Die Belfast Mission - Kapitel 25   0

Romane/Serien · Fantastisches

Von:    Francis Dille      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 11. Oktober 2024
Bei Webstories eingestellt: 11. Oktober 2024
Anzahl gesehen: 1064
Kapitel: 0, Seiten: 0

Diese Story ist die Beschreibung und Inhaltsverzeichnis einer Reihe.

Verfügbarkeit:    Die Einzelteile der Reihe werden nach und nach bei Webstories veröffentlicht.

Kapitel 25 – Feindliche Nachbarschaft



„Bist du soweit?“, fragte Ike. Justin salutierte. „Jawohl, Sir. Bin bereit zum Abmarsch!“

Es wäre Justin zwar wesentlich angenehmer gewesen, an diesen warmen Sommertag mit kurzer Hose und diesmal ohne Jacke ausreiten zu dürfen, aber Ike bestand wieder ausdrücklich darauf mit derselben Begründung wie immer, dass eine Jacke sowie eine lange Hose falls er vom Pferd stürzen sollte, seine Verletzungen wenigstens etwas lindern würde. Außerdem ermahnte er Justin wiedermal, er solle gefälligst seine Schirmmütze aufziehen.

„Och Menno, wieso das denn schon wieder?“, nörgelte er. „Die Mütze nervt total und kratzt nur am Kopf. Außerdem sehe ich damit voll bescheuert aus.“

Wenigstens gelang es Ike Justins unangebrachte Jugendsprache weitgehend abzugewöhnen. Dafür gewöhnte sich der Junge langsam an die jugendliche Ausdrucksweise des 20. Jahrhunderts, was Ike aber für akzeptable hielt und es durchgehen ließ.

„Justin, schau dir die Leute und alle Kinder an. Wir leben in einer Zeit, wo es nun mal üblich ist eine Kopfbedeckung zu tragen. Deine Schulkameraden würden dich hänseln wenn du ständig ohne Schirmmütze rumläufst, weil dies in ihren Augen bescheuert aussieht. Verstanden?“

„Und wann darf ich mal ohne diese blöde Mütze rausgehen?“

„Wenn du ein Mann geworden bist, dann trägst du einen Bowler oder Hut. Also, rein in die Stube und hol deine Schirmmütze!“

Justin stieg vom Pferd und während er widerwillig zurück ins Haus lief, zog er wiedermal Grimassen und äffte leise Ikes Befehlston nach. „Manchmal ist der echt voll krass uncool.“



Ike verhielt sich seit dem Giftanschlag auf seinen Schäferhund vor einigen Wochen auffällig angespannt und reagierte manchmal sogar wegen Nichtigkeiten gereizt. Nachdem er die Sicherheitszentrale die Koordinaten seines Postfaches von Harland & Wolff mitgeteilt hatte, wurden ihm bereits die ersten Mikrokameras dorthin teleportiert, die so klein wie Stecknadeln waren und immer in Zigarrenkästchen versteckt wurden.

Das Probejahr der Owens war in knapp fünf Monaten abgelaufen aber wovon Charles noch nichts ahnte war, dass er Ike auf dem unfertigen Schiff Titanic beim Installieren von voraussichtlich 8.000 Mikrowanzen behilflich sein müsste. Eine Vertragsklausel seitens der TTA besagte, sollte sich der zugeteilte Schleuser während des Betreuungsjahres in einer Mission befinden und Unterstützung benötigen, wird der Vertragspartner automatisch dazu verpflichtet, dem Geheimagenten anstandslos Beihilfe zu leisten.
Seite 1 von 18       
Für die Auswanderer würde dies also bedeuten, dass erst nach Beendigung des Auftrages eine vertragliche Vereinbarung für eine endgültige Ausreise in das gewünschte Jahrhundert getroffen und somit das Probejahr auf unbestimmte Zeit verlängert wird.

Seitdem Charles ein gewisses Privileg in Carl Clarks Team genoss, führte er sich tagtäglich selbstbewusster auf und nahm Ike nicht mehr gar so ernst, wenn er sich ihn wiedermal vorknöpfte. Ike hatte bislang ausgezeichnete Arbeit abgeliefert. Er hatte sich die letzten eineinhalb Jahre wertvolles Ansehen und Respekt erarbeitet, wovon Charles nun profitierte. Ikes Freunde waren auch gleichzeitig Charles Freunde geworden, schließlich war er sein Onkel.

Charles hatte sich nichtsdestotrotz positiv gemausert. Er war bei Harland & Wolff sehr beliebt, unter den Arbeitskollegen galt er als freundlich, hilfsbereit und witzig. Zuhause jedoch verhielt er sich meistens immer noch wie ein mürrischer Querkopf, der hauptsächlich immer wieder mit Eloise aneinander geriet. Ike wurde trotz vielzähligen Unterredungen einfach nicht schlau aus ihm. Mal verhielt sich Charles ihm gegenüber kumpelhaft aber im nächsten Augenblick, wenn ihm irgendetwas missfiel, drohte er ihn selbst wegen Kleinigkeiten bei der TTA anzuschwärzen, weshalb Ike Charles nicht traute. Deswegen unterband Ike auch in seiner Gegenwart jegliche Zuneigung zu Eloise, um bloß keinen Verdacht zu erregen. Aber Eloise war dies ohnehin nur recht, denn es gehörte sich schließlich nicht, im Beisein von Leuten zu schäkern, zumal sie nicht einmal miteinander verlobt waren.



Ike wirkte angespannt, denn er sorgte sich und bangte vor möglichen Konsequenzen, seitdem er seinen Hund vor einem qualvollen Tod bewahrt hatte, weil Anne ihn ständig mied und bislang zu keinem Gespräch bereit war. Sie war offensichtlich verärgert, weil er einfach rücksichtslos die neue Zukunft ihrer Familie riskiert hatte. Darüber hinaus belastete ihn zusätzlich Peter Gallagher, den er zugegeben unterschätzt hatte und dieser nun hartnäckig auf sein Eheversprechen pochte, welches Mrs. und Mr. O’Brian und Gallaghers Eltern einst per Handschlag vereinbart hatten. Zwar befürchtete er weniger, Peter Gallagher könnte es nur ansatzweise gelingen Eloise für sich abzugewinnen, weil sie ihn ohnehin seit ihrer Kindheit hasste, jedoch sollte man einen krankhaft eifersüchtigen Mann niemals unterschätzen, da dieser unbelehrbar und zu allem fähig ist.
Seite 2 von 18       
Ike hatte es zwar gewusst, dass er keine Akteurin als seine Lebenspartnerin auserwählen durfte die schon jemanden versprochen wurde, aber er war damals unwissend gewesen. Eloise hatte ihn erst einige Monate später von Peter Gallagher zögerlich erzählt, weil sie es verdrängen wollte und Angst hatte, Ike würde sie deswegen wieder verlassen.



