lassen. Beeile dich und komm schnell nach!“ Sie trat majestätisch aus dem Raum und schritt, gefolgt von eifrigen Dienerinnen und Dienern hinunter in den Hof.

Anna blieb in ihrem Nachthemd gehüllt zurück. Carol sah sie an, griff dann nach der Waschschüssel und machte sich auf den Weg neues, frisches Wasser zu holen. „Sie ist schon eine richtige Königin, nicht wahr?“, sagte sie noch rhetorisch bevor sie aus dem Raum trat.

Anna wandte sich zu ihrem Kleiderschrank. Welches Kleid vermochte sie anzuziehen? Sie entschied sich für ein zart gelbes mit einem weißen Unterrock und weißen Handschuhen.
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Als Carol den Raum betrat, saß Anna schon wartend auf den Stuhl, die Bürste in der Hand. Verträumt sah sie aus dem Fenster, starrte die Wälder an die sich bis zum Horizont streckten. Sehnsüchtig schloss sie die Augen und atmete lautlos den Duft ein. Dieser ewige Drang sich weg zu begeben. Anna sah nicht auf, als Carol an sie heran trat.

„Ich wünschte mir, ich könnte einfach gehen. Ich wünschte, ich hätte nicht dieses Leben und könnte meine Wege gehen. Ich wünschte ich könnte meine Geschichten aus fernen Gegenden ziehen und nicht nur aus meiner Fantasie. Ach Carol, warum wurde ich nur mit diesem Leben gestraft.“ Eine Träne rollte ihre zarte Wange entlang, verirrte sich zu ihren Lippen und perlte von dort ab.

„Fräulein Anna, sie haben ein wunderbares Leben. Niemals werden sie den Notstand einer armen Familie erfahren. Sie werden einst ihre Wege gehen, glauben sie mir. Sprechen sie von diesem Leben im Reichtum nicht wie von einem Fluch. Ihr Vater hat viel getan, um ihnen dieses zu bieten und er ist ein guter Mann.“ Sie nahm Anna die Bürste aus der Hand und begann ihr den Zopf zu lösen.

„Vater ist…“ Sie schwieg und ließ diesen Satz unvollendet. „Es ist ein Fluch für mich. Ich war noch niemals außerhalb der Mauern Schloss Lebbicks. Nun lebe ich schon siebzehn Lenze und habe immer nur den gleichen Hof mit den gleichen Menschen und den gleichen Blumen gesehen. Niemals war ich im Wald spazieren oder in einem Dorf. Ich habe noch niemals das Reich meines Vaters gesehen. Ich weiß noch nicht einmal wie groß sein Besitz ist.“

Die Zofe kämmte ihr weiches Haar. Es schimmerte immer ein wenig gold in der Sonne und ihre grünen Augen schimmerten so schön Smaragd, dass die Träume die sich in ihnen wieder spiegelten, die tiefsten Wünsche eines jeden Menschen preisgaben. Jeder Atemzug den sie tat, war etwas Besonderes und wurde mit so einer liebe angenommen, dass man nicht mehr atmen wollte, um die Luft allein ihr zu lassen. Die Sehnsucht in ihrem Gesicht, zeigte den tiefen Schmerz den sie mit sich führte. Und wenn sie einmal lachte, glich es einem Sonnenaufgang und ein jedes Herz lachte mit ihr.

„Mein Kind, macht nicht so ein betrübtes Gesicht. Es ist ein so schöner Tag und das nicht nur außerhalb der Mauern.
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Ich weiß, dass sie eines Tages eine Geschichte schreiben werden, die sie sich an einem Fluss weit weg von Schloss Lebbick erdacht haben. Und nun werden wir ihnen den Schlaf aus den Gesicht waschen und ihnen ihr Kleid anlegen.“

Anna nickte und ließ Carol ihre Arbeit tun.



Merry schritt in den Thronsaal. Ihr Vater saß mächtig auf seinem Thron und sah starr in die Runde. Seine Berater berichteten ihm den neusten Stand seines Vermögens und wie er es am besten anlegen solle.

Als er seine Tochter erblickte, hob er kurz die Hand und seine Berater schwiegen. Er winkte kurz und sie verschwanden in alle Richtungen. Merry trat mit einem strahlenden Lächeln an ihrem Vater. Sein Gesicht wurde heller und er stand auf. „Du siehst zauberhaft aus.“ Er griff nach ihrer Hand und führte sie raus in den Hof.

„Sag, meine Tochter, wie war deine Nacht?“, erkundigte er sich väterlich. Er führte sie raus in den Hof. Die Sonne strahlte warm vom Himmel und die Vögel sangen laut in den rauschenden Bäumen. Überall waren Gärtner zugange den Garten auf Vordermann zu bringen und Dienerinnen deckten die lange Tafel, die man anlässlich den schönem Wetter draußen aufgebaut hatte. „Ich habe wie ein Baby geschlafen, mein Vater. Die Aufregung ließ mich allerdings früh erwachen.“

„Auch ich habe nicht lang geschlafen. Ich will doch wissen, ob der junge Mann den ich meiner Tochter ausgesucht habe, ihr gefällt. Ich hörte er soll so schön sein wie ein prachtvoller Vollblüter und so stolz wie ein König. Sein Edelmut soll nicht vergleichbar sein und sein Reichtum fühlt eine ganze Kammer voll.“ Er schritt über den Kies und legte seine Hand in ihren Rücken, bewog sie so zu stehen bleiben. „Sagt, wo ist Eure Schwester? Ich warte schon den ganzen Morgen darauf sie zu sehen.“

Merrys Blick senkte sich. Er dachte immer nur an Anna. Auch in diesem Augenblick, wo es doch um ihre Verlobung gehen sollte. Sie, und nicht Anna sollte die Braut werden. „Sie wird gleich kommen. Sie macht sich noch frisch und wird sich dann unverzüglich zu uns begeben. So ließ sie es mich wissen.“

Er nickte und seine kleinen braunen Augen wurden nachdenklich. Sein Gesicht alterte ein wenig und fiel in sich zusammen.
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Ein Diener kam von hinten angerannt und blieb schnaufend neben dem König und seiner Tochter stehen. Er vollführte eine Verbeugung und sagte mit gesenktem Blick. „Mein König, der Fürstensohn Erik von Gauen trifft gleich ein. Die Späher melden, dass er jeden Augenblick vor den Toren ist.“

Der König nickte zur Kenntnisnahme. „Wohl dann, meine Tochter“, wandte er sich zu Merry „lasst uns Euren Gatten herzlich empfangen.“ Er nahm ihre Hand und führte sie schnellen Schrittes zu den Toren Schloss Lebbicks.

Anna vernahm die Trompeten, als der Prinz eintraf. „Nur keine Eile, Carol.“, befahl sie und lehnte sich in der Wanne zurück. Sie hatte sich entschlossen ein Bad zu nehmen. Sie hatte einfach das Bedürfnis danach. Carol wusch ihr Haar weiter, mit einer ungeduldigen Ruhe.



Merry stand neben ihrem Vater, an den Stufen des Schlosses. Eine prunkvolle Kutsche fuhr vor, gefolgt von vierzehn Reitern.

Sie wurde nervös, Aufregung machte sich in ihrem Körper breit. Sie hob ihr Kinn an und versuchte ihre Nervosität unter hinter einer königlichen Miene zu verstecken. Sie hob die Brust an und hielt die Luft an, als einer der Reiter abstieg und sich neben der Tür der Kutsche stellte.

Er stand gerade und stellte höflich vor: „Der Sohn des Fürsten von Gauen und der Fürstin Anquelik von Gauen geborene Pavarott, Erik von Gauen.“ Er öffnete die Tür, ließ die kleine Treppe runter und wartete.

Ein junger Mann trat aus dem Inneren. Sein Haar war in der Mitte ordentlich getrennt und schimmerte ein dunkles blond aus. Seine Augen strahlten in einem hellen blau und sein Gesicht wirkte so knabenhaft, wie das eines Kriegers. Sein Körper war athletisch und seine breiten Schultern zeigten seine Stärke. Er lächelte mit einem Mundwinkel leicht verschämt, als er auf den König und seine Tochter zutrat.

Er trug eine schwarze Hose mit ebenfalls schwarzen Stiefeln, eine weiße Bluse mit reichlichen Rüschen und eine schwarze seidige Weste. Er zog seine Handschuhe aus und vollführte eine tiefe gekonnte Verbeugung vor dem König. „Mein König, es ist mir eine Ehre Euch zu begegnen. Ich danke Euch für diese Einladung.“ Dann richtete er sich auf und sah mit gesenktem Kopf die errötete Königstochter an.
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Er nahm zärtlich ihre Hand und gab ihren einen weichen Kuss. „Und laut Eurer blendenden Schönheit seid Ihr Prinzessin Merry.“ Er machte eine kurze Pause. „Der Ruf Eurer Schönheit wird Euch keineswegs gerecht.“ Merry sah verschämt weg. Er ließ ihre Hand los und wandte sich zum König.

„Seit herzlich Willkommen, junger Erik. Ich will Euch in den Hof führen und Euch meinen Besitz zeigen. Und dann werdet Ihr uns hoffentlich beim Frühstück mit Eurer Anwesenheit beglücken?“ Der König hatte ein nettes Lächeln aufgesetzt. Die Reaktion seiner Tochter auf den jungen Fürstensohn, war genau die die er sich gewünscht hatte.

„Aber natürlich mein König. Ich danke Euch.“ Er warf Merry einen zuckersüßen Blick zu. „Vorerst nimmt als Geschenk diese goldene Truhe an.“ Ein Diener brachte schnell aber geschickt eine funkelnde goldene Truhe an und überreichte sie einem Diener des Schlosses Lebbick. Nach den Formalitäten ließ er sich in das Schloss führen.



Der Fürstensohn saß Merry gegenüber - warf ihr hier und da einen verstohlenden Blick zu, den sie gekonnt verschmähte. Er sollte sich um sie bemühen, so wie sie es sich schon ausgemalt hatte.

„Sagt, junger Erik“, begann der König ruhig, „stimmt es, dass ihr ein Meister der Jagd seid? Man berichtete mir, dass sie einige Erfolge zu berichten haben, nicht nur im fangen von Tieren.“ Herausfordernd sah er Erik an.

Dieser lachte einmal auf und antwortete ebenso herausfordernd: „Mein König, für wahr habe ich einige Siege errungen, aber waren diese nie dass was ich suchte. Ich suche vollkommene Schönheit, gekrönt mit Intelligenz und wenn es geht, auch ein Titel darf es zieren.“ Er warf Merry einen Blick zu und hob sein Weinglas an. „Und wie es mir scheint, habe ich bereits ein Fee gleiches Wesen gefunden. Ich vermag nicht zu glauben, dass es aus Fleisch und Blut ist. Es muss Magie sein.“ Dann trank er einen Schluck.

Der König lachte. „Ihr versteht Euch der Kunst der Romantik. Es wird mir eine Freude sein, Euch in unsrer Familie begrüßen zu dürfen, soweit die Frucht meiner Lenden dem zustimmt.“ Er stieß seine Tochter leicht an. Merry senkte den Blick und versuchte so der peinlichen Situation zu entkommen.

„Ihr könnt froh sein“, erklärte der König mit vollem Mund, „dass sie nicht mein Aussehen geerbt hat, sondern das ihrer Mutter.
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“ Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Becher.

Der Fürstensohn sah den König an und fügte selbstverständlich hinzu: „Dafür hat sie Euren Anmut und Eure königliche Ausstrahlung.“

Ein tiefes Brummen kam als Lachen aus dem Mund des Königs. Es gefiel ihm was der Junge von sich gab. Er würde ein guter Nachfolger werden. Er hob die Hand und ein Diener brachte eine silberne Karaffe mit Wein gefüllt. Er füllte den verzierten Becher und sah dann fragend zum Fürstensohn. Dieser ließ seinen Becher ebenfalls erneut füllen, was er wahrscheinlich eher aus Höflichkeit tat.

Für einen kurzen Augenblick, wagte Merry sich doch einmal zu den Jungen Erik hinüber zu schauen. Als sich ihre Blicke trafen, stieg ihr die Röte ins Gesicht. Er lächelte wieder verschämt mit einem Mundwinkel und zwinkerte Merry, mit seinem rechten Auge zu. Merry richtete sich auf, setzte sich gespielt empört gerade hin und warf ihren Kopf provozierend zur Seite. Sie nahm sich vor ihn heute nicht mehr beim Essen anzuschauen.

Der König runzelte die Stirn. Der König erhob die andere Hand. Sofort trat ein Bediensteter heran und lehnte sich vor. Der König redete kurz mit ihm und winkte ihn dann weg. Merry folgte den Schritten des Dieners und sah, dass er eilig ins Schloss hinein rannte. Ihr Vater hatte wieder sein fröhliches Lächeln aufgelegt und widmete sich wieder ganz seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Essen.



Anna lag in der Wanne, ihre Füße hangen über den Rand hinaus und wurden von einer kalten Brise erfasst. Die wohltuenden Dämpfe strichen ihr durch ihr Gesicht. Sie sog sie tief ein und schloss die Augen, um die Tränen zu verhindern.

Sooft hatte sie schon geweint und ausgerechnet heute musste es wieder passieren. Wo doch Merrys großer Tag war. Sie wollte nicht mit roten Augen nach unten gehen und sich ihren zukünftigen Schwager stellen. Sie wollte glücklich wirken. Als Anna sich ihren Körper ansah, wurde ihr übel. Sie hatte schöne, wohlgeformte Brüste, eine schmale Taille und lange schlanke Beine. Alles was einen Mann an einer Frau liebte. Einfach alles. Nur die blauen Flecken zwischen ihren Beinen und an ihrem Busen sah keiner.
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Die Schnitte die sie sich selber an ihren Innenschenkeln zugefügt hatte, interessierten nicht. Niemand fragte sie, warum sie ihren Körper so hasste. Warum sie hier raus wollte und warum man sie ständig träumen sah.

Carol hatte einmal gesagt, dass Wunden mit der Zeit heilen. Und sie glaubte ihr. Sie schöpfte ihre Hände voll mit Wasser und wusch sich ihr Gesicht. Carol trat ein. „Wünscht ihr noch mehr warmes Wasser?“

Anna dachte nach. „Nein.“ Sie setzte sich auf. „Legt mein Kleid bereit, ich werde mich selbst abtrocknen und komme dann hinaus. Sie können nun gehen.“ Sie wartet noch einen Augenblick stieg dann aus der Wanne hinaus. Sie stand einige Sekunden nackt vor dem Fenster und starrte wieder in die Wälder. Dann griff sie nach ihrem teuren Handtuch und trat aus dem Badezimmer in ihre Schlafkammer.

Carol stand die Hände gefaltet und wartete geduldig. Sie wischte noch einmal mit dem Tuch über Annas Rücken und seufzte. Anna stand vor dem Spiegel, betrachtete sich ihre Narben unterhalb ihrer Brust, strich leicht mit ihren Fingerspitzen darüber.

Die Zofe sah über ihre Schulter hinweg, traurig in Annas Gesicht. „Wisst Ihr“, begann sie, während sie das Kleid in die Hand nahm, „Ihr werdet Eurer Mutter von Tag zu Tag ähnlicher. Sie war eine gute Frau und so schön wie ein Einhorn.“ Sie lachte kurz. „Und mindestens genau so selten. Sie hatte wie Ihr diesen verträumten Blick. Und manchmal wusste ich nicht, ob sie jemals in die Realität zurückkehrte.“

„Ich wünschte ich hätte sie gekannt.“ Anna sprach mit so einer zerbrechlichen Stimme, dass selbst ein Flügelschlag einer Taube sie hätte davon tragen können. Sie zitterte und unweigerlich liefen ihr die Tränen erneut über die Wangen.

Carol strich ihr das Kleid über und zog es glatt. Dann drehte sie Anna um und sah sie traurig lächelnd an. „Tut Euch nicht ständig weh, mein Kind. Ihr könnt nichts dafür. Und eines Tages wird sich das Leben zu Euren Gunsten wenden. Ich weiß es.“ Sie wusste dass dies nicht die tröstenden Worte waren die das Kind jetzt nötig hatte.

Anna schwieg und versuchte die Tränen zu trocknen. Um Merrys Willen, würde sie nicht mehr weinen.
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Die Tür wurde mit einem lauten Krachen aufgestoßen. Ein Diener des Königs stand im Eingang. Mit einer kurzen oberflächlichen Verbeugung fing er an zu berichten: „Prinzessin Anna: Ihr Vater lässt Sie fragen, wann Sie gedenken zu Ihm zu stoßen. Der Gast sei schon lange eingetroffen und Euer Verhalten sei fehl am Platz.“ Er sah fast hochnäsig auf Anna herab. Sein flüchtiger Blick streifte ihren Busen und erkundete kurz den Rest des Körpers, blieb dann an den Narben am Bein stehen. Anna strich sich das Kleid ganz runter und sah nervös zu ihrer Zofe.

Wütend trat Carol ihm in den Weg. „Wie Sie sehen ist die Prinzessin bereits beim einkleiden. Sie wird sich noch ihr Haar richten und dann sofort zu Ihrem Vater stoßen.“ Aufbrausend trat sie noch einen Schritt an ihn heran. „Und nun machen sie dass sie verschwinden!“ Sie scheuchte ihn ganz raus und schlug ihn zuletzt die Tür vor der Nase zu.



„Das Essen war vorzüglich. Ich habe wohl noch nie so gut gespeist.“ Erik lief neben dem König den Kiesweg entlang. Der König schritt, die Arme auf den Rücken gekreuzt, mit ernsten Gesicht neben ihm.

„Ihre Blumenpracht ist einfach atemberaubend.“ Versuchte er erneut ein Gespräch mit dem schweigsamen und äußerst ernsten König zu beginnen. „Doch Ihre schönste spaziert dort hinten mit ein paar reichen Töchtern.“ Er sah den König von der Seite an.

„Erik“, begann er und blieb stehen „Sie sind wahrhaftig ein ehrenhafter junger Mann. Seinen Sie gut zu Ihr und überhäufen Sie sie mit diesen Komplimenten und Sie werden schnell ihr Herz gewinnen.“ Der Junge nickte dankend. „Und nun, entschuldigen Sie mich. Ich muss noch etwas erledigen.“ Erik verbeugte sich kurz und sah dem König nach, der schnell in Richtung Schloss schritt.

