"Wir sind bald da." Volkers U-Bootfreund Jochen hatte sich neben ihnen niedergelassen. Er sah nicht übel aus, wie Daniela fand. Groß war er und sehnig athletisch. Sein Haar war zwar schon ein wenig schütter, aber das ließ auf sehr viele männliche Hormone schließen. Himmel, Herrgott noch mal, was dachte sie da? War ihr die Meeresbrise zu Kopf gestiegen? Verlegen drehte sie sich ein bisschen von den Männern weg. Sie hörte aber trotzdem, worüber sich die beiden unterhielten.
Na ja, es war eine sehr einseitige Unterhaltung; U-Boot Jochen quatschte unentwegt, anscheinend hatte er seine U-Bootzeit als die einzig gute Zeit in seinem Leben empfunden, die Enge an Bord, die Kameradschaft, die verschiedenen Häfen und die Mädels in diesen Häfen. Blöderweise hatte er sich irgendwann in eine Frau verguckt, die seinen Beruf nicht sonderlich schätzte. Er entschloss sich, sesshaft zu werden wegen dieser Frau. Was die aber auch nicht so toll fand - und ihn nach ein paar Monaten absägte. Warum? Weil er zuviel quatschte? Ja, das könnte sein.
"Ich habe einen gewaltigen Hunger!", hörte sie einen von beiden sagen. Daniela meldete sich zu Wort: "Ich auch! Was kann man denn da essen?"
"Wir werden schon was passendes finden", sagte Volker und schaute sie bei diesen Worten sehr hungrig an, wie es ihr vorkam. Na ja, die Seeluft machte wohl alle hungrig.
-*-*-
Irgendwie gelang es Volker, alle lästigen Leute von ihnen fernzuhalten, zum Beispiel diese geile Person, die auf ihn scharf war und vor allem den sauberen Lulatsch, der kein Bier und keinen Sprudel besorgt hatte. Wahrscheinlich trug der Typ noch seine Gesundheitslatschen mit der Hundekacke daran. Die wollten doch tatsächlich mit ihnen gehen, aber dem Himmel sei Dank geschah das nicht. Volker hatte alle abgewimmelt. Und so kam es, dass sie nur noch mit U-Boot Jochen im Schlepptau von Bord schlenderten. Geiler Ausdruck: Schlepptau, wie seemännisch ...
Daniela hatte ein komisches Gefühl in den Beinen, der Boden unter ihr schien hin- und herzuschwanken, und sie musste das Schwanken irgendwie ausgleichen. War sie jetzt eine Landratte im Gegensatz zu einer Seeratte, sie musste lächeln und fühlte sich frei, unbeschwert und vor allem hungrig. Und seltsamerweise hatte sie gar kein schlechtes Gewissen deswegen.
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Michael war zwar immer noch vorhanden, aber irgendwie im Hintergrund verborgen. Und sie hatte den Eindruck, als lächelte er ihr von dort aus zu.
Das Städtchen war holländisch hübsch, schmale Straßen, Seitenwege, die idyllische Gärten erahnen ließen, kleine Restaurants mit Tischen und Stühlen, die auf den breiteren Gehwegen aufgebaut waren - und die direkt den Blick auf das Wasser des Ijsselmeers erlaubten.
Sie schlenderten die Gassen entlang, bewunderten den tiefblauen Himmel, an dem sich gerade eine sehr rote Sonne anschickte unterzugehen, aber vor allem anderen genossen sie die ungewohnte holländische Wärme.
Schließlich entschlossen sie sich, in einem gemütlich aussehenden Straßencafé zu essen. Es handelte sich um ein Fischrestaurant, das aber auch Fleischgerichte auf der Karte hatte. Daniela liebte Fisch, sie stand nicht so auf Fleisch. Jochen musste natürlich aus der Rolle fallen, denn er orderte ein Pfefferrumpsteak, was den holländischen Wirt etwas erzürnte und er irgendwas von blöden Moffen murmelte. Jochen redete sich damit heraus, dass er in Bremerhaven genug Fisch bekam und es ihn jetzt nach Fleisch verlangte. Der Wirt war zwar nicht voll befriedigt von dieser Aussage, aber er hielt sich zurück.
Immerhin tat Volker es ihr nach und bestellte auch Fisch.
Es dauerte natürlich, bis Fisch und Fleisch auf den Tisch kamen. In der Zwischenzeit tranken sie kühles Bier. Und da sie kaum was im Magen hatten, verschaffte das Bier ihnen eine Leichtigkeit, die ihnen sonst abging.