Eloise hielt ihren Schimmel am Zügel und führte ihn aus dem Scheunentor hinaus. Geschickt schwang sie auf seinen Rücken und trabte langsam auf Ike und Justin zu, die bereits auf ihren Pferden fest im Sattel saßen und Abmarsch bereit waren. Sie lächelte. Ihre strahlend weiße Bluse blendete förmlich im Sonnenschein.

An Sonnentagen wie diesen glänzte ihr kupferrotes Haar besonders und ihr Mund wirkte in ihrem blässlichen Gesicht, wie von einem purpurroten Lippenstift gemalt. Und gerade in den Sommermonaten verdeutlichten sich ihre Sommersprossen, die Ike besonders mochte. Eloise dagegen aber mochte sie weniger, weshalb er sie deswegen oft neckte. Doch seitdem die Owens ebenfalls im Haus wohnten, blieb es lediglich bei den gegenseitigen Hetzjagden aber die darauffolgenden spontanen Liebesspiele im Heu, waren längst tabu. Nur noch im Schlafzimmer hinter verschlossener Tür, hatte Eloise seitdem beschlossen.

Ike fühlte sich von der Familie Owen zwar weniger gestört, eher gesagt gar nicht, aber Eloise spielte da nicht mehr mit. Allein schon wegen Justin. Ihr grauste die Vorstellung, einer der Owens, insbesondere der Junge, würde sie beim Liebesakt belauschen oder schlimmer, sie gar in der Scheune am helllichten Nachmittag in flagranti dabei erwischen. Wie sollte sie dann noch ruhigen Gewissens am Abendtisch, wenn alle anwesend waren, ein Tischgebet sprechen und dem Herrgott danken? Dies ließ sich einfach nicht mehr mit ihrem katholischen Anstand vereinbaren.

„Ach Liebes, wir verschließen einfach das Scheunentor, dann wissen die schon alle Bescheid und lassen uns in Ruhe“, hatte Ike letztens wollüstig in ihr Ohr gehaucht, während er ihren Nacken liebkoste. Aber Eloise, sonst nie von seiner Zärtlichkeit abgeneigt, hatte ihn beiseite gestoßen und ihm einen Stirnvogel gezeigt: „Du spinnst wohl.
Seite 3 von 18       
Ganz gewiss will ich nicht, dass jeder Bescheid weiß!“, hatte sie daraufhin empört geantwortet.



Ihr karierter Lieblingsrock bedeckte etwas das Leib des Pferdes, als sie ihre nackten Füße leicht gegen seinen Unterleib drückte und Lukas gemächlich vorantrieb.

„Ich will auch mit“, sprach sie mit lieblicher Stimme und lächelte dabei. Ike entgegnete ihr jedoch mit einem kühlen Blick.

„Kein Problem, Liebes, aber nicht so. Zieh dir erst einmal etwas Vernünftiges an, vor allem Reitstiefel. Und überhaupt, sattle gefälligst dein Pferd auf! Wofür habe ich dir zum Geburtstag einen neuen Pferdesattel geschenkt? Ich sag`s dir, damit du auch endlich einen Sattel benutzt!“, motzte er. „Ich dachte eigentlich, darüber hätten wir genug diskutiert und wären uns nun einig!“

Eloises lächelnde Mundwinkel sanken abrupt. Sie beugte sich etwas vor und kniff ihre Augen.

„Was du schon wieder hast! Im Sommer wenn es warm ist, reite ich immer barfuß und ohne Sattel. Was ist schon dabei?!“, giftete sie zurück.

Ike stöhnte genervt auf. Wieder dieselbe Leier, wieder dasselbe Leid. Sie wollte es einfach nicht einsehen.

„Wie oft soll ich es dir noch erklären? Reiten ohne Sattel ist viel zu riskant. Wenn der Gaul dich abwirft könntest du dir die Knochen brechen, eventuell sogar das Genick!“

„Papperlapapp. Lukas ist gewiss kein Gaul und wirft mich niemals ab! Außerdem bin ich schon hundertmal vom Pferd gefallen. Na und? Bis auf ein paar Schrammen und blaue Flecken passiert sowieso nix. Dann steht man wieder auf, schüttelt sich den Staub vom Leib, steigt wieder auf das Pferd drauf und reitet einfach weiter. Also, stell dich gefälligst nicht immer so an!“, konterte sie.

Charles, der grade im Hof Holz hackte, stieß die Axt in den Stamm und zog seine Schirmmütze ab. Mit einem Taschentuch tupfte er sich den Schweiß von der Stirn und beobachtete gehässig schmunzelnd, wie die zwei Streithähne wiedermal aneinander gerieten. Anne war zurzeit damit beschäftigt, die frisch gewaschene Klamotten über die Wäscheleine zu hängen und verfolgte diese Diskussion ebenfalls, jedoch ohne irgendeine Schadenfreude, so wie ihr Ehemann.

„Eloise, Liebes. Sei doch bitte vernünftig. Lukas würde dich bestimmt nicht absichtlich abwerfen, da stimme ich dir zu. Aber was ist, wenn er plötzlich aufgescheucht wird oder ruckartig die Richtung während des Galopps ändert? Erzähle mir nicht, dass du dich dann trotzdem auf seinen Rücken hältst.
Seite 4 von 18       
Außerdem hattest du es mir hochheilig versprochen, zukünftig ausschließlich aufgesattelt zu reiten, und zwar mit Reiterhose und Stiefel!“

Eloise betrachtete mit hochgezogenen Augenbrauen ihre verstaubten nackten Füße, wobei sie mit ihren Zehen wackelte.

„Versprochen hatte ich dir gar nichts. Ich hatte lediglich gesagt, dass ich darüber nachdenken werde aber glaubte sowieso nur, dass du scherzt!“, antwortete sie patzig.

„Nein, war kein Scherz gewesen und das weiß du auch ganz genau. Du versuchst dich nur rauszureden!“, fuhr er sie streng an.