Wenn er erst König war, dann würde er sich einen großen Brunnen bauen lassen. Genau in die Mitte des Hofes.

Außerdem, wer hätte gedacht, dass die Tochter solche Reize aufweißt? Es würde ihm ein Vergnügen sein, gut zu ihr zu sein. Er blickte zu Merry herüber. Wenn sie charakterlich so interessant war, wie ihr Aussehen, dann hätte er ein gutes Leben mit einer hübschen treuen Frau an seiner Seite. Was wollte man als angehender König mehr?



„Er schaut Euch an.
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“, flüsterte eines der Mädchen Merry zu. Ihr Name tat nichts zur Sache. Sie war nur eine weitere verzogene reiche Göre die sich nur mit ihr abgab, weil sie die Tochter des Königs war. Keinen von ihnen interessierten ihr Charakter oder ihre Wünsche und Vorlieben. Sie wollte auch mit niemanden darüber reden. Dafür hatte sie Anna.

Merry lächelte gekünstelt. „Ja?“, fragte sie bestätigend. Das Mädchen nickte grinsend. „Nun wohl. Lasst mich allein. Ich will ihm die Chance geben sich mit mir zu unterhalten.“ Die Mädchen liefen lachend weg.

Merry lief leichtfüßig den Weg entlang, beobachtete aus ihrem Augenwinkel den jungen Mann, der ihr Herz erobert hatte. Er schritt langsam, keine vier Meter neben ihr. Seine Daumen hatte er sich in den Hosenbund gesteckt und seine Haare hangen ihm ins Gesicht. Das gefiel Merry. Es hatte etwas Verbotenes.

Sie ging hinter einer Hecke entlang, wartete ungeduldig auf ihr Ende, zwang sich aber ihren Schritt nicht schneller werden zu lassen. Am Ende der grünen Mauer, warf sie einen kurzen Blick zur Seite. Als sie ihn nicht erspähen konnte, drehte sie ihren Kopf schließlich ganz. Merry konnte ihn nirgendwo entdecken, überlegte kurz den Weg zurück zu gehen. Als sie sich schließlich im Gedanken umdrehte, stieß sie einen kleinen spitzen Schrei aus.

Direkt vor ihren Augen wurde eine Rose gehalten. Merry machte einen Schritt zurück und hielt sich ihre Hand auf ihre schwer atmende Brust. „Erik, Ihr habt mich erschreckt.“, stotterte sie.

Er lächelte. Dann machte er eine tiefe Verbeugung und sagte: „Und Ihr seit noch bezaubernder als vorher. Selbst in solch erschreckenden Momenten.“

Merry drehte sich zum gehen um. „Mit solch Späßen werdet Ihr wohl kaum mein Herz erobern.“ Sie hob ihr Kinn, streckte die Brust raus, um dann majestätisch davon zu gleiten. Erik blieb schweigend zurück.

„Oh nein. Ich hatte nicht vor so Euer Herz zu erobern.“ Er lief neben sie. „Ich dachte, Ihr würdet mir eine Führung durch das Schloss Ihres Vaters erlauben.“ Er hielt ihr erneut die Rose hin. „Selbstverständlich mit Ihnen an meiner Seite.“

Merry nahm die Blume entgegen und roch daran. Sie sah hinter den Blüten hervor und sagte in einem verführerischen Ton: „Nun, warum glauben Sie, dass ich nicht was Besseres zu tun habe, als Ihnen eine Führung zu gestatten?“ Sie drehte sich schwungvoll zur Seite und spielte mit der Blume in ihren Fingern.
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„Immerhin bin ich eine Königstochter.“

Er stellte sich vor sie und ließ sie so zum stehen kommen. Dann nahm er ihre Hand, streichelte sie zärtlich mit seinem Daumen und flüsterte ihr leise zu: „Ich habe noch nie eine so zarte Haut gefühlt, wie die Eure.“ Er blickte auf. „Und Ihre Augen, Ihre Blicke lassen mein Herz schmelzen. Will ich mich Ihnen entziehen, um den Qualen ein Ende zu machen, so schreit es doch stetig nach mehr. Es ist wie eine Sucht der man sich nicht zu entziehen vermag. Und wenn ich auch nur einen Augenblick nicht bei Ihnen sein kann, so nah dass ich Ihren süßen Duft atmen kann, so zereist es mich innerlich, foltern meine Seele. Glaubt mir, meine Teuerste Merry, Ihr seit es, die mir meiner wissensdurstigen Geist die ewige Frage nach dem Sinn beantwortet. Ihr allein seid es, warum es sich zu leben lohnt. Lasst Ihr mich nicht nur Ihren Schatten spüren, sondern auch Euch.“

Merrys Herz schlug schneller, ihre Atmung beschleunigte sich und der Puls fing zu rasen an. Sie hätte sich am liebsten das Kleid vom Leib gerissen und sich hier von ihm lieben lassen. Seine Worte hatten auch den letzten Weg zu ihrem Herzen frei gelegt. Er war der Prinz auf den sie so lange gewartete hatte.

„Sei es drum. Ich denke, dass eine Führung gut wäre. Ich werde mich in meine Kammer begeben und eine passende Bekleidung suchen. Seinen Sie in einer Stunde wieder hier.“ Sie schaffte es diese Worte mit einer passenden Gleichgültigkeit zu sagen. Sanft zog sie ihre Hand aus seinem zärtlichen Griff und lief davon.



Anna sah sich im Spiegel an. Carol hatte ihr eine aufwendige Hochfrisur gezaubert, die Annas Gesicht zur Geltung brachte. Sie strich sich über ihre Strähne, die sorgfältig in ihr Gesicht fiel.

Zum zweiten Mal wurde die Tür aufgerissen. Diesmal stand ihr Vater im Durchgang und trat stürmisch ein. Carol zupfte an Annas Haar, zuckte beim plötzlichen Eintreten des Königs zusammen. Sie knickste artig und wich einen Schritt zurück, als der König hinter seine Tochter trat.

„Du hast lange gebraucht.“, sagte er mit einer seltsamen Ruhe.
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Dann sah er starr in den Spiegel und suchte verzweifelt Annas Blick. „Du bist wunderschön. Jeden Tag erinnerst du mich mehr an deine Mutter.“ Anna schwieg.

Ihr Vater atmete schwer. „Ich bitte dich, mich gleich zum Spazierengehen zu begleiten.“ Anna schwieg noch immer. Als ihr Vater sie unsanft am Arm fasste und aus dem Stuhl zog, gehorchte sie. Er griff ihre Hand grob und zog sie aus der Kammer.

Carol seufzte und wischte sich ihre Finger an ihrer Schürze ab. „König Coupé“, sagte sie für sich. „warum quälen Sie das arme Ding nur so? Warum?“ Dann drehte sie sich um und begann den Raum zu säubern.

Als die Tür das dritte Mal aufgestoßen wurde, erschrak sie erneut und langsam wurde sie es leid. Man sollte als Ankündigung eine Glocke läuten, dann würde sie auch noch einige Lenzen länger leben. Diesmal kam Merry hineingeplatzt.

„Oh Gott, Carol!“ Sie ließ sich rücklings auf ihr Bett fallen. „Er ist ein Traum.“ Sie drehte sich auf den Bauch und wartete, bis Carol ihr die Coursage aufmachte. Dabei schwärmte sie weiter. „Er hat wunderschöne tiefe blaue Augen und weiches Haar. Er ist groß und muskulös und sein Körper ist so athletisch wie der eines jungen Gottes.“ Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und rappelte sich auf. Carol zog ihr das Kleid aus und hörte weiter gespannt zu.

„Und er hat mir die schönsten und betäubensten Komplimente gemacht. Ach, er ist einfach perfekt.“ Sie lächelte verträumt. Dann sprang sie ans Fenster, starrte zu den Wäldern und atmete tief die Luft ein.

„Kommt da weg, Kleines. Sonst holt Ihr Euch noch den Tot.“ Die Zofe zog sie vom Fenster weg und fragte: „Was für ein Anlass?“

„Eine Schlossbesichtigung. Es sollte freizügig aber nicht obszön, gebildet aber nicht neunmalklug und reizend aber nicht aufdringlich sein.“ Sie betrachtete sich im Spiegel. Die Zofe sah in den Schrank und versuchte was Passendes zu finden.



Erik schlenderte den Weg entlang. Es dauerte noch seine Zeit, bis die junge Prinzessin zurückkam. Wenn sie ihn nicht sogar warten ließ. Er betrachtete das Personal des Königs. Sie arbeiteten fleißig und treu. Bald würden sie ihm unterlegen sein.

Er sah den König.
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Neben ihm eine junge Dame. Ihr Blick war leer und schien in die Ferne zu schauen. Sehnsüchtig blickten sie umher.

Sein Atem stockte unweigerlich, als er ihr Gesicht vollständig erblickte. Ein schöneres Geschöpf hatte er noch nie gesehen. Ein unbekanntes Gefühl zog ihn zu ihr. Ihre magische Ausstrahlung ließ Erik mit erschrecken feststellen, dass er sich ihr niemals mehr entziehen konnte.



Merry traf etwa Zehn Minuten später ein, als es vereinbart war. Der junge Fürstensohn und wahrscheinlich baldiger Prinz, stand an der Hecke und wartete geduldig auf seine Verabredung. Sie lächelte zuckersüß und ließ sich von Erik den Handrücken küssen.

„Dieses Kleid steht Ihnen ausgezeichnet, Prinzessin.“ Er strich mit seinen Fingern über die Spitzen an ihrem Ausschnitt. Leicht berührte er ihren Busen, strich darüber und sah ihr in die Augen. Er setzte wieder sein verschämtes Lächeln auf und hielt ihr den Arm hin.

Merry nahm diesen dankend an und hakte sich ein. Er roch unglaublich gut. Wenn sie sah wie er so stolz neben ihr schritt, wurde die Sehnsucht noch größer sich ihn hinzugeben. Seine starken und muskulösen Arme, hielten ihren Arm so sanft und weich wie eine Mutter ihr Kind. Allein der Gedanke, dass sie den ganzen Tag mit ihm verbringen durfte, versetzte sie in hellster Aufregung.

Sie hatten sich bereits ein gutes Stück von dem Schloss entfernt. Die Sonne lag in der Mittagszeit über ihnen. Schloss Lebbick lag riesig wachend über den Hof, starrte auf ihn hinab, beobachtete alles was geschah, jeden Bewohner welcher in ihm lebten. Fast drohend bäumte es sich auf und präsentierte sich von seiner stolzesten und hochmütigsten Seite. Furcht einflößend gegenüber seiner Gegner, wirkte es doch auch schützend für seine Einwohner. Seine großen Fenster als wachsamen Augen und sein schweres Tor als Mund, sah es aus wie ein lebendes Wesen aus einer anderen Welt. Die sich ständig bewegenden Vorhänge verliehen ihm eine unruhige Miene, mit nervös zuckenden Fahnen. Die geschwungenen Muster an der Fassade bildeten die strengen Augenbrauen, welche böse jeden Eindringling warnten.

„Sagt, Erik“, begann die junge Prinzessin leise, „Habt Ihr jemals wirklich geliebt?“ Sie warf dem Jungen einen nachdenklichen Blick zu.
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Er wiederum lachte kurz um dann zu beantworten: „Nein, ich bin noch nie in den süßen Genuss der Liebe gekommen. Niemals, bis heute.“ Er sah sie an. Seine Gedanken schweiften ab, hin zu der fremden Schönheit die heute mit dem König im Hof spazieren ging.

Sie setzten sich auf eine kleine Bank, aus dessen Sicht man die ganze Pracht des Hofes sah. Merry senkte ihren Kopf. „Ich denke, dass Ihr den Thron anstrebt und Euch mein Wohlergehen nicht so am Herzen liegt, wie die Schatzkammer meines Vaters.“

Seine Reaktion trat sofort ein. Er griff nach ihren Händen kniete sich vor sie nieder und sah sie verletzt an. „Wie könnt Ihr nur so was denken, Merry?“ Seine Stimme zitterte leicht. „Ihr seit betörend schön. Allein Eure Intelligenz übertrifft Eure Schönheit.“ Er hob ihre Hände ein Stück an. „Ihr seit so zart wie eine Blume und so undurchdringlich. Allein Eure Augen sind so tief und so warmherzig, dass ein jeder sich in ihnen verlieren vermag und niemals wieder herausfinden möchte. Bitte glaubt mir, wenn ich ihnen sage, dass nicht Euer Titel mich verzaubert hat, sondern ganz allein Sie. Sie Merry.“ Er strich mit seiner Hand über ihre Wange.

Dann beugte er sich vor und gab der jungen Prinzessin ihren ersten Kuss. Er drückte vorsichtig seine Lippen auf ihre, war so sanft und zart dabei wie er nur konnte, ließ seine ganze Leidenschaft ihn diesen einen Kuss fließen. Ihr Duft stieg ihm in die Nase und er wünschte sich nichts sehnlicher als ihren ganzen Körper zu berühren. Ihre weiche Haut zu streicheln und ihr ihre zuckersüße Unschuld zu nehmen.

Als er sich wieder zurück lehnte und in ihr Gesicht mit den geschlossenen Augen sah, wusste er das sie es war die er heiraten würde. Merry befeuchtete ihre Lippen, versuchte noch etwas von seinem Geschmack an ihnen zu finden.

Als sie Erik ansah, strahlten ihre Augen vor Glück und Liebe. Sie stand auf, zog ihn dabei mit hoch und beugte sich vor an sein Ohr. „Heute um Mitternacht werde ich mich zu Euch begeben. Wartet in Eurem Gemach auf mich.“, hauchte sie leise. Dann verschwand sie schnell.

Der Fürstensohn blieb zufrieden zurück, setzte sich auf die Bank und beobachtete mit einem zufriedenen Lächeln sein baldiges Reich bei der Arbeit.



Anna saß ihrem Vater gegenüber.
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Sie waren in seinem Gemach und nahmen ein kleines Mittagessen zu sich. Sie betrachtete die großen alten Teppiche, die unter dem Staub nur mit schwachen Farben, Bilder von Königen und ihren Gemahlinnen zeigte. Die Möbel waren allesamt aus dunklem Holz, verziert mit Gold und dekoriert mit vielen Blumen. Schwere eiserne Rüstungen standen an der Wand, drohten fast umzukippen. Die Stühle waren mit weichen Kissen gepolstert, sowie die lange Bank.

Der Kamin lag kalt da, wartete auf den Winter. Sie dachte an die lauten gefräßigen Flammen die sich jedes Mal über sie lustig machten und sie auslachten, sobald sie entblößte und nackt im Raum stand. Diese Fratzen die sie anstarrten, wenn ihr Vater ihr gestattete wieder zu gehen. Dann schlich sie leise mit nackten Füßen in ihren Raum zurück, ihr Nachthemd unachtsam um sich geschlungen, stieg sie ins Bett, versuchte sich zu wärmen und den Duft ihres Vaters nicht einzuatmen. Meistens hatte sie dann lautlos geweint, um Merry nicht zu wecken. Ihr Vater hatte gesagt, solange sie tat was er verlangte, dass er Merry in Ruhe lassen würde. Und das war es was Anna wollte. Merry sollte niemals das erfahren was sie Nacht für Nacht Angst hatte erneut zu erleben.

„Warum isst du nicht?“, fragte ihr Vater. „Schmeckt es dir nicht?“

Anna sah auf ihren unberührten Teller. „Ich habe keinen Hunger.“ Ihr Vater sah sie durchdringend an. Dann ließ er sein Essen fallen und ging zu Anna rüber. Er legte seinen Arm um sie und nuschelte: „Du wirst doch nicht krank sein? Soll ich einen Arzt rufen lassen?“ Er fühlte ihre Stirn.

Anna schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln. „Nein, ich habe einfach nur keinen Appetit. Ich denke, dass es die Aufregung macht. Immerhin wird meine Schwester bald heiraten.“ Er nickte und pullte mit seiner Zunge zwischen seinen Zähnen.

Anna drehte ihren Kopf zur Seite, um dies nicht sehen zu müssen. Sie starrte auf seine vor Fett glänzenden Finger, wie sie ihren Hals streicheln wollten. Panik erfasste sie. Sie sprang auf und lief ein paar Schritte rückwärts zur Tür. Der König hatte sich aufgerichtet und sah mit strenger ernster Miene auf seine Tochter. „Dein Antlitz wird immer mehr das deiner Mutter gleich. Jede Minute mehr.
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“, erklärte er. Er streckte seine Hand aus und sagte leise: „Komm her, mein Schatz. Lass dich aus der Nähe sehen.“

Anna wich zurück. „Es tut mir Leid, mein Vater. Ich habe Merry versprochen ihr zu helfen, wenn sie sich zum Reitunterricht herrichten muss. Ich versprach es ihr.“ Er ließ die Hand sinken und Annas Anspannung wich aus ihrem Körper.

„Sei es drum. Wenn du es ihr versprachst, dann geh zu ihr. Doch bitte ich dich heute Nacht dich zu mir zu begeben. Ich möchte nicht allein sein. Es ist wieder einer dieser Nächte, der mich so an deine Mutter erinnert. Ich möchte dir ein wenig von ihr erzählen.“ Seine Augen glänzten.

Anna nickte. „Ich werde da sein.“ Dann verschwand sie schnell aus dem Raum.



Die Nacht kam schnell. Merry wartete nervös in ihrem Bett. Sie hatte Anna davon erzählt. Und sie hatte sich mit ihr gefreut, dass sie heute Nacht nicht allein einschlafen würde. Aufgeregt hatte Anna darum gebeten ihr alles zu erzählen was sie erlebt hatte. „Ich habe ihn ja noch nicht gesehen.“, flüsterte Anna.

