Imhotep, der Junge aus Heliopolis - Kapitel 19   0

Romane/Serien · Spannendes

Von:    Francis Dille      Mehr vom Autor?

Erstveröffentlichung: 8. Januar 2021
Bei Webstories eingestellt: 8. Januar 2021
Anzahl gesehen: 1737
Kapitel: 0, Seiten: 0

Diese Story ist die Beschreibung und Inhaltsverzeichnis einer Reihe.

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Kapitel 19 – Die Tochter des Amun





Tutanchamun eilte die Treppenstufen hinunter und war sehr erleichtert darüber, dass die Königin seine Heiratsabsicht nun endgültig akzeptiert hatte. Ihm war sowieso nicht mehr wohl zumute, seine Halbschwester jemals wieder zu schwängern, nachdem sie bereits das zweite Mal einen toten Fötus zur Welt gebracht hatte. Zudem waren die Ungeborenen jeweils Mädchen gewesen und wieder prophezeiten die Gelehrten; weil die Königin Anchesenamun die Schönheit ihrer Mutter geerbt hatte, würde auch sie nur Prinzessinnen gebären. Die Leibärzte warnten die Königin sogar, dass die Totgeburten auch ihr Leben hätten kosten können und rieten von einer weiteren Schwangerschaft strikt ab. Aber Anchesenamun wollte dies nicht wahrhaben und meinte, dass sie für einen Knaben jederzeit bereit wäre, ihr eigenes Leben zu opfern. Trotz dieser schicksalhaften Niederlagen glaubte sie fest daran, dass die Göttin Bastet ihr eines Tages den ersehnten Thronfolger gewähren würde, schließlich bereicherte sie die Tempel der Bastet regelmäßig mit großzügigen Opfergaben. Für Tutanchamun war dieser Preis jedoch entschieden zu hoch, denn er liebte seine Halbschwester, zwar nicht genauso wie er Nefertiri liebte, aber er wollte seine Ani keinesfalls verlieren. Nicht einmal für einen Thronfolger.

Der Pharao blieb in der Eingangshalle stehen und betrachtete andächtig die heiligen Götterreliefs, die oberhalb der Säulen von Stuckateuren eingearbeitet worden waren und grimmig herabschauten. Diese waren ihm vorher gar nicht aufgefallen, genauso wie die unzähligen Widderköpfe, welche sich am Kalksteinsockel entlang der überdachten Promenade nebeneinander anreihten und eigentlich unmöglich zu übersehen waren. Ihm wurde immer deutlicher, dass ihm vor seinem Aufbruch in das Land gar nicht wirklich bewusst gewesen war, der Pharao, der König von Ägypten zu sein. Er konnte sich eigentlich gar nicht mehr daran erinnern, als er noch ein Prinz war. Für ihn schien es so, schon als Pharao das Licht der Welt erblickt zu haben, jedoch ohne zu wissen, was dies bedeutete und welche Verantwortung ihn erwarten würde.

Dieser mit Amunstatuen bestückter Korridor führte zu einer riesigen säulenreichen Galerie. Tutanchamun horchte und lauschte nach den hallenden Choralgesängen der Priester, die irgendwo im Palast beteten.
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Diese Gesänge klangen damals in seinen Kinderohren immer unheimlich, als würden sie Mächte heraufbeschwören, die nicht von dieser Welt waren. Im Grunde wusste er nur sehr wenig über die Götter, obwohl dies ein wichtiger Aspekt war, um das schwarze Land zu regieren. Das Leben der Ägypter hatte sich seit Urzeitgedenken nach den heiligen Schriftrollen gerichtet. Die Priester und Gelehrten hatten ihn in der Schreiberschule lediglich ein oberflächiges Wissen über die ägyptische Mythologie gelehrt und erklärten ihm, dass erst wenn die Zeit gekommen wäre, er während einer monatelangen Expedition durch die Wüste vollständig eingeweiht werden könnte. Dies sei aber eine harte Prüfung und erfordere ein gewisses Alter sowie Lebenserfahrung, meinte der Hohepriester Ahmose. In Theben existierte zwar die älteste Bibliothek von Ägypten, dort waren unter anderem die originalen heiligen Schriftrollen aufbewahrt worden, aber Tutanchamun vermochte nur die Hieroglyphen des Neuen Reichs zu lesen und zu schreiben. Die Priester und Gelehrten hatten über die Jahrhunderte alle Schriftrollen immer wieder auf frischen Papyrus übertragen und somit die wertvollen Schriftstücke erhalten, welche einst von wahren Propheten verfasst wurden. Aber um diese uralte Hieroglyphenschrift aus dem Alten Reich zu begreifen, insofern man diese überhaupt lesen konnte, benötigte man einen reifen Verstand und Lebenserfahrung. Es gab nur wenige Gottesdiener und Gelehrte, welche die längst überholte Schrift tatsächlich korrekt entziffern konnten, beziehungsweise auch verstanden.