Der Fisch war köstlich. Es musste an der sauerstoffreichen Luft liegen, denn Daniela konnte sich nicht dran erinnern, in letzter Zeit so einen Appetit verspürt zu haben. Auch das Heineken Bier passte gut dazu, denn es war kühl im Gegensatz zum Bier an Bord. Und sie musste lachen.
Volker schaute sie daraufhin neugierig an und fragte sie: "Was ist los? Warum lachst du?"
"Ich musste gerade an was denken, nämlich an einen uralten Schlager, aber abgewandelt: Es gab kein Bier mehr an Bord, kein kühles Bier, es gab nur lauwarmes Zeug, da ging ich fort."
Volker fing an zu lachen und sagte schließlich: "Mein Mädel, heute werden wir das nachholen." U-Boot Jochen stimmte ihm bedingungslos zu.
Sie aßen und sie tranken, und währenddessen wurde es allmählich dunkler, aber es war immer noch so warm, als ob man Urlaub auf Mallorca machte.
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Satt und träge lehnte sich Daniela in ihrem Stuhl zurück. Volker und Jochen unterhielten sich, es ging um ihre Bundeswehrzeit. Sie konnte sich noch daran erinnern, dass Volker eigentlich den Wehrdienst verweigern wollte, irgendwie klappte das aber nicht, er musste hin. Und es waren die unerfreulichsten Monate seines Lebens gewesen, wie er immer behauptete. Aber er hatte Jochen kennengelernt. Und anscheinend hatten sie auch einiges an Frauen angemacht und wohl auch erobert.
Daniela fühlte sich so unbeschwert wie lange nicht mehr, sie hatte seit ein paar Stunden nicht mehr vorrangig an Michael gedacht. Jetzt kam er ihr natürlich wieder in den Sinn, aber der Gedanke an ihn deprimierte sie nicht mehr. Ach Michael, ich glaube, es würde dir hier gefallen. Leider hast du es nie kennengelernt. Schade, mein Liebster, wir hatten doch noch so viel vor ...
Daniela zog sich in ihren Stuhl zurück und dachte an Michael, an ihre Liebe zu ihm und an ihre gemeinsamen Tage und Nächte. Aber es tat nicht mehr weh, und sie kam ein wenig treulos deswegen vor. Es war doch gerade mal zwei Jahre her, seit sie ihn verloren hatte...
"Hier gibt es irgendwo eine Disco. Ist ganz nett da. Ich hab nämlich richtig Lust, einen zu saufen. Und schocken könnten wir da auch." Volkers Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
"Schocken? Du weißt doch, dass du immer gegen mich immer verlierst. Aber wenn du willst ..." Es stimmte, sie war die Meisterin im Knobeln, wenn auch ein bisschen außer Übung. Und das brachte sie wieder zu Michael. Er hatte es von ihr gelernt, das Schocken. Ach Michael ... Nein, es geht mir gut und ich werde dich nicht mit trüben Gedanken belästigen wollen. Falls du mich hören und sehen kannst. Aber es ist bisher nicht geschehen und wird wohl nie geschehen, mein Liebster.
-*-*-
Es war eine sehr provinzielle Disco in diesem Ort am Ijsselmeer. Vorne Kneipe mit einer langen Theke und hinten gab es einen Raum zum Tanzen, es sah fast aus, als hätte man ein Wohnzimmer leergeräumt und der Kneipe hinzugefügt. Die Tanzfläche im ehemaligen Wohnzimmer war immer gut gefüllt; die meist jungen Leutchen tanzten dort mit Hingabe, während Daniela, Volker und Jochen an der Theke saßen und knobelten, und zwar die halbe oder vielleicht sogar die ganze Nacht lang.
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Natürlich gewann Daniela meistens und das brachte U-Boot Jochen fast zur Verzweiflung, er war nämlich der Hauptverlierer und musste somit die meisten Runden bezahlen.
Daniela trank maßvoll und erließ ihm viele verlorene Spiele, Sie hatte den Eindruck, dass Volker auch sehr maßvoll war. Trotzdem trank sie mehr als er - und mehr als genug.
Ja, es war lustig. Im Laufe der Nacht erfuhren Volker und sie, dass Freund Jochen Talente besaß, von denen sie gar nichts gewusst hatten. Er konnte nämlich jede Menge Zierknoten... ääh... knoten und er behauptete, das wäre ein sehr schönes Hobby.