Merry vernahm ein leises Pochen. Schichtwechsel der Wachen. Mitternacht. Sie sprang aus dem Bett und setzte sich auf den Stuhl. Anna fing an ihr Haar zu kämmen. „Oh Gott, Anna“, jammerte Merry. „Was ist, wenn ich etwas falsch mache? Er ist doch bestimmt soviel erfahrender als ich. Ich bin sicherlich nicht die erste Frau für ihn. Ich will ihn nicht enttäuschen. Er wird mich auslachen.“

Anna kicherte. „Du bist nervös, dass ist normal. Er wird dich nicht auslachen, glaub mir. Es wird alles von ganz alleine gehen. Du wirst sehen.“

Merry seufzte. „Wird es wehtun?“

Anna dachte an ihren Vater. Ja, bei ihr hatte es wehgetan. Jedes Mal. „Nein, sicherlich nicht. Er wird so sanft sein zu dir, du wirst es schon sehen.“ Das beruhigte sie ein wenig

„Sei morgen nur früh genug wieder hier, sonst erwischt dich Carol.“, gab Anna ihr noch mit auf den Weg. Sie nickte und schlich leise durchs Schloss zur Kammer des jungen Erik.

Sie klopfte zweimal an, wartete bis fünf Sekunden verstrichen waren, fünf ewig lange Sekunden, bis sie schließlich eintrat.

Der Raum war fahl von Kerzen erleuchtet, die verteilt auf der Kommode, dem Tisch und ums Bett herum standen.
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Merry blieb der Atem weg. Sie schloss die Tür vorsichtig und trat in den Raum ganz ein.

Erik kam ihr entgegen. Er küsste ihre Hand bei einer Verbeugung und sagte liebevoll: „Ihr seid schöner als je zuvor.“ Dann trat er nah an sie heran, legte seine Hand auf ihre Wange. „Lasst diesen Moment niemals verstreichen.“ Dann küsste er sie. So verharrten sie ein paar Sekunden, küssend und streichelt.

Er schritt um sie herum, strich mit seinen Fingern über ihre Schulter und löste langsam die Schleife an ihrem Nachthemd. Er strich es über ihre Schulter, ließ es zu Boden gleiten und küsste sanft ihren Rücken. Seine Hände gingen ihre Taille und ihren Po entlang, glitten über ihren Bauch und berührten vorsichtig ihren Busen. Dann trat er vor sie, betrachtete ihren Körper, knöpfte sein Hemd auf trat vor um sie zärtlich zu küssen.

Merry strich über seinen Oberkörper, ihm das Hemd ab, ertasteten seinen breiten Rücken. Ihre Hände zitterten, als er erneut anfing sie zu küssen. Er sah ihr tief in die Augen hob sie dann hoch und trug sie zum Bett.

Vorsichtig ließ er sie auf die Kissen nieder, legte sich neben sie und begann ihren Körper zu erforschen. Als er anfing ihre Innenschenkel zu liebkosen, wurde Merrys Atmung schwerer. Es war wundervoll. Ein leises Stöhnen wich aus ihrem Mund. Seine Hände streichelten ihre Brüste, strichen ihren Bauch herab, ihre langen Beine hoch.

Als er ihren Bauch küsste, langsam weiter nach oben kam, stieg ihre Nervosität. Sie zitterte, schwitzen kalten Schweiß aus Erregung und Angst. Er strich ihr die Haare aus dem Gesicht und sagte leise: „Mach Euch keine Sorgen, ich werde vorsichtig sein. Vertraut mir.“ Er küsste sie. Seine Lippen schmeckten noch nach ihr und zum ersten Mal, bahnte sich seine Zunge ihren Weg zu ihrer.

Die erste Berührung mit ihr, erschreckte Merry kurz, doch schon bald hatte sie den Reiz daran gefunden und wollte ihn gar nicht mehr gehen lassen. Als er langsam und vorsichtig in sie eindrang, zuckte Merry kurz bei dem Schmerz zusammen. Es war ein Stechen, tief in ihr drin.

Er sah sie besorgt an, verharrte kurz sah sie vorsichtig fragend an. Sie nickte. Und mit jedem Stoss, den er tat, ging es ein Stück besser, bis es schließlich ganz verschwand.
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Ein tiefes, wunderschönes, mulmiges Gefühl trat an dessen Stelle. Es krabbelte durch ihren Körper, verteilte sich überall, drang bis in die kleinsten Ecken.

Sein atmen wurde lauter, entglitt in ein Stöhnen. Er keuchte, sah sie an, strich durch ihr Gesicht und sein verschämtes Lächeln trat auf. Ein Mundwinkel, wie er es so oft schon getan hatte. Merry atmete schwer, genoss seine Bewegungen, fühlte sich sogar animiert mit zu machen.

„Ich liebe Euch.“, hauchte sie leise. Er küsste sie, drückte sich fest an sie. Er stieß kurz Luft aus und brach am Ende erschöpft über ihr zusammen. Er rollte sich von ihr, zog sie ein Stück näher an sich heran. Merry legte ihren Kopf auf seine Brust. Mit den Fingern spielte sie an seinen Bauchmuskeln, sah zu wie sie sich auf und ab bewegten.

Erik hatte seinen Arm um sie gelegt. Seine Fingerspitzen streichelten ihren Arm und mit einem Lächeln beobachtete er wie sich ihre kleinen Härchen aufrichteten. „Ihr seit wunderschön.“, schnaufte er. Merry lächelte und gab ihn einen Kuss auf den Bauch. Schließlich liebten sie sich noch einmal und es war noch perfekter als zuvor.



Merry schlich den langen Gang entlang. Sie dachte die ganze Zeit nur an ihn. Die Nacht, seinen Körper, einfach alles schwirrte durch ihren Kopf. Sie warf einen kurzen Blick aus dem Fenster und erkannte mit Schrecken, das der Morgen kam. Draußen war alles in einem hellen blau getaucht, schemenhaft konnte man schon die Blumen erkennen.

Sie ging schneller. Sie versuchte so leise wie möglich die Tür zu ihrer Schlafkammer zu öffnen. Sie schlüpfte durch einen kleinen Spalt, ließ die Tür lautlos in Schloss fallen und stieg in ihr Bett.

„Anna!“ rief sie leise. Nichts. „Anna, wach auf!“ Wieder keine Reaktion. Merry seufzte genervt, schwang ihre kalten Füße aus dem Bett und tat zwei große Schritte zum Bett ihrer Schwester. „Anna, nun wach doch schon auf!“ Sie riss die Decke zurück.

Das Bett lag kalt und leer vor ihr. Merry drehte sich um, versuchte in ihrer Verwirrung raus zu finden, wo sich ihre Schwester aufhalten konnte. War sie vielleicht unterwegs, um sie zu finden? Sollte sie sie suchen? Nein, sie musste noch ein wenig Schlaf finden, ihr Körper fühlte sich schlaf und müde an.
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Anna würde schon früh genug wieder da sein, noch bevor Carol kam.

Als sie sich in ihr Bett legte, viel sie sofort in einen tiefen Schlaf, träumte von ihrem geliebten Erik. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen nieder und blieb bis sie erwachte.



Erik stand mit verschränkten Armen am Fenster, starrte in den Hof. Schon seit einer Stunde beobachtete er dieses Mädchen. Sie saß auf einer Bank, war in einem Buch vertieft. Wer war sie? Und warum war er so fasziniert von ihr?

Ihr Haar lag über ihre Schultern, wiegte sich vereinzelt im Wind. Es schimmerte golden in der Frühlingssonne, fesselte seinen Blick. Manchmal bewegte sie ihre Lippen mit wenn sie lass und er wünschte sich zu wissen welche Geschichte sie so faszinierte. Die Bilder zu sehen, die sich in ihrem Kopf abspielten.

Ein Mann saß mit ihm im Raum. Er hatte tief schwarzes Haar und einen ebenfalls so schwarzen Schnurbart. Eine Narbe zierte seine rechte Wange, ließ ihn dunkel und düster wirken. Er hielt einen Goldtaler in der Hand, ließ das Licht darauf scheinen. Mit leuchtenden Augen betrachtete er ihn, ließ ihn immer und immer wieder glitzern. „Herrlich.“, sagte er leise zu sich selbst. Er ließ den Taler in seiner Hand verschwinden und sah zu Erik herüber.

„Sagt, Herr Erik, wie war Eure Nacht.“ Er ließ ein leises dreckiges Lachen erklingen. Als keine Antwort seines jungen Herren kam, zogen seine Augenbrauen sich zusammen. „Sagt, gefällt sie Euch nicht? Ich finde die Prinzessin ist ein ausgesprochenes hübsches Ding. Ihr hättet es weitaus schlechter treffen können.“

„Sie ist wunderschön.“, erklärte Erik leise.

Der Mann legte den Kopf ein wenig schräg. „Aber ihr liebt sie nicht. Ist es dass?“ Er erhob sich aus dem Stuhl und ging langsam zu dem träumenden Fürstensohn herüber.

Erik lachte kurz freudlos auf. „Jeder der sie sieht, verliebt sich ihn ihre Schönheit. Ich müsste ein Narr oder blind sein, wenn es bei mir anders wäre.“ Er strich sich sein Haar aus dem Gesicht. „Nein, es ist was anderes.“ Er sah auf. „Ich liebe sie nicht.“

„Sagte Ihr nicht vorhin, dass Ihr Euch in sie verliebt habt?“ Er stellte sich neben den Fürstensohn. Er folgte seinen Blicken, versuchte heraus zu finden was ihn so fesselte.
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„Ihr widersprecht Euch selbst.“

Erik schüttelte den Kopf. Zunächst leicht, wurde allerdings stetig schneller. Er wischte sich mit seiner Hand über den Mund und sprach leise weiter. „Nein, Ihr versteht nicht. Verliebt sein oder lieben, dass ist so was völlig verschiedenes. Es ist wie Tag und Nacht, heiß und kalt.“ Er lief vom Fenster weg redete sich immer mehr in Rage. „Versteht Ihr nicht? Verliebt sein, reicht für ein paar Tage, Wochen manchmal auch Monate, aber dann…“ Er unterbrach lief auf den Mann zu und blieb kurz vor ihm stehen. „Liebe hält ewig, sie vergeht nicht.“ Schnell ging er zurück zum Fenster und zeigte hinaus. „Sie liebe ich. Ich kenn nicht ihren Namen, weiß nicht wer sie ist, aber ich wusste vom ersten Augenblick an, dass sie die Eine ist. Sie und sonst keine.“

Der Mann schaute kritisch aus dem Fenster. Eine junge Frau mit langem gewelltem Haar und nachdenklichen Blick hatte seinen Herren den Verstand geraubt. Seine Sinne betört und sie würde ihn ins Verderben führen.

„Mein Herr, ihr wist, dass ich Euch meine ganze Gnade erweise und alles tue um Euer Leben zu retten.“ Er blickte Erik an. „Aber selbst meine Fähigkeiten mit dem Schwert und der Faust, vermögen Euch vor der Gefahr einer schönen Frau nicht zu schützen.“

Erik ignorierte die Warnung seines Leibwächters und sah die junge Frau an. „Manchmal da ließt sie Minuten lang nur auf einer Seite. Aber ihre Augen bewegen sich nicht. Sie starrt einfach nur auf die Seite, versunken in ihrer eigenen Welt. Was würde ich darum geben an dieser Welt teilhaben zu können.“

Der Mann sah den Fürstensohn nachdenklich an. Es würde nicht gut sein ihn jetzt zu verlieren. Er durfte nicht das Ziel vor Augen verlieren. Allein Prinzessin Merry sollte sein Herz zum springen bringen und nicht eine fremde Schönheit. Er musste für das Glück seines Herren sorgen, so lautete sein Auftrag.



Anna lief den kleinen geschwungenen Weg entlang, wie sie es schon so oft getan hatte. Immer und immer wieder den gleichen Weg, der sich niemals änderte. Noch nicht einmal die Bepflanzung wurde anders. Jedes Jahr die gleichen Blumen im gleichen Abstand. Es ödete Anna an hier lang zu gehen, aber woanders war sie nicht ungestört. Es wimmelte nur so von Gärtnern die den Hof umgruben und neu bepflanzten.
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Als sie an eine kleine Abzweigung kam, sah sie sich kurz um und starrte dann den Weg an. Er war von einem eisernen Tor verschlossen, welches mit Efeu bewachsen war. Außerdem versperrte eine riesige Hecke links und recht die Sicht. Anna drückte das quietschende Tor auf und schlüpfte durch ihn hindurch, weiter den kleinen Weg entlang.

Diese Seite war nicht so sauber bepflanzt wie der Rest des Hofes. Die Blumen, Gräser und Sträucher wuchsen wild am Rand, schimmerten in den verschiedensten Farben. Der Weg wurde uneben, die Steinplatten waren teilweiße in der Mitte gebrochen und überwuchert mit Moos. Zwischen ihnen ragte frisches Gras in einem saftigen grün hervor. Die Sonne schien hier noch heller zu scheinen und ihre Strahlen erwärmten die feuchte Wiese. Jedes Jahr wuchsen die Pflanzen neu und jedes Jahr waren sie etwas anders.

Anna hielt ihr Buch fest in ihren Händen, genoss die Vögel mit ihrem Gesang. Im Hof hatte sie die Vögel nie gehört. Sie ignorierte das quietschende Geräusch des Tores, viel zu sehr war sie in ihrer Welt versunken. In ihrer heilen Welt. Eine Zeit lang war sie nicht in der Lage auf die Person hinter sich zu achten, bis sie sich gestört fühlte in ihrer Harmonie in der sie schwebte. Obwohl die Person hinter ihr versuchte zu schleichen, hörte Anna das leise rascheln im Gras. Schließlich entschloss sie sich doch ihre Ruhe zurück zu holen.

Während sie weiter den Weg entlang schlenderte sagte sie ruhig: „Warum schleicht Ihr mir nach?“ Sie blieb stehen, drehte sich aber nicht um.

„Ich…“, mehr brachte die Person nicht raus. Sie wartete bis die Person neben sie getreten war und ging weiter.

„Es tut mir Leid, meine Dame.“ Der junge Mann stellte sich vor sie und verbeugte sich tief. „Bitte verzeihen Sie mir. Ich wollte Euch nicht stören.“ Anna nickte und lief weiter.

Der junge Herr lief ihr nach. „Bitte wartet. Ich muss mit Euch reden.“ Anna drehte den Kopf zur Seite, stockte kurz und wartete bis man sie wieder eingeholt hatte.

„Nun, warum wollt Ihr mit mir reden?“, fragte sie leise.

„Ich sah Euch und wusste, dass ich mit Euch reden muss. Und wahrhaftig ist Eure Stimme noch zarter, als ich es mir je erträumt hatte. Und Ihr Antlitz ist so bezaubernd, dass ich mein Auge nicht mehr abwenden will.
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Sagt mir, sagt mir alles was Ihr denkt. Ich will wissen, warum Ihr immer so verträumt und nachdenklich seit und warum Ihr Euch hier hin begebt, wo der Hof doch in seiner ganzen Pracht erblüht.“

Anna schaute starr geradeaus. „Ihr fragt viel und reichlich unhöflich, wie mir scheint. Warum sollte ich einen Fremden, der sich noch nicht einmal vorstellte - was für einen Mann mit Stolz und Würde doch wohl selbstverständlich sein sollte - beantworten was in mir vorgeht? Könntet Ihr mir einen guten Grund nennen?“

Der Fürstensohn stockte. „Weil ich vielleicht der einzige bin der sie kennt und versteht. Ich weiß, dass Ihr jeden Tag fast zwei Stunden in Eurem Buch lest und nie mehr als zwanzig Seiten weit kommen. Ich weiß, dass Ihr eine kleine Narbe an Eurer Wade habt und dass Ihr gern Eure Füße im Teich im Hofe badet.“

Anna lachte kurz. „Ihr glaubt tatsächlich, dass Ihr mich kennt und versteht, nur weil Ihr mich beobachtet habt, als ich meine Füße im Teich gebadet habe? Nein, sie wissen gar nichts von mir.“

Verzweifelt sah Erik sie an. „Dann lasst mich Euch kennen lernen. Bitte, lasst mich an Eurer Welt teilhaben. Verratet mir wenigstens Euren Namen.“

Anna ging vom Weg runter, lief über die grüne Wiese. „Ich bin hier, weil hier die reale Welt ist. Nichts ist gekünstelt, die Pflanzen wachsen wie sie wollen, sind nur da, wo sie sein wollen. Niemand hat sie hier hingepflanzt und sie gezwungen hier groß zu werden und ihr Leben an diesem Ort zu verbringen. Sie konnten es entscheiden. Es gibt nicht viele Orte hier im Schloss. Nur im Garten der Bediensteten kann ich die Ruhe und den Frieden finden, den ich suche.“ Anna drehte sich um und betrachtete zum ersten Mal den jungen Mann. „Jetzt habe ich Euch eine Frage beantwortet. Meint Ihr mich nun besser zu kennen?“

Als er nicht antwortet, fragte Anna: „Nun, bin ich dran Euch eine Frage zu stellen.“ Sie lächelte leicht. „Erzählt mir von Eurem schönsten Erlebnis. Etwas, dass Euer Leben verändert hat. Ein Ort an den Ihr wieder zurückkehren wollt.“

Erik senkte den Kopf, dachte kurz nach. Fast sofort viel ihm eine Antwort ein. „Wahrhaftig, meine Dame, diese Frage mag manchen schwer fallen zu beantworten, aber mir ist es ein leichtes.
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“ Anna horchte auf. Auch wenn sie es nicht zeigte, wusste Erik um ihre Neugierde. „Mein Vater sendete mich einst aus, ein Mann zu werden. Er sagte, ich solle mich auf die Reise begeben und einen Ort finden, der mich erwachsen werden ließ. Also zog ich los. Ich ritt Tage lang durchs Land, sah viele Orte, Dörfer und die schönsten Plätze auf Erden. Nur den Platz wo ich erwachsen werden sollte, den fand ich nicht.“ Er schwieg kurz.

„Habt Ihr Eure Suche aufgegeben?“, fragte Anna.