Tutanchamun atmete erleichtert auf. Er war endlich wieder Zuhause in Memphis. Die erlebnisreiche Reise durch sein Land war für ihn aufschlussreich gewesen und nun war es an der Zeit, endlich in die Mythologie der Götter eingeweiht zu werden. Er fieberte regelrecht danach. Dazu gehörte aber auch Mut und man musste seine eigenen Ängste zu beherrschen wissen, um mit den Göttern zu kommunizieren. Genau dies spornte ihn an. Schon immer wollte er Herr über seine eigenen Ängste sein, nur wusste er nicht, wie er dies erreichen könnte. Die Priester erklärten dem jungen Pharao, dass es keineswegs mit dem Mut auf einem Schlachtfeld zu vergleichen war, wenn er sich mit der Weisheit der Unterwelt vereinen würde.
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Visionen würden ihn heimsuchen, welche seinen Verstand zu rauben vermochten, falls er den Stimmen der Götter nicht gewachsen wäre. Es erfordere absolute Selbstbeherrschung und Überzeugung an das ewige Leben über den Tod hinaus, andernfalls würden ihn die übersinnlichen Erlebnisse in der Wüste, welche ihn dort gewiss erwarten würden, bis an sein Lebensende nur erschrecken und ihn in seinen Träumen verfolgen. Tutanchamun war sehr wissbegierig und fühlte sich mittlerweile dazu erwachsen genug. Er wusste auch schon, welche Person ihn während seiner Einweihung unterrichten und betreuen sollte: Satamun.

Satamun war zwar nur eine gewöhnliche Tempelpriesterin und gar nicht befugt dazu, einen Pharao in das Mysterium einzuweihen, dafür war sie aber eine wandelnde Bibliothek und beherrschte sogar die Hieroglyphen aus dem Alten Reich. Außerdem bewunderte er die Amunpriesterin, weil sie ihre Ängste zu beherrschen wusste, zudem vertraute er ihr. Mindestens sollte sie ihn während seiner Einweihung begleiten, hatte er beschlossen.

Tutanchamun zog die Augenbrauen zusammen und blinzelte, als er weit hinten in der Galerie einen Priester zwischen den über zwanzig Meter hohen, mächtigen Säulen schlendern sah. Die Strahlenbahnen der Mittagssonne schienen grell durch die Fensteröffnungen hinein. Staubpartikel aus der Stadt, welche täglich in den Königspalast hineinwehten, glitzerten im Sonnenschein auf. Der Saum seiner Robe schleifte wie ein kurzer Schleier auf dem Boden und eine Kapuze überdeckte das Haupt des Tempelpriesters. Choralgesänge ertönten.

