Die bunten Neonlichter der tiefen Häuserschluchten spiegelten sich in den regennassen Straßen der Stadt. Ein Lichtermeer unter dunklem Himmel, in dem der dichte Verkehr wie ein Haufen Seeschlangen umherkroch. Laut, hektisch, dreckig, denn auch der dunkle Nachthimmel und der Regen, der in den Abflüssen gurgelte, vermochten nicht zu verdecken, welch ein heruntergekommener Moloch Kojima City eigentlich war.
Während der Transporter sich seinen Weg durch den dichten Verkehr bahnte, versuchte Cole Paxton sich auf ihren Auftrag zu konzentrieren. Eine Gruppe rebellischer Roboter sollte sich in den oberen Stockwerken eines mehrstöckigen Lagerhauses eine illegale Basis eingerichtet haben, hieß es. Die Informationen waren dem Kojima City Police Department zugespielt worden, und Chief Silverhand hatte natürlich sofort eine Spezialeinheit losgeschickt.
Zwar waren die Roboterkriege seit beinahe einem Jahrzehnt vorbei, doch noch immer lehnten sich vereinzelt hier und da Maschinen gegen die Menschen auf und richteten als Attentäter und Terroristen großen Schaden an. Wenn sie sich gegen Menschen wandten, dann kam es meist zu extrem blutigen Kämpfen, da die meisten Roboter Gefühlsregungen wie Mitleid nun einmal nicht implementiert hatten. Auf der anderen Seite lag es, anders als bei den Menschen, aber auch nicht in ihrer Natur, um jeden Preis herrschen zu wollen, so dass das Zusammenleben zwischen biologischer und künstlicher Intelligenz inzwischen größtenteils reibungslos verlief.
Viel problematischer war im Grunde das Leben der Menschen untereinander in einer Megastadt wie Kojima City, in der Ressourcen und vor allem der Platz rar waren und jeder sich alltäglich mit anderen im Kampf um ein kleines Stück vom Kuchen konfrontiert sah. Daher war die Polizei, das K.C.P.D., einer der größten Arbeitgeber der Stadt, neben den Energiekonzernen, Lebensmittelproduzenten und Entsorgungsunternehmen.
Cole Paxton und sein Team gehörten der Spezialeinheit gegen terroristische Bedrohungen an und nach wie vor wurde jede Gefahr, die von Robotern ausging, mit der höchsten Alarmstufe versehen. Zum Teil zurecht, wie Cole oft zynisch dachte, zum Teil lag es aber auch daran, dass Menschen immer ein Feindbild haben mussten, um sich nicht gegenseitig vollkommen zu zerfleischen.
Der Transporter hatte nun eine der großen Ausfallstraßen erreicht, der Verkehr floss allmählich ein wenig weniger zäh, sie steuerten auf eines der großen Industriegebiete am Rande der Stadt zu.
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Aus den Fenstern hinten sah Cole die imposanten Wolkenkratzer der Innenstadt, in der auch Straßen mehrstöckig hatten gebaut werden müssen, doch auch hier draußen gab es inzwischen nur noch Hochhäuser, da der Platz auch hier rar, Grundstücke teuer und Energiekosten schier unbezahlbar waren.
So fuhren sie durch riesige Gebäudekomplexe, die zumeist über eine eigene Stromversorgung verfügten und somit nahezu autark waren. Wenn jemand also einen solchen Komplex komplett besetzen und von der Außenwelt abschotten würde, konnte er so mitten in der Stadt eine Art Festung errichten, die viel Schaden anrichten, aber in ungünstigen Fällen kaum eingenommen werden konnte.
Genau das war bei solchen Einsätzen nach wie vor Silverhands Befürchtung, denn so hatten einst auch die Roboterkriege begonnen und zahllose Menschenleben gekostet. Im Grunde wusste Cole, dass es richtig war, weil Vorsicht gerade in diesen Zeiten besser als Nachsicht war, andererseits verstand er nicht, warum künstliche Intelligenzen nach wie vor unter Generalverdacht standen, obwohl die Polizeistatistik eindeutig belegte, dass von ihnen der geringste Teil an Straftaten begangen wurde.