Ikes Befehlston, welchen er sich aufgrund seiner Stellung als Vorarbeiter angeeignet hatte und nun auch Zuhause häufiger gebrauchte, missfiel ihr schon seit geraumer Zeit. Anfangs betrachtete sie seine herrische Art bewundernd, vor allem dann wenn Charles von ihm zurechtgewiesen wurde. Aber als sie feststellte, dass auch sie nun manchmal davon nicht verschont blieb, entschwand bald diese Bewunderung. Mittlerweile neigte sie sogar dazu Charles zu verteidigen, wenn ihm wieder ein Tadel drohte und dabei spielte es für sie keine Rolle mehr, ob er diese Rüge nun verdient hatte oder nicht. Hauptsache kontern, Hauptsache ihm die Stirn bieten, damit auch er einmal klein beigibt, war nun ihre Meinung. Seine ständigen Bedenken, ihr könnte irgendetwas zustoßen, nervte sie allmählich und seine allwissenden Kommentare fuchsten sie mittlerweile. Und wenn es ihr wiedermal nicht gelang ihn im Wortgefecht zu schlagen, dann rächte sie sich eben abends unter der Bettdecke, indem sie bockig seine Zärtlichkeit abwehrte.

„Ich werde mit Justin auf die Jagd gehen. Er wird jetzt endlich schießen lernen und wenn du uns begleiten willst, dann sattele gefälligst dein Pferd auf und zieh dir Reiterstiefel und deine Reiterhose an!“

„Ach, jetzt verlangst du von mir sogar, dass ich eine Reiterhose anziehen soll?“, fragte sie spöttisch und lachte ihn aus. „Normale Schuhe und Rock sind jetzt wohl auch zu riskant zum Reiten? Dann kauf mir doch eine Ritterrüstung, damit mir ja nichts passiert!“

Eloise mochte seine übertriebene Fürsorge einfach nicht mehr hören. Trotz der Sommermonate wehte in Nordirland oftmals ein frischer Wind, weswegen er ihr ständig vorhielt, dass sie mindestens eine Strickjacke überziehen solle, um nicht wieder an einer Lungenentzündung zu erkranken.
Seite 5 von 18       
Wenn sie barfüßig umherlief mäkelte Ike ebenso herum, weil sie bereits zweimal auf einen Nagel getreten war, diese noch vereinzelnd vom Hausbau überall auf dem staubigen Grundstück herumlagen. „Liebes, sei doch vernünftig und zieh dir wenigstens Sandalen an. Irgendwann handelst du dir sonst noch eine Blutvergiftung ein.“ Und wenn Eloise wiedermal mit einem Bastkörbchen die Kirschbäume hinauf kletterte, eilte er sofort mit einer Leiter hinterher. „Bitte Liebes, sei vorsichtig und steige wenigstens auf die Leiter, wenn du wieder runterkommst. Du brichst dir sonst noch alle Knochen, wenn du runterfällst.“

Sie aber blieb stets in der Baumkrone hocken, futterte Kirschen und bespuckte ihn mit den Kernen, bis er endlich mit seiner Leiter kopfschüttelnd wieder wegging.



Allmählich hatte Eloise es gründlich satt, ständig auf seine albernen Bedenken einzugehen. Kurz entschlossen kickte sie in Lukas Leib, stieß einen Schrei aus und riss dabei die Zügel herum. Das Pferd eilte auf der Stelle los, hinterließ eine Staubwolke und sprang über den Holzzaun. Eloise jagte ihren Schimmel im Jagdgalopp über die weite Wiesenlandschaft hinaus, ritt eine große Schneise und preschte wieder zum Grundstück zurück. Sie hetzte Lukas immer schneller voran, der Wind fegte durch ihr langes Haar und ließ ihren Schottenrock flattern, als sie mit dem Pferd erneut über den Lattenzaun sprang. Kaum hatten die Vorderhufen des Pferdes den Boden berührt, zog sie die Zügel an. Eine weitere Staubwolke wehte über dem Hof. Das Pferd stellte sich kurz auf die Hinterhufen und wieherte, doch Eloise schmiegte sich sogleich gegen seinen stämmigen Hals und blieb elegant auf dem Pferderücken sitzen. Anne wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht und hüstelte, als der Staub an ihr und der Wäscheleine vorbeizog.

„Bravo Fräulein. Jetzt darf ich wegen dir alles nochmal waschen“, murmelte sie säuerlich vor sich hin. „Das hätte ich mir mal erlauben sollen.“

Eloise trabte mit ihrem Pferd langsam um Ike herum, wobei er seinen braunen Fuchs sanft die Schnute streichelte und sie ihm erhaben in die Augen blickte.

„Wie du siehst, ich lebe noch. Wovor wirst du mich aber als nächstes schützen wollen? Darf ich etwa nie wieder im See schwimmen, weil ich ertrinken könnte? Sollte ich besser nicht mehr in den Wald gehen, um Pilze und Waldbeeren zu sammeln? Schließlich könnte ein wilder Keiler oder ein Räuber irgendwo im Gebüsch auf mich lauern.
Seite 6 von 18       
Und wenn es gewittert, wirst du mir sicherlich demnächst verbieten die Haustüre zu verlassen, denn es könnte ja sein, dass mich der Blitz trifft“, spottete sie.

Ike verzog sein Gesicht, ähnlich als würden ihn Zahnschmerzen plagen und zwinkerte dabei verlegen mit seinen Augenlidern.

„Nun ja, Liebes … Das mit dem Blitz ist gar nicht so abwegig. Es wäre tatsächlich ratsam, während eines Gewitters nicht das Haus zu verlassen. Ein Blitzschlag ist nicht zu unterschätzen und endet meistens tödlich, solltest du wissen.“

Aus ihrem Mund brach ein kurzer Lacher heraus, der aber sogleich wieder verstummte. Sie starrte ihn nur verwundert an. Das konnte er nicht wirklich ernst meinen, oder etwa doch?

„Das ist absolut lächerlich, Ike. Halte mich nicht für dumm und gestehe dir das jetzt selbst ein! Ein Mensch kann gar nicht vom Blitz getroffen werden, weil er viel zu klein ist. Allerhöchstens schlägt ein Blitz in einen Baum ein. Aber wie heißt es immer? Eine Buche sollst du suchen, einer Eiche sollst du weichen. Ach, was soll`s …“, winkte sie verärgert ab. „Ich habe gar keine Lust mehr, euch zu begleiten. Reitet ruhig ohne mich, nachher behältst du nämlich noch Recht und Lukas wird in der Tat von einem quakenden Frosch aufgescheucht, wobei ich vom Pferd stürze und im kniehohen Teich ertrinke. Ich geh jetzt lieber die Hühner füttern und bete zum Herrgott, dass sie mich nicht blutig picken, woraufhin mich das Fieber packt und ich am Wundbrand sterbe!“

Sie rutschte einfach rücklings vom Pferd und gab ihm einen Klaps auf seinen Hintern, woraufhin Lukas selbstständig in die Scheune trabte. Eloise stolzierte lächelnd zum Hühnerstall und dachte sich: So, dem hab ich`s jetzt aber gegeben.