Der junge Pharao stutzte. Das konnte doch nur Satamun sein. Er erkannte sie an ihrer schlaksigen Körpergröße und außerdem lief niemand im Palast mit übergezogener Kapuze herum. Satamun dagegen ständig, wenn sie sich wiedermal eine Schriftrolle aus der Palastbibliothek ausgeliehen hatte und darin schmökerte. Sobald die Priesterin ihre Kapuze über ihren geschorenen Kopf zog, wollte sie nicht gestört werden und beachtete auch niemanden, weil sie entweder dabei war, eine Schriftrolle auswendig zu lernen, oder weil sie meditierte. Er lächelte. Genauso wie es Satamun ihm ein Jahr zuvor vorhergesagt hatte, bevor er mit der Sonnenbarke über den Nil fuhr, war sie gleichzeitig mit ihm nach Memphis zurückgekehrt.
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Tutanchamun mochte und schätzte die einunddreißigjährige Amunpriesterin, auch wenn sie selten lächelte und stattdessen stets mit tiefstem Ernst erfüllt war. Sie besaß wenig Sinn für Humor, weshalb Tutanchamun manchmal erst recht versuchte, sie zum Lachen zu bringen. Ihr aber nur ein flüchtiges Schmunzeln zu entlocken, war äußerst selten und schien beinahe unmöglich zu sein. Trotzdem wirkte Satamun keineswegs unglücklich oder gar verbohrt, vielmehr hinterließ sie einen kämpferischen Eindruck – die meisten hielten sie für arrogant –, dass man ihr nicht so schnell etwas vormachen konnte. Die humorlose Dame hielt er trotz alledem nicht für langweilig und spießig, wie die meisten Priester es waren. Ganz im Gegenteil. Satamun war sehr kühn, des Öfteren sogar etwas zu kühn, denn sie brachte sich manchmal selbst in Lebensgefahr, nur um irgendwelche Geheimnissen, die beispielsweise im Königspalast kursierten, die Wahrheit zu entlocken. Die Priesterin hatte sich schon unzählige Male im Audienzsaal versteckt und zugehört, wie streng geheime Pläne geschmiedet wurden. Sie hatte auch keinerlei Skrupel, ihre Vorgesetzten zu bespitzeln, denn die alten weisen Priester waren oftmals besser informiert, als so mancher Großer des Landes. Und obwohl sie sich hauptsächlich in Unterägypten aufhielt, wusste sie ganz genau Bescheid, was in Theben vor sich ging. Was jedoch niemand ahnte war, dass die Priesterin das Ohr und Auge des Pharao war, obwohl Tutanchamun dies von ihr nie abverlangte.

Satamun war eine Individualistin und wurde von den meisten Tempelpriester gemieden, weil sie sehr eigen war und Ansichten über das Leben und die Götter vertrat, die so mancher nicht nachvollziehen konnte und absolut nicht teilte. Die Priester waren normalerweise gesellige Zeitgenossen und verbrachten ihren Tag stets in Gemeinschaft, Satamun hingegen war eine unverbesserliche Einzelgängerin und wollte mit niemandem wirklich etwas zu tun haben.

Sie predigte hauptsächlich vor dem Bauernvolk, wobei sie nicht, wie die Priesterschaft es gewöhnlich tat, stur aus den Schriftrollen las, sondern sie improvisierte ihre Predigen und verkündete die Botschaft der Götter mit ihren eigenen Worten, sodass auch die ungebildeten Menschen die uralten, komplizierten Hieroglyphenschriften verstanden.
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Wenn die emotionslose Frau vor den armen Bauernleuten eine Predigt hielt, dann war sie in ihrem Element und fesselte die Gemeinde mit ihren lehrreichen und zugleich rührenden Geschichten, diese sie oftmals aus dem Stegreif erzählte. Trotz dass Satamun von einigen namentlichen Gelehrten und Priestern, die einmal während ihrer Predigt anwesend waren, anerkennendes Lob erntete, wurde sie von der Priesterschaft dennoch nur belächelt. Der Verdienst eines Priesters wurde nach der Anzahl der Opferbeigaben berechnet. Ein erfolgreicher Priester lockte demnach massenweise Leute in die Tempel, die beachtliche Opferbeigaben mitbrachten, aber Satamun bevorzugte es in die Ferne zu ziehen, hinaus zu den Dörfern der Mittellosen, von denen selten eine Kollekte zu erwarten war. Sie wagte sich sogar, den älteren, weisen Priestern zu widersprechen, wenn sie deren Meinung nicht teilte, was ein weiterer Grund war, weshalb Satamun gemieden wurde. Überdies war die Priesterin ungemein dreist und erlaubte sich einiges, was einfach gegen den Anstand oder gar gegen die Vorschriften sprach. Manche Priester fürchteten sich sogar vor der außergewöhnlich großen Frau, die beinahe 1,90 Meter in die Höhe ragte. Die konservativen Gottesdiener hielten sie trotz alledem für sehr gescheit, obwohl sie keinerlei Reichtümer besaß, weil sie verschwiegen war und über ein beachtliches Wissen verfügte. Außerdem wurde Satamun vom Hohepriester des Amun noch nie gemaßregelt, geschweige denn bestraft worden. Aber irgendwann, da waren sich die Priester einig, würde Satamun den Bogen überspannen und endgültig in Ungnade verfallen.