Der junge Mann lacht. „Nein. Ich suchte weiter und entschied auf ein Schiff zu gehen. Die raue See und das harte Leben eines Schiffmann würde mich stäken, dachte ich. Aber anstatt mich zu stärken, entdeckte ich nur, wie sehr ich die Seefahrt hasste. Monate Lang nur Wasser um einen herum, immer wieder die gleichen Leute und keiner von ihnen brachte mir ein gutes Gespräch. Sie liebten und lebten die See.“ Er holte tief Luft und schloss die Augen. „Und eines Tages, sah ich Möwen und ich wusste, dass wir endlich angekommen waren. Endlich Land, endlich andere Leute. Neue Kulturen, fremdes Essen, ungewöhnliche Musik, alles das sollte mich erwarten, wie ich hoffte. Ich ging an Land und kehrte nicht mehr auf das Schiff zurück. Es legte ohne mich ab und ich war allein in einer anderen Welt als die, die ich kannte, mit ein paar Silberstücken und einen kleinen Sack voll mit Kleidung, die ich seit Monaten nicht mehr gewaschen hatte. Meine Dame, ich roch wie ein ganzer Fischerhafen.“ Anna rümpfte bei dem Gedanken die Nase und kicherte kurz.

Sie setzte sich ins Gras, ließ den fremden Jungen sich neben sie setzten und lauschte gespannt seiner Geschichte. „Bitte erzählt weiter.“, sagte sie.

Er gehorchte. „Ich lief in die Ortschaft hinein. Überall kamen fremde Gerüche von Speisen aus den Fenstern und ich merkte wie hungrig ich war. Ich strebte eine Taverne an und bat die Bedienung das beste Essen zu bringen, dass ich für zwei Silberstücke bekommen konnte. Selten habe ich so gut gespeist wie in dieser kleinen Taverne. Ich wusste, dass ich mir für die Nacht eine Unterkunft suchen musste, eine Arbeit um zu überleben und ich benötigte dringend ein Bad. Das war wohl mein sehnlichster Wunsch; eine Schüssel voll mit klaren Wasser.“ Er lehnte sich zurück, gefolgt von Annas Blicken. Ihre Augen leuchteten und sie wirkte so aufmerksam wie er sie noch nie gesehen hatte.
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Ihre Welt war weit entfernt. „Und das Schicksal meinte es gut mit mir. Ein Mann kam in die Taverne und suchte einen tüchtigen Arbeiter, der ihm beim bestellen seiner Felder helfen sollte und mit ihm das Vieh verpflegte. Als Bezahlung bot er eine Unterkunft und warmes Essen an. Das Interesse schwand schnell bei den anderen Männern in der Taverne. Sie hatten alle ein Heim zu versorgen und brauchten Geld und keine Unterkunft. Also bot ich ihm meine Dienste an.“

Anna seufzte tief. „Wie gern wäre ich an diesem Ort gewesen.“ Sie sah ihn an. „Erzählt, wie ging die es weiter. Wie war sein Leben? Wurden sie dort erwachsen?“

„Wartet ab, meine Dame. Ihr seit zu schnell.“ Er holte kurz Luft und erzählte weiter. „Er nahm mich am Arm und zog mich aus der Taverne. Wir fuhren mit einem alten Karren eine holprige Straße entlang, bestückt mit unzähligen Löchern. Ich stellte ihm tausend Fragen, aber er schwieg. Er sagte nur, dass wenn ich so arbeite wie ich Fragen stellte, dann wäre ich der fleißigste Arbeiter in diesem Land. Von diesem Moment an schwieg ich, bis wir seinen Hof erreichten. Seine Frau erwartete uns bereits. Sie zeigt mir das Haus, mein Zimmer und erklärte wann es Essen gab. Sie war warmherzig und gutmütig und sie schimpfte niemals. Sie hatte so eine seltsame Ruhe, welche viel schlimmer war als die gemeinsten Beschimpfungen. Und ihr Mann, war ein Arbeitstier, grob und gemein. Aber nach ein paar Wochen, hatte auch er sich an mich gewöhnt und ich verbrachte mit ihm viele gemeinsame Stunden am Abend. Wenn die Ernte gut war, tranken wir so manche Karaffe leer und er erzählte mir Geschichten aus seiner Kindheit. Es war aber auch harte Arbeit. Sobald die Sonne aufging, gingen wir in den Stahl und versorgten das Vieh. Dann gab es ein herzhaftes Frühstück, welches die Frau mit ihrer Tochter zubereitet hatte. Zu meiner Peinlichkeit muss ich gestehen, dass die Tochter mir verfallen war. Sie war fünf Lenzen jünger als ich und eine Liebe wäre niemals in Frage gekommen. Ihr Vater hätte mich zu tote geprügelt, hätte ich auch nur einmal daran gedacht.“ Erik lachte herzhaft auf. „Nach dem Frühstück wurde auf dem Feld gearbeitet. Mittags brachte seine Frau uns Wasser aufs Feld und Kiara, so hieß die Tochter, brachte uns frisch gebackenes Brot, welches sie den ganzen Morgen bis zum Mittag hin vorbereitet hatten.
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Bis zum Abend taten wir Reparaturen am Haus, erneuten den Zaun oder dichteten das Dach ab. Einen Lenz lang lebte ich dort, bis ich schließlich feststellen musste, dass meine Zeit gekommen war. Ich war erwachsen geworden.“

Anna seufzte. „Der Abschied fiel Euch schwer, nicht wahr?“

„Schwer war gar kein Ausdruck. Kiara weinte die ganze Zeit und selbst ihre Mutter konnte ein paar Tränen nicht unterdrücken. Sie schenkte mir ein Halstuch, damit ich auf hoher See nicht erkrankte. Ihr Mann, mein Herr, brachte mich zum Schiff, welches ich vor einem Lenz verlassen hatte. Wie ich damals, war auch auf diesen Schiff ein Junge welcher eine Unterkunft suchte. Er fuhr mit meinem Herrn in diesem alten Karren, davon und ich legte mit dem Schiff ab und fuhr in Richtung Heimat.“ Er sah Anna an. „Habe ich Eure Frage zu genüge beantwortet?“, fragte er.

Sie nickte. „Nun, bin ich wieder an der Reihe.“, erklärte Erik.

„Nur zu.“, gab Anna die Erlaubnis.

„Sagt mir Euren Namen.“ Er hielt den Atem an.

„Anna.“ Sie stand auf. „Es tut mir leid, aber ich muss zurück. Man erwartet mich.“ Dann verschwand sie. Erik atmete tief ein, sprang dann auf und strebte zum Schloss.



„Was ist mit Euch, mein Kind?“ Carol trat an Annas Bett. Sie fühlte ihre Stirn, sah besorgt auf ihren kleinen Schützling.

Anna stöhnte. „Oh Carol, mir ist so schlecht.“ Sie schluckte schwer. Die Zofe setzte sich zu ihr ans Bett strich ihr über ihre Wange. Anna lächelte. „Ich habe heute einen jungen Mann kennen gelernt. Er war an den aufregendsten Orten, hat so viel schon erlebt und sieht unglaublich aus. Seine Augen sind so tief und in ihnen stehen so viele Geschichten.“

Die Zofe stand auf und lief zu der mit Wasser gefüllten Schüssel. Vorsichtig tunkte sie ein Tuch hinein, wringte es dann aus und wandte sich dem Mädchen zu.

„Er erzählte mir von einem wundersamen Ort, wo er einst als Arbeiter tätig war. Er sagte, dass er dort zu einem Mann wurde. Er berührte mit dieser Geschichte mein Herz, wie ich es noch nie erfahren habe. Ich will ihn wieder sehen, ich muss ihn wieder sehen. Er ist der erste Mann den ich jemals traf zu dem ich Vertrauen fassen kann. Er hat dass gesehen was ich doch so ersehne.
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Er kann mir Orte und Dinge zeigen, die ich in meinen wildesten Fantasien nicht zu glauben vermag. Ach Carol, er ist so anders als die Männer die ich sonst traf. Er ist so ganz anders als Vater.“ Sie seufzte tief.

Carol tupfte mit dem feuchten Tuch ihre Stirn ab. „Es klingt fast wie ein Märchen, meine Dame.“, sagte sie schließlich.

„Ja, wie ein Märchen. Wie mein Märchen.“ Annas Gesichtfarbe wurde blasser, ihre Lippen weiß und ihre Augen glasig. Carol sprang auf, griff nach der Schüssel, verschüttete dabei ein bisschen Wasser auf dem Boden und hielt sie Anna hin. In letzter Sekunde konnte sie die Schüssel platzieren, als Anna sich übergab.

Liebevoll streichelte die Zofe dem Mädchen den Kopf, wartet bis sie aufhörte und sich wieder zurück lehnte. Ihr kam langsam wieder Farbe ins Gesicht und ein kleines bezauberndes Lächeln spiegelte sich auf ihren Mund wieder. „Ich fühle mich schon viel besser. Reicht mir ein wenig Wasser und helft mir aus dem Bett. Das Essen wird gleich angerichtet.“



Anna ging langsam in die Richtung des Saales. Gleich würde sie den zukünftigen Mann ihrer geliebten Schwester sehen. Sie fühlte sich viel besser, die Übelkeit war verschwunden nur ein leichter Magendruck war zu spüren.

„Anna!“, rief sie jemand von hinten. Sie drehte sich um und erblickte den jungen Mann aus dem Garten. Sie lächelte, als er auf sie zu trat.

„Ich dachte, ich sehe Euch erst am Morgen wieder.“, brachte sie raus.

Er sah sie verschämt lächelnd an, mit einem Mundwinkel hochgezogen. „Das wäre mein Tot gewesen hätte ich bis zum Morgen gewartet.“ Er trat nähre an sie heran. „Ich weiß, dass Sie mich bereits als unhöflich erachten, doch bitte ich Euch, lasst mich Euch küssen. Bitte, erfüllt mir diesen Wunsch. Seit unserem Treffen kann ich nur noch Euch denken. Alles scheint so weit weg, nur Euch sehe ich. Egal wo ich hinschaue, egal wo ich bin, allein Euch. Bitte, lasst mich einen Kuss von diesem bezaubernden Mund stehlen. Bitte.“

„Ja.“ Anna erschrak selbst vor ihrer Antwort. Sie kannte ihn nicht, wusste noch nicht einmal seinen Namen. Doch es ging eine Anziehungskraft von ihm aus, die sie nicht zu erklären vermochte. Sie sehnte sich nach ihm.
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Als er sie küsste, fühlte Anna sich geborgen und beschützt. Sie wollte nie wieder von ihm weichen, ihn ein Leben lang neben sich haben. Sollte es wahr sein? Sollte sie, Anna von Coupé, ihren Weg gefunden haben? Sollte sie tatsächlich ein mit Liebe erfülltes Leben führen, glücklich werden?

Sie wich zurück, strich ihn durch sein Gesicht und flüsterte: „Ich muss gehen. Verzeiht mir.“ Dann lief sie los zum Saal.



Erik schritt hochmutig in den großen Saal. Er sah den König an, verbeugte sich höflich unterstrich es mit einem „Mein König.“, und wandte sich dann zu seiner rechten. Er küsste Merrys Hand und sprach: „Prinzessin Merry.“

Schließlich begab er sich zu einem Platzt und setzte sich gegenüber der Prinzessin. Es wurde ihm Wein eingeschenkt und Essen aufgetischt. „Es duftet köstlich.“, gab er zu.

Das Tor wurde aufgestemmt und ein Bote trat ein. „Prinzessin Anna von Coupé, mein König.“, erklärte er laut. Anna trat ein, lief geradewegs auf ihren Vater zu, der aufgesprungen war. „Anna!“, rief er freudig. Erik starrte fassungslos auf seine Anna. „Darf ich vorstellen?!“, begann der König und hielt seine Tochter im Arm. „Dies ist meine zweite Tochter, Anna von Coupé.“ Anna trat näher heran, ihr Blick ruhte auf Erik. „Und dies ist Erik von Gauen.“ Erik sprang auf und verbeugte sich. Anna vollführte einen Knicks.

„Nun“, sagte der König freudig. „lasst uns weiter speisen.“ Erik wartete, bis der König und Anna platzt genommen hatten.

Das Essen verlief ruhig, Anna sprach kaum, achtete nicht auf Erik. Nur er konnte seinen Blick nicht von ihr lassen. Merry beobachtete ihn, nahm es schweigend hin, dass heute nicht sie seine Aufmerksamkeit hatte.



Anna lief schnellen Schrittes den Gang entlang. Sie wollte Erik nicht sehen, zu tief war sie getroffen worden. „Anna!“, rief man hinter ihr. Sie blieb nicht stehen. „Anna!“, klang erneut der Ruf den Gang entlang. Sie hörte laute Schritte hinter sich, die immer näher kamen, letzt endlich sogar in ein Rennen endeten. Unsanft wurde sie am Arm gefasst und festgehalten. „Anna!“, sagte jemand strafend. Es war Erik, der mit einem ernst verkniffenen Gesicht sie anstarrte.

Anna versuchte sich aus seinem Griff zu lösen, bewirkte jedoch nur, dass er ihn umso fester drückte.
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„Anna, lasst mich mit Euch reden.“, versuchte er sie zu zähmen.

Sie ließ locker, starrte ihn an. „Worüber wollt Ihr mit mir reden, Erik von Gauen?“

Er seufzte. „Über uns. Über Euch und mich. Ich kann es nicht einfach so belassen. Ich will es nicht dabei belassen. Dafür seid Ihr mir zu wichtig.“ Sein Blick spiegelte Trauer wieder.

Er war ihr doch auch wichtig. Sie lächelte zart und strich ihm mit ihrer freien Hand durch sein Gesicht. „Oh Erik“, hauchte sie leise. „wenn Ihr wüsstet wie wichtig Ihr mir seit. Aber es geht einfach nicht. Wir dürfen nicht.“

Er hatte die Augen geschlossen, genoss ihre weiche Berührung, wie ihre zarte Hand sein Gesicht streichelte. Sie roch so gut, betäubte seine Sinne. Er ließ sie los und sprach: „Nein, ich will nicht. Bitte geht nicht. Bleibt bei mir, Anna, bitte.“

Sie stieß ein kurzes leises Lachen aus und holte tief Luft. „Ihr wisst dass es unmöglich ist. Ihr und meine Schwester seit einander versprochen und ich liebe sie zu sehr um ihr Herz zu brechen.“ Anna wich einen Schritt zurück, als Erik ihre Hand griff. Seine Augen glänzten, unterdrückten die Trauer in ihm um ihr nicht vollkommen zu entfallen.

„Anna, ich liebe Euch.“ Er zog sie an sich. „Ihr müsst mir glauben. Ihr und sonst keine seit es welche ich begehre. Ich liebe Euch mit jedem Teil meines Körpers. Ohne Euch kann und will ich nicht mehr sein. Bitte geht nicht!“

Sie sah ihn an. Sie wollte nicht gehen, bei Gott, dass wollte sie nicht. Doch sie musste. Es blieb ihr keine Wahl. Sie trat vor und küsste Erik. Tränen liefen über ihre Wange als sie sagte: „Lebewohl Erik.“ Sanft entzog sie sich seiner Hand und lief schnell davon. Erik blieb zurück.

Sein Herz schlug wie wild in seiner Brust, schien sie fast aufzusprengen. So schnell er konnte rannte er in sein Gemach, schmiss die Tür hinter sich zu und starrte in den Raum. Angelehnt an der Tür konnte er schließlich seiner Trauer nicht mehr Stand halten. Er sackte in sich zusammen und weinte das erste Mal in seinem jungen Leben.



Der Leibwächter trat in den Raum. Sein Herr hatte nach ihm schicken lassen. Er erschrak fast, als er den einst so hochmutigen Knaben schlaff und regungslos an seinem Fenster vorfand.
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Er hatte seine Arme auf den Rücken verschränkt und starrte ins Leere.

„Mein Herr?“, fragte er höflich.

„Auf den Tisch liegt ein Brief“, begann der Fürstensohn leise ohne sich umzudrehen. „Nehmt ihn an Euch und bringt ihn zu der Prinzessin Anna von Coupé. Es ist äußerst wichtig, dass sie ihn erhält.“ Er hob die Hand, noch bevor sein Diener etwas erwidern konnte. „Tut, was ich Euch aufgetragen habe. Ich dulde keine Widerreden.“

Der dunkle Mann trat vor und nahm den Brief an sich, verbeugte sich kurz und tat was ihm aufgetragen wurde. Er lief schnell, zog mit dem Fluss seiner Gedanken gleich. Was war zu tun? Den Brief abgeben? Er glitt schnell um die Ecke und wäre beinahe in einen Mann mit - für einen Bediensteten - guter Kleidung rein gerannt. Er schaffte eine scharfe Kurve und drehte sich seitlich. Er murmelte was leise vor sich hin als er weiter seines Weges zog. „Entschuldigt mein Herr.“, sagte der Diener noch rasch, bevor er den dunklen Mann um die nächste Biegung verschwinden sah.

Der Leibwächter trat in die Küche. Er schob sich an dem Ofen vorbei und verharrte plötzlich. Er drehte den Brief in seinen großen Händen, starrte ihn so intensiv an, als könne er die Zeilen lesen, die sich in dem Umschlag verbargen. Seine Stirn legte sich in Falten, als er sich endlich zu einer Entscheidung kam. Er hatte die Chance eine Katastrophe zu verhindern, Prinzessin Anna durfte dieser Brief niemals erreichen. Er warf den Brief achtlos in einem Karren mit Müll. Er stach zwischen dem alten Gemüse hervor wie eine Magd unter Königen. Er griff hastig nach ein paar Salatblättern, die sauber sortiert auf der Ablage lagen und legte sie sorgfältig über den Brief. Er betrachtete kurz sein Werk, sah dann verstohlen zur Seite und bahnte sich zügig den Weg aus der Küche hinaus.



Lisa war eine einfach Bedienstete. Sie zählte gerade fünfzehn Lenzen, arbeitet aber fleißig und gut. Sie gehorchte und tat was ihr befohlen wurde. Seit sieben Monaten durfte sie nun schon hier am Schloss arbeiten und leben. Eine gute Stelle die viel Geld brachte. Regelmäßig schickte sie ihren Lohn zu ihrer Familie. Seit ihr Vater starb, verwaltete ihre Mutter und ihre sechs Geschwistern den Hof.
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Es war schwierig, aber nicht unmöglich. Das Geld war ihrer Mutter eine große Hilfe und Lisa, als Drittgeborene, fühlte sich verpflichtet ihr zu helfen.

Sie wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht und fegte weiter. Es war anstrengend, dass war ihr von Anfang an klar gewesen, aber sie dankte Gott für diese Stelle. Und so lange sie ihre Aufgaben sorgfältig erfüllte, konnte sie weiterhin hier arbeiten.