Sie war der Ansicht, die Debatte diesmal als Siegerin beendet zu haben. Endlich waren es ihre Worte, die eine Diskussion beendeten. Ike antwortete nicht, endlich schien er sprachlos zu sein. Welch wunderbares Gefühl dies war. Doch als sie das Hühnergehege hinter sich schloss und zusah, wie er mit Justin einfach davon trabte, entwich sogleich ihr Siegeslächeln. Sie krallte ihre Finger in den Maschendraht und schaute Ike wehmütig hinterher. Diese Situation empfand sie doch etwas befremdlich und sogleich packte sie das schlechte Gewissen.
Seite 7 von 18       
„Verflixt, was habe ich nur getan? Jetzt ist er bestimmt böse auf mich. Dabei liebe ich dich doch, du Narr“, flüsterte sie und biss sich dabei leicht auf die Unterlippe.



Ike und Justin trieben ihre Pferde im leichten Galopp aus dem Südtor hinaus. Vor ihnen erstreckte sich, wohin man auch sah, eine hüglige Wiesenlandschaft. Hoch oben am strahlendblauen Himmel hatten sich einige Kumuluswolken gebildet, die in der Luft stillstanden und wie monströse Watteberge majestätisch empor ragten. Ein Falke zog kreischend seine Schneisen und Schmetterlinge flatterten über die weite Wiesenlandschaft.

Beide zügelten ihre Pferde, als eine beachtliche Schafherde ihren Weg kreuzte. Es waren mindestens dreihundert Schafe, vielleicht sogar noch mehr, die ihnen den Weg versperrten. Lautes Blöken und der Gestank von Schafmist und aufgewühltem Gras vernahmen die Beiden, wobei Justin sich kichernd die Nase zuhielt aber zugleich Ike anstieß und ihn mit einem Daumen hoch zu verstehen gab, dass ihm die Landluft eigentlich gar nichts mehr ausmache. Der bärtige Schafhirte lief mit seinem Spazierstock gemächlich an ihnen vorbei und hob zur Begrüßung seinen Hut, zugleich faste Ike an seine Schirmmütze und erwiderte somit dessen freundliche Geste.

Justin beobachtete interessiert, wie die Hunde dutzende Schafe wieder zusammentrieben, die ausgebüxt waren. Die Tierwelt faszinierte ihn schon längst und sobald er aus der Schule kam, flitzte er immer hinüber zum Bauernhof und fragte Mr. McEnrey, ob er ihm behilflich sein dürfte. Sogar als der Bauer mit seinen Zugpferden die Ackerfelder mit stinkender Gülle düngte, wich ihm Justin nicht von der Seite, obwohl der Gestank manches Mal unerträglich war. Aber der Mensch gewöhnt sich irgendwann an alles. Selbst ein verwöhnter Jugendlicher wie Justin.

Ike betrachtete den Jungen als einen großen Hoffnungsträger mit Potenzial, dass er später einmal als Erwachsener sein Leben in diesem Jahrhundert meistern würde. Es haperte lediglich an Kleinigkeiten, dies für ein Junge seines Alters in dieser Zeit selbstverständlich war, weil dieser es von seinem Vater gelernt bekam. Aber Charles hatte keine Lizenz für das 20. Jahrhundert erworben und war praktisch genauso unwissend, wie Justin. Also musste Ike ihm einiges beibringen.

Dazu gehörte unter anderem der Umgang mit Waffen und das Geschick sie effektiv bei der Jagd einzusetzen. Bisher ließ Ike ihn mit dem Gewehr nur auf Blechbüchsen schießen, aber diesmal bestritten sie ihren Weg dem Wald entgegen.
Seite 8 von 18       
Einen Rehbock wird er heute erlegen, hatte Ike beschlossen. Einen lebenden Rehbock oder gar einen Hirsch. Das Geweih wird ihn dann immer mit Stolz an diesen historischen Tag seines ersten geschossenen Wildes erinnern, davon war Ike überzeugt. Solch eine Trophäe würde bei seinen Schulkameraden wirklichen Eindruck schinden, was sein Ansehen erheblich steigern würde. Ike ging es nur darum, dass Justin nun umdenken sollte, weil er sein Leben im 20. Jahrhundert meistern musste. Dies war eine weitere Aufgabe eines Schleusers.



Der dreizehnjährige Justin mochte zwar die 1894er Winchester und ballerte mit dem Gewehr auch sehr gerne damit rum, aber eben nur gerne auf Dosen und Flaschen. Er würde es nicht einmal ansatzweise in Erwägung ziehen, einen Spatz vom Dach zu schießen, gab er ihm hartnäckig zu verstehen. „Ich töte keine Tiere. Niemals!“

Ike begriff zwar seinen Standpunkt und lobte seine Einstellung gegenüber Lebewesen, jedoch war seine Denkweise nicht zeitgemäß. Jeder Junge seines Alters hatte schon mindestens einen Hasen, eine Ente oder einen Fasanen geschossen, vom Ausnehmen eines Fisches ganz zu schweigen. Einige seiner Schulkameraden hatten sogar schon ein Huhn geschlachtet, was sie auf dem Pausenhof stolz rumerzählten und bei ihren Freunden Anerkennung ernteten. Da musste man als Junge seines Alters mithalten und etwas Gleichwertiges getan haben, um nicht als ein Schwächling abgestempelt zu werden.

„Justin, im April und Mai 1941 wird Belfast deutsche Luftangriffe erleiden. Die halbe Stadt wird zerbombt werden, woraufhin die Lebensmittel knapp werden. Dieses Szenario wird dir unweigerlich bevorstehen. Dann bist du ungefähr 44 Jahre alt und musst eine Familie versorgen. Du wirst eigene Kinder haben und falls deine Eltern dann noch leben sollten, wirst du es sein, die du ebenfalls versorgen musst. Auf dich wird einmal eine sehr große Verantwortung lasten. Du wirst einmal das Oberhaupt der Familie Owen sein. Du gehörst jetzt zur Wurzel des Stammbaumes der Owen. Von dir hängt es also ab, ob deine Familie im Jahre 2000 noch existiert oder nicht. Also, was gedenkst du zu tun, wenn dich der Hunger in der Not plagt?“, sprach er ihm streng ins Gewissen.

Justin zuckte bloß unbekümmert mit seiner Schulter.

„Ist mir doch egal. Dann esse ich eben nur noch Hühnereier und Bohnen aus der Dose, aber ich werde kein Reh erschießen! Weder heute, noch morgen oder irgendwann.
Seite 9 von 18       
Ein Huhn werde ich auch niemals köpfen!“, antwortete er trotzig.

