Trauriges · Kurzgeschichten

Von:    Robert Zobel      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 21. August 2003
Bei Webstories eingestellt: 21. August 2003
Anzahl gesehen: 5602
Seiten: 4

In Mecklenburg sah ich vor kurzem keine berufliche Zukunft, denn alle Branchenzweige, die mich interessierten, starben ab. Eine andere Perspektive war für mich nicht zu finden.

Nun jedoch habe ich eine prima Geschäftsidee. Sie fiel mir ein, als ich einen kleinen, dicken Jungen sah, der vor mir an der Kasse weinte. Er wollte irgendeine Leckerei haben und bekam sie nicht. Und genau in diesem Moment fiel mir auf, dass ich so eine Szene schon öfter gesehen hatte und das Mecklenburg sehr viele kleine, dicke Kinder hat.

Damit musste doch irgendwie Geld zu verdienen sein. Von allen Nöten kann man gut leben. Und Dick zu sein, ist wohl auch eine Not. Verkäufer verkaufen an Leute, die benötigen, Ärzte behandeln da, wo Gesundheit von Nöten ist und ich helfe halt beim Abnehmen, weil es von Nöten ist.



Nun musste ich mir nur noch ein Konzept überlegen. Etwas mit möglichst geringem Kapitaleinsatz und „schwuppdiewupp“ fiel mir auch was schönes ein.



In Anlehnung an amerikanische Drillcamps, Sport Vater Jahn und DDR-Ferienlager entwickelte ich in meinem Kopf das „Camp für dicke Kinder“.

Ansprechen will ich damit die Eltern von Kindern von 6 – 16 Jahren. Vor dem 6. Lebensjahr kann man die ja nicht so formen und mit 17 sowieso nicht mehr, weil sie dann nur das andere Geschlecht im Kopf haben.

Ich gebe den Eltern eine Garantie. Nimmt das Kind nicht mindestens 18 % des Übergewichts in den 60 Tagen ab, bekommen sie ihr Geld wieder.

Meine Werbung ist einfach. Es gibt Handzettel, auf denen Vorher- und Nachherbilder zu sehen sind. Darunter stehen ausgedachte Kommentare von imaginären Campbesuchern. Und natürlich kann man am Ende des Flyers dann lesen, was sich nach einem Besuch im Camp alles so für die Kinder ändert. „Keine Hänseleien mehr, bessere Noten und konzentrierteres Arbeiten in der Schule, Gesundheit und Fitness und ein gesundes Selbstbewusstsein“.



Das wird genügen und die Eltern werden hunderte Busse mit tausenden Kindern in mein Camp schicken. Gefüllt mit feinstem Arbeitsmaterial für unsere Pädagogen, Ernährungsberatern und Fitnesspersonal. Die kleinen Brocken werden ins Camp mit vielen kleinen Koffern kommen, in denen sie Süßigkeiten versteckt haben. Natürlich müssen aber alle ihre Koffer abgeben.
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Das weiß nur keiner.

Die Kleidung dürfen sie behalten. Es gibt nur einen kleinen Hut auf dem „Nicht füttern“ steht. Das ist wichtig für lange Märsche durch Dörfer, weil alte Mütterchen gerne mal ein halbes Hähnchen oder Schokolade werfen. Sollen sie lieber kommen und die runden Bäckchen kneifen, damit das Fett durch die Poren gepresst wird.



Wichtig nun auch, das Vorherbild, dass gemacht wird. Dazu setzt man ein Kind neben eine massige Robbe aus Stroh und gibt ihm dann noch eine Hühnerkeule in die Hand. Maskenbildner schminken das Gesicht ein bisschen massiger und am Mundwinkel eine Fettspur.

Dann müssen die Kinder das Camp aufbauen. Das heißt Zelte aufbauen, Klogruben schaufeln, Stacheldraht verlegen und Betten beziehen. Wenn dann eine neue Gruppe Kinder kommt wird das ganze Camp dem Erdboden gleich gemacht und es geht wieder von vorne los. Nachdem die Kinder fertig sind, kontrolliert sie der Camparzt (eigentlich nur ein Laie) auf Flöhe, Läuse, Blutegel und Zecken. Das dient der Erhaltung dieser Insekten im hiesigen Gebiet. Im Wald leben nämlich ganz andere Laus- und Floharten und jeder eingebrachte Hausfloh würde ein ganzes Volk zerstören. Das die Kinder aber dann verlaust wieder nach Hause kommen, ist nicht mein Bier. Sie sind vollkommen verwahrlost, aber dafür dünn.