Obwohl Satamun eine gebürtige Ägypterin war, schmückten grüne Augen ihr kahlköpfiges Gesicht. Zudem war ihre Haarfarbe, als sie noch ein kleines Mädchen war, auffallend hell gewesen. Manch einer glaubte aufgrund dessen, dass Seth in eine großgewachsene Mumie geschlüpft sei und nun als Frau unter ihnen wandelte. Dennoch wurde die Priesterin unter ihresgleichen akzeptiert und man sah über ihre Dreistigkeiten, die sie sich ständig erlaubte, einfach hinweg, weil Satamun nämlich die Vertraute des Hohepriesters Ahmose war.

Satamun war im gewissen Sinne unantastbar, selbst der Wesir Eje hätte sie nicht einfach bestrafen dürfen, ohne zuvor Ahmoses Zustimmung dafür zu erhalten, und dieses Privileg nutzte sie auch schamlos aus.
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Jedoch befand sie sich auf einem schmalen Grat, weil sie eine heimliche, freundschaftliche Beziehung mit dem Pharao hegte, davon nicht einmal die Königin wirklich etwas wusste. Die Wahrheit war, dass Tutanchamun und die Priesterin seit seiner Kindheit eng verbunden waren, wobei sie ihre Freundschaft all die Jahre streng geheim hielten. Der Pharao vertraute ihr bedingungslos und betrachtete sie schon immer als seine ältere Schwester, zu der er hinaufschaute, ohne sie erst mit großartigem Tamtam als seine Vertraute ernennen zu müssen. Satamun riet ihm sogar strikt davon ab und meinte, dann wäre ihr Verhältnis viel aufrichtiger und vor allem sicherer für ihn und auch für sie selbst. Die Priesterin befürchtete nämlich, falls Ahmose von ihrer innigen Beziehung zum König erfahren würde, dass der Hohepriester des Amun sie eines Tages dazu zwingen werde, den König auszuhorchen, um an seine dunklen Geheimnisse zu gelangen. Sie müsste ihrem Mentor gehorchen und dem Ehrenkodex Folge leisten, ansonsten wäre er dazu berechtigt, Satamun des Verrats an seiner Person zu beschuldigen, woraufhin sie ohne Anhörung auf dem Scheiterhaufen enden würde. Satamun war bereits im Kindesalter in den Klauen des Hohepriesters gefangen worden, und nur allein ihr Tod, oder falls der Hohepriester vorzeitig ableben würde, würde diese schicksalhafte Zwangsbeziehung beenden.

Tutanchamun schätzte Satamun besonders, weil sie ihn nicht nur mit Rat und Tat unterstützte und seine Geheimnisse verbarg, sondern weil sie überdies auch zuverlässig war und ihn in seiner Kindheit stets behütet hatte. Schon seit er das zwölfte Opet-Fest erlebte, hatte Satamun den kleinen König ständig heimlich aus dem Palast hinaus und wieder eingeschleust, sodass es all die Jahre unbemerkt geblieben war. Sie tat dies aber nicht nur, weil der junge Pharao es so geschehen lassen wollte, sondern weil sie selbst davon überzeugt war, dass sie dem Jungen damit einen Gefallen erwies, dass es für seine pubertäre Entwicklung gar lehrreich sei, wenn er mit gleichaltrigen Strolchen durch die Straßen ziehen würde, anstatt nur von Zofen und Höflingen verhätschelt zu werden. Dann verfolgte sie ihn heimlich und passte auf, dass ihm ja nichts geschah.
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Aber klein Tut hatte sich schon im naseweisen Alter von zehn Jahren in den Kopf gesetzt, Tag für Tag auszubüxen, hatte ständig an ihrer Robe gezogen, genörgelt und sie regelrecht dazu bedrängt, dass sie ihn unbemerkt hinter die Palastmauer bringen sollte. Aber Satamun war schon immer autoritär und konsequent gewesen und hatte ihm erklärt, dass er kein gewöhnlicher Bengel sei, sondern der König von Ägypten, und dass die Straße noch viel zu gefährlich für ihn wäre. Klein Tut hatte ihr sogar oftmals bockig befohlen, dass sie ihn hinausschleusen sollte, aber die Priesterin behandelte den Kindkönig wie eine strenge Lehrerin, ignorierte die Befehle des Pharao und setzte sich bei ihm stets durch.