Ike sah es ein, dass man diesen Bengel für das Jagen einfach noch nicht begeistern konnte. Wie denn auch? Justin war ein verwöhntes Kerlchen aus dem Jahr 2473, der erst seit acht Monaten in einer rauen Welt lebte, wobei man sogar an einer harmlosen Windpockeninfektion sterben konnte, weil viele Erfindungen noch in den Kinderschuhen steckten und wichtige Medikamente noch gar nicht vorhanden waren.

Nichtsdestotrotz war Ike mit ihm soweit zufrieden, weil seine schulischen Leistungen hervorragend waren, warnte ihn aber im gleichen Atemzug er solle sich hüten über Albert Einsteins Relativitätstheorie im Physikunterricht zu diskutieren, was zurzeit in aller Munde war. Er solle sich über jegliches Thema, welches über Zeitreise handelt, sein lebelang heraushalten. Niemals sollte er über zukünftige Ereignisse philosophieren, gar eine Mondlandung für wahrscheinlich halten, andernfalls würde er von seinen Mitmenschen eines Tages für verrückt erklärt und in eine psychiatrische Anstalt eingesperrt werden, ermahnte Ike.

Justin schwärmte von seiner Lehrerin, die Schuldirektorin Mrs. Goldfield. Sie sei zwar äußerst streng und die alte Dame scheute sogar nicht davor zurück, während der Schulstunde von dem Rohrstock Gebrauch zu machen und unartigen Kindern vor der Schultafel damit deren Hintern zu versohlen, erzählte er, dafür aber war die Sechsundsiebzigjährige unheimlich klug und sie vermochte ihren Schülern trotz der übermäßigen Strenge vieles beizubringen.



Ike nutzte diesen Ausritt ebenfalls um die Gegend auszukundschaften. Insbesondere die weite Hügellandschaft bot sich für eine Ankunft aus der Zukunft regelrecht an, weil nirgendwo weder Bäume noch Gebäude standen. Zudem genoss Ike leidenschaftlich gerne die unendliche Freiheit unter freiem Himmel, die er vorzugsweise mit Eloise teilte. Manchmal beantragte Ike bei seinem Vorgesetzten, Mr. Thomas Andrews, ein paar Urlaubstage diese er dem tüchtigen Schreinervorarbeiter stets gewährte. Dann schnappte sich Ike seine Zeltausrüstung und wanderte mit Eloise händchenhaltend bis zu ihrem Heimatdorf, dies zu Fuß einen halben Tag andauerte und ein kleines Abenteuer war. Bei Sonnenuntergang übernachteten sie mitten im Wald, mit Lagerfeuer und aßen einen erlegten Hasen und Äpfel, die sie mit Ästen aufspießten und im Feuer grillten.
Seite 10 von 18       


Es hatte Ike damals erfreut, wie Eloise ihm euphorisch die Gegend präsentierte und ihn zu dem Bach geführt hatte, wo sie früher als kleines Mädchen mit ihrem Vater regelmäßig Forellen geangelt hatte. Wenn beide dann das alte Gemäuer des Waldfriedhofes erreicht hatten, verfiel Eloise in Nostalgie, kuschelte eng an ihn heran und erinnerte sich mit ihm gemeinsam an den Frühling von 1909, als sie sich dort täglich heimlich getroffen und Ike sie immer zum Belfaster Frühjahrsmarkt abgeholt hatte. Wie unbeschwert diese Zeit doch gewesen war, weil sich Ike zuerst die angenehmere Aufgabe hatte zuwenden müssen: Die Aufgabe sich eine Auserwählte zu suchen.



Ike massierte sich mit seinen Fingern die Augen, um seine Erinnerungen zu verdrängen und sich seiner Gegenwart wieder bewusst zu werden.

„Justin, von deiner Mutter habe ich erfahren, dass du leidenschaftlich gerne Online Games gezockt hast. Sie meint, das wäre nicht gut für dich. Was sagst du eigentlich dazu? Vermisst du das Zocken?“

Justin blickte verschämt zu Boden während sein Pferd weitertrabte.

„Ja, manchmal wenn mir langweilig ist. Meine User-Freunde vermisse ich, weil wir immer gemeinsam Universal Starship online gezockt haben.“

Auf einmal wurde Justin munter und seine Augen funkelten, als er davon erzählte.

„Universal Starship ist voll megacool … Ähm, ich meine, voll toll oder wie Eloise sagen würde: Verflixt gut. Das ist ein Hologramm Game und man steuert ein Raumschiff, wie im Simulator, und die Planeten wirken wirklich echt! Man kann sogar darauf landen und dann im Ego-Shooter Modus umschalten, sich mit anderen Usern unterhalten und rumballern und …“

„Dir ist schon bewusst, Justin, dass du nie wieder deinen Account anmelden wirst? Dass deine Videospiele ohnehin nur unreal waren und du deine User-Freunde eigentlich gar nicht persönlich kennst?“, unterbrach Ike seine rege Erläuterung, während beide nebeneinander ritten.

Justin schwieg, blickte betrübt in die wundervolle Landschaft und nickte. Die Vögel zwitscherten und die Grashüpfer zirpten, dies er wundervoll empfand. Wie dem auch sei; hier in der vergangenen Welt fühlte er sich wohl und wollte dort sein Leben verbringen, weil alles spannend und real war, so wie er es in seinen Videogames nie erleben könnte.
Seite 11 von 18       


Ike schmunzelte.

„Kopf hoch, mein Junge. Dies hier und jetzt ist ein reales Leben. Achte stets auf deine Gesundheit, also mäßige dich mit dem Alkohol und rauche nicht. Halte dich von gefährlichen Ereignissen fern und bete immer zum lieben Gott, so wie es Eloise tut. Also, lies die Bibel denn das tun alle Akteure hier in der vergangenen Welt. Gläubig zu sein ist in diesem Jahrhundert sehr wichtig, insbesondre der Glaube an Jesus Christus. Ob du nun an Christus tatsächlich glaubst oder nicht, dies möge irgendwann deine Entscheidung sein. Aber du musst diesbezüglich unbedingt mitreden können.“

„Das weiß ich!“, antwortete Justin begeistert. „Wir müssen jeden Morgen vor dem Schulunterricht aufstehen und beten, dann liest uns Misses Goldfield ein Kapitel aus der Bibel vor. Stell dir mal vor Ike … Ich hatte vorher nie gewusst, wer Jesus ist. Aber Misses Goldfield spricht viel von ihm und in der Bibel steht geschrieben, dass Jesus Christus unser Erlöser ist und nur wer an ihn glaubt, erreicht das Himmelreich. Da will ich auch hin wenn ich mal sterbe, aber nie wieder zurück nach United Europe!“

Ike tätschelte ihm anerkennend auf die Schulter während sie nebeneinander auf ihren Pferden trabten.