Es war eine fantastische Nacht, fast wie in Spanien, nämlich genauso heiß und genauso unbeschwert. Und Daniela gewann immer noch. Was die beiden Männer fast zur Verzweiflung trieb. Jedenfalls hatte es den Anschein. Natürlich wusste Daniela, weshalb sie gewann. Ihr war alles egal, Liebe hatte sie keine mehr, aber dafür Glück im Spiel. "Gib mir noch ein Bier", sagte sie zu dem Barkeeper. "Aber schreib's bei dem da auf!" Sie deutete unbestimmt auf einen von ihren Begleitern, es war egal, denn verloren hatten sie beide. Aber sie hatte bestimmt viel mehr verloren. Nämlich Michael.
Dennoch driftete sie allmählich ab und das war ein ungewohnt gutes Gefühl. Es musste am Alkohol liegen. Das Leben pulsierte in ihr, sie konnte es nicht ignorieren, ihr Geist war leicht und unbeschwert, und sie genoss diesen Zustand. Natürlich war sie jetzt total angeschwipst und wahrscheinlich würde es ihr morgen furchtbar mies gehen, aber das musste sie in Kauf nehmen. Das Leben ging weiter. Wann hatte sie das zum letzten Mal gedacht? Sie hatte es kein einziges Mal gedacht. Doch das Leben ging weiter, das wurde ihr gerade zum ersten Mal bewusst.
Sie blickte sich um: Seltsamerweise sah sie in der Disco sehr viele Leute mit ausgeprägten Oberarmmuskeln, meistens rechts, seltener aber auch links. Und sie überlegte so vor sich hin, bis sie drauf kam:
"Hey, das sind alles Passagiere, die mit den Muskeln am rechten Arm. Und das kommt von dieser blöden Klowasserhochpumperei!" Und überlegte laut: "Setzen die Linkshänder sich verkehrt rum aufs Klo?"
Um sie herum fing man an zu lachen.
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Waren sicher Urlauber darunter. Auch ihre beiden Männer lachten mit.
Sie stellte fest, dass U-Boot Jochen sie begehrlich anschaute, wahrscheinlich kam ihr das nur so vor, weil sie besoffen war, trotzdem fühlte sie sich geschmeichelt.
Upps, zu ihrer Rechten versuchte gerade eine Frau, Volker anzubaggern, oh verdammt, es war die vom Schiff, die ihn so begehrlich angeglotzt hatte. Ein hübsches Ding, das musste sie zugeben.
Aber Volker verhielt sich sehr neutral, er war freundlich, aber er lud die Frau auch nicht ein, beim Knobeln mitzumachen. Die Tussi zog ab - mit ihrer Freundin und dem langen Lulatsch im Schlepptau. Und sie sah irgendwie sauer aus.
Daniela atmete auf, doch dann stutzte sie.
Oh Gott nein, das konnte nicht wahr sein, sie war eifersüchtig! Zerstreut drehte sie ihren Knobelbecher um, sie konnte sich nicht mehr auf das Spiel konzentrieren. Und tatsächlich verlor sie, sie war einfach nicht mehr bei der Sache.
"Was ist los mit dir, Mädel, du schwächelst ja..." Volker schaute sie aufmerksam an, wie es ihr schien. Hilfe, hoffentlich brachte er ihr 'Schwächeln' nicht mit der Anmache dieser Kuh in Verbindung.
"Nein, nein", wehrte sie sich lächelnd. "Ich will euch nur nicht pleite machen ..." Hoffentlich kam das glaubwürdig rüber, Daniela hatte nämlich das Gefühl, als wäre sie knallrot im Gesicht und als stünde die Eifersucht zusätzlich auf ihrer Stirn geschrieben. Ganz dick und in lila. Ach was, sie war einfach nur besoffen.
"Darf ich um diesen Tanz bitten?" Jemand quatschte sie gerade von hinten an. Gott sei Dank! Erleichtert drehte sie sich um und sah einen stattlichen Holländer vor ihr stehen, gar kein übler Kerl. Anscheinend standen holländische Jungs auf sie, obwohl sie schon dreiundvierzig war. Auch der Skipper und sein Dingsbums hatten sie wohlwollend betrachtet. Und das nicht aus Mitleid, wie ihr gerade klar wurde.
Wo war sie noch? Ach ja, beim Tanzen. "Gerne", sie ließ sich hoffentlich elegant von ihrem Barhocker herabgleiten und folgte ihrem holländischen Verehrer. Hoffentlich ohne zu schlingern, so seemännisch ausgedrückt. Komisch, irgendwie hatte sie das Gefühl, als würde Volker ihr hinterherschauen.
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Quatsch, das war sicher nur Einbildung.