Satamun hatte bereits im Kindesalter beschlossen, dem Gott Amun und ihrem Pharao lebenslang zu dienen, und war besessen darauf gewesen, eine Priesterin zu werden. Dies war damals eine schwierige Zeit für Amunanhänger gewesen, weil damals Pharao Echnaton regiert hatte, nur noch dem Reichsgott Aton gehuldigt werden durfte und alle Amuntempel im Land geschlossen wurden. Satamuns Geburtsname lautete Niut, bevor sie das Priestergelübde abgelegt hatte. Das Mädchen wuchs in der oberägyptischen Stadt Chemenu in ärmlichen Verhältnissen auf. Als ihr Vater sich dazu entschlossen hatte, seine kleine Tochter auf dem Sklavenmarkt zu verkaufen, damit er mit seiner Ehefrau und seinen beiden Söhnen über die Runden kommen konnte, war Niut von Zuhause ausgerissen und über den Nil nach Theben geflüchtet. Das Mädchen hatte damals den Hohepriester Ahmose verehrt und ihn hartnäckig verfolgt. Die zehnjährige Niut war schon damals sehr gerissen und ein geschickter Langfinger gewesen, zudem war sie sehr wortgewandt und eine raffinierte Bettlerin war sie obendrein, die den Leuten stets eine herzzerreißende Geschichte aufzutischen vermochte. Dies tat sie, um auf der Straße zu überleben. Und wo auch immer der Hohepriester Ahmose in einem überfüllten Tempel gepredigt hatte, hatte sich die kleine Niut vorgedrängelt und laut seinen Namen gerufen und ihn verherrlicht.

Ahmose war irgendwann auf das aufgeweckte Mädchen aufmerksam geworden. Ihre grünen Augen und ihr helles Haar hatten ihn damals fasziniert und er hatte darin ein Zeichen der Götter gesehen.
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Er hatte sie in seine Obhut genommen, sie wie seine eigene Tochter in seinem Palast aufgenommen und sie persönlich zu einer Priesterin ausgebildet.

Niut hatte Ahmose begleitet, wohin er auch ging. Der Hohepriester verbrachte mit dem Mädchen sogar mehr Zeit, als mit seinen eigenen Kindern. Niut war bereits mit zwölf Jahren so groß wie er selbst gewesen, war klug und wirkte eher wie eine zwanzigjährige Frau. Ahmose hatte schließlich ihre uneingeschränkte Loyalität zu Amun und vor allem, zu ihm erkannt, woraufhin der Hohepriester Niut schon im zarten Alter von vierzehn Jahren, an dem Tag als sie im großen Amun Tempel ihr Priestergelübde ablegte, offiziell zu seiner Vertrauten ernannt. Gleichzeitig hatte er während der Zeremonie seine Arme ausgebreitet und vor hundert verbeugenden Priestern verkündet, dass Niut fortan Sat-Amun (Tochter des Amun) heißt.

Satamun war nun offiziell eine Priesterin und war dazu verpflichtet, sich bis zu ihrem Lebensende jedes Härchen abzurasieren. Zudem ließ sie sich die Hieroglyphenzeichen des Gottes Amun unter ihrem Handgelenk schmerzhaft einbrennen, mit Tintenpulver tätowieren und legte sogar ein Keuschheitsgelübde ab, um allen Göttern ihre Glaubwürdigkeit zu beweisen, obwohl dies gar nicht abverlangt wurde. Seitdem war Satamun nur noch an ihren weichen Gesichtszügen und an ihrer hellen Stimme, als ein weibliches Geschöpf zu erkennen.