„Das ist gut so, äußerst lobenswert. Mit dieser Lebenseinstellung erreichst du vielleicht das Jahr 1980, du bist dann etwa 83 Jahre alt und wirst mit deinen Urenkeln Pac-Man, Asteroids und Space Invaders auf einer Atari Konsole zocken“, schmunzelte Ike.

Justin blickte schräg zu ihm rüber und runzelte die Stirn.

„Atari Konsole? Ist das etwa ein Computer aus der Vorzeit?“, fragte er verdutzt.

Ike lächelte und zuckte mit der Schulter. Die Atari Konsole war nur der Vorreiter aller Videogames, was der Junge aus dem 25. Jahrhundert letztendlich wissen wollte und ihn letztlich beruhigte.

„Wie megacool! In 70 Jahren bin ich wieder online und dann werde ich meine Urenkeln gnadenlos abzocken. Die werden absolut keine Chance gegen mich haben. Die Winzlinge werde ich selbst als alter Uropa gnadenlos platt machen“, kicherte er.

Ike lachte. Obwohl Justin sich strikt weigerte, heute an diesem Tag ein Reh zu schießen, bedrängte er ihn nicht dazu aber hielt ihn trotzdem für dieses Jahrhundert für geeignet. Er wird es sehr bald einsehen, dass man heutzutage manchmal Wildtiere erlegen müsse, um zu überleben.
Seite 12 von 18       




Plötzlich zog Ike die Zügel an. In der Ferne erblickte er fünf Reiter, die regungslos auf einem Hügel postierten. Sofort griff Ike nach seinem Etui, holte die Nickelbrille heraus und zoomte die Sicht nahe heran.

„Wer sind die?“, fragte Justin aber anstatt zu antworten, holte Ike das Gewehr aus dem Halfter heraus und lud es durch.

„Du bleibst hier und wartest, bis ich wieder zurückkomme. Rühre dich nicht von der Stelle!“

Beide waren zwar schon einige Meilen von ihrem Zuhause entfernt aber Ike war sich sicher, diese Leute führten nichts Gutes im Schilde und sollten zur Rede gestellt werden. Aber die Anwesenheit des siebzehnjährigen Burschen unter ihnen, machte die Situation es auf seine Weise zu regeln etwas komplizierter. Schließlich kannte Ike diesen Jugendlichen nur zu gut.

Die Herrschaften auf dem Wiesenhügel blieben auf ihren Pferden hocken und beobachteten Ike dabei, wie er im Jagdgalopp heraneilte und die trampelnden Hufen dabei Grasbüschel herausrissen. Die Männer schauten finster drein und schmunzelten provozierend, wogegen das siebzehnjährige Kerlchen nervös an seiner Schirmmütze zupfte und verschämt wegschaute, als Ike langsam herangetrabt kam.

Der große dickliche Kerl mit den kleinen gekniffenen Augen grinste über beide Pausbacken und weil er seinen Kahlkopf ständig unter einem Schlapphut verdeckte, war Peter Gallagher auch unter dem Spitznamen Babyface bekannt. Jedoch wagte sich niemand in seiner Gegenwart, ihn so zu nennen. Aber trotz dass Peter Gallagher wie ein tapsiges Riesenbaby wirkte, und der Herrgott ihn nur mäßig mit Intelligenz gesegnet hatte, war er aufgrund seiner unberechenbaren Dummdreistigkeit nicht zu unterschätzen. Seine bullige Statue vermochte manchen einzuschüchtern und vermutlich steckte hinter dieser Körpermasse auch genügend Kraft, aber Babyface war ein ausgesprochener Feigling, der sich selten einen Zweikampf stellte und falls er es dennoch wagte, dann stand stets seine Bande hinter ihm und er zückte dabei heimtückisch ein Messer oder gar einen Revolver.



Die Familie Gallagher war sehr vermögend und einflussreich in der Provinz Ulster. Peter erwartete die Erbschaft eines angesehenen familiären Steinmetz- und Bestattungsunternehmens, weshalb er sich ohne weiteres erlauben konnte, sein Ansehen zu erkaufen, indem er mit seiner Gefolgschaft regelmäßig in Freudenhäusern ausgiebige Sausen steigen ließ.
Seite 13 von 18       
Alles auf seine Kosten. Es gab also genügend Männer in der Gegend von Ulster, die ihm liebend gerne einen Gefallen taten, gleich welchen auch immer. Babyface prahlte gerne mit Geld und zahlte großzügig, wenn man für ihn die Drecksarbeit erledigte.

Die Ärmel seines Holzfällerhemdes waren hochgekrempelt – Peters rechter Unterarm war mit einem Verband umwickelt und an seiner Stirn haftete ein großes Pflaster. Das waren Verletzungen, weil Ike ihn letztens gegen die Schiffsglocke gestoßen und anschließend durch das geschlossene Fenster von Nelson`s Pub befördert hatte.

Aus Peters Hosenbund blitzte der Griff eines geladenen Revolvers hervor. Ike lehnte sein Gewehr lässig auf seine Schulter ab und blickte Peter ausdruckslos an.

„Guten Tag, Gallagher. Wie geht es deinem Arm und deiner Stirn?“, fragte Ike frech. „Mit deinem Kopf lässt es sich gut die Glocken läuten. Ich hoffe nur für dich, dass du seit unserer letzten Begegnung einsichtig geworden bist. Erläutert, sozusagen.“

Peter Gallagher aber grinste ihm nur unverfroren ins Gesicht.

„Wie geht`s deinem blöden Köter?“, konterte er mit auffällig heiserer Stimme, diese ebenso zu seinem Markenzeichen gehörte und seinen verruchten Charakter zusätzlich unterstrich. Peter Gallaghers Stimme klang auffällig heiser.

Höhnisches Gelächter erklang, weil jeder glaubte, dass der Schäferhund diesen Giftanschlag niemals überlebt hatte. Nur der junge siebzehnjährige Bursche blickte weiterhin starr in die Landschaft.

„Ich dachte, ich hätte mich bei unserem letzten Treffen im Nelson`s Pub unmissverständlich ausgedrückt, Gallagher, dass du dich gefälligst von Eloise fern hältst. Auch hier und jetzt, drei Meilen von meinem Grundstück entfernt, ist das bereits zu nahe.“

Ike schaute kurz über seine Schulter. Justin trabte mit seinem Pferd, trotz seiner Anweisung er solle auf ihn warten, gemächlich heran. Weiter hinten waren ihr Zuhause und der Bauernhof von McEnrey, nur wie winzige Puppenhäuser zu erkennen.