Die Tanzfläche war brechend voll, und der DJ hatte gerade ein gutes Stück aufgelegt, nämlich 'Respekt' von Aritha Franklin. Der Holländer lachte, Daniela lachte auch. Sie lachte hauptsächlich deswegen, weil sie gar nicht mehr wusste, was man heutzutage so tanzte. Mehr mit den Beinen, mehr mit den Armen oder gar bewegungslos, aber es war ihr egal, sie bewegte sich automatisch zum Rhythmus der Musik, und es machte ihr Spaß, sehr viel Spaß.
Als sie nach ungefähr acht ausgiebigen Tänzchen an die Bar zurückkehrte, fühlte sie sich richtig schön erhitzt. Volker saß immer noch dort, wo sie ihn verlassen hatte. Er war ja so zuverlässig. Erleichtert ließ sie sich vorsichtig auf ihrem Barhocker nieder. Sie musste aufpassen. Warum? Der böse Alkohol machte ihr immer noch zu schaffen. Ich muss wieder klar werden. Alkohol, du böses Ding, lass mich in Ruhe! Das dachte sie verschwommen.
Volker sah kurz zu ihr hin und lächelte ihr zu. Das fand Daniela so beruhigend, und es verschaffte ihr so ein Gefühl der Sicherheit, dass sie darüber erstaunt war.
Zerstreut sah sie neben sich U-Boot Jochen, der gerade mit irgendwelchen Schnürsenkeln herumhantierte. Daniela schaute verständnislos darauf. Sie hörte, wie er sagte: "Am liebsten habe ich den Palstek, das ist ein so genialer Knoten."
Ein genialer Knoten? Daniela schaute vorsichtig nach rechts. Dort saß Volker und Volker sah aus, als würde er sich köstlich amüsieren. Daniela konnte nicht anders, als loszulachen. Zierknoten knüpfen ... Was für ein schönes Hobby! Sie steigerte sich zusammen mit Volker in einen Lachkrampf hinein, der überhaupt nicht mehr aufhörte. "Palstek...", keuchte sie atemlos. "Zeig mir doch mal, wie der geht, Jochen!"
U-Boot Jochen zeigte es ihr, aber Daniela hatte den Eindruck, dass sie sich total blöd dabei anstellte, denn statt eines vernünftigen Knotens kam immer ein seltsames Gebilde zustande. Und das brachte sie wieder zum Lachen.
"Schau mal Volker, ist das ein Knoten oder sonst was?", kicherte sie. "Du musst mir dabei helfen, ich kann das alleine nicht."
Volker stand gerade hinter ihr, er legte seine Arme um ihre Schultern, beugte sich über sie, nahm ihr die Schnur aus der Hand.
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Und ohne weiteres knotete er einen herrlichen Palstek zusammen. Der war perfekt.
Daniela erschauerte, während sie seine Arme um sich spürte.
Ein ungewohntes Gefühl überkam sie, ein vermisstes Gefühl ...
Es war seltsam. Bis zu diesem Augenblick hatte sie keinerlei Zärtlichkeiten vermisst, außer natürlich die von ihren Kindern, die leider schon fast erwachsen waren. Aber jetzt auf einmal überflutete sie der Wunsch danach. Nur wegen dieses Palsteks?
Was zum Teufel war los mit ihr? Das war Volker, ihr langjähriger Freund, den sie noch nie attraktiv gefunden hatte, obwohl er gut aussah. Oh nein, was war nur los mit ihr? Zerstreut griff sie nach einem Glas Genever, das noch ungetrunken auf der Theke stand, das Zeug schmeckte ihr eigentlich nicht, aber sie brauchte das Zeug jetzt und schluckte es sofort herunter.
Oh je, seltsamerweise machte es sie noch verwirrter. Sie fühlte seine Hände, die immer noch zart auf ihrer Schulter lagen und sie fühlte, dass sie warm und außerdem erregend waren.
Sie spürte, dass Volker sich näher zu ihr herabbeugte und irgendwie drängte sich alles in ihr zu ihm hin. Zu seinen Händen und zu seinem Körper. Sie stellte sich vor, wie diese Hände sie intimer berühren könnten. Und sein Körper, was er wohl mit ihr tun würde ...
Sie schloss die Augen, wollte es nicht sehen, aber dennoch verlangte es sie danach. Warum? Sie hatte keine Ahnung.
Hilflos und erwartungsvoll ließ sie sich an ihn sinken.
Weiter geht es mit Tussen de meeren, Teil 5 von 6 - ERWACHEN
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