Sie waren jetzt am Gebäudekomplex angekommen, der Transporter stoppte am Straßenrand. Cole stieg als erster aus, ließ seinen Blick durch die kaum belebte Straße und dann die Fassade hoch wandern. Ein typisches Lagerhaus, kaum Fenster, die wenigen, die es gab unbeleuchtet. Durch die Höhe des Gebäudes konnte er allerdings nicht erkennen, was sich oben tat, ob ihre Ankunft vielleicht doch schon beobachtet wurde.
Ihr Transporter war mit dem Logo der Stadtreinigung versehen, ein typisches Tarnfahrzeug, das hoffentlich kaum auffiel. Cole blickte nun zum Himmel und konnte auch endlich die drei Drohnen erkennen, die nun über dem Gebäude kreisten. Sie waren nicht getarnt, die Aufschrift K.C.P.D. war deutlich zu erkennen, das sollte sie auch. Im Grunde dienten die Drohnen nur der Ablenkung, sollten zunächst in immer engeren Bahnen um das Dach des Gebäudes kreisen, bevor sie immer näher kamen, um den Anschein zu erwecken, das Gebäude auszukundschaften.
Es ging in erster Linie darum, niemanden aus dem Einsatzteam in Gefahr zu bringen.
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Wie weit die künstlichen Intelligenzen dabei in die vermeintliche Rebellenzentrale eindrangen und auch, ob sie aus der Sache herauskamen, war nebensächlich. Dennoch waren die Drohnen natürlich mit einer Sprachsteuerung sowie einigen Waffen ausgestattet, um ihre Ziele abzulenken und für eine Weile zu beschäftigen. Mehr aber eben nicht. Stattdessen hatten Cole und sein Team den Auftrag, von unten in das Gebäude zu gelangen und sich im Treppenhaus so schnell wie möglich nach oben vorzuarbeiten. Fahrstühle waren zu auffällig, die meist veralteten Überwachungskameras in Treppenhäusern ließen sich aber meist unauffällig abschalten.
„Los, raus mit euch“, raunte Cole seinem Team zu, da die Drohnen oben gut zu sehen waren. Zügig kletterten die vier Leute aus dem Wagen und postierten sich vor einer unscheinbaren Hintertür. Sofort machte sich Takeo Sakaguchi am Schloss zu schaffen. Der junge Mann war erst seit einem Jahr in Coles Team, doch sein Fleiß, seine Loyalität, sein unbedingter Wille, diese Stadt zu einem etwas besseren Ort zu machen, hatten ihn schnell zu einem vollwertigen Mitglied werden lassen.
Dies war der kritische Punkt ihrer Mission, hier sollte es schnell gehen und niemand durfte sie sehen. Ein fünfköpfiges Team in voller Montur mit Helmen und Laserpistolen würde nämlich im Gegensatz zu dem Transporter doch gehörig auffallen. Allerdings hatte Cole an der Außenfassade keine Kameras entdecken können und aus den wenigen Fenstern war es nahezu unmöglich, sie hier unten zu sehen.
Während Takeo noch mit seinem Werkzeug hantierte, baute sich ein breiter Schatten hinter ihm auf. „Mach hinne, Kleiner, sonst trete ich die Tür ein, das geht eh schneller“, sagte Sam Hayden, eigentlich Samantha Hayden, doch das hörte die gut trainierte Frau nicht gerne. „Ja klar, damit dann der Alarm losgeht und wir sofort auffliegen“, fuhr ihr Amira Vance in die Parade und grinste. Wie so oft hatte sie Cole damit die Worte sozusagen aus dem Mund genommen und er war froh, sie wieder mit an Bord zu haben.