Am nächsten Morgen nach der Ankunft steht dann Frühsport auf dem Plan.

Dafür gibt es ein Gebier neben dem Camp. Mit Kletterwänden, Schlammbadrobbstellen, Häuserfassaden die es zu erklimmen gilt und einen riesigen Laufkreis. Dieser Frühsport geht von 04:00 Uhr – 17:00 Uhr. Da das Camppersonal zu dieser Zeit noch schläft, überwachen dressierte Hunde den Sport. Die haben früher Schafe bewacht und die sind ja viel schneller, als dicke Kinder.

Die Erzieher (hier auch Langzieher genannt) kommen alle 3 Stunden und schauen ob jeder einzelne richtig schwitzt. Falls das nicht der Fall ist wird dem Sportverschmäher das Kissen oder die Iso-Matte weggenommen.

Disziplin ist sehr wichtig.

Nach dem Sport geht es auf die Waage. Für eine Abnahme gibt es einen kleinen lieben Klapps und für eine Zunahme einen mächtigen Hieb vom stärksten aller Gruppenleiter.

Bleibt das Gewicht so wie es war, wird man nachts, weit weg vom Camp an einen Baum gebunden und wenn man sich dann nicht selber befreit und um 04:00 beim Sport erscheint, gibt es noch eine härtere Strafe.
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Ist man erst einmal in diesem Kreislauf, gibt es kein Entrinnen.



Um die Kinder von den Süßigkeiten los zu bekommen, werden Spiele gespielt. Einer wird mit Sirup überzogen und dann von Bienen gehetzt. Es gibt Schießübungen auf Milkaschokoladen und wer ganz genau trifft, brauch eine Stunde weniger Sport machen. Dadurch wird die Aggression auf die Süßigkeiten übertragen. Die Kinder werden ruhiger zu Hause werden und wenn sie auf irgendwas Wut haben, dann gehen sie in den Garten und schmeißen Pralinen gegen die Garageneinfahrt.

Kommen wir zur Ernährung. Morgens gibt es, ganz nach Leistung im Sport, einen Klecks rohes Eigelb. Mittags um 15:00 Uhr – 15:30 Uhr bekommen die Kinder Dias von Kroketten, Klößen, Fisch und Hamburgern gezeigt.

Die Gier, die diese Kinder produzieren, fördert die Verbrennung von Fett. Das wird vielleicht hart erscheinen, aber es ist mehr als zweckdienlich.

Vor dem Schlafen gehen, gibt es noch einen kleinen Klecks grobe Leberwurst.

Nachts ist die schönste Zeit für das Camppersonal. Dann wird getrunken, gefeiert und irgendwann macht man sich in die Kinderzelte auf und sticht die Kinder mit spitzen Gegenständen. Oder man nimmt einen Wasserschlauch, dreht ihn auf und hält ihn in ein Zelt hinein. Auch dies ist zweckdienlich, denn der Körper verliert Fett, durch das Aufheizen, was nach der kalten Dusche normalerweise eintritt.

Wer weint, wird in Ruhe gelassen. Wer nicht weint, der nicht. Erst wenn alle weinen, kehrt Ruhe im Camp ein. Manchmal geht das Stunden so. Gott sei Dank, sind die nächsten bewohnten Gebiete sehr weit weg.



Rund um die Uhr bewachen private Sicherheitsunternehmen das Gebiet. Sie tragen Vampirkostüme, damit die Kinder nicht mal auf die Idee kommen auszubüxen. Man muss sich doch darüber im Klaren sein, dass Kinder heutzutage Autorität gar nicht mehr wahrnehmen können. Da muss man dann auf solche Hilfen ausweichen.



Eltern ist es untersagt, ihre Kinder in den 60 Tagen zu besuchen. Das erklärt man am besten mit der Selbstständigkeit, die man bei den Kindern entwickeln will.
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Im Prospekt für die Eltern steht:

„Es ist wichtig, die Selbstständigkeit ihres Kindes zu entwickeln, denn erst wer eigen handelt, erkennt die Konsequenzen des Handelns“.

Natürlich schreiben die Kinder den Eltern. Meist aber erst nach zwei Wochen, weil ihnen in den ersten Tagen alle Muskeln weh tun und sie nicht einmal mehr einen Stift halten können.