„Deine Anwesenheit stört mich, also verschwinde wieder gefälligst“, drohte Ike besonnen, indem er sein Gewehr in seinen Händen hielt und die Winchester demonstrativ beäugte.

Während seine Gefährten unruhig auf ihren Satteln rutschten und sie nun alles andere als provokant wirkten, blieb Peter Gallagher dagegen gelassen und grinste ihn stattdessen weiterhin unverschämt an.
Seite 14 von 18       
Er beugte sich vor – sein Ledersattel knirschte dabei – und spie auf den Boden.

„Ich weiß gar nicht, was du von mir willst, Holländer“, sprach er mit seiner heiseren Stimme krächzend. „Man wird sich doch wohl auf seinem eigenen Grundstück aufhalten dürfen, oder etwa nicht? Du bist derjenige, der verschwinden sollte. Denn du bist es, der hier stört.“

Ike runzelte die Stirn.

„Was soll das heißen, Gallagher?!“

„Ganz einfach, Holländer. Du befindest dich grad auf mein neu erworbenes Land. Wir sind jetzt Nachbarn. Freust du dich nicht?“

Peter blickte hinter seine Schulter und lachte dümmlich in die Runde, woraufhin die Bande, bis auf der Jugendliche, zugleich albern mitlachten. Der Bursche wagte nur hin und wieder einen verstohlenen Blick zu Ike, aber schaute sogleich wieder weg.

„Ike, kennst du die Leute etwa?“, fragte Justin verwundert, als er mittlerweile mit seinem Pferd angekommen war.

„Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dort hinten auf mich warten?!“, fauchte Ike ihn sogleich wütend an, was Justin aber nicht sonderlich imponierte. Neugierig musterte er die Fremden, besonders den Jugendlichen, der weiterhin stur in die Landschaft starrte und man zu glauben meinte, dass ihm diese Situation gar peinlich war.



„Kein Wort glaube ich dir und es wäre ratsam, wenn du auf der Stelle verschwindest. Lass dich hier nie wieder blicken, Gallagher!“, fauchte Ike. „Die Sache im Nelson`s Pub war nur eine gutgemeinte Warnung, mein Freund. Zwinge mich also nicht, mich zum Äußersten zu treiben!“

Um seiner Forderung etwas Nachdruck zu verleihen, berührte Ike mit dem Gewehrlauf Peters Schlapphut und hob diesen etwas an. Aber Peter Gallagher blieb gelassen, reagierte nicht auf seine Provokation und grinste stattdessenn dümmlich drein. Doch urplötzlich fasste Peter am Gewehrlauf und schlug es beiseite, als würde er eine Fliege von seiner Stirn verjagen.

„Was du glaubst oder nicht, interessiert nicht, Holländer. Das hier ist Irland, also mein Land. Du bist derjenige, der hier verschwinden muss! Das komplette Land ist genau genommen mein Grundstück, weil ich ein waschechter Ire bin. Solltest du mich hier angreifen, wird man dich an einem Baum aufknöpfen, Holländer.“

Sachtes Gelächter erklang.
Seite 15 von 18       


Peter Gallagher kramte in seiner Brusttasche und überreichte ihm hämisch grinsend ein lieblos zusammengefaltetes Dokument. Der Tölpel überreichte Ike doch tatsächlich die originale Besitzurkunde dieser nutzlosen Graslandschaft und für einen Augenblick dachte Ike daran, es vor seiner Nase zu zerreißen. Jedoch verwarf er sogleich diesen verführerischen Gedanke, zumal Justin anwesend war, Gallaghers Händchen möglicherweise locker am Colt lag und er Babyface durchaus zutraute, dass er ihm oder dem Jungen daraufhin wütend seinen Revolver entgegen halten und sogar unbedacht abdrücken würde. Zwar wäre dies Mord und jedermann wusste schließlich, dass darauf die Todesstrafe folgen würde, so auch für Gallagher. Aber was würde es noch nützen, wenn Justin oder er selbst tot wäre? Dieses Risiko wollte Ike niemals eingehen. Also legte er sein Gewehr wieder auf seine Schulter ab und grinste ihn erhaben an.



Ike studierte seelenruhig die Urkunde, in der Hoffnung einen bürokratischen Fehler zu entdecken, daraufhin das Dokument sofort anzufechten und dieses Land schnellstmöglich selbst zu ergattern, damit er sich diesen Störenfried vom Hals schaffen könnte. Leider aber stellte er fest, dass dieses Schriftstück seine Richtigkeit hatte und beglaubigt war. Ab sofort war Peter Gallagher tatsächlich sein rechtmäßiger Nachbar und zu allem Überfluss grenzte seine hektarweite Errungenschaft, die völlig nutzlos war, bis wenige Yards von seinem Grundstück entfernt an. Peter Gallagher konnte also von nun ab gesetzmäßig aus nächster Nähe direkt auf seinen Hof blicken, wann immer er wollte.

Ike zerknüllte die Besitzurkunde und warf ihm das Papierknäuel verachtend ins Gesicht. Peter Gallagher aber grinste ihn nur an und nickte überheblich. Ike wandte sich nun dem siebzehnjährigen Bengel zu, dessen Zorn in seinem Gesicht geschrieben stand.

„Hallo Paddy, lange nicht mehr gesehen. Wissen deine Eltern überhaupt, dass du dich mit Gesindel herumtreibst? Deine Mutter würde dir mächtig den Hintern versohlen, wenn sie endlich begreifen würde, mit welchem Abschaum du dich abgibst. Schämen solltest du dich, weil du deine eigene Schwester hintergehst! Eloise wird maßlos enttäuscht sein, wenn ich ihr davon berichte.“

„Ich hasse dich, Holländer!“, brüllte Paddy plötzlich wutschäumend. „Du bringst meiner Schwester nur Unglück! Das sagen alle im Dorf! Meine Mutter sagt, du hast Eloise den Kopf verdreht und sie verhext.
Seite 16 von 18       
Peter ist ihr rechtmäßiger Verlobter, so hatten es meine Eltern beschlossen. Er kann sie ernähren und ihr ein würdevolles Leben bieten. Du aber bist nur ein Werftarbeiter, der früh rausgeht und erst spät wieder nach Hause kommt. Sieh nur, wo du meine Schwester hingebracht hast, weit fort von uns, damit wir sie nicht mehr besuchen können. Sie ist einsam und das ist nur allein deine Schuld!“, schrie Paddy ihn wütend an.

„Paddy, hör mich bitte an … Du bist jetzt alt genug und kein Kind mehr! Begreife endlich, dass es ihre eigene Entscheidung war, bei mir zu leben. Würde es dir etwa gefallen, wenn deine Eltern einfach über deinen Kopf entscheiden, wen du zu heiraten hast?“, redete Ike beherrscht aber bestimmend auf ihn ein und hoffte, dass seine Worte ihn wenigstens zum Nachdenken anregen würden.