Satamun war gehorsam und hatte den Hohepriester dabei jeder Zeit unterstützt, dass der AmunRe-Kult heimlich aufrechtblieb. Aber Ahmose hatte ein höheres Ziel verfolgt. Weil der Hohepriester mit der Prinzessin Nebetha, einer Schwester Echnatons verheiratet war, hatte er die Chance gewittert und insgeheim nach der Doppelkrone getrachtet. Als Satamun seine Machenschaften eines Tages durchschaut hatte, war sie von seiner Seite gewichen. Echnaton hatte zwar einen anderen Gott verherrlicht, trotzdem war der Pharao der König von Ägypten, dem sie blindlinks folgen und dienen wollte, weil es unter anderem die eigentliche Aufgabe eines Priesters war.



Nach Echnatons Tod war sie dann von Theben in den Königspalast nach Memphis gezogen, weil sie erfahren hatte, dass der neue Pharao noch ein Kind sei und Amun wieder zum Reichsgott ernannt werden sollte. Jedem Priester stand es zu, hin und wieder den Königspalast aufzusuchen, um dort zu nächtigen und sich verköstigen zu lassen, was Satamun aber für selbstverständlich auffasste und es tagtäglich arglos in Anspruch nahm.
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Es war irgendwann jeder Zofe alsbald aufgefallen, dass Satamun scheinbar ein Dauergast im Königspalast war.

Mit ihrem selbstsicheren Auftreten hatte die außergewöhnlich große Frau die feine Gesellschaft regelrecht überrumpelt. Niemand hätte sich getraut, eine Amunpriesterin, die obendrein die Vertraute des Hohepriesters war, fortzuschicken, selbst wenn ihr Erscheinen ungelegen kam. Wenn sie also einmal eine ferne Stadt besuchte, hungrig war und eine Unterkunft benötigte, klopfte sie einfach an den Palasttoren der Reichen und nutzte deren Gastfreundschaft schamlos aus. Sie äußerste sogar Wünsche, was sie gerne essen wollte und bekam es anstandslos aufgetischt. Von den Reichen nahm sie, was sie kriegen konnte. Sie schlich sich sogar nachts in deren Küchenstuben und stahl Gemüse, Obst und Brot, um es später an die Armen zu verteilen. Und niemand wagte sich, sie des Diebstahls zu bezichtigen, weil man ihnen ohnehin nicht geglaubt hätte und für solch eine ungeheuerliche Anklage mit dem Leben hätte büßen müssen, was Satamun wusste.

Die meisten Amunpriester waren jener Zeit vermögend gewesen, aber Satamun verzichtete auf jeglichen Privatbesitz und opferte all ihr erworbene Reichtümer regelmäßig in einem Amuntempel. Ein Priester sowie eine Priesterin durften sich ohne weiteres vermählen und eine Familie gründen. Es sprach absolut nichts dagegen. Einige wohlhabende Priester hielten sich sogar Harems und feierten regelmäßig ausgiebige Orgien. Einem Reichen stand dies zu, und wenn man in seinen eigenen Palast ausschweifende Feiern veranstaltete, war man gar angesehen. Satamun war aber eine außergewöhnliche Priesterin. Sie nahm Abstand von allen Gelüsten und hielt sich stets fern von lasterhaften Einladungen, um Amun von ihrer Glaubwürdigkeit zu überzeugen, dass sie ausschließlich nur dem Gott und dem Pharao diene, bis Osiris ihr die Hand reichen würde.

Die Tempelpriester genossen jedes Privileg und waren im Königshaus stets willkommene Gäste. Gerne gestattete der Pharao einem gottesdienenden Pilger im Palast zu nächtigen, wenn dieser durch das Land zog und keine geeignete Unterkunft fand, aber Satamun hatte sich im Königspalast von Memphis für unbestimmte Zeit regelrecht eingenistet.
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Sie besaß keinerlei private Güter, so auch kein eigenes Zuhause. Sie hatte im Königspalast einfach ungefragt ein kleines Zimmer unten im Kellergewölbe für sich beansprucht, vor dessen Holztür nichtsdestotrotz jeden Morgen ein Tablett mit ein paar Brotschnitten, Käse, Wurst und einem Krug frischer Ziegenmilch bereitstanden, was die Priesterin ebenfalls für selbstverständlich hielt und ohne sich dafür dankbar zu erweisen, dies einfach annahm.