Zwischenzeitlich hatte es Schwierigkeiten gegeben, da Amira in Cole deutlich mehr sah als einen Kollegen, dem sie bedingungslos ihr Leben anvertrauen konnte, während für Cole absolut klar war, dass Beziehungen in diesem Job nichts zu suchen hatten.
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Diese Geschichte hatte ihre Zusammenarbeit erheblich belastet, auch die drei anderen, doch inzwischen waren zum Glück alle Wogen wieder geglättet.
Während Takeo noch werkelte und Sam immer unruhiger wurde, beobachtete Juri Blazkowicz die Umgebung. Er war der älteste und erfahrenste von ihnen und wie immer fühlte Cole sich sicher, solange er die Ruhe behielt. Einst war Juri sein Vorgesetzter gewesen, doch seit einer Schusswunde im Knie hatte er wohl oder übel einen Gang zurückschalten müssen. Dennoch wollte Cole ihn nicht missen, denn seine Erfahrung hatte sie alle schon oft davor bewahrt, in allzu brenzlige Situationen zu geraten.
Dann endlich sprang die Tür auf und Takeo konnte es sich nicht verkneifen, Sam einen triumphierenden Blick zuzuwerfen. Die aber gab sich völlig unbeeindruckt und stürmte als Erste mit gezogener Laserpistole ins Innere des Gebäudes. Die anderen folgten ihr rasch und sicherten den kleinen Raum nach allen Seiten und insbesondere nach oben ab.
Zwei Stahltüren gab es hier, beide verschlossen. Vor allem aber lag eine schmale Treppe aus Beton vor ihnen, die von hier aus zig Stockwerke nach oben führte. Vermutlich wurde sie selten genutzt, zumindest dann nicht, wenn die Energieversorgung für die Fahrstühle ausreichte, die sich sicher nicht weit von hier befanden.
Kameras gab es trotzdem und auch, wenn nicht klar war, ob und von wem sie überwacht wurden, machte Juri sich umgehend an einem Sicherungskasten zu schaffen, setzte seinen Minicomputer an und hackte sich ins System. Auf dem kleinen Display blinkten Zahlenkolonnen auf, von denen Cole kaum etwas verstand, doch Juri verrieten sie offenbar fast alles über diesen Gebäudekomplex.
„Das Lagerhaus gehörte einer Biotech-Firma, die hier an der Herstellung neuer Lebensmittel arbeitete“, erklärte Juri, „doch sie ging insolvent und in der Folge mieteten sich verschiedenste kleinere Unternehmen hier ein. Die gesamte obere Hälfte scheint einem Unternehmen mit dem Namen OSct zu gehören. Was das ist oder was die machen, weiß ich nicht, aber auf jeden Fall haben sie alles aufgekauft, was sich oben noch befand und ihre Bereiche ziemlich gut abgesichert.“
„Was heißt das: gut abgesichert?“, hakte Cole nach. „Bei denen komme ich nicht ins System“, antwortete Juri bedauernd.
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„Ist vielleicht sogar besser, dann merken sie auch nicht, dass jemand drin ist“, schaltete sich nun Amira ein, „kannst du denn die Kameras ausschalten?“ Juri lächelte sie schief an, da auch sein Gesicht durch den damaligen Vorfall in Mitleidenschaft gezogen war und eine große Narbe immer wieder daran erinnerte, das es halbseitig gelähmt war. „Hab ich doch längst“, bestätigte er ihr väterlich.
Damit lief also alles nach Plan, sie waren voraussichtlich sicher und konnten unbemerkt weiter vordringen. „Dann lasst uns keine Zeit verlieren“, mahnte Cole zur Eile, „denn trotz allen technischen Fortschritts werden wir die tausend oder mehr Stufen nach oben schon bald in den Oberschenkeln spüren.“
Die Serie gibt es auch als Hörbuch auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=MPeaQkuJNpY
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