Momentan war der Bengel offensichtlich zwiegespalten und Ike vermutete, dass Paddy von seinem Umfeld aufgehetzt wurde, ihm es aber insgeheim egal war, wer nun nach Eloises Hand trachten durfte. Einzig allein sorgte er sich um seine Schwester und er vermisste sie. Peter Gallagher befürchtete jedoch, Ike könnte den jungen O’Brian überzeugen. Das schäbige Grinsen entwich aus Gallaghers Gesicht, als er plötzlich seinen Revolver zog, den Colt auf Ike richtete und ihn lautstark aufforderte, sein neu erworbenes Grundstück augenblicklich zu verlassen.

Ike zögerte, steckte dann das Winchester Gewehr in das Halfter zurück, blickte Peter Gallagher ausdruckslos an und drohte mit ruhiger Stimme, er solle sich niemals auf seinem Grundstück blicken lassen, selbst wenn er dringend kacken müsste oder gar in Lebensgefahr geraten würde. Niemals dürfte er sein Grundstück betreten, andernfalls würde er ihn wie einen feigen Hasen einfach abknallen, machte Ike unmissverständlich zu verstehen. Peter grinste und konterte, dass er den Tag herbeisehnt, wenn er seinen Namen persönlich auf einen Grabstein meißeln dürfte.

„Vergiss das nicht, Paddy. Du bist jederzeit in unserem Hause willkommen. Deine Schwester liebt und vermisst dich und ich wünsche mir aufrichtig, dass wir beide Freunde werden“, waren Ikes letzte Worte, bevor sie mit ihren Pferden umkehrten und fortritten. Paddy widmete ihm aber lediglich verhasste Blicke hinterher. „Scher dich zum Teufel, verdammter Holländer!“, schrie er ihm hasserfüllt hinterher.
Seite 17 von 18       




Ike und Justin ritten zurück nach Hause. Nachdem Ike dem jungen Owen erklärt hatte, er solle diese Begegnung keinesfalls zu Hause erwähnen, damit Eloise nicht beunruhigt wird und erfahren würde, dass ihr jüngerer Bruder die Gesellschaft mit Peter Gallagher pflegte, machten sie eine denkwürdige Entdeckung. Etwa 500 Yards entfernt ragte ein zerstörter Felsen aus der Landschaft hervor, der sonst noch in seiner ganzen Pracht dagestanden hatte. Ike verzichtete darauf, diesen Felsbrocken mithilfe seiner Nickelbrille zu begutachten, sondern preschte sein Pferd kurzerhand dorthin. Ihm stockte der Atem, als er von seinem Pferd stieg und über die glatte, säuberlich abgetrennte Steinfläche strich. Der Boden war von zermalmten Gesteinen übersät und der Felsen stand nur noch zur Hälfte in der Landschaft dar. Eine Explosion war ausgeschlossen eher würde es zutreffen, jemand hätte mit einem Lasergerät diesen Felsbrocken präzise entzweit und die andere Hälfte mit einer technologischen Maschine zermalmt. Zudem lagen überall tote Krähen herum, die aus ihren Schnäbeln bluteten. Der Vogelschwarm musste offensichtlich gegen einen unsichtbaren Widerstand geprallt sein, vergleichbar gegen eine Glasscheibe, wobei sie zu Tode kamen.

Justin stöberte in dem zermalmten Gestein herum, fasste einer toten Krähe an der Kralle, hielt sie in die Höhe und rümpfte angeekelt die Nase.

„Ike, was ist hier bloß geschehen? Warum sind all diese Vögel tot? Was hat‘n das zu bedeuten?“

Ike zog seine Schirmmütze ab, wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und überblickte andächtig die Landschaft.

„Das bedeutet, wir haben ungebetenen Besuch bekommen. Hier wurde eindeutig ein Zeitfenster installiert“, seufzte er. „Irgendwelche Leute sind erschienen, um mich zu beseitigen, damit die Titanic nicht untergeht.“
Seite 18 von 18       
Punktestand der Geschichte:   0
Dir hat die Geschichte gefallen? Unterstütze diese Story auf Webstories:      Wozu?
  Weitere Optionen stehen dir hier als angemeldeter Benutzer zur Verfügung.
Ich möchte diese Geschichte auf anderen Netzwerken bekannt machen (Social Bookmark's):
      Was ist das alles?

Kommentare zur Story:

  Sowas hört man als Autor immer gerne.

LGF  
   Francis Dille  -  31.10.24 17:14

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

  Sehr packend, man steigt völlig in diese Geschichte ein. Ich bleibe ebenfalls dran.  
   Gerald W.  -  24.10.24 10:53

   Zustimmungen: 0     Zustimmen

Stories finden

   Hörbücher  

   Stichworte suchen:

Freunde Online

Leider noch in Arbeit.

Hier siehst du demnächst, wenn Freunde von dir Online sind.

Interessante Kommentare

Kommentar von "darkangel" zu "Vor dem Fenster"

hm... rollstuhl glaube ich nicht, denn das hätte das andere kind bemerkt und außerdem entscheidet sie sich am ende um. das daachte ich aber auch zuerst. jetzt stelle ich mir die frage: was ...

Zur Story  

Aktuell gelesen

  In Arbeit

Funktion zur Zeit noch inaktiv. Über ein Konzept zur sicheren und möglichst Bandbreite schonenden Speicherung von aktuell gelesenen Geschichten und Bewertungen, etc. machen die Entwickler sich zur Zeit noch Gedanken.

Tag Cloud

  In Arbeit

Funktion zur Zeit noch inaktiv. In der Tag Cloud wollen wir verschiedene Suchbegriffe, Kategorien und ähnliches vereinen, die euch dann direkt auf eine Geschichte Rubrik, etc. von Webstories weiterleiten.

Dein Webstories

Noch nicht registriert?

Jetzt Registrieren  

Webstories zu Gast

Du kannst unsere Profile bei Google+ und Facebook bewerten:

Letzte Kommentare

Kommentar von "Dieter Halle" zu "Da braut sich was zusammen "

Oh ja, das passt.

Zur Story  

Letzte Forenbeiträge

Beitrag von "Redaktion", erstellte den neuen Thread: ???

Hallo ihr lieben Webstorier, ja klar, ich bin´s wieder. Mann, ist der Herbst schnell vergangen. Hastdunichtgesehen waren alle Blätter ab und rauer Wind wehte. Und dunkel ist es auch schon wieder. Ne ...

Zum Beitrag