Wenn man in ihre Wohnstube blickte, fand man nur ein Bett vor, einen Schrein, in dem immer ordentlich ein frisch gewaschenes Gewand sowie eine Priesterrobe lagen. Zwei Stühle und einen Tisch, darauf unbeschriebene Papyrusrollen lagen, und ein Tintenfass mit einer Schreibfeder, die darin steckte. In der Ecke lag meistens ein Sack gefüllt mit gehortetem Brot, das sie regelmäßig aus der Palastküche stibitzte, um es an die Armen zu verteilen. Satamun war zwar raffiniert, dennoch waren ihre Langfinger nicht geschickt genug, dass diese Diebstähle vor Bürsa verborgen blieben. Brot aus der Königsküche zu mopsen, nur um es an die Armen zu verteilen, wurde mindestens mit vierzig Peitschenhieben bestraft. Die Hungerleider hatten sich gefälligst an die Tempel zu wenden, wo die Priester dann abgezählte Brotscheiben aushändigten.



Satamun wurde im Königspalast geduldet, ohne dass es Pharao Tutanchamun angeordnet hatte und Bürsa wiederum ordnete an, ohne dabei zu ahnen, wie das Verhältnis zwischen dem Pharao und der Priesterin überhaupt stand, dass für sie gesorgt wurde. Aber wenn das Brot und der Milchkrug vor ihrer Tür unberührt blieben, wussten die Hofdiener, dass Satamun wiedermal fortgegangen war und monatelang durch das Land pilgerte, weit hinaus zu den abgelegenen Dörfern wanderte, wo sie dann vor mittellosen Bauern predigte und Kindern, die anstatt in einer Schreiberschule lesen und schreiben lernten, stattdessen auf dem Getreideacker hart arbeiten mussten, unterrichtete sie etwas Allgemeinbildung. Dann blühte die allzu ernste Tempelpriesterin auf und wirkte fröhlich. Sie versorgte die Kranken und begleitete die Ältesten in ihren Sterbebetten auf dem Pfad zu Osiris, tobte draußen mit den Kindern herum, witzelte oft und lachte häufig.
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Sie sah es niemals als selbstverständlich an, wenn die Bauern ihre selbstlosen Dienste mit einer angemessenen Unterkunft sowie täglichen Mahlzeiten es dankten, weil diese Menschen oftmals selbst um das Nötigste bangten und um ihr Überleben kämpfen mussten.

Wenn die Bauernkinder sie dann schließlich irgendwann befragten, ob sie den jungen Pharao Tutanchamun sogar persönlich kennen würde und sie es bejahte, dann versammelten sich am Lagerfeuer alle Kinder um sie herum und hielten mucksmäuschenstille. Dann setzten die Jüngsten sich auf ihren Schoß nieder und sie alle lauschten gespannt, wie Satamun von Pharao Tutanchamun erzählte. Sogar die Eltern gesellten sich hinter der Kinderschar und horchten nach ihren Worten. Die Kinder lachten herzhaft, als Satamun ihnen erzählte, wie Tutanchamun, als er noch so alt war wie sie es gerade sind, das Königshaus mit frechen Bubenstreichen auf den Kopf gestellt hatte. Aber nun, betonte sie zuletzt mit erhobenem Zeigefinger, nun wäre der Pharao ein erwachsener junger Mann, der seine Pflicht gewissenhaft nachginge. Tut-anch-Amun sei jetzt ein wahrer König von Ägypten, der Pharao, der zurzeit das Land besucht und die Tempelsilos mit Getreide füllt, damit niemand Hunger erleiden müsse, woraufhin selbst die Erwachsenen jubelten und die Priesterin für diese frohe Botschaft von jedem herzhaft umarmt und geküsst wurde.

„Hoch lebe Pharao Tutanchamun! Möge unser König ewig leben! Hoch lebe Satamun, unsere hochgeschätzte Lehrerin!“, schallt der Applaus aus allen abgelegenen Bauerndörfern.
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