Es gibt Postkarten vom Camp. Mit prächtigen Häusern, einem Schwimmbad und so weiter. Alles garantiert echt mit einem PC hineinkopiert. So gibt man den Eltern das Gefühl, ihr Geld gut angelegt zu haben.

Was die kleinen Kinder schreiben, wird durch einen zuständigen Mitarbeiter durchgesehen. Wird etwas Negatives über die Firma gefunden, zum Beispiel „Mama bitte, bitte hol mich hier ab. Herr Kastel hat mir gestern so komisch zugezwinkert und dann hab ich einen Skorpion in meinem Schlafsack gefunden“, nimmt man den Kleinen und zeigt ihm 3 Stunden extra Dias von ganz leckeren Nahrungsprodukten.

Zum Abschluß dann, wenn alle weinen, weil sie endlich wegkommen, wird für die Eltern das Nachherbild gemacht. Die kleinen Bengel und Uschen werden in längsgestreifte Shirts gezwängt. Mit Schatteneffekten und Farben auf dünn geeicht und bekommen dann eine Mappe mit den Vorher und Nachherbild ausgehändigt.

Die bekommt dann Mama oder Papa und das Kind sagt dann den im Camp eingeübten Satz „Liebe Eltern. Es war schön im Camp. Ich werde niemals mehr dick und liebe euch sehr“.



Das ist mein kleiner Einblick. Alle 60 Tage vor ihnen auszubreiten ist nahezu unmöglich. Erstens variiert unser Programm von Sommer zu Winter, Gruppe zu Gruppe und zweitens, soll man ja selber mal vorbeischauen und ich kann nicht zuviel verraten.

Auf jeden Fall wird kein Kind ohne die 18 % abgenommen zu haben weggehen.

Es wird auch niemals ein YoYo-Effekt auftreten, denn die Kinder haben viel zu viel Angst wieder dick zu werden und dann nochmals bei uns zu landen.

Also her mit ihren dicken Kindern. Lüften sie ihren Keller, räumen sie ihren Dachboden und treiben sie die Kinder in unser Camp. Ich mache sie schön und erfolgreich und mich reich.
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Kommentare zur Story:

  Hallo allerseits,

ich bin staatlich geprüfte Sportassistentin und würde gerne in einem Camp oder einer Kur, Kindern den Spaß an Sport und Spiel näherbringen. Außerdem würde ich in Ernährung beraten und unterstützen.  
anonym  -  03.03.08 12:43

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  gut haben sie des gemacht habe auch ne
sie is 10 jahre wiegt 60 kg und is 1,47 groß sie heißt dilara  
gabi  -  05.07.07 23:29

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  Hi Robert!
Erstaunlich, wo nimmst du denn deine ganzen Ideen her, um beinahe täglich eine neue Story ins Netz zu stellen? Woher beziehst du diese schier unbegrenzte Kreativität? Bist du arbeitslos und pumpst dich den ganzen Tag mit psychoaktiven Substanzen voll?
Nein, jetzt hab ichs! Ein Pakt mit dem Teufel, schwarze Magie, das Auge Mordors, was?
Na wie auch immer, mach weiter so und möge mein Neid mit dir sein.  
Tom  -  21.08.03 22:33

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  Hallo Robert ;o)

Die Geschichte an sich ist nicht schlecht. Musste an einigen Stellen sogar lachen. Aber irgendwie wirkte die ganze Situation plump, besonders wenn ich sehe welche Kategorien du für die Geschichte ausgewählt hast. Nachdenklich bin ich nicht geworden. Phantasie ist drinne, dass gebe ich zu. Traurig ist die Geschichte für mich mitnichten.

Aber ich will sie ja nicht völlig zerreißen. Sie hat einen humorvollen Touch. Mehr als man vom Titel erwartet. Der Schreibstil ist einigermaßen flüssig. An einigen Stellen musste ich zwar mehrmals nachlesen. Dies stört aber nicht wirklich. Eine rundum gute Geschichte die Waightwatchers Konkurenz machen könnte *g*  
Daniel Lohmeyer  -  21.08.03 20:29

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Kommentar von "darkangel" zu "Stein in der Mauer"

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Kommentar von "rosmarin" zu "Die Belfast Mission - Kapitel 02"

Eine höchst interessante Geschichte. Und ganz toll geschrieben. Ich bin gespannt, wie es weiter geht. Gruß von

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