„Ey du da!“, rief eine tiefe Männerstimme. Lisa blickte auf. Es war einer der Köche der auf sie zeigte. „Komm mal her.“, befahl er ihr und Lisa gehorchte sofort. Sie lehnte den Besen an die Wand und wischte sich die Finger an ihrer dreckigen Schürze ab. Sie trat an den dicken Mann heran und vollführte einen wackligen Knicks vor ihm. Ihr Blick blieb gesenkt und ruhte auf dem frisch von ihr gefegten Boden.

„Siehst du den Karren da drüben?“, fragte er grollend. Lisa sah kurz auf und nickte stumm während sie den Blick wieder senkte. Der dicke Koch stützte sich die Arme in die Seite und sprach laut weiter. „In ihm sind die Reste. Das Gemüse fängt an zu Schimmeln und das Fleisch lockt die Fliegen an.“ Er machte eine kurze Pause. „Bringe ihn in den Hinterhof und suche raus was man den Schweinen geben kann. Den Rest kannst du wegschmeißen.“ Er drehte sich um, sah den Knicks von Lisa gar nicht mehr und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Essen.

Sie fasste die Griffe und zog den Karren hoch. Er war schwerer als er aussah. Mit ganzer Kraft bugsierte sie ihn durch die Küche, schob ihn einen kleinen Gang entlang hinaus in den Hof. Sie hatte Schwierigkeiten das Gleichgewicht zu halten, schob ihn noch schneller voran um ihr Ziel näher zu kommen. Der Karren schwenkte bedenklich zur Seite, wäre auch fast umgefallen hätte sie ihn nicht runtergelassen. Sie schnaufte ein wenig hob ihn wieder an und brachte ihn schließlich sicher zum Schweinestall.

Lisa stellte sich neben den Müllhaufen und begann zu sortieren. Sie hatte gerade die ersten frischen Salatblätter angehoben und zu den Schweinen ins Gehege geschmissen, als sie einen Brief erblickte. Erst zögerte sie, sah sich Hilfe suchend um. Sie rieb sich ihre Hände an ihrer Schürze ein wenig sauber und griff schließlich nach dem Umschlag. Sie drehte ihn in der Hand, sah sich die Rückseite an und studierte das Siegel.
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Es war nicht königlich, wie sie es erkennen konnte. Sie hielt den Umschlag ins Licht und versuchte den Inhalt zu erkennen. Was nütze es ihr ihn zusehen? Sie konnte doch nicht lesen.

Aber sie kannte jemand der ihr helfen konnte. Kenny, der Stallbursche. Er hatte einen Freund, der ihm dann und wann etwas vorlas. In der Pause würde sie ihm Kenny geben. Er war schlau und würde wissen was zu tun ist. Lisa steckte sich den Brief vorsichtig in die Schürze und wandte sich wieder dem Sortieren zu. Bis zur Mittagspause musste sie sich noch gedulden. Jetzt hieß es arbeiten.



Der Leibwächter trat wieder in den Raum. „Ich habe ihn ihr gegeben.“ Der Fürstensohn hatte sich noch nicht bewegt, stand noch genau so da wie vorher. Er nickte. „Der König bat mich ihn zu begleiten. Er möchte mit mir jagen.“, erklärte er.

Sein Leibwächter stockte. Es wirkte fast so als ob er nicht mit einbezogen sei. „Ihr wisst, dass mir Euer Vater aufgetragen hat Euch immer zu begleiten. Zu viele Neider gibt es, die nach Euren Leben trachten. Immerhin sollt ihr des Königs Nachfolger werden.“

Erik drehte sich um. „Ich weiß.“ Er sah seinen Wächter an. „Schickt die Zofen hinein. Sie sollen mir beim Einkleiden helfen. In fünfundvierzig Minuten treffen wir uns mit dem König.“ Der dunkle Mann verbeugte sich und tat wie ihm geheißen.



„Kenny!“, flüsterte Lisa leise dem großen Jungen neben ihr zu. Er warf sich sein wirres Haar aus seinem Gesicht und blickte das kleine blonde Mädchen von der Seite an. „Schau, was ich heute gefunden habe.“ Sie zog den Brief hervor und hielt ihn dem Stallburschen unter dem Tisch hin.

Seine Augen weiteten sich und er griff langsam nach ihm. „Wo?“, fragte er heißer.

„Zwischen dem Müll. Er muss irgendwie dort hin gelangt sein.“ Nervös rutschte sie auf der Bank hin und her. „Was sollen wir nun tun? Mag sein, er ist äußerst wichtig. Hier schau mal!“ Sie drehte den Brief in seiner Hand und tippte auf das Wachssiegel. „Er ist nicht von einem Schlossbewohner geschrieben worden.“ Der Junge nickte.

„Sehr seltsam. Keine Anschrift, kein Name, noch nicht mal ein Absender.“ Er sah Lisa an und hielt ihr den Umschlag hin.
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„Fühl einmal. Es ist festes Papier. Das haben nur Adlige.“ Lisa berührte leicht den Brief, tastete ihn vorsichtig ab – kannte sie doch noch nicht mal schlechtes Papier - und sagte dann: „Ich dachte du könntest ihm deinem Freund geben. Er kann doch lesen und ist gebildet. Vielleicht kennt er das Siegel?“

„Ich werde ihn fragen.“ Kenny steckte den Brief in seinen Hosenbund und beugte sich wieder über seine Suppe. Ein Brief im Müll. Und dann auch noch in der Küche. Er muss einem Bediensteten runter gefallen sein oder lag unter einem Stück Fleisch und wurde weg geschmissen. Mag sein es ist vielleicht ein geheimer Ort zweier Liebenden, die ihn so in Kontakt bleiben. Oder eine Verschwörung ist im Gange und er Kenny würde alles auffliegen lassen!

Den Rest der Pause nutzen beide um zu essen. Die kurze Zeit wollten sie nicht mit reden vergeuden. Nach der Pause sprang er auf und lief zügig zum Stall, als ihm schon sein Herr entgegen kam. „Kenny komm doch mal her. Ich habe eine Aufgabe für dich!“, erklärte er laut. Der junge Bursche wurde aufmerksam. Obwohl er Stahlbursche war, hatte er nicht viel mit dem eigentlichen Pferden zu tun. In diesem Schloss ritt so selten einer mit dem Pferd oder der Kutsche aus, wie Rosen im Winter blühten. Jeden Tag putze er die Sättel die schon mit einer dicken Staubschicht bedeckt waren oder mistete den Stall aus. Manchmal half er beim füttern der Tiere. Fast vierhundert Pferde besaß der König und noch nie hatte er ihn auf eines der Tiere gesehen. Fünfzig waren am Nord-Stall, wo er arbeitete, jeweils fünfzig am Ost-, West- und Süd-Teil, und die restlichen zweihundert in den Gauen und Dörfern um das Schloss herum. Kenny kümmerte sich zwar nur um die ersten zehn Tiere, besuchte aber manchmal seine Freunde und schlenderte die langen Stallgassen und die Boxen entlang. Hier und da sah er Bedienstete die die Pferde longierten und bewegten. Es waren schöne Tiere, richtig prachtvoll wie er fand. Seine Familie könnte viel Geld mit einen von diesen Hengsten als Zuchttier machen.

„Hör zu.“, begann sein Gegenüber. „Der König wird heute ausreiten begleitet von drei Wachen und zwei Gästen.“ Kennys Augen weiteten sich. Vielleicht würde einer der Wachen ihn als Knappen einstellen wenn er sorgsam genug arbeitete? Sein Herr zeigte zum Stall.
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„Deine Aufgabe ist es die beiden Gastpferde und das Pferd des Königs zu satteln. Sie stehen in deinen Boxen.“

Kenny war verblüfft. Gastpferde hatten sie seit kurzem, dass war wahr, aber des Königs Pferd? Welches war es überhaupt? Seine Stirn legte sich in Falten. „Entschuldigt meine törichte Frage Herr, aber welches Pferd ist das des Königs?“

Als Antwort kam ein tiefer Seufzer der wohl sagen sollte ‚Womit habe ich das verdient.’ Dann schüttelte sein Herr den Kopf und sagte barsch: „Kartell, du Narr. Das Pferd des Königs heißt Kartell. Und nun ab! Es bleibt dir nicht mehr viel Zeit. Striegel sie und sattle auf und trödle nicht!“ Damit ließ der den Jungen zurück.

Schon immer war Kenny ein eifriger Junge. Von je her war er fleißig und sorgsam gewesen. Aber heute würde er noch mehr arbeiten, das Pferd noch sauberer striegeln, die Mähne noch weicher kämmen und den Sattel so fest schnüren, das der König sich vorkäme wie auf einer weichen Wolke. Sein königlicher Hintern sollte sich nach dem Sattel sehnen.

Der Junge trabte los und machte sich an seine Arbeit. Sein Gesicht war verbissen und kleine Schweißtropfen zeichneten sich auf seiner Stirn ab. Als er Kartell später anblickte war das schwarze Tier noch schwärzer, die wellige Mähne noch luftiger und der Sattel lag perfekter als perfekt auf dem Rücken. Schnell legte er das Zaunzeug an führte das Pferd hinaus in den Hof. Mit ein paar Handgriffen hatte er die Zügel festgebunden und rannte erneut in den Stall. Die Gastpferde waren genauso schnell fertig wie zuvor Kartell.

Kenny führte die Tiere die Stallgasse entlang als er einen Mann mit einer großen Narbe vor sich sah. Er war in einem der Ställe gewesen und sprang vor Kenny hinaus. In seiner Eile hatte er ihn nicht kommen hören. Der Junge wich einen Schritt zurück, wurde von der weißen Stute an seiner rechten Hand hoch gerissen, was das andere Pferd ebenfalls aufschrecken ließ. Es scheute, hätte den Knaben beinnahe umgerissen, wenn dieser nicht sein ganzes Gewicht in die Zügel gehangen hätte. Das alles hatte nur einen kurzen Augenblick gedauert dann wurden die Tiere wieder ruhig, schnaubten freundlich und warteten ab was weiter geschehen würde. Allein Kennys Herzklopfen blieb unruhig.

„Verzeiht Herr.
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Ich habe euch nicht kommen sehen.“, entschuldigte sich Kenny schnell.

Der Mann trat vor, strich der Stute über die Blässe und sah dann finster auf den Jungen runter. Er war Adelig, dass erkannte er sofort. Seine Kleidung war aus teuerem Stoff, bestickt mit den verschiedensten Mustern. Mit großen Augen starrte Kenny auf das große Schwert, welches ordentlich poliert in seiner Scheide steckte.

Der Mann bemerkte die neugierigen Blicke des Jungen und zog sein Schwert langsam heraus. Der Stallbursche folgte wie hypnotisiert mit den Augen der langen Klinge. „Es gefällt dir, nicht war Junge?“, sagte der finstere Mann tief.

„Ja Herr.“, beantworte er rasch. Der Griff schimmerte golden und in der Klinge spiegelte sich der Stall wieder. Kleine Diamanten in den verschiedensten Farben steckten in dem Gold.

Der Mann richtet die Spitze auf Kenny, ließ das wenige Licht im Stall spiegeln. Er blendete ihn kurz und warf es hoch. Der Junge sprang instinktiv zurück und beobachtete staunend wie das Schwert mit der Spitze in dem Holz des Stallbodens landete. „Zieh es raus.“, forderte er ihn auf.

Kenny gehorchte. Obwohl er es kaum abwarten konnte den Griff zu berühren, hätte er es auch getan wenn er Angst gehabt hätte. Ein Befehl war ein Befehl und Angst kannte ein großer Held nicht. Er ließ die Zügel los, umfasste den Griff mit beiden Händen und zog kräftig daran. Er schafft es nicht die Klinge mehr als zehn Zentimeter über den Boden zu halten. Dann sank es wieder runter und die Spitze balancierte auf dem alten Bretterboden. Kenny atmete laut aus. Er hatte schon einmal ein Schwert in der Hand gehalten. Es war schwer gewesen, aber nicht so wie dieses.

Das Narbengesicht lachte herzhaft auf und nahm Kenny den Griff aus der Hand. Er steckte das Schwert zurück in die Scheide und sah ernst den Jungen an. Aus seinem Mund drang ein lautes „Ha!“ unterstrichen mit einem kleinen Seufzer. Dann ging er. Während er ging dröhnte er laut. „Der Stahl ist der beste und härteste im ganzem Königreich, geschmiedet von Elfen im Zauberwald. Und der Griff besteht aus puren Gold“ er blieb stehen und drehte sich um „geschenkt und gefertigt von den Kobolden am Ende des Regenbogens. Und jeder dieser kleinem Diamanten ist aus dem Magen eines Drachens den ich mit diesem Schwert erschlug.
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“ Dann ging er.

Kenny schluckte schwer. Ein seltsamer Kauz, dieses Narbengesicht. Endlich war es soweit. Dieser komische Kerl war verschwunden und er, Kenny Barack, würde endlich den König vom ganz Nahen sehen. Endlich würden sich seine Träume erfüllen. Ein wenig nervös war er schon, obwohl er sonst ein ganz mutiges Kerlchen war. Schnell glitten seine Augen über die drei Pferde, sahen sich alles noch einmal sorgfältig an. Perfekt.

„Bursche!“, rief ihm sein Herr entgegen. „Beeilung! Der König ist im Anmarsch! Bist du fertig, sag Junge, sind die Pferde bereit?“ Er stand kurz vor Kenny und sagte böse mit erhobenen Finger: „Sollte ein Detail falsch sein, so Gnade dir Gott. Ich werde dich zurück an deinen Hof schicken, wo du und deine Familie in Armut leben werden.“ Der Junge nickte zustimmend.

Sein Herr sah sich den Sattel des Königs an, fummelte hier und da an den Schnallen und prüfte die Sauberkeit. Er griff mit seiner Hand in die Satteltasche und zog ein Stück Stroh wieder hinaus. Wütend drehte er sich um Griff mit seiner Hand nach Kennys Ohr und zog feste dran. Der Junge quietschte kurz, verkniff sich aber weitere Laute.

„Lasst ab von dem Knaben.“, erklang eine tiefe Stimme von hinten. Der Mann drehte sich um und starrte erschrocken auf. „Mein König!“, stotterte er. Er ließ das hochrote Ohr los und verbeugte sich tief.

Der Stallbursche rieb sich sein schmerzendes Ohr und schmollte mehr oder weniger vor sich hin. Sofort bekam er einen Schlag in den Nacken. „Verbeuge dich, du Narr!“, vernahm er. Er tat wie ihm geheißen. Der König trat vor den Jungen sah ihn intensiv an. „Bursche, du hast deine Arbeit sehr gut gemacht. Du bist fleißig und flink. Zudem sehe ich in dir eine große Zukunft. Ich bin gewiss, dass du einst ein großer Ritter wirst. Bleibe nur deinem König treu und diene ihm weiterhin so gehorsam.“

Der Junge sah auf, starrte in das Antlitz des alten Mannes. Eingefallene Augen und viele kleine Falten kennzeichneten sein Gesicht. „Ich danke Euch, mein König.“ Er verbeugte sich tief.

„Wohl dann.“ Der König ließ sich von einer seiner Wachen helfen beim aufsitzen. „Ah!“, rief er auf. „Meine Begleitung trifft ein. Welch ein schöner Tag zum Jagen, nicht wahr Erik?“ Das war Kennys Stichwort.
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Er fasste die Zügel der beiden Gastpferde und führte sie weiter in den Hof hinein. Ein groß gewachsener Mann mit edler Bekleidung schritt auf dem Hof. Er nahm dem Stallburschen ruppig die Zügel aus der Hand, schwang sein Bein über den Sattel und ließ sich in den Sattel sinken. Er schenkte Kenny keine weitere Beachtung.

Unweigerlich sah Kenny auf des Mannes Bekleidung und erblickte das Zeichen. Er kannte es. Es war das Siegel auf dem Brief. Er war sich ganz sicher. Er zog den Umschlag heraus und verglich schnell die beiden Muster. Eindeutig, es war das gleiche. Doch eine Verschwörung?

Ihm wurden die anderen Zügel aus der Hand genommen. Schnell versteckte er sein Geheimnis hinter seinem Rücken. Als er aufsah, hatte der Mann mit der Narbe sich schon auf das Pferd geschwungen. Dreckig lächelte er ihn an. „Sag Knabe, was hast du dort hinter deinem Rücken versteckt?“

Kennys Puls schlug schneller. „Nichts Herr.“, sagte er schnell und wich einen Schritt zurück. „Komm her. Ich will es mir genauer ansehen.“ Der Mann hielt ihm die Hand entgegen, hoffte so Vertrauens erweckend zu wirken. Der Junge zögerte kurz. Dann zog er vorsichtig seine Hand nach vorne streckte ihn dem Mann hin. Ungehorsam wurde schwer bestraft.

Gerade als der Mann zufassen wollte erklang eine Stimme von hinten. „Wenn Ihr für mein Leben sorgen wollt, dann kommt nun!“ Es war der Mann, von dem eindeutig der Brief stammte. Er, der König und sein Geleit, waren schon vom Hof geritten. Das Narbengesicht sah auf. Er warf dem Jungen einen kurzen Blick zu und trieb dann sein Pferd an, um seinen Herren noch einzuholen.

Kenny atmete auf. Sein Herr war rasch verschwunden. Der Junge warf ein paar verstohlende Blicke umher und rannte dann so schnell ihn seine Füße trugen ins Schloss. Er brauchte nicht lange suchen, als er seinen alten Freund fand.

Seit Jahren war er schon ein treuer Diener des Königs. Seine Weißheit übertraf sein Alter um einiges und hätte Kenny den weißesten Mann wählen müssen, so hätte er ihn genommen. „Ach Kenny!“ sprach der alte Mann zart lächelnd. „Was hast du es so eilig? Willst du wissen wie die Geschichte ausgeht? So warte bis zum Abend. Übe dich in Geduld.“

Schnaufend stützte er seine Arme auf seine Beine auf.
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„Nein. Nicht die Geschichte trägt mich so schnell hier her.“ Er kramte an seinem Hosenbund. Die grauen Augen des Mannes sahen ihm gespannt zu. „Schaut! Eine Freundin fand dies zwischen dem Müll. Das Siegel…“ er atmete tief ein und sagte beim ausstoßen der Luft „Das Siegel ist sehr merkwürdig. Ich weiß nicht woher es stammt. Sagt, könnt Ihr was damit anfangen?“

Der Alte nahm den Brief in die Hand studierte ihn einige Zeit und sagte dann: „Wahrhaftig ist es nicht des Königs Siegel.“ Er kniff die Augen zusammen und frage: „Im Müll sagst du?“ Der Junge nickte. „Wisst ihr von wem es stammt?“

„Ich habe eine Vermutung, gedenke allerdings es noch einem Freund zu zeigen. Und nun Bursche, kehr geschwind zu deinem Stall zurück. Wenn man dich hier sieht, kannst du deine Mutter von mir Grüßen. Rasch!“ Er scheuchte den Jungen los und setzte seinen Weg schmunzelnd zu seinem Freund fort.



„Von Gauen. Eindeutig das Siegel des hochwürdigen jungen Prinzen von Gauen. Woher hast du diesen Brief, mein alter Freund? Doch nicht gestohlen oder?“

Der alte Mann lachte kurz. „Wahrhaftig mein Freund! Soweit werde ich es in diesem Leben nicht mehr bringen, um mich durch Stehlen zu bereichern.“

Der man strich sich sein Kinn. „Von Gauen sagst du? Nun, eine Bedienstete in der Küche fand ihn im Müll verborgen. Wie mag er dort hingeraten sein?“

Zarabu, der Diener der königlichen Familie, strich wie sanft über den Umschlag. Eine Bedienstete hatte ihm in Müll gefunden? Wahrhaftig, war es eine schwierige Situation. Wenn der junge Prinz den Brief nicht mehr hätte haben wolle, dann wäre ein Wegwurf in einer der zahlreichen Gefäße in seinem Gemach sehr viel leichter gewesen. In die Küche würde ein so hoch angesehener Mann nicht gehen. Unmöglich. Zarabu wandte sich an den alten Mann zu seiner Seite. „Nun, “ begann er schmunzelnd, „selbst redend, bin ich nicht mehr einer der jungen Springer am Hofe“,

„Aber noch immer jünger als ich!“ kicherte der Alte. Zarabu schenkte dem Mann ein kurzes Lächeln und vollendete seinen Satz. „Doch glaub ich, meinen Augen noch trauen zu können. Erst heute Mittag, stieß ich mit dem Leibwächter des Prinzen zusammen. Und wenn mein Gedächtnis mir keinen Streich spielt, glaube ich zu wissen, dass er diesen Brief bei sich hatte.
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Ich kann es nicht sicher sagen, aber so steht es um die Dinge.“

Zarabu beobachtete den Mann. Sein verbissener Gesichtsausdruck, ließ sein Gesicht noch faltiger wirken. Er schien schier überfordert zu sein mit dieser Geschichte. Er klopfte dem Mann auf die knochige Schulter und sagte: „Du hast bei Leibe genug zu tun. Ich werde den Prinzen aufsuchen und ihn diesen Brief überreichen. Er wird, falls er einen Bestimmungsort hat, auch dort hinfinden.“

Der Mann nickte. Dann drehte er sich um und schlürfte den großen Flur entlang. Zarabu blieb zurück.

Die Prinzessin trat aus ihrem Gemach auf den Flur und sah den Diener an. Dieser senkte den Kopf kurz und sagte schließlich: "Entschuldigt diese Frage, Eure Hoheit, aber erwartet Euch ein Brief vom Fürstensohn?"

Merrys Augen fingen an zu leuchten und erwatungsvoll starrte sie auf den Brief. "Nun.... Ich bin wahrhaftig im Glauben, das dieser Brief mit mir seinen Empfänger gefunden hat. Ansonsten werde ich mich persönlich um seine Ankunft kümmern." Zarabu gehorchte und gab den Brief weiter. Seine Pflicht war nun getan. Er verabschiedete sich höflich und ging lautlos weiter.



Merry drehte den Brief noch einige Male in ihren Händen. Ihre Kehle brannte und sie schluckte nur mit Mühe die Tränen runter. Der Hals schien angeschwollen zu sein und ein paar Sekunden geriet sie ins Schwanken. Sie griff nach der Lehne des alten Holzstuhls.

Sie ließ sich in das Erbstück sinken und fühlte über das Papier. Immer wieder suchten ihre Augen die ersten Zeilen, die „Liebste Anna“, schrieben. Sie kniff ihre Lippen zusammen und zog die fein geschnitzten Muster in dem Holzstuhl nach. Ihre Fingerspitzen ertasteten einen kleinen Splitter, der sich in ihr Fleisch bohrte.

So fühlte sich ihr Herz an. Ein kleiner fast unbedeutsamer Stich, der zu wachsen schien. Aus Schock wurde Trauer, aus Trauer wurde Wut und aus Wut, Hass. Ja sie hasste Anna. Nicht nur dass sie immer Vaters Liebling war, nein, jetzt stahl sie auch noch ihren Geliebten Erik. „Diese Hexe!“ sagte sie leise in die große Bibliothek hinein.

Sie sprang auf, steckte den Brief zwischen zwei Bücher und lief schnellen Schrittes zu ihrem Gemach, wo sie Anna vermutete.
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Ihre wirren Gedanken drehten sich nur noch um Rache. Rache und Leid. Sie sollte leiden, einmal in ihren Leben, sollte ihre Schwester diese Demütigung erfahren und leiden.

Sie blieb stieß die Tür auf und fand einen leeren Raum vor. Sie lief ins Bad und suchte die Kommode durch. Wahrscheinlich tummelte sie sich gerade mit Erik in einer kleinen schattigen Ecke und verschlang ihn mit ihren Küssen. Die Tür sprang auf und sie hörte Annas Stimme.

„Danke Carol.“ Ihre Stimme klang schwach. Vielleicht von den Liebesspielen die sie mir Erik Nacht für Nacht hinter ihrem Rücken trieb!

„Kindchen. Setzt Euch. Ihr braucht Ruhe. In Euren Zustand solltet ihr nicht mehr so schwer heben und Euch stattdessen ausruhen.“ Merry horchte aus.

Anna seufzte tief als sie sich in die Kissen sinken ließ. „Wie soll ich es nur Merry erklären? Sie würde es nicht verstehen, Carol. Sie würde es doch nicht verstehen.“ Sie hörte ein leises Schluchzen. „Ein Kind! Ich darf doch kein Kind von ihm bekommen. Das darf nicht sein.“ Merry kochte. Der letzte Funken Liebe, den sie einst für ihre Schwester empfunden hatte war erloschen. Ein Kind von Erik? Wie konnte sie nur!

Sie schlich zu der Schranktür und zog sie geräuschlos auf. Sie drückte fest gegen die Hinterwand und betrat den dunklen Geheimgang. Leise ließ sie die Tür wieder zuschnappen.

„Oh Carol“, weinte Anna. „Und was ist mit Vater? Ich kann doch nicht einfach so tun, als ob das Kind von jemand anderes wäre. Wie soll ich ihm sagen was geschehen ist? Er würde mich zu tote prügeln. Ich kann das Kind nicht bekommen. Um Merrys und meiner Willen!“ Die Zofe streichelte sanft die goldenen Haare der jungen Prinzessin. „Keine Sorge. Wir werden eine Lösung finden.“



Eine dunkle Gestalt betrat den kleinen Arzneiladen. Eine Frau in einem schwarzen Mantel gehüllt blieb vor dem Tresen stehen. „Verzeiht Madam, aber es ist bereits geschlossen. Ihr müsst morgen wiederkommen.“

Die Gestalt schmiss ein Säckchen mit Silbertalern auf den Tisch. Die Augen des Verkäufers funkelten. „Was darf es sein?“ fragte er fast sofort.

Die Gestalt holte tief Luft und sagte schließlich. „Ich habe ein Problem. Ein Problem, dass Maßnahmen erfordern, die Eure Kenntnisse benötigen.
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Ein ungewolltes Kind ist unterwegs.“ Eine blonde Strähne fiel aus der Kapuze. Die Frau schob sie schnell wieder hinter ihr Ohr und watete geduldig die Antwort des Verkäufers ab.

Der Verkäufer versuchte das schemenhafte Gesicht zu erkennen. „Über so etwas verfüge ich nicht.“

Ein weiterer Beutel mit Silbertalern wurde auf den Tresen gelegt. Der Verkäufer nahm ihn entgegen und nickte. Er drehte sich um, zog feste an einem Regal und ein kleiner Schrank tat sich auf. Er durchsuchte schnell die einzelnen Fläschchen ab und nahm schließlich vorsichtig einen kleinen Behälter heraus.

Er hielt ihn der Person hin und sagte. „Fünfzehn Tropfen und Euer Problem ist in zwei bis drei Stunden gelöst.“ Bevor die Frau danach greifen konnte zog er den Behälter zurück. „Wenn ihr mehr als benutzt, führt es unweigerlich zum Tot! Zu einem sehr schmerzhaften Tot. Geht also gewissenhaft damit um, Madam.“ Schließlich gab er der ungeduldigen Person die Mixtur in die Hand.

Sie drehte sie kurz und sagte dann: „Keine Sorge. Es geht allein um das Kind.“ Dann verschwand sie aus dem Laden.

Der Verkäufer lief ihr bis zur Tür nach und schloss ab, als die Frau verschwunden war. Dann begann er strahlend seinen neuen Reichtum zu zählen.



Merry betrachtete die dampfende Suppe. Sie stand vor der Tür zu ihren Zimmer und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Ja, Anna hatte es verdient. Sie musste dafür zahlen. Sie musste lernen, dass sie nicht alles haben konnte. Etwas gehörte ihr. Und Erik sollte es sein. Erik und ihre zukünftigen Kinder. Anna musste bestraft werden.

Sie ließ vorsichtig fünfzehn Tropfen in die Suppe träufeln. Sie rührte bedacht um und roch an dem hochsteigenden Dampf. Dann verstaute sie die kleinen Behälter und klopfte an die Tür.

Sie öffnete und steckte den Kopf durch. Anna lag bleich im Bett. Ihre Augen waren rot und angeschwollen und ihre Haut wirkte in diesem Licht noch blasser als sonst. „Schwester?“ fragte Merry leise. „Ich habe dir eine Suppe gemacht. Du sahst so mitgenommen aus.“ Sie lächelt weich. Anna tat ihr dies gleich und sagte: „Ich danke dir. Ich glaube, dass ist jetzt genau das richtig für mich.“

Anna nahm die Schüssel entgegen und begann mit die Suppe zu löffeln.
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Merry sah ernst zu und wartete ab. „Ich werde noch ein wenig spazieren gehen und später zu dir stoßen.“ Sagte sie kalt und lief aus dem Raum.



Anna rührte nachdenklich in der Suppe. Sie konnte es nicht verheimlichen. Wenn Carol ohne ein Gegenmittel aus der Stadt zurückkam, würde sie es beichten müssen. Ihre größte Sorge jedoch, lag bei Merry. Wie sollte sie es ihr beibringen? Wie sollte sie es sagen, dass sie schwanger war? Schwanger von dem eigenen Vater? Das war ein Skandal! Es würde Proteste geben, die Bewohner der Stadt würden einen Aufstand machen! Oh Gott, hoffentlich kam Carol bald zurück und brachte das ersehnte Gegenmittel mit.

Anna wurde aus ihren Gedanken gerissen als die Tür laut aufgestoßen wurde. Ihre Zofe trat in einen Mantel gehüllt ein und schloss die Tür leise wieder. Sie trat ans Bett und zog ein kleines Fläschchen aus ihrer Tasche. „Hier, Prinzessin.“ Sie hielt es ihr entgegen und Anna griff sofort danach. „Der Mann sagte, wenn man fünfzehn Tropfen nehme, dann würde, das Problem gelöst sein. Er sagte, genau fünfzehn Tropfen.“ Sie war noch leicht außer Atem und stand wie angewurzelt am Bettrand und wartet ab.

„Fein. Fünfzehn Tropfen.“ Ein leichtes Lächeln umspielte die Lippen der Prinzessin. Sie zog den Stopfen ab und träufelte es vorsichtig in die Suppe. „Fünfzehn Tropfen.“ Wiederholte sie leise. Als es sie dass Fläschchen an Carol weitergab und die Suppe langsam umrührte. Sie nahm einen Löffel voll und schob ihn in den Mund. „Es schmeckt nicht. Es schmeckt wie köstliche Hühnerbrühe.“

Carols Augen sahen geschafft und etwas skeptisch aus. „Bei Gott, ich hoffe es hilft Euch, Kindchen. Ich bete heute Abend um Euer Wohlergehen.“



Merry lief lächelnd den Gang endlang. Es waren nun schon zwei Stunden vergangen. Die Wirkung musste bald eintrete, so hoffte sie. Das dürfte ihr eine Lehre sein. Endlich würde sie nicht alles bekommen. Ein kleines dreckiges Lachen kam aus ihrem Mund.

Sie hörte laute Schritte die den Gang lang hallten. Sie waren hektisch und unruhig und ein leises Keuchen was zu hören. „Lisa! Kind! Beeil dich, wenn du weiterhin hier arbeiten willst!“ ertönte eine Stimme von weiter weg.
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Die Schritte wurden schneller und Merry beobachtete, wie ein kleines Mädchen mit einem Berg an Tüchern und einem Eimer mit Wasser eilig den Gang hinter, von Merry weg rannte.

Jetzt konnte sie auch die Person zu der Stimme sehen. Eine junge Zofe stand an der Gemachtür und sah ungeduldig auf das Mädchen. Sie wirkte ein wenig verschwitzt und aufgeregt. Merry lief ein wenig schneller und setzte ein erschrockenes Gesicht auf. Aber innerlich, innerlich zersprang sie fast vor Glück. Innerlich fühlte sie sich als Siegerin und triumphierte vor sich hin.

Als Merry den Raum betrat, waren fünf Zofen, sowie Carol und ein Arzt anwesend. Keiner der Anwesenden bemerkte sie. Der Arzt tastete an Annas Unterleib, während Carol frische Tücher auswrang und auf Annas Stirn tupfte. Anna selber, war schneeweiß im Gesicht. Ihre Lippen waren trocken und aufgeplatzt und ihre rot unterlaufenden Augen starrten ins Leere. Sie wimmerte leise und ein schweres, fast keuchendes, Atmen trat aus dem Schlitz ihrer beiden Lippen. Ihre Haut schien eingefallen und plötzlich sah sie aus, als ob sie seit Tagen Tot sei.

Nein, dass hatte sie nicht gewollt! Es waren doch nur fünfzehn Tropfen, mehr nicht! So wie er es gesagt hatte!

„Ich kann ihr nicht helfen. Wir können nur hoffen, dass es von alleine nachlässt und das Fieber runter geht. Der König sollte schnell benachrichtigt werden.“ Brummte die tiefe Stimme des Arztes.

Eine Zofe lief unaufgefordert los. „Oh Kindchen, “ sagte Carol mit einer zitternd weinerlichen Stimme. „es waren doch nur fünfzehn Tropfen. So wie er es gesagt hat. Nur fünfzehn Tropfen.“ Merry erstarrte als sie Carols Worte vernahm. Fünfzehn Tropfen. Ihre wurde kurz schwarz vor Augen. Sie taumelte vor griff nach Annas Hand und strich ihr durchs Gesicht. „Oh nein.“ Sagte sie leise. „Nein, dass wollte ich nicht.“ Carol sah auf.

Schließlich verdrehte Merry die Augen und klappte zusammen.



Merry erwachte in einem der zahlreichen Zimmer des Schlosses. Es war das „Rote Zimmer“, wie es von den Bewohnern genant wurde. Dicke rote Vorhänge, großes rotes Bett und natürlich rote Rosen überall.

Sie wurde von dem lauten knall der Tür geweckt, als diese ins Schloss viel. Es brannte Feuer im Kamin und draußen war noch tiefe Nacht.
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Sie sah zur Decke und versuchte sich zu erinnern wie es nur soweit kommen konnte. Den Tod ihrer Schwester hatte sie sicherlich nicht gewollt. Obwohl sie es verdient hätte. Ja, sie hatte hinter ihren Rücken falsches Spiel getrieben. Und Gott bestrafte sie dafür! Merry lächelte zaghaft.

Sie horchte ob das Wasser in dem Topf über dem Kaminfeuer schon kochte. Sie brauchte einen aufwärmenden Tee und wollte ein Bad nehmen.



Erik lief aufgeregt den Gang runter. Sein Umhang wippte aufgeregt auf und ab. Anna lag im sterben! Sie würde sterben! Er musste etwas tun. Er konnte sie nicht so gehen lassen. Das hatte sie nicht verdient. Sie hatte etwas Bedeutsameres verdient. Ein Leben so wie sie es sich immer ersehnt hatte! Eine andere Welt sollte sie doch kennen lernen. Wie konnte es nur dazu kommen?

Er blieb an der Ecke stehen und sah vorsichtig in den anderen Gang hinein. Er wartete kurz, bis zwei junge Bedienstete aus dem Zimmer kamen. Dann schlich er schnell, aber vorsichtig zur Tür und öffnete sie. Er trat in den schwach beleuchteten Raum.

Überall lagen Tücher umher und Mixturen in Schälchen oder Fläschchen standen durcheinander auf den Tischen. Anna war in einen großen Berg an Decken gewickelt und ihre Haut hob sich kaum von dem weiß der Lacken ab. Ihre Augen waren geschlossen und durch den halb geöffneten Mund traten kleine leise Laute.

Erik trat ans Bett und sah verzweifelt auf sie nieder. Zögerlich nahm er ihre Hand und küsste sie. Seine andere Hand strich eine Strähne aus ihrem Gesicht, die an dem Schweiß festheftete. „Anna, Liebste. Ich bin es! Ich werde dich hier weg bringen. Wir werden zu der Familie gehen von der ich dir erzählt habe. Und dort wirst du wieder gesund.“ Er flüsterte leise, doch Anna reagierte nicht. Sie schien in einer Art Dämmerzustand zu liegen.

Er schlug die Decken zurück und nahm eine der zahlreichen Decken welche er über ihren schlaffen Körper legte. Fest packte der Fürstensohn ihre Hand und legte sie um seinen Nacken. Die andere Hand schob er unter ihren Körper und hob sie hoch. Sie war viel zu leicht und ihr zarter Körper hang regungslos runter. Ein fast lautloses Stöhnen entrang hier. „Pssst, Geliebte, pssst. Ich werde Euch nicht verlassen.“ Hauchte er ihr ins Ohr und trat zur Tür.
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Die Tür wurde geöffnet und Carol stand plötzlich im Raum. Sie sah erst erschrocken auf, erkannte dann aber den jungen Erik. „Herr, was tut ihr da?“ fragte sie fassungslos.

Er drückte Anna feste an sich und sagte: „Ich bringe sie fort. Hier kann sie nicht bleiben.“ Es lag ein Flehen in seinen Augen. Er wusste, lange würde er nicht mehr Zeit haben. Es musste alles jetzt geschehen. „Lasst mich durch, Carol. Anna hätte es sich so gewünscht.“

Carol hatte ein ernstes Gesicht aufgesetzt. Dann sagte sie: „Nehmt den Ausgang durch die Küche. Dort erreicht ihr den Hof. Lasst euch ein Pferd satteln und reitet fort. Bringt sie weg von ihren Qualen. Sie hat das reinste und gütigste Herz was ich jemals erblickt habe. Sie hat all diese schlimmen Stunden nicht verdient. Nein, das hat sie nicht, bei Gott.“ Sie trat näher an den Jungen heran und strich durch Annas fiebriges Gesicht. „Reitet wie der Wind, Erik. Lasst sie nicht sterben.“ Tränen standen ihr in den Augen. „Nun geht schnell! Bevor der König kommt!“

Erik nickte dankend und trat durch die Tür. Er sah kurz nach links und rechts und verschwand dann in der sicheren Dunkelheit der Gänge.



Kenny lag zusammengekauert in seiner kleinen Kammer neben dem Stall. Die Nacht war wärmer als die Nächte davor.

„Junge!“ rief eine heisere Stimme ihn. Er schreckte auf und sah in der Dunkelheit umher. Sein Puls beschleunigte als er einen großen Schatten über den Hof huschen sah. „Junge!“ hörte er sie nun etwas lauter.

Kenny griff nach der Mistgabel und stemmte sich hoch. „Wer ist da?“ flüsterte er fast lautlos. Seine Stimme versagte als er erneut die Frage stellen wollte. Er trat vorsichtig einen Schritt auf den Hof und sah ängstlich umher. Der Eindringling hatte die Laterne gelöscht. Dann sah er einen wagen Umriss einer Person die etwas Großes ins Heu legte. Eine Leiche? Wollte man ihm einen Mord andrehen? „Wer seid ihr!“ fragte er jetzt bestimmt und laut. Er hielt drohend die Mistgabel vor sich die in dem Mondlicht aufblitze.

„Junge...“ Die Gestalt kam näher. „Sattelt mir das schnellste Pferd. Geschwind!“ Kenny kniff seine Augen zusammen und versuchte das Gesicht zu erkennen. „Ich vermag Euer Gesicht nicht zu sehen.
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Tretet in den Stall, damit ich sehe wer Ihr seid, mein Herr.“

Langsam folgte er der Gestalt, die zügig ins Licht trat. Sie drehte sich um und sah drohend auf den Stallburschen nieder.

„Von Gauen! Ihr seid der Fürstensohn von Gauen! Es tut mir leid mein Herr, ich wusste nicht das Ihr es seid!“ Kenny lehnte die Gabel an die Wand und sah zu dem Heuhaufen hinüber.

„Fragt nicht, Junge!“ hörte er die Stimme des jungen Fürstensohn. „Und nun beeilt euch, wenn Euch Euer leben lieb ich. Sattelt das schnellste Pferd im Stall! Und zwar sofort!“

Kenny nickte und lief schnell den Gang runter. Instinktiv lief er an dem Pferd des Königs vorbei. Der König war ein guter Mann. Dieser eingebildete Fürstensohn hingegen war unfreundlich und arrogant. Er sollte die Stute „Lesra“ bekommen. Sie war nicht schnell, konnte aber schwere Lasten auf langen Strecken tragen. Und so wie es aussah wollte dieser kleine Fatzke ja mehr tragen als es für eine Person nötig war. Er sollte froh sein, dass er, Kenny, noch mitdachte!



Merry hatte einen Umhang um ihre Schultern gelegt. Die Nacht war schön. Oh ja, sogar die Nacht freute sich. Sie zuckte zusammen als die Tür feste aufgeschlagen wurde.

„Wo ist sie!“ brüllte ihr Vater. Merry drehte sich um und zog die Brauen hoch.

„Wer, Vater?“ fragte sie leise.

Der König machte vier mächtige Schritte und fasste Merry unsanft an ihren Schultern. Mit kräftigem Griff schüttelte er sie und schrie noch mal. „Wo ist sie! Sag mir wo sie ist!“ Sein Kopf war hochrot und seine Augen stierten ihr irre entgegen.

„Vater, Ihr tut mir weh!“ Merry sah ihn flehend an, wusste sie nicht zu reagieren auf die plötzliche Arttake ihres Vaters. War er doch stets so ein ruhiges Gemüht gewesen.

Er lockerte seinen Griff und sah seine Tochter an. „Wo ist sie, Merry!“ sagte der König in einem beunruhigenden Ton. „Sagt mir wo sie ist, oder ich werde, werde…“ er stockte und sah sie an.

„Ich weiß es nicht.“ Sie hatte Angst vor ihm. Die Prinzessin trat einen Schritt zurück und stieß mit ihrem Rücken gegen die Wand. „Ich weiß es nicht.“ Sagte sie noch einmal leise.

Ihr Vater drehte sich um lief ungeduldig auf und nieder.
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Sein Blick war starr und eisig. Sein Körper bebte und er redete leise in sich hinein. „Wo ist sie nur? Gerade war sie doch noch da…“

„Vater?“ Merry trat an ihn heran. „Vater hört mir zu. Ich hege einen Verdacht. Hört was ich zu sagen habe.“ Sie legte ihrem Vater vorsichtig ihre kleine Hand auf die Schulter. Er sah auf und blickte sie auffordernd an. „Sprich!“ sagte der König streng.

Merry nickte, legte ihre Hände ineinander und begann leise zu erzählen. „Ich hörte neulich zufällig, dass Anna ein Kind erwartete. Sie stieg dem Fürstensohn nach und er schwängerte sie. Anna hat den Ruf der Familie Coupé in den Dreck gezogen! Wahrscheinlich hat der Verräter diese Hure mitgenommen und…“

„Was sagst du da? Bist du noch bei Sinnen?“ Der König holte aus und schlug Merry ins Gesicht. Sie stolperte und viel auf den Boden. „Wie kannst du es wagen? Wie kannst du es wagen so über deine Mutter zu reden!“ brüllte er und tat einen kräftigen Schritt.

Merry hielt ihre Wange und sah ihn fragend. „Aber Vater, was erzählt Ihr da? Vater, was…“ Sie wurde von dem packenden Schmerz unterbrochen, der sie durchfuhr als ihr Vater sie an ihrem langen blonden Haar hochzog. Sie schrie spitz auf und grabschte nach den großen Händen.

„Wie kannst du es wagen! Das wirst du büßen!“ Er war schrecklich aufgeregt und empört, als ihn die Wut packte. Er holte aus und schlug noch einmal zu. Dann zog er seine Tochter am Arm wieder hoch, welche angefangen hatte zu weinen. Der König packte sie an der Kehle und drückte sie gegen die Wand. Merry versuchte verzweifelt seinen Griff zu lockern und röchelte laut.

Er griff nach dem Schürhacken und ließ ihn auf den zarten Körper niedersausen. Merry hob instinktiv ihren Arm um sich zu schützen. Der König konnte das knacken ihres Knochens bis in seine Hand spüren. Er beugte sich vor und wollte nach ihr fassen, als Merry laut aufschrie und herum fuhr. Ihre Fingernägel bohrten sich tief in die Wange ihres Vaters und hinterließen blutende Bahnen, woraufhin er das Gleichgewicht verlor und umkippte. Blut rang von ihrer aufgeplatzten Schläfe in ihre einst strahlendes Auge. „Hilfe!“ schrie sie aus Leibeskräften. „So helft mir doch!“ Sie holte tief Luft und versuchte an ihrem Vater vorbei zu kommen, der seine verletzte Wange hielt.
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Er fasste ihren Fuß und brachte sie so zu Fall. Merry schrie laut auf als sie auf ihren gebrochenen Arm landete. Die Hände des Königs arbeiteten sich schnell hoch zu ihrer Hüfte. Merry weinte laut vor Angst auf und griff nach dem Schürhacken. Sie drehte sich schnell um und schlug mit voller Wucht ihrem Vater die Eisenstange auf den Rücken. Er brach zusammen und stöhnte laut auf.

Die Prinzessin robbte sich vor in Richtung Tür und versuchte die Flucht zu ergreifen. Die Schmerzen waren vergessen, allein das Überleben zählte. Sie richtete sich auf und strebte zur Tür. Als sie die Klinke berührte wurde sie zurück gerissen. Sie hatte keine Zeit zu denken. Alles geschah so schnell. Alles geschah viel zu schnell…Die Ereignisse überschlugen sich!

Ihr Vater schmiss sie gegen den Steinkamin, wo die Prinzessin unsanft mit ihrer Hüfte gegen stieß. Sie jammerte kurz auf und blieb laut weinend liegen. Dann fasste er ihr Handgelenk und zog sie ein paar Zentimeter zu dem kochenden Wassertopf. Als das Mädchen die Wärme des Dampfes an ihrer Hand spürte hob sie den Kopf. Ihre Augen weiteten sich und sie fing sofort an zu kreischen. „NEIN! NEIN! HILFE!“ schrie sie heißer und versuchte ihren erstarrten Körper zur Bewegung zu zwingen.

Der König stieß die Hand in das brodelnde Wasser und zuckte kurz als seine Tochter vor Schmerzen laut aufschrie. „Es ist Ihre Schuld! Man darf nicht so über seine Mutter sprechen!“ murmelte er leise. Merry zappelte, konnte sich jedoch nicht befreien. Schließlich ließ er ihr Handgelenk los und sah auf seine kreischende Tochter nieder.

Merry sah auf und versuchte ein wenig von ihrem Vater wegzurutschen. „Vater…ich bin es doch… Eure Tochter…“ Dieser beobachtete kurz ihre Bemühung dann holte er aus und trat ihr in den Unterleib. Merry krümmte sich, als ihr die Luft weg blieb. Schließlich zog er sie erneut hoch und schlug sie mit ihrer Stirn gegen die Wand. Sofort erschlaffte ihr Körper und Merry verdrehte die Augen. Der König hörte nicht auf, zertrümmerte die Stirn und ließ schließlich den leblosen Körper fallen. Er sah in die toten Augen und begutachtete das große Loch an der Stirn. Er atmete schwer und seinen Puls sah man am Hals pochen.
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Sein roter Kopf verlor langsam Farbe. Erst als die Tür aufging sah er auf und löste seinen Blick, welcher jetzt wieder herzlich und warm wurde, von dem Leichnam.

Carol sah auf die tote Tochter und dann auf den König. Blut klebte an ihm. Carol schwankte und suchte halt an dem Bett. „Oh mein Gott, oh mein Gott.“

Sie lief schnell noch ein paar Schritte an dem König vorbei, der ihr schweigend nachsah, und sackte dann neben dem Kind zusammen. Sie zog es sich vorsichtig an sich und wiegte den Körper langsam hin und her. Leises Jammern drang aus ihrem Mund.



Blut tränkte Carols Kleid und gleichzeitig unaufhörlich verbreitete sich der dunkle Schleier über dem Schloss von Coupés und die Geschichte sollte geschrieben werden.



Kenny führte die Stute aus dem Stall. „Mein Herr?“ fragte er leise. Erik trat aus einer Ecke und nahm ihn den Zügeln grob ab. Dann joggte er mit dem Tier an der Hand zu dem Strohhaufen wo Anna lag. Er hob sie sanft hoch und setzte sie vorsichtig auf die Stute. Dann stieg er ebenfalls auf und sah zu den Jungen rüber.

Kenny betrachtete die Person auf dem Pferd genauer und ein kleiner Schrei des Entsetzens entrang ihm. „Prinzessin Anna!“ hauchte er in die Nacht. Dann sah er ängstlich zu dem Fürstensohn hoch, der die Decke über ihren Kopf zog. Sein Blick war angestrengt. Er griff nach seiner Taille und Kenny wich zurück. „Tötet mich nicht, mein Herr! Ich verspreche ich werde Euch nicht verraten! Aber tötet mich nicht!“

Der Stahlbursch zuckte und kniff die Augen kurz zusammen als ihm ein kleines Säckchen entgegen flog. Er fing es auf und wog es in seiner Hand. „Das muss reichen! Schweig über das, was sich in dieser Nacht ereignet hat!“ sagte der junge Fürstensohn und setzte sich die Kapuze seines Umhangs auf. Schließlich trieb er die Stute an und galoppierte vom Hof zum Tor.

Kenny öffnete das Säckchen und sah hinein. Er lachte freudig auf, als er die Silbertaler sah.



Erik zog die Zügel fest an als er am Tor ankam. Die Wache trat näher und fragte laut: „Wer seit Ihr? Und was treibt Ihr Euch so spät noch herum?“

Der junge Mann tat seine Kapuze ab und warf auch der Wache ein Säckchen zu. Das Pferd tänzelte unruhig als die Wache den kleinen Stoffsack öffnete und kritisch hinein schaute.
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Er sah Erik an und nickte. Sein Blick fiel nur kurz auf die andere Person auf dem Pferd. Er drehte sich um und hob die Hand. Das große Tor öffnete sich und gab Erik den Weg frei. Er trieb das Pferd laut an und galoppierte durch das eiserne Tor.



Der Hauptmann trat ein und bevor er etwas sagen konnte, hafteten seine Blicke an Carol und der toten Prinzessin.

„Was ist?“ sagte der König laut.

„Mein König!“ Der Hauptmann verbeugte sich und sah zum König auf. Seine Blicke jedoch schweiften immer wieder zu der schaurigen Szene. „Man berichtete mir, der junge Fürstensohn sei gerade durch das Tor davon geritten. Die Wache berichtete er wäre nicht alleine gewesen.“

Der König sah wieder auf seine Tochter. „Erik von Gauen.“ Sein Gesicht versteinerte sich wieder. Er lief sofort los. „Veranlasst, dass mein Pferd gesattelt werden soll! Ich werde meine Frau zurückholen! Er wird sie nicht bekommen!“ Er war erregt und seine Stimme zitterte vor Wut. Der Hauptmann sah Carol an und sein entsetzter Ausdruck wies auf den Schock hin, der ihn in den Knochen saß.

Dann wurde er ernst und sagte bestimmt: „Sorgt dafür dass … dass ….“ Er holte tief Luft. „Dass das Blut verschwunden ist wenn der König zurück kommt!“ Dann verschwand er.



Der Leibwächter sah in den Raum. Sein Gesicht war ernst und entschlossen. Kaum war der Hauptmann verschwunden, liefen ein paar Zofen eilig an ihm vorbei. Sie hatten Eimer mit Wasser und Lappen bei sich. Eine Zofe kniete sich neben Carol nieder, die immer noch schluchzend das tote Mädchen im Arm wiegte.

Ein junges Mädchen blieb neben ihm stehe und hielt sich kreidebleich die Hände vor ihren Mund. „Lisa!“ rief die Zofe die immer noch neben der, nun laut betenden Carol kniete und winkte sie heran. „Hilf mir!“ Lisa stieg vorsichtig über jeden Blutflecken und er konnte erkennen wie ihre Knie zu zittern begannen und sie drohte umzufallen.

Er verschränkte die Arme hinter seinen Rücken und atmete tief den Geruch des Todes ein. Er musste Erik vor dem König finden. Wenn es stimmen sollte, dass sein Herr, Prinzessin Anna verschleppt hatte, würde er in Lebensgefahr schweben. Er konnte zwar den Ruf der Familie von Gauen nicht mehr retten, aber den Einzigen Sohn der Familie.
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Er drehte sich um und lief zügig zum Stall.



Kenny hatte das Pferd des Königs schnell aber sorgfältig gesattelt. Der König persönlich nahm sein Pferd entgegen. Sein Gesicht sah traurig aus und Kenny lächelte ihn zaghaft an. „Ich gab den jungen Fürstensohn Lesra. Sie trägt zwar gut ist aber nicht sehr schnell, mein König. Ihr werdet sie sicherlich sehr bald einholen können.“

Der König stieg auf und strich dem Jungen über den Kopf. „Du bist ein fleißiger Diener. Hier…“ Er warf ihm einen Beutel mit Goldstücken zu. „Für deine Mühen. Du bist wahrhaftig ein sehr guter Diener.“ Er schenkte den strahlenden Stahlburschen zum Abschied ein Lächeln und ritt schließlich los, durch das bereits offene Tor.

Kenny lachte vergnügt. Was für eine reiche Nacht hatte ihm Gott heute beschert! Gott segne den König und seine Großzügigkeit!



Erik merkte schnell das die Stute nicht die gewünschte Geschwindigkeit brachte die er sich erhofft hatte. Er trieb das Tier bis es Schweiß gebadet war. Er wusste nicht wie lange er ritt, aber merkte wie das Tier stetig langsamer wurde und laut begann zu schnaufen.

Was brachte ihm ein Tier das vor Erschöpfung umkam? Nichts. Er ließ etwas locker und ging in einen Trab über. Die Stute nahm sich dem neuem Tempo dankend an.

Der Fürstensohn drückte Anna fester an sich. Er konnte ihren heißen, fiebrigen Atem an seinem Handrücken fühlen. Sie war schwach, konnte ihren Kopf noch nicht einmal selbst halten. Plötzlich hörte er ein leises Wispern. Anna sprach!

„Wasser.“ Hauchte sie leise. Erik nickte und lenkte die Stute in den Wald, vom weg ab. Er wusste noch, dass hier ein Bachlauf gewesen war. Während der Jagt hatte er das Gebiet genau studiert. Obwohl es absolut Finster war, führte die Stute ihn sicher zu dem Wasser.

Erik setzte ab und zog den schlaffen Körper vorsichtig aus dem Sattel. Er trug Anna zum Bach und hockte sich in das weiche Gras. Mit der Hand schöpfte er etwas aus dem Lauf und führte sie zu ihren weißen Lippen. Ihr Mund bewegte sich kaum merklich und Erik schüttet langsam das Wasser in die leicht geöffneten Lippen.
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Als seine Hand leer war, wischte er mit dem Ärmel den nassen Mund ab. Er schöpfte erneut und tat die gleiche Prozedur erneut. Solange bis er meinte sie habe genug.

Die Nacht legte sich wie ein dünner Mantel um die beiden dunklen Gestalten. Der Mond erleuchtete die Umrisse der Liebenden und streichelte weich die zarte Haut der sterbenden Frau. Wie zum Abschied eines Engels hatten sich die Wolken verzogen und die Sterne brachten ihr letztes Lied für das wertvolle Geschöpft, in den Armen des Mannes, nieder. Selbst die Bäume schienen zu trauern und wisperten leise ihren Kummer. Das Gras wiegte sich im Wind und umgab schützend das Paar.

Plötzlich horchte der Mann auf und die Welt begann zu weinen, als das Unheil seinen Lauf nahm. Ein schweres Grollen wurde immer lauter und kam auf ihn zu. Die Stute graste am Wegrand. Erik legte Annas Körper sanft ins Gras und sprang schließlich hektisch auf. Man würde die weiße Stute sehen in der Nacht! Sie würde ihn verraten! Es war zu spät. Allein ein Hinterhalt konnte ihm nun helfen.

Er würde es nicht zulassen, dass sie ihr ihm wegnahmen. Sie hatte ein besseres Leben verdient. Auch wenn es seinen Tod bedeuten würde! So würde er doch sterben mit dem Wissen, alles getan zu haben um seiner ersten und einzigen Liebe das Leben zu retten.

Der Fürstensohn lief zu seiner Liebsten und hob sie hoch. Behutsam ließ er sich neben einem Gebüsch nieder. Er beugte sich vor, küsste ihre kalten, rauen Lippen. „Ich liebe dich! Ich liebe dich vom ganzen Herzen mit meiner ganzen Seele und meinem ganzen Geist.“ Diesmal sprach sein Mund die vollste Wahrheit.

Er zückte sein Schwert und machte sich auf den Kampf bereit.



Der König sah das Pferd schon von weitem. Die Stute graste am Wegesrand. Unachtsam und töricht war der Knabe! Und er hatte ihn eingeladen! Hatte ihm seine Gastfreundschaft und sein Thron angeboten! Und wie danke er ihm dies? Indem er seine Frau entführte. Seine süße kleine Frau. Er würde sterben! Er würde ihn mit bloßen Händen die Luft anschnüren und ihn ersticken. Ein diabolisches Grinsen machte sich auf seinen Lippen breit.



Kenny zuckte zusammen, als er plötzlich an der Schulter gepackt und hoch gerissen wurde. Das Narbengesicht starrte ihn an und schmiss ihn förmlich in die Stallgasse.
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„Los! Sattel mir ein Pferd!“

Heute Nacht war viel los. Aber der König musste die Verschwörung aufhalten! Und er hatte als ein treuer Diener dafür zu sorgen, dass der König es auch schaffte! Er betrachtet das Narbengesicht kurz. Innerhalb von zehn Minuten hatte er das Pferd gesattelt und hielt die Zügel dem Leibwächter entgegen.

Dieser stieg sofort auf und trieb das Pferd an. Er mochte vielleicht Fünfzig Meter geritten sein, als sie die von Kenny absichtlich schlecht geschlossene Schnalle löste und der Leibwächter unsanft, wie ein alter Sack mit Mehl zu Boden stürzte.

Der Stallbursche trat schnell an den sehr benommen Mann heran. Kenny zog kraftvoll das Schwert des Mannes aus seiner Scheide und versuchte es voller Kraft in den Körper des Narbengesichts zu stoßen. Dieser jedoch rollte sich gekonnt zur Seite und zog dem Jungen die Beine weg.

Der Bursche knallte unsanft hin und ließ das Schwert dabei fallen. Er sah wie sich der massige Körper des dunklen Mannes aufbäumte und einen Dolch zog. Kenny konnte das Blitzen in den Augen sehen, sah die Klinge nieder sausen und wäre wohl auch gestorben, hätte nicht ein glücklicher Zufall ihm geholfen.

Durch die hektische Bewegung, hatte der Mann das Pferd hinter sich aufgescheucht, welches plötzlich zu scheuen begann. Der lange Mantel des Leibwächters hatte sich unglücklich in dem Sattel verfangen und er wurde von dem wilden Tier umgerissen. Als er den Schädel seines Gegners dumpf auf dem Pflaster aufschlagen hörte, sprang er flink auf und schnappte sich erneut das Schwert.

Diesmal schaffte er das Schwert hoch zu hieven und ließ es auf den Mann nieder fallen. Dieser schrie kurz auf, als die schwere Klinge sein Bein durchbohrte. Der Junge, getrieben von der plötzlich auftauchenden Mordlust, schlug erneut zu. Solange bis der den leblosen Körper vor sich liegen hatte. Er, Kenny, hatte seinen ersten Menschen getötet. Er hörte die Wachen kommen, lief schnell in den Stall und versteckte das Schwert im Heu. Damit würde er viel Geld machen! Wenn es nicht sogar behielt bis er ein Ritter war! Er betrachtete kurz mit einem kleinen zufriedenen Lächeln das Blut an dem Stahl. „Gold der Kobolde, Stahl von Elfen und Edelsteine aus Drachenmägen.
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“ flüsterte er begeistert in die Nacht hinein.

Zwei Wachen traten in den Stall und starrten ungläubig den blutverschmierten jungen Burschen an, der völlig außer Atem, verbissen auf das weitere Geschehen wartete. Einer der Wachen schüttelte ungläubig den Kopf über den jungen Mörder vor ihnen, der soeben einen voll ausgebildeten Ritter brutal erschlagen hatte.



Als der König abgestiegen war und mit gezücktem Schwert auf den Bach zu steuerte, griff Erik an. Trotz des hohen Alters des Königs, konnte er seinen Schlag abwehren und setzte voller Zorn sofort zum Gegenangriff an. Der Fürstensohn hatte Schwierigkeiten den harten Hieben des Königs stand zu halten. Es dauerte nicht lang, als er unsanft zu Boden fiel.

Puren Hass konnte er aus den Augen des Alten erkennen. Zudem flammte kurz der Wahnsinn in ihnen auf. „Du bekommst sie nicht.“ Erklang seine tief grollende Stimme. „Du bekommst meine Frau nicht!“ Dann holte er aus und wollte den tödlichen Schlag ausführen, als Erik ihm mit beiden Beinen in den Magen trat.

König Coupé taumelte zurück und suchte das Gleichgewicht. Der junge Mann nutze die Chance sich wieder aufzurappeln und stürmte laut schreiend auf den König ein. Dieser konnte abwehren und brauchte ein paar Sekunden bis er seinen festen Stand wieder fand.

„Ihr werdet ihr niemals mehr wehtun!“ krächzte Erik heiser. „Ich schwöre es bei Gott, König von Coupé! Ich werde euch töten und Anna mit mir nehmen!“ Kurz sahen sich beide in die Augen. Sie waren beide schon außer Atem und kleine Schweißperlen zierten ihr Gesicht.

„Ich werde Euch töten.“ Kam leise aus den Lippen des Königs, als erneut das laute Klirren der Schwerter die stille Nacht durchdrang. Jeder Schlag sollte sich wie ein Fluch über die Familie legen und trug die Botschaft des Todes und des Leides mit sich.

Die Muskeln der beiden Männer bebten, die Lungen brannten und der Kopf dröhnte. Doch keiner von ihnen beiden würde sich kampflos ergeben. Immer wieder gewann der König die Oberhand, trieb den unerfahrenen Burschen zurück, versetzte ihm harte Schläge mit der Klinge, schaffte es sogar ihn am Oberarm zu verletzten.

Der König hielt seine Klinge im Kreuz mit der des Fürstensohns.
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Wieder trafen sich die Blicke. Ein wahnsinniges Lächeln huschte über die rauen Lippen des Alten, als er sein Fuß anhob und ihm ihn in den Magen rammte. Er holte aus und trat Erik in die Nieren.

Der junge Mann krümmte sich vor Schmerzen, konnte nichts dagegen tun als ihm das Schwert aus der Hand geschlagen wurde. Er hielt sich mit seiner letzten Kraft auf den Beinen und sah den König erschöpft an. Er würde nicht auf Knien vor ihm sterben!

„Ihr seit es nicht würdig! Ihr seid mein Reich nicht würdig! Und erst recht nicht meiner Frau!“ sprach Coupé ruhig aus, als er die Spitze seiner Klinge an Eriks Unterleib setze.

Eriks Lungen brannten wie Feuer und die Erde drehte sich um ihn herum. Er schwanke kurz, doch zwang sich stehen zu bleiben. „Ihr seid doch verrückt!“ sagte er erst leise. „Ihr bemerkt nicht was ihr Eurer Tochter antut! Es ist Eure Tochter! Nicht Eure Frau!“ Der junge Mann schluckte schwer. Die Augen des Königs funkelten auf. „Ihr habt sie auf dem Gewissen! Ihr und sonst niemand. Ihr seid wahnsinnig geworden, als Eure Frau starb! Eure Frau ist schon seit 17 Lenzen tot!“

Ein stechender Schmerz durchzog seinen gesamten Unterleib. Er war nicht in der Lage zu schreien oder ein Laut raus zu bringen. Es blieb ihm alles in der Kehle stecken und lähmte seinen Körper. Als er umfiel und in das weiche Gras sank, bemerkte er es kaum. Ein leises Glucksen trat aus seiner Kehle und er zuckte unaufhörlich mit dem Körper. Seine Hände verkrampften und sein Blick war starr gen Himmel gerichtet.

Er hörte ein Rascheln, ein Jammern, ganz deutlich. Als hätte die Wunde ihm ein besseres Gehör verschafft, ihm dafür jegliche Möglichkeit genommen sich zu bewegen. Er drehte seinen Kopf, sah wie der König zu Anna ging. Wie sie mit ihren schwachen Armen versuchte ihrem Peiniger zu entkommen.

Es war so was wie ein Adrenalin-Schub der ihn aufrichtet. Ihm wurde schwarz vor Augen und spei übel. Instinktiv lief er geradewegs auf den König zu. So fest der Fürstensohn es konnte rammte er den König und fiel schmerzhaft mit ihm den Bachlauf.

Sein Körper ließ ihn nun im Stich. Mit einer Hand hielt er die Wunde, während seine andere Hand sich zitternd aufstütze. Er starrte ins Wasser welches sich vom Blut schwarz zu färben schien.
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Dann wurde sein Hinterkopf kräftig unter Wasser gedrückt. Die Energie sich zu wehren hatte er nicht mehr. Sein Körper war am Ende angelangt, hatte sogar die Grenze überschritten.



Anna sah schemenhaft, wie ihr Vater Eriks Kopf unter Wasser drückte. Es war ein Stein der ihre Aufmerksamkeit erweckte. Blut hatte an ihrem Vater geklebt. Sie konnte es riechen. Es war nicht das Blut ihres Geliebten. Sie hatten den Tod ihrer Schwester gespürt. Es war als hätte man ihr ein Teil ihres Daseins genommen.

Plötzlich geschah alles wie von selbst. Als wenn sie neben ihren Körper stehen würde. So als ob jemand für sie die Kraft opferte. Ihr die Kraft gab, die sie eigentlich nicht mehr hatte. Sie beobachtet sich selbst, wie sie schon fast mechanisch, den Stein griff, wacklig aufstand und ihn mit allem was sie jemals an Leid erfahren durfte auf den Schädel ihres Vaters nieder schmetterte.

Er kippte sofort zur Seite, war aber nicht gleich ohnmächtig. Ein dumpfer Schrei entkam seiner Lunge. Sie holte erneut aus und Schlug zu. Dann wieder, und wieder, und wieder… Sie kreischte dabei, heulte und schrie.

Erst als Erik ihre Hand griff, entwich ihr alles Leben und sie sackte in seinen Armen zusammen.



Erik schaffte es irgendwie Anna und sich auf das Pferd zu bekommen. Der Leichnam des Königs blieb im Bach liegen und färbte diesen auch noch am Morgen tief rot. Erik trieb die Stute an, ließ sie laufen wohin sie wollte.

Er hielt Anna sicher im Arm, sog noch mal ihren Duft ein, bevor er ohnmächtig wurde. Auch Anna schmiegte sich an den Fürstensohn, so gut sie vermochte und tat ihren letzten Atemzug bei Sonnenaufgang, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, als sie die weiten eines Feldes sah.



Der Bauer dessen Feld Anna zuletzt sah in Eriks Armen, fand die beiden Toten auf der weißen Stute. Er begrub sie als Ehepaar und verkaufte die Kleidungen und das Pferd zu einem guten Preis. So konnte er seine Familie sicher durch den Winter bringen. Als Dank dafür, dass er sich ihres Eigentum bemächtigt hatte, zimmerte er einen einfachen Holzsarg. Er hatte die namenlosen Leichen auf einem Hügel beigesetzt. Der Bauer sprach ein kurzes Gebet und zog weiter.

Als der Herbst einbrach, traf der Bauer in einer Schenke einen alten Gelehrten, namens Zarabu.
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Sie tranken zusammen und der Bauer ließ sich die Geschichte Coupés erzählen. Im Suff beichtete der Bauer, dass er ein Liebespaar tot auf einem Pferd gefunden hatte. Wie er sie beigesetzt hatte und ihnen sogar ein einfaches Holzkreuz als letzte Ehrweisung gebaut hatte. „Ich hätte den beiden gerne noch etwas auf das Kreuz geschrieben. Aber ich bin des Lesen und Schreibens nicht mächtig. Die beiden waren so in einander verschlungen, dass ich sie zusammen in einen Sarg stecken musste. Es brach mir das Herz so jung und schon tot.“ Der Bauer setzte erneut an und betrachtete das tief in Falten gelegte Gesicht des Gelehrten.

„Zeigt mir den Ort.“ Befahl Zarabu. Der Bauer gehorchte.

Eine ganze Scharr an Bediensteten des Schlosses, welches nun von einem entfernten Cousin des Königs bewohnte wurde, hoben das Grab aus, bis sie auf den alten Holzsarg stießen.

Teilweise war er bereits eingebrochen und ein Baum hatte mit seinen Wurzeln den Sarg und seinen Innhalt in eine sanfte Umarmung geschlossen. Sie brachen die Holzkiste auf und starrten hinein.



Manch einer erzählte, die Kiste sei leer gewesen und die Liebenden seien entkommen. Andere wiederum sagten, Grabschänder hätten sich an den Leichen bereichert. Wieder andere berichteten, die Leichen seien im Sarg gewesen und von so vielen Wurzeln umgeben gewesen, dass es unmöglich war sie raus zu holen und die Natur es ihnen verboten hat ihr ihren Schatz zu entreißen.

Was genau an diesem Herbstmorgen gesehen wurde weiß niemand so recht. Auch wo das geheimnisvolle Grab ist, weiß allein der Wind.

Man vermiet es im Schloss das rote Zimmer zu betreten. Die Bediensteten tuschelten, dort würde der Geist der getöteten Prinzessin umher spucken und in der ewigen Zwischenwelt festhängen.

Nach und nach verstarben die Bediensteten des alten Königs. Einige flohen auch aus Angst vor dem Fluch. Diejenigen die blieben wurden von seltsamen Krankheiten befallen oder starben durch mysteriöse Unfälle. Eine Zofe namens Carol, so erzählte man sich, soll ins rote Zimmer gegangen und dort niemals wieder hinaus gekommen sein.

Es dauerte etwa fünf Lenzen bis die ganze Familie Coupé gestorben war. Ein neuer König, namens Kenny Barack, sollte den Fluch aufheben.
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Ritter von Barack stürmte Lebbick und konnte den letzten Cousin des alten König von Coupé durch eine gut geplante Verschwörung stürzen. Er ließ das rote Zimmer zumauern und regierte bis zu seinem Tot das Reich von Coupé, welches noch viele Nachkommen von ihm erben sollten. Keiner sprach, aber jede wusste um die Vergangenheit des Schlosses, welches bedrohlich jeden Laut in sich bewahrte und wachsam die Lebenden sowie die Toten in seine Geschichte aufnahm.



Trotzdem hängt die Geschichte Coupés noch wie ein dunkler Schleier über Schloss Lebbick und klagt in jeder Nacht sein Trauerlied, voller Leid und Schmerz, über die unvergessenen Geschehnisse.
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Kommentare zur Story:

  wow ich war wie an den schreibtisch gefesselt, und musste dieses Märchen "bis zum bitteren Ende" lesen, klasse geschrieben!!!!  
werwölfin  -  28.05.04 18:29

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Whow!
Was für ein blutiges Gemetzel! Das Märchen als Schlachtfest!
Fett!!!
Normalerweise haben Märchen ja ein Happyend aber das hier passt besser und der Schluss ist auch n büschn gruselig geworden. Hübsch!

@ Norma: für Männer ist es doch völlig normal, zuerst die Eine zu poppen und dann die Andere. Wir können nun mal nicht mehrere Dinge zur gleichen Zeit tun...:-))  
Stefan Steinmetz  -  01.11.03 15:55

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  Also, was soll ich nun zu diesem Ende sagen ... Irgendwie erscheint es folgerichtig zu sein. Die Geschichte Coupes ist ein ganz schön happiges Drama. Sympathie hege ich für keine der Figuren, am ehesten noch für Merry. Der Prinz ist ein egoistischer Waschlappen, der Vater ist ein irrer Schlächter und Anna ist die Verhuschte mit der Leidensbittermine.
Am Ende kommt es irgendwie zu zuckersüß. Die beiden Liebenden im Tod vereint ... Wir wollen Mal nicht vergessen, dass der Prinz erst mit der Schwester Merry gepoppt hat, bevor er dann zu Anna umgeschwenkt ist. Irgendwie hätte ich mir das Ende sarkastischer gewünscht.
Insgesamt 4 Punkte  
Norma Banzi  -  28.10.03 00:36

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